TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/25 93/04/0027

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Veröffentlicht am 25.05.1993
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1002;
AVG §10 Abs2;
AVG §10 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte Dr. Weiss, DDr. Jakusch, Dr. Gruber und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der W G.m.b.H. in P, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 22. Jänner 1993, Zl. VI/1-1491-1992, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid vom 22. Jänner 1993 wies der Landeshauptmann von Burgenland die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 15. September 1992 als unzulässig zurück. Zur Begründung führte der Landeshauptmann aus, am 15. September 1992 sei von der Bezirkshauptmannschaft auf Grund der fernmündlichen Mitteilung eines Anrainers, auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik lagerten in einer Halle große Mengen Mülls, telefonisch eine Augenscheinsverhandlung für 13.00 Uhr anberaumt worden. Zu dieser Verhandlung sei ebenfalls telefonisch u.a. die Beschwerdeführerin geladen worden. Bei deren telefonischer Ladung sei im Firmenstandort auf die im Gemeindeamt befindlichen beiden Vertreter, die Herren O sen. sowie H verwiesen worden, die in der Folge auch über das Gemeindeamt telefonisch hätten erreicht und als Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin zur Verhandlung geladen werden können. Im Zuge dieser Verhandlung sei vom Verhandlungsleiter mündlich ein auf die Bestimmung des § 360 Abs. 2 GewO 1973 gestützter Bescheid verkündet worden. Die Vertreter der Beschwerdeführerin hätten das Verhandlungsergebnis zustimmend zur Kenntnis genommen und auf die Einbringung eines Rechtsmittels verzichtet. In ihrer Berufung gegen diesen mündlich verkündeten Bescheid bringe die Beschwerdeführerin vor, bei der Augenscheinsverhandlung seien nur die genannten Personen, nicht aber der Geschäftsführer O jun. anwesend gewesen, sodaß der Bescheid in Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin verkündet worden und daher nicht rechtswirksam sei; der Bescheid sei erst durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung erlassen worden. Diesem Vorbringen hielt die belangte Behörde entgegen, Herr O sen. sei nicht nur in Niederösterreich bisher immer als Bevollmächtigter der Beschwerdeführerin aufgetreten (z.B. in einem gleich gelagerten Fall - Verhandlung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt am 14. Oktober 1992 in P), sondern er habe auch im Burgenland bereits in dem die nämlichen Abfälle betreffenden vorausgehenden Feststellungsverfahren nach § 4 AVG 1990 die Beschwerdeführerin als Bevollmächtigter vertreten. Da es sich bei O sen. um den Vater des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin, O jun., handle, sei die Behörde zufolge § 10 Abs. 4 AVG berechtigt gewesen, von einer ausdrücklichen Vollmacht abzusehen, da es sich um ein amtsbekanntes Familienmitglied des Geschäftsführers gehandelt habe, und auf Grund des Umstandes, daß dieser bereits in mehreren Verfahren als Bevollmächtigter aufgetreten sei, auch keine Zweifel an Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis bestanden hätten. Der Behörde seien bis zur Berufung auch keine Anhaltspunkte über einen Widerruf der Vollmacht vorgelegen, sodaß allenfalls die Berufung als Widerruf des Bevollmächtigungsverhältnisses gewertet werden könne. Da eine Kündigung einer Vollmacht der Behörde gegenüber jedoch erst dann wirksam werde, wenn sie ihr mitgeteilt worden sei, sei der der Verhandlung beigezogene O sen. jedenfalls berechtigt gewesen, auch auf eine Berufung gegen den mündlich verkündeten Bescheid zu verzichten. Der später angefochtene Bescheid sei durch diesen Berufungsverzicht in Rechtskraft erwachsen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Bescheid sei erst durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung erlassen worden, sei aktenwidrig und unrichtig, da der Bescheid dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin gegenüber nur mündlich erlassen worden sei. Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides sei weder verlangt noch tatsächlich zugestellt worden. Daß es sich bei dem der Verhandlung hinzugezogenen O sen. tatsächlich um einen Bevollmächtigten des Geschäftsführers O jun. handle, werde auch durch die Tatsache der fristgerechten Berufung gegen den nur mündlich dem Bevollmächtigten gegenüber erlassenen Bescheid untermauert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem gesamten Vorbringen in ihrem Recht auf meritorische Erledigung der in Rede stehenden Berufung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin vor, vorweg sei festzuhalten, daß eine ordnungsgemäße Ladung der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Geschäftsführers nicht erfolgt sei. Um eine Vertretung gemäß § 10 Abs. 4 AVG annehmen zu können, sei erforderlich, daß der zu Vertretende nachgewiesenermaßen persönlich von der Verhandlung verständigt worden sei, weil nur damit die Voraussetzung für das Absehen von einer ausdrücklichen Vollmacht geschaffen worden wäre. Die belangte Behörde könne die Vollmacht des O sen. ferner nicht darauf stützen, daß dieser mit dem Geschäftsführer der Beschwerdeführerin verwandt sei, weil eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung keine Verwandten habe und daher der Begriff "amtsbekanntes Familienmitglied" auf sie überhaupt nicht anwendbar sei. Auch wenn O sen. in einigen Verwaltungsverfahren in Erscheinung getreten sei, so hätte die Behörde auf Grund dieser Tatsache niemals annehmen dürfen, er sei berechtigt, auch im gegenständlichen Verfahren die Beschwerdeführerin zu vertreten. Auf Grund der gegebenen Situation hätten jedenfalls Zweifel über den Umfang und den Bestand der Vollmacht bestanden, weshalb die Behörde weitere Erhebungen zur Feststellung des Umfanges der Vollmacht hätte anstellen müssen.

Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben.

Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich zufolge Abs. 2 dieses Paragraphen nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen.

Nach dem Abs. 4 dieses Paragraphen kann von einer ausdrücklichen Vollmacht abgesehen werden, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.

Das Gesetz unterscheidet in den zitierten Bestimmungen zwischen der Vertretungsbefugnis als der Ermächtigung des Vertreters durch den Vertretenen einerseits und der Vollmacht als der darüber ausgestellten Urkunde andererseits. Das Gesetz geht davon aus, daß die erforderliche Vertretungsbefugnis regelmäßig der Behörde durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen ist. Ausnahmen vom Erfordernis der schriftlichen Vollmachtsurkunde sind im Gesetz für den Fall der vor der Behörde mündlich erteilten Vollmacht, des Einschreitens eines Rechtsanwaltes oder eines Notars (§ 10 Abs. 1 zweiter und dritter Satz) und bei Erfüllung der im Abs. 4 normierten Tatbestände vorgesehen.

Die belangte Behörde verkennt daher den normativen Gehalt der Bestimmung des § 10 Abs. 4 AVG, wenn sie offensichtlich davon ausgeht, bei Erfüllung der dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen sei die Vertretungsbefugnis des Einschreiters jedenfalls gegeben.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der von der belangten Behörde im konkreten Fall festgestellte Sachverhalt dieser Gesetzesstelle unterstellt werden kann, weil damit für die im vorliegenden Fall allein relevante Frage, ob die bei der Augenscheinsverhandlung vom 15. September 1992 von der belangten Behörde als Vertreter der Beschwerdeführerin behandelten Personen die erforderliche Vertretungsbefugnis besaßen, nichts gewonnen wäre. Diese Frage ist vielmehr nach der diesbezüglich eindeutigen Anordnung des § 10 Abs. 2 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen.

Die belangte Behörde irrt aber auch, wenn sie meint, aus dem Umstand, daß O sen. bereits in zwei anderen Verwaltungsverfahren als bevollmächtigter Vertreter der Beschwerdeführerin aufgetreten sei, seine Vertretungsbefugnis auch im vorliegenden Fall ableiten zu dürfen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde nicht berechtigt, nach Vorlage einer Vollmacht in einem bestimmten Verfahren davon auszugehen, daß die Partei auch in anderen Verfahren durch diesen Vertreter vertreten sein will (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, S. 151 Nr. 59 ff, zitierte hg. Rechtsprechung).

Da sich die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage mit der Frage des Bestehens einer Ermächtigung der in der Verhandlung vom 15. September 1992 aufgetretenen Personen durch die Beschwerdeführerin, sie in diesem Verfahren zu vertreten, nicht befaßte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter Zurechnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993040027.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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