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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Einstellung des Verordnungsprüfungsverfahrens wegen mangelnder Präjudizialität des in Prüfung gezogenen "Lawinenerlasses"; Geltung des Erlasses nur für Kleinseilbahnen und Schlepplifte; keine Anwendung dieses Erlasses im Anlaßverfahren betreffend die Konzessionserteilung für HauptseilbahnenSpruch
Das Verordnungsprüfungsverfahren wird eingestellt.
Begründung
Begründung:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1465/88 eine Beschwerde gegen die Verweigerung einer beantragten Konzession für eine als Doppelsesselbahn auszuführende Hauptseilbahn anhängig. Im angefochtenen Bescheid stützt die belangte Behörde ihre abweisliche Entscheidung auf §17 Abs3 Eisenbahngesetz 1957, BGBl. Nr. 60 in der Fassung BGBl. Nr. 113/1963, 20/1970, 274/1971, 422/1975 und 305/1976, und führt dazu begründend aus, daß die im öffentlichen Interesse erforderliche ständige Lawinensicherheit nicht gegeben sei und "das Interesse an der Förderung des Skisports oder an der Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen das öffentliche Interesse an der Sicherheit der Seilbahnbenützer" nicht überwiege.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG erachtet sich die beschwerdeführende Gesellschaft u.a. in ihren Rechten deshalb als verletzt, weil die von der belangten Behörde angewendeten "Lawinenerlässe" des Bundesministers für Verkehr vom 22. Jänner 1975, Z EB 6403/8-II/3-1975, und vom 9. September 1975, Z EB 6403/31-II/3-1975, gesetzwidrig seien.
2. In ihrer Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt, behauptet die belangte Behörde, daß der Lawinenerlaß vom 22. Jänner 1975 nur die geänderte Konzessionspraxis der belangten Behörde insofern zum Ausdruck bringe, "als das öffentliche Interesse an einem bestimmten Skiraum dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Lawinensicherheit der Benützer nachgeordnet wurde". Dieser Erlaß ebenso wie ein zweiter Erlaß vom 9. September 1975 seien "reine Verwaltungsverordnungen an die nachgeordneten Behörden". Es könne der belangten Behörde nicht verwehrt sein, "die Neuorientierung ihrer Konzessionspraxis den Landeshauptmännern bekanntzumachen und sie zu einer analogen Vorgangsweise 'einzuladen'".
3. Im Zuge dieses Beschwerdeverfahrens beschloß der Verfassungsgerichtshof, den Punkt I.2. des Erlasses des Bundesministers für Verkehr vom 22. Jänner 1975, Z EB 6403/8-II/3-1975, betreffend Lawinenschutz im Bereich von Seilbahnen und Schleppliften, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen auf seine Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Der Verfassungsgerichtshof nahm in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig an, daß das zur Abweisung des Konzessionsbegehrens führende Verwaltungsverfahren unter Anwendung des Punktes I.2. des zitierten Lawinenerlasses durchgeführt worden sei, sodaß er auch bei seiner Entscheidung über die Beschwerde diesen Erlaß heranzuziehen habe.
II. Die im Prüfungsbeschluß vorläufig geäußerte Auffassung, daß der Verfassungsgerichtshof den in Prüfung gezogenen Erlaß bei seiner Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden hätte, kann der Gerichtshof nicht aufrechterhalten.
Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Judikatur (VfSlg. 5373/1966, 8999/1980, 11.644/1988; VfGH 27. Februar 1989, B858/87) die Auffassung, daß eine generelle Norm in einer Beschwerdesache nur dann präjudiziell ist, wenn ihre faktische Anwendung durch die belangte Behörde denkmöglich war, wenn sohin der Sachverhalt der angewendeten Norm zumindest denkmöglich subsumierbar ist (vgl. VfSlg. 4625/1963, 5373/1966), oder wenn sie - unabhängig von der tatsächlichen Anwendung durch die Behörde - jedenfalls anzuwenden war.
Die Behörde stützt in dem zu B1465/88 angefochtenen Bescheid ihre Entscheidung nicht auf den in Prüfung gezogenen Erlaß. Zwar hat sie im Verwaltungsverfahren - wie im Prüfungsbeschluß näher ausgeführt - mehrfach auf den Erlaß Bezug genommen. Diese Bezugnahme erfolgte jedoch - bei näherer Betrachtung - stets in der Form, daß die Behörde die im Erlaß dargelegten Grundsätze für den Lawinenschutz im Bereich von Seilbahnen und Schleppliften lediglich "entsprechend" oder sinngemäß angewendet wissen wollte (vgl. das Schreiben der belangten Behörde vom 27. Jänner 1987, Z EB 34191/3-II/3-1987, wo von einer "dem ho. Erlaß vom 22.1.1975 entsprechende(n) Lawinensicherung" die Rede ist, sowie ihr Schreiben vom 26. Juni 1986, wo um eine gutachtliche Stellungnahme der "Wildbach- und Lawinenverbauung" "im Sinne des ho. Lawinenerlasses" ersucht wird; Hervorhebungen vom Verfassungsgerichtshof). Dem entspricht ein Rundschreiben des Bundesministers für Verkehr an die Forsttechnischen Abteilungen für Wildbach- und Lawinenverbauung vom 23. Jänner 1975, Z EB 6403/9-II/3-1975, in dem es in bezug auf den in Prüfung gezogenen Erlaß heißt, daß dadurch "die Herren Landeshauptleute angewiesen (wurden), hinsichtlich der Kleinseilbahnen (Einsessellifte) und der Schlepplifte Maßnahmen zur Intensivierung des Lawinenschutzes zu treffen" (Hervorhebungen im Original). Hinsichtlich der Hauptseilbahnen sollen die Forsttechnischen Abteilungen für Wildbach- und Lawinenverbauung bei der Begutachtung zwar "analog" vorgehen. Gleichwohl beziehen sich die gemäß dem Lawinenerlaß zu treffenden Maßnahmen, wie bereits der Einleitungssatz des Erlasses zeigt, ausschließlich auf "Kleinseilbahnen und Schlepplifte". Auch der in Prüfung gezogene Punkt I.2. des Erlasses gilt ausdrücklich und ausschließlich für das "Konzessionsverfahren für eine Kleinseilbahn".
Mag der Grund für die Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches des Lawinenerlasses auf Kleinseilbahnen und Schlepplifte auch in den Zuständigkeitsvorschriften liegen, (weil nur für Kleinseilbahnen und Schlepplifte die Landeshauptmänner als dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr untergeordnete Behörden zuständig sind, für Hauptseilbahnen hingegen der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr selbst zuständig ist) und mag sich auch die Verwaltungspraxis des für Hauptseilbahnen zuständigen Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, wie der Anlaßfall zeigt, der Grundsätze des Erlasses in analoger Weise bedienen, so ändert dies nichts daran, daß der vom Bundesminister für Verkehr an die Landeshauptleute gerichtete Erlaß vom 22. Jänner 1975 als solcher jedenfalls schon seinem Wortlaut nach nur für Kleinseilbahnen und Schlepplifte Geltung besitzt. Seine Anwendung in einem Verfahren zur Konzessionierung einer Hauptseilbahn erscheint schlechterdings denkunmöglich.
Ist der zitierte Erlaß jedoch für die Entscheidung über die zu B1465/88 beim Verfassungsgerichtshof anhängige Beschwerde nicht präjudiziell, so ist das Verordnungsprüfungsverfahren schon aus diesem Grunde unzulässig.
Das Verfahren war sohin einzustellen.
Schlagworte
Eisenbahnrecht, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:V175.1990Dokumentnummer
JFT_10098793_90V00175_00