TE Vfgh Erkenntnis 1990/12/7 V171/90

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Veröffentlicht am 07.12.1990
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15 Unabhängigkeitserklärung, Rechtsüberleitung, Übergangsrecht
15/01 Unabhängigkeitserklärung, Rechtsüberleitung, Übergangsrecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art144 Abs1 / Privatwirtschaftsakt
Benützungsrichtlinien für die vom Österr Staatsarchiv verwahrten Archivalien
BGBlG 1985 §2 Abs1 litf

Leitsatz

Aufhebung der Benützungsrichtlinien für die Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs mangels gesetzlicher Grundlage und gehöriger Kundmachung; Bescheidcharakter einer Verweigerung der Benützung bestimmter Archivalien; Verordnungscharakter der Benützungsrichtlinien aufgrund ihres normativen Inhalts

Spruch

Die vom Bundeskanzler zu GZ 123.610/3-I/2/88 erlassenen "Richtlinien für die Behandlung von Benützungsansuchen für die vom Österreichischen Staatsarchiv verwahrten Archivalien" vom 17. Februar 1988 werden gemäß Art139 B-VG als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aus Anlaß einer bei ihm zu B1876/88 gemäß Art144 B-VG angefochtenen Verweigerung der vom Beschwerdeführer jenes Verfahrens beantragten Genehmigung zur Benützung von Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs durch den Bundeskanzler hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, die Richtlinien des Bundeskanzlers über die Behandlung von Benützungsansuchen für die vom Österreichischen Staatsarchiv verwahrten Archivalien vom 17. Februar 1988, GZ 123.610/3-I/2/88, (kurz: Benützungsrichtlinien) gemäß Art139 B-VG von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß davon aus, daß die zu B1876/88 angefochtene Erledigung ein Bescheid und die Beschwerde daher zulässig ist. Er nahm weiters vorläufig an, daß die Benützungsrichtlinien vom Bundeskanzler bei jener Erledigung angewendet wurden und daß es sich dabei um eine Verordnung handle. Für die Verordnungsqualität schienen dem Verfassungsgerichtshof die im Bereich hoheitlichen Verwaltungshandelns gebräuchliche Terminologie der Benützungsrichtlinien sowie die Hinweise in den Erläuterungen zu den Benützungsrichtlinien auf die bei deren Erlassung herangezogenen hoheitsrechtlichen Akte der Gesetzgebung (laut Erläuterungen "über die Amtsverschwiegenheit, die Auskunftspflicht, den Datenschutz") und auf die Kompetenz des Bundes zur Hoheitsverwaltung gemäß Art10 Abs1 Z13 B-VG maßgeblich.

Der Verfassungsgerichtshof hegte die Bedenken, daß die Benützungsrichtlinien abgesehen von den unter Z5 lita aufgezählten Gründen für die Abweisung eines Benützungsansuchens (die in Art20 Abs3 B-VG ihre Rechtsgrundlage haben) der gemäß Art18 Abs2 B-VG notwendigen gesetzlichen Grundlage entraten, sowie daß die Benützungsrichtlinien als Rechtsverordnung, deren Inhalt für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Österreichischen Staatsarchiv und seinen Benützern für diese Rechtswirkungen äußert, nicht gemäß §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1985, BGBl. Nr. 200/1985, im Bundesgesetzblatt verlautbart wurden.

2. Der Bundeskanzler wiederholt in seiner Äußerung seine (bereits zu B1876/88) dargelegte Auffassung, daß die Entscheidung über das Benützungsansuchen, deren Anfechtung den Anlaß zur Einleitung des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens gab, kein Bescheid sei, "sondern im Rahmen der Privatautonomie des Eigentümers an den Archivalien ergangen ist und somit ihr auch kein Bescheidwille zugrundeliegt". Ferner seien die Benützungsrichtlinien "im Rahmen nichthoheitlichen Verwaltungshandelns ergangen", sodaß ihnen "nur in dem Maße Außenwirkung zu(kommt), wie den im privaten Geschäftsverkehr für immer wiederkehrende Rechtsgeschäfte (hier Einräumung von Nutzungen an Archivalien) aufgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen".

Zu den, vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß in Erwägung gezogenen Argumenten für die Verordnungsqualität der Benützungsrichtlinien bemerkt der Bundeskanzler:

"Dadurch, daß im Votum des Aktes des Bundeskanzleramtes, mit dem die in Prüfung gezogenen Richtlinien erlassen wurden, die ... Kompetenzbestimmung des (Art10 Abs1 Z13) B-VG zitiert wurde, kann somit nicht der Schluß gezogen werden, daß diese Richtlinien eine hoheitliche Regelung sind. Diese Richtlinien sind nicht in der Absicht, die Benützung von Archivalien hoheitlich zu regeln, sondern in Obsorge der ordnungsgemäßen Verwaltung von Bundesvermögen und somit als Akt der Regelung der Privatwirtschaftsverwaltung im Innenverhältnis der Verwaltung erlassen worden und stellen den Rahmen dar, innerhalb dessen die Bediensteten des ÖStA Privatpersonen Nutzungen an den als Sondervermögen der Republik Österreich anzusehenden Archivgut einräumen dürfen. ...

Die Einräumung oder Nichteinräumung der Benützungsbewilligung von Archivalien ist daher als privatrechtlicher Akt des Eigentümers im Rahmen seiner Privatautonomie zu sehen. Diese Privatautonomie wäre nur dann eingeschränkt, wenn sich der Antragsteller auf ein im öffentlichen Recht verankertes subjektives Recht auf Benützung der Archivalien stützen könnte. Ein derartiges Recht ist jedoch nicht normiert.

    Die Zitierung des Datenschutzgesetzes, des

Auskunftpflichtgesetzes und die Verpflichtung zur

Amtsverschwiegenheit im Votum des Aktes, mit dem die 'Richtlinien

...' gegenüber dem ÖStA festgelegt wurden, ist dahingehend zu

verstehen, daß die im Rahmen der Privatautonomie an und für sich

freie Verfügungsgewalt der Republik Österreich über die Archivalien

und damit der freien Entscheidungsmöglichkeit der Gewährung der

Einsichtnahme in Archivalien durch diese Normen zum Schutz

bestimmter Interessen Schranken auferlegt ... und daß somit diese

Schutzinteressen bei der inhaltlichen Gestaltung der Richtlinien zu berücksichtigen sind. ..."

    Schließlich entsprechen

    "nach Auffassung des Bundeskanzleramtes ... die in den

Richtlinien verwendeten Begriffe durchaus der üblichen Diktion eines Eigentümers (hier die Republik Österreich als Eigentümerin der Archivalien, vertreten durch das BKA), der jemandem die Befugnis zur Nutzung an seinem Eigentum (hier Einsichtnahme in die Archivalien) einräumt. ...

In Ausübung dieser Befugnis im Sinne §354 ABGB als Eigentümer sind die Richtlinien erlassen worden, um dem ÖStA als nachgeordnete Dienststelle des Bundeskanzleramtes eine Anleitung zur Einräumung von Nutzungsrechten am Eigentum zur Verfügung zu stellen. Aus dieser Sicht ist auch die in den Richtlinien gewählte Diktion zu verstehen.

Aus der Diktion der Richtlinien kann daher nicht auf ein hoheitliches Handeln geschlossen werden."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens hängt nicht nur davon ab, daß die Benützungsrichtlinien eine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG sind, sondern auch davon, daß die Erledigung des Bundeskanzlers vom 10. Oktober 1988, mitgeteilt mit Schreiben des Generaldirektors des Österreichischen Staatsarchivs vom 18. Oktober 1988, deren Anfechtung gemäß Art144 B-VG den Anlaß zur Einleitung des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens gab, als Bescheid zu verstehen ist.

Der Verfassungsgerichtshof verweist vorerst auf seine, bereits im Beschluß vom 30. November 1972, B166/72, getroffene Feststellung, daß keine gesetzliche Regelung besteht, die die Benützung von Beständen des Österreichischen Staatsarchivs hoheitsrechtlich gestalten würde.

Anders als die seinerzeit angefochtene Erledigung der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs (die nicht nur nicht in der Form eines Bescheides ergangen, sondern auch inhaltlich nicht als Bescheid anzusehen war) ist die Entscheidung des Bundeskanzlers vom 10. Oktober 1988 (mit der die Genehmigung zur Benützung bestimmter Archivalien verweigert und die dem Beschwerdeführer in einer Erledigung des Generaldirektors des Österreichischen Staatsarchivs vom 18. Oktober 1988 mitgeteilt wurde) aber ebenso ein Akt der Hoheitsverwaltung wie die dabei angewendeten Benützungsrichtlinien.

Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Bundeskanzler als Verwaltungsbehörde befugt ist, Bescheide und Verordnungen zu erlassen. Ob ein - abstrakt als Behörde zu qualifizierendes - Verwaltungsorgan hoheitliche Befugnisse durch Erlassung eines Bescheides oder einer Verordnung in Anspruch genommen hat, ist, wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (so für

Bescheide: VfSlg. 3952/1961, 4643/1964, 5355/1966, 7436/1974; für

Verordnungen: VfSlg. 2465/1953, 4415/1963, 8350/1978, 8807/1980, 9416/1982, 11467/1987, VfGH 8.10.1988, V53/87), am Inhalt des Verwaltungsaktes zu messen und festzustellen. Mag eine Behörde bei Erlassung eines Verwaltungsaktes auch zu Unrecht ihre Befugnis zu hoheitlichem Handeln angenommen haben, so kann dieses rechtswidrige Verhalten nicht die Qualifikation des Verwaltungsaktes als Hoheitsakt, sohin als Bescheid oder als Verordnung verhindern. Dieser vom Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Judikatur vertretene Rechtsgedanke muß aus dem in den Art139 und Art144 B-VG umschriebenen Rechtsschutzauftrag des Verfassungsgerichtshofes abgeleitet werden: Auch wenn einer Behörde in einer bestimmten Angelegenheit die gesetzliche Ermächtigung zu hoheitlichem Handeln fehlt, so sind in dieser Angelegenheit gleichwohl erlassene Hoheitsakte, also Bescheide und Verordnungen, nicht nichtig, sondern vom Verfassungsgerichtshof gemäß den Art139 und 144 B-VG zu beheben.

Sowohl die Entscheidung des Bundeskanzlers vom 10. Oktober 1988 (dem Beschwerdeführer mitgeteilt mit Erledigung des Generaldirektors des Österreichischen Staatsarchivs vom 18. Oktober 1988) als auch die Benützungsrichtlinien stellen sich - wie aus ihrem Zusammenhalt besonders deutlich wird - inhaltlich als hoheitliche Regelungen einer Verwaltungsangelegenheit dar:

Die imperative Form der Benützungsrichtlinien, wonach Benützungsansuchen für Archivalien bestimmter Art"grundsätzlich zurückzuweisen (sind)" (Z.2.), Benützungsansuchen für andere Archivalien unter bestimmten Bedingungen "aufrecht zu erledigen (sind)" (Z.3.) und Benützungsansuchen für eine dritte Gruppe von Archivalien "grundsätzlich aufrecht zu erledigen (sind)" (Z.4.), sofern nicht bestimmte Abweisungsgründe vorliegen, zeigt, daß damit einseitig Rechte potentieller Benützer der Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs geregelt werden und damit in ihre Rechtssphäre eingegriffen wird. Mag auch die Absicht des Bundeskanzlers als der die Richtlinien erlassenden Behörde lediglich darauf gerichtet gewesen sein, dem Österreichischen Staatsarchiv durch generelle Weisung vorzuschreiben, wie Benützungsansuchen zu behandeln sind, (worauf der Einleitungssatz der Richtlinien und ihre Z.9. hinweisen) so erschöpfen sich die Richtlinien gleichwohl nicht in der Benennung von Bedingungen für privatrechtliche, vom Österreichischen Staatsarchiv für den Bund abzuschließende Benützungsverträge, sondern enthalten - einseitig erlassene - generelle Normen, die ihrem objektiven Gehalt nach Benützungsrechte für Archivalien teils einräumen, teils verweigern.

Angesichts dieses normativen Inhalts der Benützungsrichtlinien, der die Annahme des Vorliegens einer Verordnung des Bundeskanzlers gebietet, kann es dahingestellt bleiben, welche Bedeutung den in den Erläuterungen zu den Benützungsrichtlinien im zugrundeliegenden Akt enthaltenen Hinweisen auf Art10 Abs1 Z. 13 B-VG (sohin auf eine Kompetenz des Bundes zur Hoheitsverwaltung) und auf verschiedene hoheitsrechtliche Akte der Gesetzgebung ("über die Amtsverschwiegenheit, die Auskunftspflicht, den Datenschutz") zukommt.

Im Zusammenhalt mit dem geschilderten Inhalt der Benützungsrichtlinien und ihrer daraus resultierenden Qualifikation als Verordnung ist auch die Entscheidung des Bundeskanzlers über die Verweigerung der Genehmigung zur Benützung bestimmter Archivalien zu sehen und zu deuten. Mit dieser Entscheidung hat der Bundeskanzler (intimiert durch das im Bereich des Bundeskanzleramtes als "Sonderverwaltung" gemäß §10 Abs2 BehördenÜberleitungsgesetz, StGBl. Nr. 94/1945, eingerichtete Österreichische Staatsarchiv) entsprechend der Z. 4. in Verbindung mit Z. 5. lita der Benützungsrichtlinien im Interesse der auswärtigen Beziehungen über ein Benützungsansuchen negativ entschieden und damit in die - durch die Benützungsrichtlinien gestaltete - Rechtssphäre des Benützungswerbers eingegriffen. Die das Ansuchen des Benützungswerbers abschlägig behandelnde Entscheidung des Bundeskanzlers bildet sohin zwar nicht ihrer Form, wohl aber ihrem Inhalt nach einen Bescheid im Sinne des Art144 B-VG. Diese Bewertung entspricht auch dem ausdrücklich auf Erlassung eines Bescheides gerichteten Antrag des Benützungswerbers, über den keine anderweitige, etwa zurückweisende Erledigung in Bescheidform (wie sie gemäß VwSlg. 9458 A/1977 mangels Zuständigkeit zur Erlassung eines Bescheides geboten wäre) erging.

Da sohin die im Verfahren nach Art144 B-VG, das den Anlaß zur Einleitung des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens bildete, angefochtene Entscheidung des Bundeskanzlers ein Bescheid ist und die Benützungsrichtlinien eine Verordnung sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Wie bereits (unter Hinweis auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 1972, B166/72) dargetan wurde, bestand und besteht keine gesetzliche Regelung, welche die Benützung von Beständen des Österreichischen Staatsarchivs hoheitsrechtlich gestalten würde. Den Benützungsrichtlinien fehlt es sohin an der gemäß Art18 Abs2 B-VG erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Sie sind sohin gesetzwidrig.

Die Benützungsrichtlinien leiden aber auch wegen fehlerhafter Kundmachung an Rechtswidrigkeit. Fehlt ihnen doch die gemäß §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1985, BGBl. Nr. 200/1985, für Rechtsverordnungen erforderliche Kundmachung im Bundesgesetzblatt. Daß die Benützungsrichtlinien eine Rechtsverordnung sind, ergibt sich aber aus ihrem bereits dargestellten Inhalt: Da sie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Österreichischen Staatsarchiv und seinen Benützern regeln, äußern sie gegenüber jedermann, der die Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs benützen will, Rechtswirkungen.

Die Benützungsrichtlinien waren sohin mangels gehöriger Kundmachung gemäß Art139 Abs3 litc B-VG zur Gänze aufzuheben.

3. Die Verpflichtung zur Kundmachung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Verordnungsbegriff, Bescheidbegriff, Nichtigkeit absolute, Hoheitsverwaltung, Privatwirtschaftsakt, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnung Kundmachung, Staatsarchiv

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V171.1990

Dokumentnummer

JFT_10098793_90V00171_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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