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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §73 Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):93/08/0039 bis 93/08/0089Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, in den Beschwerdesachen der P-Ges.m.b.H & Co KG in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt, W, gegen den Bundesminister für Arbeit und Soziales wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, betreffend die Vollversicherungspflicht von 52 Ferialpraktikanten nach dem ASVG und dem AlVG, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Verfahren werden eingestellt.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 289.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Kostenmehrbegehren werden abgewiesen.
Begründung
Mit 52 Bescheiden vom 27. Mai 1991 stellte die Wiener Gebietskrankenkasse fest, daß die im jeweiligen Bescheid bezeichnete Person in den dort jeweils angeführten Zeiträumen aufgrund ihrer Beschäftigung als Ferialaushilfe bei der Beschwerdeführerin gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei.
Den von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Einsprüchen gab der Landeshauptmann von Wien mit 52 Bescheiden vom 3. April 1992 statt und hob die bekämpften Bescheide auf.
Dagegen erhob die Wiener Gebietskrankenkasse 52 Berufungen an die belangte Behörde.
Mit den vorliegenden, am 11. März 1993 erhobenen 52 Säumnisbeschwerden beantragte die Beschwerdeführerin die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Berufungen der Wiener Gebietskrankenkasse mit der Begründung, daß die belangte Behörde bisher über die am 21. April 1992 beim Landeshauptmann von Wien eingebrachten Berufungen nicht entschieden habe.
Innerhalb der der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG jeweils gesetzten Frist von 3 Monaten erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 13. Mai 1993, Zl. 120.453/8-7/93, der Beschwerdeführerin zugestellt am 18. Mai 1993, mit dem den Berufungen der Wiener Gebietskrankenkasse gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und in Bestätigung der bekämpften Bescheide festgestellt wurde, daß die 52 Ferialpraktikanten in den in den Bescheiden jeweils angeführten Zeiträumen aufgrund ihrer Beschäftigung als Ferialpraktikanten bei der Beschwerdeführerin nicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG vollversichert, sondern lediglich gemäß § 8 Abs. 3 lit. h ASVG in der Unfallversicherung teilversichert gewesen seien. Dieser Bescheid wurde dem Verwaltungsgerichtshof am 18. Mai 1993 vorgelegt. In der Bescheidbegründung setzt sich die belangte Behörde angesichts der erhobenen Säumnisbeschwerden auch mit der erst nunmehr erfolgten Erlassung des Bescheides auseinander. Sie vertritt hiezu die Auffassung, sie habe aufgrund der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin nicht bereit gewesen sei, an der Sachverhaltsdarstellung mitzuwirken, und aufgrund des aufwendigen weiteren Ermittlungsverfahrens, um mittels Ladungen ehemaliger Praktikanten/-innen den Sachverhalt feststellen zu können, nicht binnen 6 Monaten durch Bescheid entscheiden können. Die belangte Behörde treffe daher kein Verschulden an der verspäteten Bescheiderlassung.
In einer "Mitteilung" vom 19. Mai 1993 bestreitet die Beschwerdeführerin den Vorwurf, sie habe die verspätete Bescheiderlassung zu verantworten. Da die belangte Behörde innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Frist jene Bescheide, mit deren Erlassung sie säumig gewesen sei, in Entsprechung der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes nachgeholt habe, werde (in Wiederholung der bereits gestellten Kostenanträge) der Zuspruch von S 5.560,-- zuzüglich Bundesstempelmarken von S 480,-- je Beschwerde, insgesamt sohin S 314.080,--, beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres nunmehr gegebenen sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Fünfersenat erwogen:
Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war. Die Beschwerde kann gemäß § 27 VwGG erst erhoben werden, wenn u.a. die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen 6 Monaten in der Sache entschieden hat. Gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen, wenn der Bescheid fristgerecht (d.h. innerhalb der der Behörde gesetzten Frist) erlassen wird.
Wie sich aus § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ergibt, setzt die Einstellung des Verfahrens über eine Säumnisbeschwerde deren Zulässigkeit voraus. Die vorliegenden Säumnisbeschwerden sind zulässig, weil die belangte Behörde nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 27 VwGG über die Berufungen der Wiener Gebietskrankenkasse entschieden hat. Darauf, ob die Verzögerung ausschließlich auf ein Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen war, kommt es - anders als bei Prüfung der Berechtigung eines Devolutionsantrages nach § 73 Abs. 2 AVG - nicht an. Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, daß die Berufungen nicht von der Beschwerdeführerin, sondern der Wiener Gebietskrankenkasse erhoben wurden. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat auch die Partei, die im Verfahren vor der obersten Verwaltungsbehörde Berufungsgegner ist, das Recht zur Erhebung der Säumnisbeschwerde (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 31. Mai 1949, Slg. Nr. 865/A, und den Beschluß vom 27. Februar 1981, Zl. 81/04/0007).
Die Verfahren über die vorliegenden Säumnisbeschwerden waren daher gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG einzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG, in Verbindung mit Art. I lit. A Z. 1 zweiter Fall der Verordnung des Bundeskanzlers vom 5. März 1991, BGBl. Nr. 104.
Ein (die Anwendung des § 55 Abs. 1 VwGG ausschließender) Fall des § 55 Abs. 2 oder 3 VwGG liegt nicht vor. Denn die belangte Behörde hat in ihrem Schreiben, in dem sie den nachgeholten Bescheid vorgelegt hat, nicht dargetan, daß die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 oder 3 VwGG vorliegen. Es läßt sich auch der Aktenlage, insbesondere der oben wiedergegebenen Begründung des nachgeholten Bescheides, nicht entnehmen, daß die Verzögerung der Entscheidung ausschließlich auf das Verschulden der Beschwerdeführerin zurückzuführen war.
Bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführerin hinsichtliche jeder Säumnisbeschwerde der pauschalierte Schriftsatzaufwand zusteht. Mit dieser Frage hat sich der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Beschluß vom 26. Jänner 1993,
Zlen. 92/14/0102 bis 0120, 0122, ausführlich befaßt. Danach hängt der Anspruch auf Schriftsatzaufwand für jede Säumnisbeschwerde davon ab, ob die Einbringung jeweils gesonderter Beschwerden zur Durchsetzung der Entscheidungspflicht notwendig oder auch nur zweckmäßig war. Dies ist in den vorliegenden Beschwerdefällen zu bejahen. Denn im Hinblick darauf, daß als Folge der getrennten Verfahrensführung durch die Behörden der beiden ersten Rechtsstufen hinsichtlich jedes einzelnen Ferialpraktikanten ein Berufungsverfahren anhängig war (und jedes dieser Berufungsverfahren entsprechend der konkreten Fallkonstellation einen unterschiedlichen Verlauf hätte nehmen können), war die Einbringung von 52 Säumnisbeschwerden hier ein der Sachlage angemessenes und zweckmäßiges Mittel der Rechtsverfolgung.
Das Kostenmehrbegehren, gerichtet auf Ersatz von Bundesstempelmarken in der Höhe von S 480,-- je Beschwerde, war im Hinblick auf die gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 ASVG bestehende sachliche Abgabenfreiheit abzuweisen.
Schlagworte
Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - EinstellungVerschulden der Behörde §73 Abs2 letzter Satz AVGEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993080038.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
11.10.2010