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27 RechtspflegeNorm
MRK Art10Leitsatz
Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen Einschreitens für einen Klienten ohne ausdrücklichen AuftragSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden, soweit dieser den Schuldspruch zu I.2) des Erkenntnisses des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. April 1986, D 181/84, bestätigt.
II. Demgegenüber ist der Beschwerdeführer durch den den Schuldspruch zu I.3) bestätigenden Teil des angefochtenen Bescheides weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
III. Demnach wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Schuldspruches zu I.2) sowie im Strafausspruch und Kostenspruch aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
IV. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der (damaligen) Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. April 1986, Z D 181/84, wurde Dr. E S der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes für schuldig erkannt; er habe diese Disziplinarvergehen dadurch begangen, daß er
"I.
...
1) im Jahre 1983 an einen ihm in Listen genannten, jedoch nicht näher bezeichneten Personenkreis, u.a. am 24.10.1983 an M N, ..., Schweiz, geschrieben und seine Vertretung in Sozialversicherungssachen angeboten hat;
2) in dem genannten Rundschreiben durch die Bekanntgabe seiner bisherigen Tätigkeit seine Person reklamehaft herausgestellt hat;
3) namens M N trotz der in seinem Schreiben an diese vom 24.10.1983 gemachten ausdrücklichen Zusage, daß der beigelegte Fragebogen für den Fall, daß er ihn ausgefüllt zurückerhalten werde, nur für seine Kanzlei bestimmt sei und ohne daß ein Auftrag seitens M N vorlag, bei der PVA der Angestellten einen Antrag auf Pension gestellt hat ..."
Hiefür wurde er zu einer Geldbuße von S 10.000,-- und zur Tragung der anteiligen Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.
Hingegen wurde Dr. E S von der weiteren Anschuldigung, er habe 1983 von M N ein Erfolgshonorar begehrt und in ähnlich gelagerten Fällen vereinbart, freigesprochen.
1.2. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 11. September 1989, Z Bkd 118/86-11, wurde der von Dr. E S gegen den schuldigsprechenden Teil des unter Punkt 1.1. genannten Erkenntnisses erhobenen Berufung keine Folge gegeben.
Begründend wurde ausgeführt:
"... Was zunächst die Vorwürfe zu den Punkten 1.) und 2.) anlangen, wonach der Beschuldigte an einen nicht näher bezeichneten Personenkreis geschrieben und seine Vertretung in Sozialversicherungssachen angeboten und in dem Rundschreiben unter Hinweis auf seine bisherige Tätigkeit seine Person reklamehaft herausgestellt hat, ist es zwar richtig, daß der Beschuldigte von einem Emigranten eine Liste bekam, dem er seinerzeit zu einer Pension verholfen hatte. Dieser Emigrant war aber keineswegs ein Funktionär einer Vereinigung von Emigranten, der ihn etwa im Namen der Vereinigung beauftragt hätte, sondern nur ein Mitglied der schwedisch-österreichischen Gesellschaft der der Meinung war, im Interesse der übrigen Emigranten zu handeln, wenn er sich an den seines Wissens in Sozialversicherungssachen bewanderten Beschuldigten wandte. Der Beschuldigte hat nun nicht nur die auf der ihm übergebenen Liste enthaltenen Personen angeschrieben, sondern diese sogar aufgefordert, Verwandte oder Bekannte, die bisher noch nichts wegen eines Pensionsanspruches unternommen haben, an ihn zu verweisen, damit er schon jetzt alle notwendigen Anträge stellen könne. Damit hat er aber einem nicht näher bezeichneten Personenkreis seine Vertretung angeboten weshalb der Schuldspruch zu Punkt 1.) gerechtfertigt ist. Darüber hinaus hat der Beschuldigte in seiner Korrespondenz ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er sich schon seit fast dreißig Jahren mit Pensionsangelegenheiten ehemaliger Österreicher, die im Jahre 1938/39 aus rassischen Gründen aus Österreich emigrieren mußten, beschäftige (Schreiben vom 24. Oktober 1983). Daß der Beschuldigte damit seine Person in reklamehafter Weise herausgestellt und damit gegen §45 RL-BA verstoßen hat, ist nicht zu bezweifeln, sodaß auch der Schuldspruch zu Punkt 2.) nach Ansicht der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission zu Recht erfolgt ist.
Was den Schuldspruch zu Punkt 3.) anlangt, ist der Berufung zuzugeben, daß jede Verzögerung in der Antragstellung und die damit verbundene Stichtagsverschiebung mit Rücksicht auf das damals noch bestandene Erfordernis der Halbdeckung zu Nachteilen für die Pensionswerber führen konnte.
Diese Überlegungen und Hinweise der Berufung sind sicher richtig. Dies berechtigt jedoch einen Rechtsanwalt noch nicht, für den (möglicherweise künftigen Klienten) sofort alle Schritte zu unternehmen, ohne daß er tatsächlich im Besitz einer Vollmacht oder eines Auftrages dieser Person ist. Der Beschuldigte hatte von M N keinen diesbezüglichen Auftrag und war auch nicht im Besitze einer Vollmacht von ihr. Auf sein Schreiben vom 24. Oktober 1983, worin er seine Dienste anbot, gab M N zwar ihr Interesse am Thema 'Pensionsanspruch' zu verstehen und schickte auch den Fragebogen ausgefüllt zurück, erteilte jedoch keinerlei Auftrag zur Stellung eines Pensionsantrages. Dessen ungeachtet brachte der Beschuldigte ohne Auftrag und Vollmacht den Antrag ein. Dieses Vorgehen war durch die erfolgte Korrespondenz nicht gedeckt, weil der Beschuldigte von der präsumtiven Klientin hiezu weder einen Auftrag noch eine Vollmacht hatte. Das Schreiben M N's, mit welchem sie den Fragebogen einsandte, stellt keine hinreichende Deckung für die Antragstellung dar, zumal der Beschuldigte seinerseits ausdrücklich zugesichert hatte, daß der Fragebogen nur für seine Kanzlei bestimmt sei. Damit erscheint auch der Schuldspruch zu 3.) gerechtfertigt."
2.1. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen den Bescheid der OBDK vom 11. September 1989, Z Bkd 118/86-11, soweit die Schuldsprüche des erstinstanzlichen Erkenntnisses zu I.2) und I.3) bestätigt werden, und macht die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbstätigkeit, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums geltend und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfange; demgegenüber wird die Bestätigung des Schuldspruches zu Punkt I.1) des erstinstanzlichen Bescheides nicht bekämpft.
2.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
3.1. Zum Schuldspruch zu Punkt I.2) macht der Beschwerdeführer geltend, daß er seit vielen Jahren auf dem Sektor des Sozialversicherungsrechtes gearbeitet habe und in dem inkriminierten Rundschreiben vom 24. Oktober 1983 lediglich für den in Betracht kommenden Personenkreis, nämlich für die in den Jahren 1938/1939 aus rassischen Gründen ausgewanderten ehemaligen Österreicher, das Pensionsversicherungsrecht eingehend dargelegt und darauf verwiesen habe, daß er sich mit solchen Pensionsangelegenheiten seit fast 30 Jahren beschäftige. Er vermeint, daß darin keine reklamehafte Herausstellung seiner Person im Sinne der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) erblickt werden könne; andernfalls verstieße die Richtlinie gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit.
Durch den Schuldspruch zu Punkt I.3) werde er in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit verletzt, weil sein Einschreiten möglicherweise rechtsirrig erfolgte, ihm jedoch aufgrund seines Verhaltens unter Beachtung der Denkgesetze kein disziplinarrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden könne. Solange keine Richtlinie bestehe, die ihm bei unklarer Vollmachtslage ein Einschreiten für den (potentiellen) Klienten verbiete, sei es verfassungsrechtlich verfehlt, ihm einen derartigen Vorwurf zu machen, weil "Rettungshandlungen auch ohne Auftrag oder Vollmacht von der Rechtsordnung privilegiert" seien. Die Gründe, die ihn zu seiner Vorgangsweise, also zur Einbringung eines Antrages, bewogen hätten, habe er bereits im Disziplinarverfahren eingehend dargestellt und dahin zusammengefaßt, daß jede Verzögerung in der Antragstellung und die damit verbundene Stichtagsverschiebung mit Rücksicht auf das im Zeitpunkt der Antragstellung noch bestandene Erfordernis der Halbdeckung zu Nachteilen für die Pensionswerberin hätte führen können. Es sei wohl richtig, daß ihm kein ausdrücklicher Auftrag erteilt worden sei; wenn aber ein Einschreiten für jemanden zu erwägen sei, der keine entsprechende Sachkunde besitze, laste auf dem Anwalt eine höhere Verantwortung als in anderen Fällen. Bei dem in Rede stehenden Fall hätte ihm die angeschriebene Person mit einem Antwortschreiben ein dringendes Interesse an der Erlangung einer Pension bekundet und dem Beschwerdeführer den Fragebogen zugesandt. Mit dem Antrag hätte der Beschwerdeführer ausschließlich die Klientin berechtigende Schritte gesetzt. Nun könne aber in einem Stadium der Vertretung, in welchem eine Vollmacht zwar (noch) nicht erteilt wurde, deren Erteilung aber mit gutem Grunde als unmittelbar bevorstehend angenommen werden durfte, allenfalls eine Verkennung der Rechtslage vorgelegen sein, was aber schon mangels hinreichender Trennschärfe zwischen verbotenem und erlaubtem (oder sogar gebotenem) Verhalten nicht als disziplinarrechtlich relevantes Verhalten gewertet werden könne. Im Lichte des Gebotes der Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Strafnormen werde er durch den Strafausspruch in den geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
3.2.1. Was den Schuldspruch zu Punkt I.2) des von der belangten Behörde bestätigten Schuldspruches des Disziplinarerkenntnisses erster Instanz wegen reklamehafter Werbung durch Hervorheben des Beschwerdeführers in einem Rundschreiben betrifft (das Faktum, daß der Beschwerdeführer mittels Rundschreiben einem nicht näher bezeichneten Personenkreis seine Vertretung anbot, ist demgegenüber Gegenstand des im vorliegenden Verfahren nicht bekämpften Schuldspruches zu Punkt I.1) des Disziplinarerkenntnisses erster Instanz), stützt sich der angefochtene Bescheid der Sache nach auf den ersten Halbsatz des §45 RL-BA 1977. Mit Erkenntnis vom 27. September 1990, V95,96/90, hat der Verfassungsgerichshof ausgesprochen, daß diese Bestimmung nicht gesetzwidrig war. Hiezu führte er aus, daß der erste Halbsatz - verfassungskonform ausgelegt - reklamehafte Maßnahmen nicht schlechthin verbiete, sondern lediglich solche, die ein Herausstellen der Person des Rechtsanwaltes bei seinem Auftreten in der Öffentlichkeit zum Gegenstand haben. In dem Erkenntnis heißt es wörtlich:
"Von der Werbebeschränkung ist also ein Verhalten des Anwaltes betroffen, bei dem die Person des Anwaltes als solche in den Vordergrund gestellt wird und die Person nicht lediglich im Zusammenhang mit der Sachinformation über die berufliche Tätigkeit des Anwaltes erwähnt wird."
Da die belangte Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers als Verstoß gegen §45 RL-BA 1977 wertete, obschon der Inhalt des Rundschreibens gegen die Richtlinie nicht verstieß, weil es lediglich über die Rechtslage informierte und nur damit im Zusammenhang die langjährige einschlägige Tätigkeit des Beschwerdeführers - diese wird im angefochtenen Bescheid gar nicht in Frage gestellt - dargetan wurde, hat sie dem ersten Halbsatz des §45 RL-BA 1977 einen gesetzwidrigen Inhalt unterstellt. Der Bescheid verletzt den Beschwerdeführer insoweit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und war daher insofern aufzuheben.
3.2.2. Demgegenüber vermag der Verfassungsgerichtshof den Beschwerdeausführungen zum Schuldspruch zu Punkt I.3) nicht zu folgen. Den Argumenten der Beschwerde, das Einschreiten des Beschwerdeführers sei in Richtung einer "Rettungshandlung" zu sehen, steht immerhin die Überlegung der OBDK gegenüber, daß die Intervention durch einen Rechtsanwalt auftrags einer dritten Person unter Vortäuschung eines Vollmachts- und Auftragsverhältnisses als schwere Verfehlung gegenüber der Behörde zu werten ist, weil sich diese auf die Angaben eines Anwaltes über das Vorliegen seiner Bevollmächtigung unbedingt verlassen können müsse. In der Gegenschrift wird dem Argument des Beschwerdeführers, nur eine "Rettungshandlung" gesetzt zu haben, zusätzlich entgegengehalten, daß auch nicht außer acht gelassen werden dürfe, daß der Beschwerdeführer jedenfalls auch ein wirtschaftliches Interesse an der Vertretung besaß, habe er doch ein Erfolgshonorar von sieben vollen ungekürzten Monatspensionen (etwa S 20.000,--) seiner potentiellen Klientin vorgeschlagen. Den Argumenten der belangten Behörde kann der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht seines Prüfungsmaßstabes nicht entgegentreten; dem angefochtenen Bescheid kann jedenfalls nicht angelastet werden, damit die Rechtslage im Sinne eines Willküraktes verkannt zu haben. Der Verfassungsgerichtshof kann angesichts des Gesamtbildes des Verhaltens des Beschwerdeführers nicht finden, daß der belangten Behörde eine in die Verfassungssphäre reichende Fehlbeurteilung des als disziplinär gewerteten Verhaltens des Beschwerdeführers anzulasten wäre.
Der Beschwerde war daher insofern der Erfolg zu versagen.
Im Hinblick darauf, daß dem angefochtenen Bescheid bezüglich des Schuldspruches zu Punkt I.2) nicht beigetreten werden konnte, war vom Verfassungsgerichtshof auch der (bestätigende) Strafausspruch und der Kostenspruch aufzuheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Da der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen teils durchgedrungen, teils unterlegen ist, waren Kosten nicht zuzusprechen (§43 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG).
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Meinungsäußerungsfreiheit, Werbeverbot (Rechtsanwälte)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B1570.1989Dokumentnummer
JFT_10098787_89B01570_00