TE Vfgh Beschluss 1990/12/13 V25/89

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Veröffentlicht am 13.12.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art148e
B-VG Art148i
Vlbg Landesverfassung Art58 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung einer Anweisung einer Landesregierung an bestimmte Bezirkshauptmannschaften betreffs die Erlassung von Verordnungen (Tempolimit auf Freilandstraßen); kein Verordnungscharakter einer solchen Anweisung; noch keine Veränderung der Rechtslage der Straßenbenützer; Vermeidung einer Verdoppelung von Rechtsbehelfen durch Verneinung der Zuständigkeit zur Kontrolle solcher Anweisungen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg beantragt gemäß Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, "die als Verordnung zu qualifizierende Weisung der Vorarlberger Landesregierung vom 11.12.1984, AZ Ib-840-2, betreffend die Geschwindigkeitsherabsetzung für Freilandstraßen, gemäß Art139 B-VG mangels Zuständigkeit und mangels Kundmachung aufzuheben".

Der imperative Teil des von der Vorarlberger Landesregierung unter dem Titel "Geschwindigkeitsherabsetzung für Freilandstraßen" zur Z Ib-840-2 "an die Bezirkshauptmannschaften Bludenz, Bregenz, Dornbirn, Feldkirch" adressierten Verwaltungsaktes vom 11.12.1984 hat folgenden Wortlaut:

"Es ergeht deshalb die Anweisung an alle Bezirkshauptmannschaften, im Rahmen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten umgehend für alle Teilstrecken der Bundesstraßen (ausgenommen Autobahnen) und Landesstraßen, auf denen höhere Geschwindigkeiten als 80 km/h gefahren werden können, Geschwindigkeitsbeschränkungen bis zu höchstens 80 km/h zu verordnen, soweit dies nicht ohnedies bereits geschehen ist. Diese Verordnungen sind auf 1 Jahr zu befristen, um nach Ablauf dieser Zeit allenfalls dann auftretende neue Gegebenheiten mitberücksichtigen zu können."

Nach Meinung des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg hatte diese Weisung "das Ziel, daß in Vorarlberg - mit Ausnahme der Autobahnen - keine höheren Geschwindigkeiten mehr als 80 km/h gefahren werden können". Die Landesregierung habe damit "den Versuch unternommen, im Wege der Weisung an die zur Erlassung von Verordnungen über die Geschwindigkeit zuständigen Behörden das zu erreichen, wozu ihr selbst die Zuständigkeit fehlt".

Nach Meinung des antragstellenden Landesvolksanwaltes von Vorarlberg ist "die in Rede stehende Weisung in Wahrheit eine Verordnung".

2. Die Vorarlberger Landesregierung vertritt die Auffassung, daß der Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg als unzulässig zurückzuweisen ist. Die Weisung der Landesregierung sei nämlich "nicht an einen generell umschriebenen Adressatenkreis (erfolgt), sondern ausdrücklich an die namentlich angeführten Bezirkshauptmannschaften Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch. Sie war somit an bestimmte nachgeordnete Behörden gerichtet und wendete sich nicht an die Allgemeinheit. Mit der Weisung allein wurde die Rechtslage für die Allgemeinheit nicht geändert, dies erfolgte erst durch Verordnungen, die von den gemäß §96 b (richtig wohl: §94 b) StVO zuständigen Behörden unter Beachtung der hiefür geltenden Kundmachungsvorschriften (§44 StVO) erlassen wurden und die Bestandteil der Rechtsordnung geworden sind."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Der Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg ist unzulässig.

Gemäß Art148 i B-VG in Verbindung mit Art148 e B-VG sowie mit Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Landesvolksanwaltes "über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, die im Bereich der Verwaltung des Landes ergangen sind".

Unter den in Art148 e B-VG ebenso wie in Art58 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, genannten "Verordnungen" sind in Übereinstimmung mit dem in Art139 B-VG verwendeten Rechtsbegriff der Verordnung entsprechend der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3142/1957, 9061/1981, 9416/1982; VfGH vom 1.3.1990, V60/89) die von Verwaltungsbehörden erlassenen generellen Rechtsnormen zu verstehen. Eine Verordnung liegt nur vor, wenn der von der Landesregierung erlassene Verwaltungsakt für eine nach Gattungsmerkmalen, mithin allgemein bestimmte Vielzahl von Adressaten verhaltensbestimmend ist und insoweit rechtsverbindliche Wirkung besitzt.

Der von der Verfassung im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeitskontrolle des Verfassungsgerichtshofes normierte Verordnungsbegriff schließt hingegen keine Akte ein, die selbst erst auf die Erlassung einer Verordnung als verhaltensbestimmende Norm zielen. Die Anwendung des Art139 B-VG, bzw. hier der Art148 e B-VG i.V.m. Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, würde andernfalls zu einer Verdoppelung des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes führen, die von der Verfassung nicht intendiert ist.

Durch die oben wiedergegebene "Anweisung" der Vorarlberger Landesregierung wird jedenfalls die Rechtslage der Straßenbenützer - noch - nicht verändert. Die Anweisung als solche äußert weder direkt noch indirekt verhaltensbestimmende Wirkungen für den Straßenverkehr. Eine derartige Rechtswirkung kommt vielmehr erst den auf Grund der Weisung von den Bezirkshauptmannschaften erlassenen Verordnungen über Geschwindigkeitsbeschränkungen auf bestimmten Straßen(-teilen) zu. Anders als der Landesvolksanwalt von Vorarlberg offenbar meint, kann somit keine Rede davon sein, daß durch die Anweisung selbst bereits Pflichten der Verkehrsteilnehmer begründet würden und ihr daher ein rechtsgestaltender Inhalt (wie etwa den in VfSlg. 8647/1979 oder VfSlg. 11467/1987 aufgehobenen Durchführungserlässen) beizumessen wäre.

Der Verfassungsgerichtshof ist aber auch nicht befugt, die "Anweisung", deren Prüfung vom Vorarlberger Landesvolksanwalt beantragt wurde, als Verwaltungsverordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Denn der Inhalt der angefochtenen "Anweisung" erschöpft sich, wie bereits dargestellt, in der an vier Bezirkshauptmannschaften gerichteten Anordnung, Rechtsakte zu erlassen.

Gleichgültig, ob man entsprechend den in den Erkenntnissen VfSlg. 6291/1970 und 11467/1987 vertretenen Rechtsmeinungen die für eine Verordnung typische generelle Adresse eines damals an die Landeshauptmänner gerichteten Verwaltungsaktes damit begründet, daß "alle gegenwärtigen und künftigen Träger dieses Amtes" darunter fallen, oder ob für die Verordnungsqualität der in jenen Verfahren überprüften Verwaltungsakte maßgeblich war, daß die damals vorliegenden normativen Akte eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (zB "jeden Fall der Genehmigung eines Kraftfahrzeuges" in VfSlg. 11467/1987) betrafen, ist nämlich ein von einem Verwaltungsorgan an unterstellte Verwaltungsorgane gerichteter Auftrag des Inhalts, eine Verordnung zu erlassen, selbst (noch) keine - vor dem Verfassungsgerichtshof anfechtbare - Verordnung. Andernfalls gelangte man zu einer verfassungsrechtlich nicht belegbaren Verdoppelung von Rechtsbehelfen, weil dann nicht nur die letztendlich verhaltensbestimmende Verordnung, sondern auch die auf die Erlassung einer derartigen Verordnung abzielende Weisung - unabhängig von dieser - anfechtbar wäre. Eine derartige - doppelgeleisige - Kontrollzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes widerspräche Sinn und Zweck des Art139 B-VG und des diesem nachgebildeten Art148 e B-VG (bzw. Art58 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984).

Zusammenfassend ist der Verfassungsgerichtshof sohin der Meinung, daß eine von einer Verwaltungsbehörde erlassene Norm, wie hier die Anweisung der Vorarlberger Landesregierung an die Bezirkshauptmannschaften Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch, mit der diese Behörden angewiesen werden, Verordnungen bestimmten Inhalts zu erlassen, selbst keine Verordnung im Sinne der Art139 und Art148 e B-VG sowie des Art58 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, darstellt.

Mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes war der Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg vom Verfassungsgerichtshof zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Verordnungsbegriff, RechtsV, VerwaltungsV, Geschwindigkeitsbeschränkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V25.1989

Dokumentnummer

JFT_10098787_89V00025_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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