TE Vfgh Erkenntnis 1990/12/13 V224/90

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Veröffentlicht am 13.12.1990
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Altmünster vom 15.09.86
Oö RaumOG §16 Abs2

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Widmung bestimmter Flächen als Wohngebiet in einem Flächenwidmungsplan aufgrund der Verletzung des Grundsatzes der Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen im Raumordnungsrecht

Spruch

Der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Altmünster vom 15. September 1986, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 18. August bis zum 2. September 1987, wird, soweit er das - von Süden aus betrachtet - zweite unmittelbar westlich an die Bahnlinie grenzende Wohngebiet "W" betrifft, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1434/89 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Altmünster vom 13. Oktober 1988 wurde J und S H die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. 115/2, KG Ebenzweier, bewilligt. Dieses als Wohngebiet gewidmete Grundstück grenzt (wie den Bauakten zu entnehmen ist) westlich unmittelbar an die Bahnlinie und an das östlich von dieser befindliche Betriebsbaugebiet (der beschwerdeführenden Gesellschaft) an und ist von dem - ebenfalls unmittelbar an die Bahnlinie grenzenden - Grundstück Nr. 112/7 (welches den Gegenstand des in der Folge zitierten Erkenntnisses VfSlg. 10703/1985 bildete) nur durch ein Grundstück (Nr. 112/1) getrennt. Die von der beschwerdeführenden Gesellschaft (einem Sägewerksunternehmen) als Anrainerin erhobene Berufung wurde aufgrund eines Beschlusses des Gemeinderates mit Bescheid vom 6. März 1989 abgewiesen. Die Oberösterreichische Landesregierung gab der von der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen den Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung mit Bescheid vom 5. Oktober 1989 keine Folge.

Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die Beschwerde, in welcher sich die beschwerdeführende Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat am 23. Juni 1990 aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Altmünster vom 15. September 1986, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 18. August bis zum 2. September 1987, soweit er das - von Süden aus betrachtet - zweite unmittelbar westlich an die Bahnlinie grenzende Wohngebiet "W" betrifft, von Amts wegen zu prüfen.

3. Die Oberösterreichische Landesregierung und der Gemeinderat der Marktgemeinde Altmünster haben im Verordnungsprüfungsverfahren die Gesetzmäßigkeit des in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsplanes verteidigt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist - da Prozeßhindernisse weder eingewendet wurden noch sonst hervorgekommen sind - zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat seine Bedenken im genannten Beschluß vom 23. Juni 1990 wie folgt begründet:

"Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß einer Beschwerde derselben beschwerdeführenden Gesellschaft gegen einen Baubewilligungsbescheid für ein in unmittelbarer Nähe des hier maßgeblichen Grundstücks Nr. 115/2, KG Ebenzweier, liegendes Grundstück (Nr. 112/7) mit Erkenntnis VfSlg. 10703/1985 den damals geltenden Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Altmünster - soweit er das Grundstück Nr. 112/7, KG Ebenzweier, betraf - wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben, weil das als gemischtes Baugebiet gewidmete (unbebaute) Grundstück unmittelbar (nur durch die Bahnlinie getrennt) an ein Betriebsbaugebiet grenzte, sodaß dem Gebot des §16 Abs2 letzter Satz OÖ ROG der möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung nicht entsprochen worden war.

Im neuen Flächenwidmungsplan vom 15. September 1986 widmete der Gemeinderat der Gemeinde Altmünster zwar das Grundstück Nr. 112/7, dessen Widmung mit diesem Erkenntnis aufgehoben worden war, als Grünland, nicht aber die in ähnlichen Verhältnissen zum Betriebsbaugebiet liegenden, teilweise noch unbebauten Flächen, darunter das - ebenfalls unbebaute - Grundstück, auf das sich die nunmehr angefochtene Baubewilligung bezieht; dieses Grundstück wurde wieder als Wohngebiet gewidmet.

Diese Widmung scheint daher aus den gleichen Gründen, wie sie im Erkenntnis VfSlg. 10703/1985 dargelegt wurden, wegen Widerspruchs zu §16 Abs2 letzter Satz OÖ ROG gesetzwidrig zu sein.

Da aber - im Gegensatz zum Flächenwidmungsplan vom 21. April 1980, dessen Gesetzmäßigkeit mit dem genannten Vorerkenntnis geprüft wurde - auf dem geltenden Flächenwidmungsplan vom 15. September 1986 Parzellennummern nicht zu erkennen sind und der Flächenwidmungsplan auch keine anderen Ortsbezeichnungen enthält, um das in Prüfung zu ziehende Gebiet abzugrenzen, muß der Verfassungsgerichtshof im Sinne seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 11592/1987, VfGH 26.9.1988 V47/86) das Gebiet auf andere Weise abgrenzen. Es ist daher die Widmung des ganzen zusammenhängenden Wohngebietes in Prüfung zu ziehen, in dem unter anderem auch das Grundstück liegt, für das die mit der vorliegenden Beschwerde angefochtene Baubewilligung erteilt wurde, und das sich auf der planlichen Darstellung des Flächenwidmungsplanes, von Süden aus betrachtet als zweites unmittelbar westlich an die Bahnlinie grenzend, befindet."

3. Die Oberösterreichische Landesregierung und der Gemeinderat der Marktgemeinde Altmünster vertreten in ihren Äußerungen im wesentlichen die Auffassung, daß bei Erstellung des in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsplanes vom 8. August 1986 das hier in Betracht kommende Gebiet im wesentlichen bereits verbaut gewesen sei und die vereinzelt noch nicht bebauten Grundstücke - darunter das Grundstück Nr. 115/2 - lediglich Enklaven einer beinahe abgeschlossenen Wohngebietsbebauung darstellten. Eine generelle Umwidmung der vereinzelt noch nicht bebauten Grundstücke innerhalb des geschlossenen Wohngebietskomplexes hätte daher "bei den gegebenen Verhältnissen dem in §16 Abs2 OÖ ROG statuierten Gebot der möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen keine Besserung bringen können".

Die Landesregierung verweist ergänzend darauf, tatsächlich könnten von der hier in Rede stehenden zusammenhängenden Wohngebietswidmung lediglich diejenigen Grundstücke von den Beeinträchtigungen betroffen sein, welche ca. 100 bis 150 m westlich der Bahnlinie gelegen und im Norden durch den entlang der Bahnlinie als Grünland gewidmeten Wiesenstreifen begrenzt sind. Dies ergebe sich nicht nur aufgrund der rund um das Firmengelände des Betriebsbaugebietes durchgeführten Lärmmessungen, sondern auch daraus, daß dieser Gebietsbereich im Westen durch eine deutliche Geländestufe abgegrenzt werde, ab welcher eine deutlich niedrigere und für eine Wohngebietsbebauung durchaus schon erträgliche Immissionsbeeinträchtigung gegeben sei.

Für das von den Immissionen unmittelbar betroffene, weitgehend verbaute Gebiet zwischen der Bahnlinie und der Geländestufe verweist die Landesregierung auf ein bei den Akten erliegendes schalltechnisches Gutachten, wonach dort die Lärmgrenzwerte selbst für gemischtes Baugebiet zu hoch seien.

4. Die im Verordnungsprüfungsverfahren vorgebrachten Einwände können die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes aus folgenden Erwägungen nicht entkräften:

Im Vorerkenntnis VfSlg. 10703/1985 hat der Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung der gegenseitigen Beeinträchtigung nach §16 Abs2 letzter Satz OÖ ROG darauf abgestellt, daß das unbebaute Grundstück Nr. 112/7 unmittelbar (nur durch die Bahnlinie getrennt) an das hier in Rede stehende Betriebsbaugebiet grenzt. Die Tatsache, daß andere Grundstücke in ähnlicher Lage bereits bebaut sind, war hiebei für den Gerichtshof nicht ausschlaggebend. Gleiches gilt im vorliegenden Fall: Das hier maßgebliche Baugrundstück Nr. 115/2 ist ebenfalls unbebaut (der Verfassungsgerichtshof hat überdies im Anlaßverfahren der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt) und grenzt gleichfalls unmittelbar an die Bahnlinie sowie an das Betriebsbaugebiet an. Vom Sachverhalt her ist also dieser Fall jenem des Erkenntnisses VfSlg. 10703/1985 völlig gleichgelagert. Der Hinweis des Gemeinderates, dieser Fall unterscheide sich vom genannten Vorerkenntnis dadurch, daß das hier geplante Wohnhaus - anders als jenes auf dem Grundstück Nr. 112/7 - etwa 30 Meter von der Bahngrundgrenze entfernt liege, ändert schon deswegen nichts, weil angesichts der hier gegebenen Situation ein Unterschied in der Entfernung von 30 Metern nicht ins Gewicht fallen kann. Im übrigen beleuchtet der Hinweis in der Äußerung des Gemeinderates die Situation treffend, wonach bei Baubewilligungen in dem betroffenen Siedlungsgebiet von vornherein Vorschreibungen zur Verhinderung der Lärmeinwirkung (lärmdämmende Einbauten, zB Dreifachverglasungen usw.) gemacht würden.

Auch das übrige Vorbringen von Landesregierung und Gemeinderat ist nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu widerlegen. Sicherlich sind Lücken im verbauten Gebiet kein raumordnungsrechtlich erstrebenswerter Zustand. Die hier gegebene Situation ist jedoch - wie sich der Gerichtshof zu betonen veranlaßt sieht - infolge der schon im Vorerkenntnis erwähnten hohen, nach Gutachten sogar gesundheitsschädlichen, vom Betriebsbaugebiet ausgehenden Lärmemissionen einerseits und der sehr nahe an das Betriebsbaugebiet herangerückten Wohnbebauung andererseits eine extrem ungünstige. Dies trifft vor allem auf jene Baugrundstücke zu, die (wie das hier und das im bereits vielfach genannten Vorerkenntnis maßgebliche) sozusagen in vorderster Linie gegenüber dem Betriebsbaugebiet liegen. So gesehen mag (wie die Landesregierung meint) eine Verhinderung der Bebauung einzelner Grundstücke zwar keine "Verbesserung" der Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung bringen, wohl aber wird dadurch eine Verstärkung der Beeinträchtigungen auf ein weiteres bebautes Grundstück, also eine "Verschlechterung", vermieden. Das hier vorliegende Ausmaß an Beeinträchtigungen ist offenkundig so eklatant, daß die Landesregierung sich bemüßigt fühlt, unter Bezugnahme auf schalltechnische Gutachten eigens darauf hinzuweisen, daß die Lärmgrenzwerte auch für gemischtes Baugebiet übertroffen würden.

Bei dieser extrem gelagerten Situation muß daher der Grundsatz der Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen im Sinne des §16 Abs2 letzter Satz OÖ ROG gegenüber anderen Raumordnungszielen vorrangig Beachtung finden.

5. Da der Verordnungsgeber dies unterlassen hat, ist der Flächenwidmungsplan als gesetzwidrig aufzuheben, und zwar im Hinblick auf die im Prüfungsbeschluß vom 23. Juni 1990 angeführten, oben unter Pkt. 2. wiedergegebenen Umstände (auf dem Flächenwidmungsplan sind die Parzellennummern nicht erkennbar, er enthält auch keine anderen Ortsbezeichnungen, um das aufzuhebende Gebiet abzugrenzen) in dem in Prüfung gezogenen Ausmaß (s. hiezu die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 11592/1987, VfGH 26.9.1988 V47/86).

6. Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V224.1990

Dokumentnummer

JFT_10098787_90V00224_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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