TE Vfgh Erkenntnis 1990/12/13 B88/90, B109/90

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.1990
beobachten
merken

Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
ÄrzteG §2 Abs3
ÄrzteG §22 Abs1
ÄrzteG §95 Abs6
ÄrzteG §102

Leitsatz

Keine Sachlichkeitsbedenken gegen die disziplinär ungleiche Behandlung von fertig ausgebildeten und in Ausbildung befindlichen Ärzten; hinreichende Determiniertheit der Kostenregelung für Disziplinarverfahren; keine willkürliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Turnusarzt wegen Verletzung seiner Pflicht zur gewissenhaften Betreuung von Kranken

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Erkenntnis des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundeskanzleramt vom 6. November 1989, Z DS 4/1989, wurde der Beschwerdeführer gemäß §101 Abs1 Z. 1 des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373/1984 idF BGBl. Nr. 138/1989 (im folgenden: ÄrzteG), zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt sowie gemäß §102 Abs1 ÄrzteG zum Ersatz der mit S 20.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Begründend wurde dazu ausgeführt, daß der Beschwerdeführer seine Pflicht zur gewissenhaften Betreuung von Kranken nach §22 Abs1 ÄrzteG dadurch verletzt habe, daß er am 17. März 1987 als in Ausbildung zum Facharzt befindlicher Arzt im Landeskrankenhaus Mödling bei der Zuweisung eines Patienten zur internen Untersuchung, die der Operationsfreigabe diente, hinsichtlich eines linksseitig vorhandenen Leistenbruches statt "sin" die Bezeichnung "dext" geschrieben und weiters der Sekretärin betreffend die für übernächsten Tag angesetzte Operation die Diagnose "H.i.d."

diktiert hätte, wodurch es in der Folge habe geschehen können, daß der Patient am 19. März 1987 rechtsseitig operiert wurde und der linksseitig vorhandene, zur Operation vorgesehene Leistenbruch unoperiert geblieben sei.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht werden.

2.1. Die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den angefochtenen Bescheid erblickt der Beschwerdeführer darin, daß das gegenständliche Disziplinarverfahren durchgeführt worden sei, obwohl §95 Abs5 ÄrzteG anordne, daß die Vorschriften über das Disziplinarverfahren auf praktische Ärzte und Fachärzte, die ihren Beruf im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts ausüben, hinsichtlich deren dienstlicher Tätigkeit und der damit verbundenen Berufspflichten nicht anzuwenden sei. Zum fraglichen Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer in einem Dienstverhältnis zum Bundesland Niederösterreich gestanden, sodaß die Spezialbestimmung des §95 Abs5 ÄrzteG zum Tragen hätte kommen müssen. Daran ändere auch die Anordnung des §95 Abs6 ÄrzteG, derzufolge die Vorschriften über das Disziplinarverfahren auf die in Ausbildung zum praktischen Arzt oder Facharzt befindlichen Ärzte anzuwenden seien, nichts, weil damit nur solche in Ausbildung befindlichen Ärzte gemeint sein könnten, die ihre Ausbildung nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern etwa in privaten Krankenhäusern oder Ausbildungsstätten erfahren.

Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erachtet sich der Beschwerdeführer zunächst dadurch verletzt, daß nur er als in Ausbildung stehender und bloß Rande im Zuge der Vorbereitung der Operation tätiger Arzt durch eine Disziplinarmaßnahme bestraft wurde, nicht jedoch auch die fertig ausgebildeten Ärzte, die die Operation tatsächlich durchgeführt haben und die sich vor der durchzuführenden Operation anhand der im Operationssaal aufliegenden Krankengeschichte davon hätten überzeugen müssen, welcher Eingriff richtigerweise vorzunehmen war. Weiters erblickt der Beschwerdeführer eine Gleichheitsverletzung darin, daß der erkennende Disziplinarsenat die Verfahrenskosten mit S 20.000,-- festgesetzt habe, ohne daß er Erhebungen oder Feststellungen über die Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführes vorgenommen oder die von der Behörde aufgewendeten Barbeträge dargelegt oder sonstige "besondere Verhältnisse" festgestellt hätte, wie dies §102 Abs1 Satz 2 ÄrzteG anordnet. Die ohne jegliche Begründung vorgenommene Festsetzung der Verfahrenskosten erweise sich somit als ein Willkürakt.

2.2. Schließlich bringt der Beschwerdeführer auch vor, daß die der behördlichen Entscheidung zugrundegelegten Bestimmungen der §§95 Abs5 und 102 Abs1 Satz 2 ÄrzteG gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot verstießen.

Durch §95 Abs5 ÄrzteG erfolge innerhalb der Gruppe der bereits fertig ausgebildeten Ärzte letztlich eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen solchen praktischen Ärzten und Fachärzten, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen, und jenen, deren Dienstverhältnis zu solchen Rechtsträgern öffentlich-rechtlicher Natur ist. Davon ausgehend, daß hier gemäß §95 Abs5 ÄrzteG die Vorschriften des ÄrzteG über das Disziplinarrecht von vornherein keine Anwendung finden, würden in der Folge nur die öffentlich-rechtlich bediensteten Spitalsärzte überhaupt einem Disziplinarrecht unterliegen, während für die weitaus überwiegende Mehrheit der (sonder)vertraglich bediensteten Spitalsärzte eine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit weder nach dem ÄrzteG noch nach dienstrechtlichen Vorschriften bestehe. Dies sei aber mit dem Wesen der Disziplinargerichtsbarkeit nach dem ÄrzteG, der es um die Schaffung und Einhaltung von Standespflichten bzw. um die Ahndung von Verletzungen derselben gehe, unvereinbar.

§102 Abs1 Satz 2 ÄrzteG, wonach die Kosten des Verfahrens "unter Berücksichtigung der für das Verfahren aufgewendeten Barbeträge und der besonderen Verhältnisse des Falles, bei einem Schuldspruch unter Bedachtnahme auf die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten nach freiem Ermessen festzusetzen" sind, verstoße einerseits gegen das Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B-VG, aber auch gegen das Willkürverbot des Gleichheitsgrundsatzes, weil es dieser Bestimmung an der Festlegung einer betragsmäßigen Höchstgrenze ermangle.

3. Der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundeskanzleramt hat als belangte Behörde eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

In der Gegenschrift wird zunächst zur Frage der Zuständigkeit auf die entsprechende Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen, in der ausgeführt wurde, daß entsprechend dem Willen des Gesetzgebers, wie er aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe, §95 Abs5 ÄrzteG nicht auch als eine Spezialbestimmung zu §95 Abs6 ÄrzteG angesehen werden könne: Die in Ausbildung stehenden Ärzte unterlägen demnach auch dann den Disziplinarvorschriften des ÄrzteG, wenn sie in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen.

In der Sache führt die belangte Behörde aus, daß die Anordnung des §95 Abs5 und 6 ÄrzteG nicht dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Dies deshalb, weil die damit verfügte Differenzierung zwischen den in Ausbildung stehenden und den bereits fertig ausgebildeten Ärzten deshalb sachlich gerechtfertigt sei, weil es zur Erreichung einer dem ärztlichen Berufsethos entsprechenden Ausbildung erforderlich sei, daß die in Ausbildung stehenden Ärzte jedenfalls auch wegen Berufspflichtenverletzungen disziplinär verfolgt werden können, und zwar unabhängig davon, ob dies im Einzelfall etwa auch aufgrund eines Dienstverhältnisses zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft möglich ist oder nicht.

Schließlich erweise sich auch §102 Abs1 Satz 2 ÄrzteG als mit Art18 Abs1 B-VG vereinbar, weil in dieser Bestimmung ausreichende Richtlinien für die Handhabung des behördlichen Ermessens festgelegt seien, wodurch sichergestellt wäre, daß die im Einzelfall vorzuschreibenden Kosten den tatsächlichen Aufwand für das Disziplinarverfahren nicht wesentlich übersteigen. Darauf sei auch im vorliegenden Fall Bedacht genommen worden, weil sich allein die Sitzungsgelder für die Disziplinarbehörden der I. und II. Instanz ungefähr auf den festgesetzten Kostenbetrag belaufen hätten.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. In dem mit "Disziplinarverfahren" überschriebenen

2. Abschnitt des ÄrzteG wird zunächst in §95 Abs1 festgelegt, daß Ärzte sich eines Disziplinarvergehens schuldig machen, wenn sie das Ansehen der österreichischen Ärzteschaft oder ihre Berufspflichten verletzen. Berufspflichten sind solche, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum "doctor medicinae universae" verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach dem ÄrzteG oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften verpflichtet sind. Wohl sind nach §95 Abs5 leg.cit. die Vorschriften über das Disziplinarverfahren auf praktische Ärzte und Fachärzte, die ihren Beruf im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts ausüben, hinsichtlich ihrer dienstlichen Tätigkeit und der damit verbundenen Berufspflichten nicht anzuwenden. In solchen Fällen hat die Österreichische Ärztekammer an die Dienststelle Anzeige zu erstatten und ist die Dienststelle ihrerseits verpflichtet, eine solche Anzeige in Behandlung zu nehmen und der Österreichischen Ärztekammer über das Verfügte Mitteilung zu machen. Nach §95 Abs6 leg.cit. findet das ärztliche Disziplinarverfahren jedoch auf in Ausbildung zum praktischen Arzt oder Facharzt befindliche Ärzte Anwendung. Die nach §95 Abs5 ÄrzteG verfügte Ausnahme gilt also nicht für Ärzte, die in Ausbildung (zum praktischen Arzt oder Facharzt) stehen; für diese gelten - wie sich aus Systematik und Wortsinn des §95 ÄrzteG ergibt - jene Disziplinarbestimmungen, wie sie für Ärzte allgemein Anwendung finden.

4.2.1. Soweit in der Beschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen §95 Abs5 ÄrzteG - also die Bestimmung, die eine Ausnahmeregelung festlegt - erhoben werden, gehen sie ins Leere, weil diese Vorschrift auf in Ausbildung befindliche Ärzte nicht anzuwenden ist. Auf die gegen §95 Abs5 ÄrzteG in der Beschwerde erhobenen verfassungsrechtlichen Vorwürfe konnte daher schon mangels Präjudizialität nicht eingegangen werden.

Aus dem unter 4.1. Gesagten ergibt sich, daß der Beschwerdeführer als in Ausbildung befindlicher Facharzt gemäß §95 Abs6 der disziplinären Verantwortung nach dem ÄrzteG unterliegt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung sind aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden; dies auch nicht im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen, daß für eine disziplinär ungleiche Behandlung von fertig ausgebildeten und in Ausbildung befindlichen Ärzten Sachlichkeitsbedenken bestünden.

§95 Abs6 ÄrzteG verweist nämlich auf §2 Abs3 ÄrzteG, wonach in Ausbildung zum praktischen Arzt oder zum Facharzt befindliche Ärzte (Turnusärzte) lediglich zur unselbständigen Ausübung ärztlicher Tätigkeiten berechtigt sind; damit kommt zum Ausdruck, daß bei der disziplinären Behandlung solcher Ärzte auf deren Ausbildungsstand Bedacht zu nehmen ist.

4.2.2. Auch den in der Beschwerde gegen die Kostenregelung für Disziplinarverfahren (§102 ÄrzteG) vorgebrachten Bedenken kann der Verfassungsgerichtshof nicht folgen; die Regelung ist jedenfalls hinreichend determiniert, sodaß verfassungsrechtliche Bedenken aus der Sicht des Art18 Abs1 B-VG nicht entstanden sind.

4.3. Soweit schließlich in der Beschwerde - unspezifiziert - eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch das Vollzugsgeschehen behauptet wird, käme nur eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in Frage, die - bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen - nur vorläge, wenn der Behörde Willkür anzulasten wäre.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985).

All dies liegt offenkundig nicht vor; ob die Behörde die einfachgesetzlichen Bestimmungen des ÄrzteG richtig angewendet hat, ist vom Verfassungsgerichtshof hingegen nicht zu beurteilen.

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärzte, Disziplinarrecht Ärzte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B88.1990

Dokumentnummer

JFT_10098787_90B00088_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten