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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §16 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Februar 1993, Zl. IV-694.647-FrB/93, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Bescheid vom 3. Februar 1993 wies die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, vom 2. Dezember 1992 auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes (FrG) ab.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe Bestätigungen eines Unternehmens aus der Sparte der Werbemittelverteiler vorgelegt, aus denen hervorgehe, daß ihm für die Zeit vom 12. bis 29. Oktober 1992 S 2.045,79, für die Zeit vom 7. bis 21. Dezember 1992 S 1.544,55 und für die Zeit vom 4. bis 11. Jänner 1993 S 1.650,75 gutgeschrieben worden seien. Am 21. Jänner 1993 habe er bei der Wiener Gebietskrankenkasse einen Antrag auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung gestellt, obwohl er sich bereits seit Mitte Juli 1991 in Österreich aufhalte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Gemäß § 7 Abs. 1 FrG kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Sichtvermerkswerber nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt.
2. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, daß er am 15. November 1991 einen Verkehrsunfall erlitten habe, an dem ihn kein Verschulden treffe und auf Grund dessen ihm Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger und dessen namentlich bezeichnete Haftpflichtversicherung zustünden. Er habe bereits Schadenersatzforderungen im Betrag von
S 600.000,-- geltend gemacht und hievon ein Drittel einbringlich gemacht. Er habe daher im Jahre 1992 über Geldbeträge verfügt, die das Regeleinkommen bei weitem überstiegen hätten, was der Behörde durch Vorlage der entsprechenden Schreiben bekannt gewesen sei. Der Umstand, daß die Krankenversicherung erst am 21. Jänner 1993 beantragt worden sei, stelle keinen Grund für die Versagung des Sichtvermerkes dar, weil der Beschwerdeführer in Zukunft in ausreichendem Maße versichert sei. Außerdem habe er seinen Sichtvermerksantrag noch während der Geltung der entsprechenden Bestimmungen des Paßgesetzes gestellt.
3. Daß der Beschwerdeführer bei einem Verkehrsunfall am 15. November 1991 schwere Verletzungen erlitten hat, ist aktenkundig. Der Beschwerdevertreter forderte den Haftpflichtversicherer mit Schreiben vom 25. März 1992 zur Leistung eines Schmerzengeldbetrages (einschließlich Verunstaltungsentschädigung) in der Höhe von S 600.000,-- auf. Auf Grund eines im Akt befindlichen Schreibens des Haftpflichtversicherers vom 14. April 1992 an den Vertreter des Beschwerdeführers ergibt sich, daß auf die geltend gemachte Forderung eine Akontozahlung von S 50.000,-- geleistet wurde. Aus einem mit dem Antrag auf Erteilung des Sichtvermerkes vorgelegten weiteren Schreiben des Beschwerdevertreters an den Haftpflichtversicherer vom 1. Dezember 1992 geht hervor, daß auf die erhobenen Forderungen bereits Akontozahlungen von jedenfalls S 100.000,-- geleistet wurden. Im Antrag auf Sichtvermerkserteilung wurde hinsichtlich der Einkünfte ausdrücklich auf das Schreiben vom 1. Dezember 1992 Bezug genommen.
4. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid ausschließlich auf die Einkünfte des Beschwerdeführers aus seiner Tätigkeit als Werbemittelverteiler abgestellt, die bereits geleisteten Zahlungen des Haftpflichtversicherers jedoch in der Begründung nicht berücksichtigt. Dem liegt offenbar die Rechtsauffassung zugrunde, daß die genannten Leistungen des Haftpflichtversicherers für die Frage des Vorliegens des Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 (1. Fall) nicht von Bedeutung sind. Diese Auffassung ist jedoch verfehlt, weil die genannte Gesetzesstelle ganz allgemein auf das Fehlen ausreichender "eigener Mittel" zum Unterhalt abstellt, ohne einzuschränken, daß die ausreichenden Mittel aus einer (selbständigen oder unselbständigen) Erwerbstätigkeit stammen müssen. Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen darüber treffen müssen, welche Beträge dem Beschwerdeführer insgesamt - also auch unter Berücksichtigung der Leistungen des Haftpflichtversicherers auf Grund des Unfalles vom 15. November 1991 - zu seinem Unterhalt zur Verfügung standen, weil nur dann beurteilt werden kann, ob der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 (1. Fall) vorliegt oder nicht.
5. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ist zu schließen, daß die belangte Behörde auch den zweiten Fall des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG für verwirklicht hält, weil ansonsten die Ausführungen über den Zeitpunkt der Selbstversicherung ohne jede Bedeutung wären. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer erst lange Zeit nach seiner Einreise nach Österreich seine Krankenversicherung beantragt hat, stellt keinen Versagungsgrund nach der zitierten Gesetzesstelle dar, weil die belangte Behörde mangels anderer gesetzlicher Regelung von der Sachlage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen hatte und gemäß § 16 Abs. 3 zweiter Satz ASVG die Selbstversicherung des Beschwerdeführers in der Krankenversicherung mit dem auf die Antragstellung folgenden Tag (22. Jänner 1993), sohin schon vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides begonnen hatte. Das Fehlen eines alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes im Zeitpunkt der Antragstellung (und in der Zeit davor) war im gegebenen Zusammenhang nicht von Bedeutung.
6. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180065.X00Im RIS seit
20.11.2000