TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/17 92/09/0391

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Veröffentlicht am 17.06.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/13 Amtshaftung Organhaftpflicht Polizeibefugnis-Entschädigung;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AHG 1949;
BDG 1979 §101 Abs1;
BDG 1979 §102 Abs1;
BDG 1979 §102 Abs2;
BDG 1979 §124 Abs15 idF 1988/287;
BDG 1979 §99;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des V in D, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 8. Oktober 1992, Zl. GZ 54/5-DOK/92, betreffend Disziplinarstrafe der Geldbuße, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er den erstinstanzlichen Schuldspruch (in dessen Spruchpunkten 1 und 2) bestätigt, und im Strafausspruch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Grund einer Disziplinaranzeige, in der ursprünglich gegen den Beschwerdeführer zwölf verschiedene Tatvorwürfe erhoben worden waren, wurde nach Durchführung von Ermittlungen von der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (DK) am 4. Dezember 1991 ein Einleitungs- und Verhandlungsbeschluß gefaßt, in dem noch sieben Tatvorwürfe enthalten waren. Die mündliche Verhandlung vor der DK fand am 22. April 1992 statt und endete mit dem am 28. April 1992 schriftlich ausgefertigten Disziplinarerkenntnis, mit welchem der Beschwerdeführer schuldig erkannt wurde, seine Dienstpflichten hinsichtlich der §§ 43 Abs. 1 und 2 sowie 44 Abs. 1, 2 und 3 BDG 1979 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 GDI und § 17 Pkt. 7 OGO/GP insofern verletzt zu haben, als er

"1. Am 20. Dezember 1990 gegen 17.30 Uhr auf dem GP L einen dienstlichen Anruf entgegennahm und sich spaßhalber mit Firma Huber meldete. BezInsp W des GP E legte daraufhin überrascht auf und wählte neuerlich den GP L, wobei sich der offensichtlich von RevInsp V animierte RevInsp P ebenfalls mit Firma Huber meldete. Vom Postenkommandanten zu einer Stellungnahme verhalten, gab RevInsp V am 1. Jänner 1991 eine zynische und seinen Kommandanten ebenso wie den weiteren Vorgesetzten Obstlt B verspottende Meldung ab.

2. Für die am 17. Juli 1991 von 20.00 bis 21.00 Uhr geleistete Überstunde trotz ausdrücklichen Befehls des Postenkommandanten vom 19. Juli 1991 keinen Überstundenzettel für die befohlene Verrechnung vorlegte und auf Zeitausgleich beharrte.

3. Am 29. April 1991 während der Verteilung von Dienstvorschreibungen durch den Postenkommandanten, BezInsp S, in Anwesenheit von RevInsp Sch sagte, daß die Dienstplanung für den Mai 1991 von einem "Arschloch" stammen müsse.

4. Am 3. September 1991 während seines Krankenstandes die Weisung des Abteilungskommandanten Oblt. L, welche ihm durch den Postenkommandanten seines Wohnortes D, AbtInsp H, überbracht worden war, wonach er am 4. September 1991 um 10.00 Uhr zu einer Aussprache zum Abteilungskommando zu kommen und im Falle von Verhinderungsgründen tel. mit dem Abteilungskommandanten Kontakt aufzunehmen habe, ohne Angabe von Gründen nicht befolgte.

5. Am 7. September 1991 der persönlichen Vorladung des Abteilungskommandanten, welcher RevInsp V während dessen Krankenstand auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen in D beim Traktorfahren mit einer Heuwendemaschine kontrollierte, am 9. oder spätestens 10.9.1991 beim Abteilungskommando in B zu erscheinen oder im Fall der Verhinderung dies telefonisch zu melden, ebenfalls absichtlich ohne Angabe von Gründen nicht Folge leistete."

Dafür wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 126 Abs. 2 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe eines halben Monatsbezuges unter Ausschluß der Haushaltszulage verhängt. Von den weiteren zwei Tatvorwürfen wurde der Beschwerdeführer freigesprochen, wobei dieser Teilfreispruch unangefochten blieb und in Rechtskraft erwachsen ist. In der Begründung führte die DK u.a. "zur Schuld" aus, im Punkt 1 liege zweifelsfrei eine grobe Fahrlässigkeit vor, weil dem Beschwerdeführer bei entsprechender Aufmerksamkeit und Überlegung klar sein hätte müssen, daß eine Falschmeldung am Telefon eines Gendarmeriepostens für den Sicherheitsdienst nachteilige Folgen haben könnte. Im Punkt 2 sei Absicht und damit Vorsatz gegeben, weil der Beschwerdeführer die unmißverständliche Weisung des Postenkommandanten, einen Überstundenzettel vorzulegen, aus Trotz bewußt mißachtet habe, um damit einen Zeitausgleich zu erzwingen. Rechtlich führte die DK zum Schuldspruch in Punkt 1 aus, wenn sich ein Beamter am Telefon eines Gendarmeriepostens mit "Firma Huber" melde, verstoße er gegen die im § 43 Abs. 1 BDG 1979 normierte Verpflichtung, seine dienstliche Aufgabe gewissenhaft zu besorgen. Außerdem sei ein solches Verhalten nicht dazu angetan, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zu erhalten. Wenn der Beamte dann bemerke, daß am anderen Ende der Leitung ein Kollege eines Nachbarpostens sei, und diesen "Spaß" nicht aufkläre, so könne man sicher nicht von dem in § 17/7 OGO/GP geforderten unterstützungsbereiten Verhalten gegenüber Kollegen sprechen. Die schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 1. Jänner 1991 zeige, daß er Weisungen von Vorgesetzten in keiner Weise akzeptiere und immer Recht zu haben glaube. Wenn der Postenkommandant eine schriftliche Stellungnahme verlange, sei das nach Meinung des Beschwerdeführers ein Ausfluß von Hysterie. Hier verstoße der Beschwerdeführer klar gegen § 14 GDI, weil man bei dieser Ausdrucksweise nicht von "schuldiger Ehrerbietung" sprechen könne; aber auch die in § 44 Abs. 1 BDG 1979 geforderte Unterstützung des Vorgesetzten sei in keinere Weise gegeben. In dem dem Schuldspruch in Punkt 2 zu Grunde liegenden Verhalten habe der Beschwerdeführer eine Weisung seines zuständigen Vorgesetzten nicht beachtet, ohne Rechtswidrigkeiten der Weisung zu behaupten oder sonstige Bedenken geltend zu machen. Damit habe der Beschwerdeführer gegen die Bestimmungen des § 44 Abs. 1 bis 3 BDG 1979 verstoßen. Seine Rechtfertigung sei dahin gegangen, daß die erteilte Weisung "bagatellhaften" Charakter gehabt habe und "nicht so ernst zu nehmen" gewesen sei. Es sei ja nicht so tragisch, ob eine Überstunde in der Dienstvorschreibung nachgewiesen oder mittels Überstundenzettel gemeldet werde. Es habe beim Beschwerdeführer auch keinerlei Einsicht bestanden, daß das reibungslose Funktionieren der Verwaltung nur bei Befolgung der erteilten Weisungen gewährleistet sei.

In seiner gegen diesen Bescheid wegen Schuld und Strafe erhobenen Berufung stellte der Beschwerdeführer den Antrag, das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis dahin abzuändern, daß er in allen Punkten freigesprochen werde. Der Beschwerdeführer führte u.a. aus, es seien in "Verabsolutierung der Hierarchie" Bagatellsachverhalte dazu herangezogen worden, "einen unbequemen Beamten entsprechend zu maßregeln".

Am 8. Oktober 1992 beschloß die belangte Behörde in nicht öffentlicher Sitzung gemäß dem Antrag des Berichterstatters, den Beschwerdeführer in den Punkten 1 und 4 freizusprechen, die Entscheidung der DK in Punkt 2 zu bestätigen, als Strafe einen Verweis auszusprechen und die Kostenentscheidung aufzuheben. Entgegen dem Berichterantrag wurde ferner mehrheitlich beschlossen, den Beschwerdeführer in Punkt 5 freizusprechen.

Einem Aktenvermerk des Vorsitzenden vom 10. November 1992 zufolge weicht das Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde "... in den Punkten 1 u. 3 sowie hinsichtlich der Strafe ab. Die Abänderungen, die zu dem nun gefällten Erkenntnis geführt haben, wurden vom Senat im Umfragewege bei den Senatsmitgliedern gefällt. Auslösend waren nach der Beratung aufgetretene andere Beurteilungen von Akteninhalten zur Frage der Verjährung."

Das mit 8. Oktober 1992 datierte Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde hat folgenden Spruch:

"Der Berufung des Beschuldigten wird teilweise Folge gegeben: Er wird gemäß § 126 Abs. 2 BDG 1979 von den Anschuldigungspunkten 3 bis 5 (nach der Numerierung des Erkenntnisses erster Instanz) freigesprochen. Die Strafe wird mit einer Geldbuße in der Höhe von S 1.000,-- festgesetzt.

Die Entscheidung über den Ausschluß des erstinstanzlichen Erkenntnisses von der Veröffentlichung und die Entscheidung über die Kostenersatzpflicht werden aufgehoben.

Dem Beschuldigten aufzuerlegende Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht erwachsen."

Aus diesem Spruch folgt, daß mit dem angefochtenen Bescheid der Schuldspruch der DK in den Punkten 1 und 2 bestätigt worden ist.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung des Beschwerdeführers zum Thema Öffentlichkeit aus, der Beschwerdeführer habe keine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren beantragt. Da der Sachverhalt nach der Aktenlage hinreichend geklärt gewesen sei, sei von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen und über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung entschieden worden. Der Beschwerdeführer habe sich ferner zu Unrecht auf Art. 6 EMRK berufen, weil es sich nicht um eine "strafrechtliche Anklage" im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe. Die im vorliegenden Verfahren ergangenen Erkenntnisse seien aber nach Ansicht der belangten Behörde von einer Veröffentlichung nicht auszuschließen gewesen.

Zur Sache selbst führte die belangte Behörde zu den einzelnen Punkten des erstinstanzlichen Schuldspruches in der Begründung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen folgendes aus:

Zu Punkt 1: Diese Dienstpflichtverletzung sei nicht gemäß § 94 Abs. 1 BDG 1979 verjährt. Der Einleitungsbeschluß stamme vom 4. Dezember 1991; die Handlung, sich am Telefon mit "Firma Huber" gemeldet zu haben, und die Stellungnahme dazu seien nahezu ein Jahr davor gelegen. Bei der Überprüfung der Frage, ob hier Verjährung vorliege, ergebe sich, daß die Stellungnahme beim Postenkommandanten am 2. Jänner 1991 eingelangt sei. Der Postenkommandant habe die Angelegenheit noch am Gendarmerieposten regeln wollen. Daher sei es wahrscheinlich, daß die Dienstbehörde erst durch die Disziplinaranzeige vom 19. September 1991 von diesem Vorfall habe Kenntnis nehmen können. Jedenfalls gebe es keinen schriftlichen Hinweis im Akt, daß die Dienstbehörde früher davon erfahren hätte. Daher liege Verjährung nicht vor. Der Schuldspruch der DK zu diesem Punkt sei zu bestätigen; die belangte Behörde schließe sich der diesbezüglichen Begründung der DK an.

Zu Punkt 2: Da der Beschwerdeführer kein Wahlrecht habe, ob eine zusätzliche Stunde als Überstunde abgerechnet oder für Zeitausgleich angerechnet werde, sei die Weigerung des Beschwerdeführers eine Verletzung des § 44 Abs. 1 BDG 1979 gewesen. Auch diesbezüglich werde der Bescheid der DK bestätigt.

Zu den Punkten 3 bis 5: Von diesen Anschuldigungen sei der Beschwerdeführer wegen Verjährung (Punkt 3), wegen fehlenden Nachweises des Deliktes (Punkt 4) und "im Zweifel für den Angeklagten" (Punkt 5) freizusprechen gewesen.

Insgesamt komme die belangte Behörde zu dem Eindruck, daß nicht versucht worden sei, "vorhandene Spannungen abzubauen, sondern mit nicht zielführenden Mitteln zu bekämpfen, indem das Disziplinarrecht gegenüber einem unbequemen Mitarbeiter eingesetzt wurde".

Zur Strafe führte die belangte Behörde aus, sich am Telefon mit "Firma Huber" zu melden, sei eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung, weil sie praktisch der Verweigerung einer Hilfeleistung - sei es gegenüber der Bevölkerung oder sei es gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten - gleichkomme. Auch wenn dies nicht unmittelbar in der Absicht des Beschwerdeführers gelegen sei, habe er doch bedenken müssen, daß unter Umständen schwere Nachteile aus einer solchen Handlung entstehen könnten. Der Beschwerdeführer habe dazu weder in seiner Stellungnahme noch im Verfahren Einsicht gezeigt. Immerhin habe er aber zugegeben, daß seine Stellungnahme der dienstlichen Zusammenarbeit sehr abträglich gewesen sei; dies könne als Milderungsgrund gewertet werden. Die Meldung mit "Firma Huber" werde als schwerwiegendste Dienstpflichtverletzung angesehen, die Stellungnahme dazu und die Weigerung, eine Überstunde als solche abzurechnen, würden als erschwerend gewertet. In Anbetracht all dieser Umstände und Überlegungen und eingedenk der weiteren in § 93 BDG 1979 genannten Maßstäbe halte die belangte Behörde die ausgesprochene Geldbuße für angemessen.

Diesen Bescheid ficht der Beschwerdeführer mit der vorliegenden Beschwerde hinsichtlich seines bestätigenden Teiles, also hinsichtlich der Bestätigung des Schuldspruches und der Bestrafung in den Anschuldigungspunkten 1 und 2, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften an. Er erachtet sich in seinen Rechten, nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen disziplinär bestraft zu werden, auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung, auf sachgemäße Beweiswürdigung und auf Beachtung der Verjährung verletzt. Es sei sowohl der Bescheidspruch unzulänglich gefaßt als auch die Begründung des Schuldspruches mangelhaft. Im Schuldspruch Punkt 1 liege überdies ganz eindeutig Verjährung vor, was die belangte Behörde mit bloßen Vermutungen zu widerlegen versucht habe. Auch sei das Disziplinarverfahren in diesem Punkt zu Unrecht trotz vorgängiger Ermahnung durch den Postenkommandanten eingeleitet worden. Mit ihren Ausführungen zur Strafbemessung, bzw. zur Schwere der Dienstpflichtverletzungen schieße die belangte Behörde mit Kanonen auf Spatzen. Die Behauptung, daß aus der inkriminierten Falschmeldung am Telefon wesentliche Schäden hätten entstehen können, sei auch inhaltlich lebensfremd und erweise sich "als letzter mühseliger Versuch, von den bescheidenen Anklagefakten wenigstens ein Minimum disziplinarstrafrechtlich aufrecht zu erhalten". Hinsichtlich des die Nichtausstellung eines Überstundenzettels betreffenden Schuldspruches stehe die Verteidigung nach wie vor vor einem Rätsel, weil der Beschwerdeführer auf die Verrechnung dieser Überstunde unwidersprochen verzichtet habe. Da auch ein öffentliches Interesse daran, daß die Beamten möglichst viele Überstunden verzeichneten, nicht erkennbar sei, werde der angefochtene Bescheid auch in diesem "grotesken Spruchpunkt" aufzuheben sein.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat an die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine Anfrage gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG darüber gerichtet, ob allenfalls Mängel bei der Willensbildung der belangten Behörde (siehe die obigen Ausführungen zum Beratungsergebnis und dessen Abänderung gemäß Aktenvermerk des Vorsitzenden) die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nach sich ziehen könnten.

Zu dieser Anfrage hat die belangte Behörde eine schriftliche Stellungnahme erstattet, in der sie ausführte, sie habe zu Punkt 1 des Schuldspruches "während der Sitzung vom 18. (richtig 8.) Oktober 1992 ... einstimmig Verjährung angenommen". Im Zuge der Ausarbeitung der schriftlichen Ausfertigung habe sich aber ergeben, daß Verjährung nicht vorgelegen sei. Diese Ansicht sei von allen Senatsmitgliedern geteilt und im Erkenntnis deutlich begründet worden. Ferner sei in der Sitzung "vom 18. Oktober 1992" als Strafe ein Verweis vorgesehen worden, was allerdings auf Grund eines Versehens im Beratungsprotokoll nicht aufscheine. Angesichts der Schuldsprüche zu Punkt 1 und 2 sei der belangten Behörde "nun die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von S 1.000,-- angemessen" erschienen. Zu Punkt 3 habe der Senat in der Sitzung "vom 18. Oktober 1992" einstimmig auf Freispruch erkannt. Da dies im Beratungsprotokoll nicht dokumentiert gewesen sei, habe sich der Vorsitzende veranlaßt gesehen, den Punkt 3 in seinem Aktenvermerk "zu erwähnen", woraus sich aber keine inhaltliche Abweichung ergebe. Nach Gewinnung der neuen Absicht zu Punkt 1 und zur Strafe sei wegen Terminschwierigkeiten die Vorgangsweise gewählt worden, daß der Entwurf des Erkenntnisses gleichzeitig - am 9. November 1992 - an alle Mitglieder versendet worden sei. Die abgeänderte Fassung habe die Zustimmung aller Senatsmitglieder gefunden, "was telefonisch gegenüber der Schriftführerin auch geäußert wurde". Der Senat halte diese Vorgangsweise für vertretbar, "da das Gesetz die physische Anwesenheit der Senatsmitglieder bei einer nichtöffentlichen Sitzung nicht ausdrücklich fordert". Darüber hinaus hätte sich auch bei einer neuerlichen Sitzung keine andere Entscheidung ergeben. Selbst wenn man also die Vorgangsweise des zusätzlichen "Umlaufbeschlusses" als Verfahrensmangel ansähe, wäre dieser nicht wesentlich, weil der Senat auch ohne diesen Mangel nicht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

Auch der Beschwerdeführer hat zur Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes eine Äußerung abgegeben, in welcher er ausführt, das nach § 124 Abs. 15 BDG 1979 aufzunehmende Beratungsprotokoll binde die belangte Behörde; eine Beschlußfassung im Umlaufwege sehe das Gesetz überhaupt nicht vor, sie widerspreche fundamental der Idee der Kollegialgerichtsbarkeit, die ja gerade darauf basiere, daß eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung nach kontroverser Diskussion getroffen werde. Auch sei zu beachten, daß das Beratungsprotokoll dem Zweck der Rechtssicherheit diene.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde ist ausdrücklich nur gegen den Teil des Bescheides der belangten Behörde vom 8. Oktober 1992 gerichtet, mit dem der Schuldspruch der DK in den Punkten 1 und 2 bestätigt und eine Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer verhängt wurde. Der Freispruch in den Punkten 3 bis 5 sowie die Entscheidung über die Verfahrenskosten und über die Veröffentlichung sind daher nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes.

Gemäß § 101 Abs. 1 BDG 1979 haben die Disziplinarkommissionen und die Disziplinaroberkommission in Senaten zu entscheiden. Die Senate haben aus dem Vorsitzenden der Kommission oder einem seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern zu bestehen. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.

Gemäß § 102 Abs. 1 BDG 1979 hat der Senat mit Stimmenmehrheit zu entscheiden. Die Disziplinarstrafe der Entlassung darf im Verfahren von der Disziplinarkommission nur einstimmig verhängt werden. Eine Stimmenthaltung ist unzulässig. Der Vorsitzende hat seine Stimme zuletzt abzugeben. Gemäß § 102 Abs. 2 BDG 1979 sind die Mitglieder der Disziplinarkommissionen und der Disziplinaroberkommission in Ausübung dieses Amtes selbständig und unabhängig.

Über die Beratungen des Senates ist gemäß § 125 Abs. 15 BDG 1979 (in das Gesetz eingefügt mit Art. I Z. 9 der BDG-Novelle 1988, BGBl. Nr. 287/1988) ein Beratungsprotokoll aufzunehmen, das vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß diese nach dem Gesetz für das "Verfahren vor der Disziplinarkommission" (Überschrift vor den §§ 123 ff BDG 1979) normierte Bestimmung in gleicher Weise von der Disziplinaroberkommission zu beachten ist. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, ist die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Willensbildung der belangten Behörde nicht dem Gesetz gemäß zustande gekommen.

Wie sich insbesondere aus den oben wiedergegebenen Bestimmungen des § 102 Abs. 1 BDG 1979 ergibt, ist nämlich eine Willensbildung des Senates "im Umlaufwege" im Gesetz nicht vorgesehen. Der Verwaltungsgerichtshof teilt zwar nicht die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, daß der Senat - vor Erlassung (Zustellung) seiner Entscheidung - nicht mehr von seinem einmal gefaßten Beschluß abgehen könnte, dies wäre vielmehr im Falle neuerlicher Beratung und Abstimmung durchaus zulässig; dem Beschwerdeführer ist aber darin Recht zu geben, daß eine Beschlußfassung "im Umlaufwege" der Idee der Kollegialentscheidung nicht gerecht wird. Die Mitglieder des Senates sollen vielmehr Gelegenheit haben, in Gegenwart des gesamten Senates sowie des Schriftführers auftauchende Probleme auszudiskutieren und sodann ihre Stimme abzugeben. Die Vorgangsweise der belangten Behörde weicht davon insoferne ab, als nach Abschluß der Beratung am 8. Oktober 1992 (deren Ergebnis im übrigen im Beratungsprotokoll nur mangelhaft wiedergegeben ist) ohne Zusammenkunft der Senatsmitglieder und ohne Beiziehung eines Schriftführers vom einmal gefaßten Beschluß in mehrfacher Hinsicht abgegangen wurde. Abgesehen davon, daß der angefochtene Bescheid mit 8. Oktober 1992 datiert ist und die abweichende Beschlußfassung gemäß dem Aktenvermerk des Vorsitzenden vom 10. November 1992 offenbar erst nach dem 8. Oktober 1992 erfolgte, fehlt es dieser neuen Beschlußfassung an einer vorangegangenen Beratung im Beisein aller Senatsmitglieder, aber auch an einer nachvollziehbaren Dokumentation im Rahmen eines dem Gesetz entsprechenden Beratungsprotokolles. Die formlose Zustimmung zu einem (abgeänderten) Erkenntnisentwurf ermöglichte somit weder eine vorangegangene Beratung der neu aufgetauchten Rechtsfragen durch den gesamten Senat noch die erst nach Abgabe der Stimmen durch die anderen Senatsmitglieder in § 102 Abs. 1 BDG 1979 "zuletzt" vorgesehene Stimmabgabe durch den Vorsitzenden in dieser gesetzlichen Reihenfolge. Das Fehlen eines vom Vorsitzenden und vom Schriftführer unterfertigten Beratungsprotokolls erlaubt auch keine Kontrolle des Stimmverhaltens der einzelnen Senatsmitglieder, wie sie aber - etwa im Amtshaftungsfalle - aktenkundig zu sein hätte.

Verletzungen der gesetzlichen Vorschriften über die Willensbildung stellen einen Verfahrensmangel dar, der die Entscheidung der Disziplinarbehörde mit Rechtswidrigkeit belastet. Diese Mangelhaftigkeit ist entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung wesentlich, weil durchaus nicht auszuschließen ist, daß der Senat bei einer dem Gesetz entsprechenden Beratung und Abstimmung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Sie umfaßt den gesamten angefochtenen Bescheid, weil dieser offenbar im Umlaufwege zur Gänze (jedenfalls im Schuld- und Strafausspruch) einer neuerlichen Beschlußfassung unterzogen wurde. Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. zu den obigen Rechtsausführungen insbesondere auch Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes5, S. 62, sowie Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S. 426 und 457, letztere noch zur Rechtslage vor der BDG-Novelle 1988).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992090391.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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