TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/17 93/01/0011

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Veröffentlicht am 17.06.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 93/01/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Kremla als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde 1. des A (Zl. 93/01/0011), und

2. der E (Zl. 93/01/0017), beide in B, der Erstbeschwerdeführer vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G, die Zweitbeschwerdeführerin vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in G, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 24. September 1992, jeweils Zl. 4.333.963/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 11.120.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das jeweilige Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 24. September 1992 wurde ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern - einem Ehepaar albanischer Staatsangehörigkeit, das am 9. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist war - kein Asyl gewähre.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die im wesentlichen gleichlautenden Begründungen der angefochtenen Bescheide enthalten zunächst verschiedene allgemeine Rechtssätze, wobei die belangte Behörde abschließend jeweils die Auffassung vertritt, weder "durch die vergangenen Ereignisse noch durch die notorische aktuelle Situation in Albanien" habe eine die Beschwerdeführer betreffende Verfolgungsgefahr bescheinigt werden können, weshalb deren Flüchtlingseigenschaft zu verneinen und ihnen kein Asyl zu gewähren gewesen sei. Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, sich mit den (von ihr gar nicht wiedergegebenen) Angaben der Beschwerdeführer über ihre im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Fluchtgründe auseinanderzusetzen. Vielmehr hat sie sich damit begnügt, im Rahmen der von ihr zu treffenden Prognose bezüglich des Bestehens einer Verfolgungsgefahr für die Beschwerdeführer auf die in deren Heimatland geänderten politischen Verhältnisse hinzuweisen. Sie hat diesbezüglich ausgeführt, daß sich alles, was die Beschwerdeführer im Asylverfahren vorzubringen vermocht hätten, auf die Situation in deren Heimatland zur Zeit des stalinistischen Regimes und vor allem während der Umbruchszeit 1991/92 bezogen habe. In der Zwischenzeit habe sich jedoch die Lage in Albanien in geradezu spektkulärer und dramatischer Weise geändert. Die derzeit auch effektiv in Kraft stehende Verfassung vom 29. April 1992 gewähre die liberalen Grundrechte wie Glaubens-, Presse- und Versammlungsfreiheit, das Streikrecht, Freizügigkeit und Privateigentum und sichere deren Beachtung durch Institutionen der gewaltenteilenden parlamentarisch-pluralistischen Demokratie. Es seien im Laufe des Jahres 1991 sämtliche politischen Häftlinge freigelassen worden und keine Fälle staatlicher Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung mehr bekannt geworden. Habe sich in einem Staat ein derartiger Umbruch ereignet, daß von einer Identität der aktuellen Staatsform und daraus folgenden Staatspraxis mit der alten auch im weitesten Sinn nicht mehr gesprochen werden könne, das Selbstverständnis der neuen sich vielmehr vom Kontrast zur bisherigen "herschreibe", trete der Fall ein, daß Ereignissen in der Vergangenheit eine Indizwirkung bezüglich einer bestehenden Verfolgungsgefahr nicht mehr zukommen könne. Zwar könne die triste wirtschaftliche Lage im Heimatland der Beschwerdeführer ebensowenig geleugnet werden wie die hohe Kriminalitätsrate; diese sicherlich bedauerlichen Mißstände stellten jedoch keine "Verfolgung" durch staatliche Organe im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991 dar.

Die Beschwerdeführer bestreiten dies und machen geltend, daß sie in ihrem Heimatland auch weiterhin politische Verfolgung befürchteten. Mit diesem Beschwerdevorbringen verstoßen die Beschwerdeführer nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, weil ihnen nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten entgegen der Vorschrift des § 37 AVG im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit geboten wurde, zu dem von der belangten Behörde herangezogenen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die von ihr für die Ablehnung des Asylantrages herangezogene maßgebende Argumentation, insbesondere hinsichtlich der geänderten Verfassungsrechtslage, aber auch der Freilassung politischer Gefangener, schließt die Richtigkeit der Behauptung der Beschwerdeführer, es bestehe auch nach der Änderung der politischen Verhältnisse auf Grund der faktischen politischen Lage für sie weiterhin die begründete Furcht aus politischen Gründen verfolgt zu werden, nicht aus (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1993, Zlen. 92/01/0761, 0762).

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu anderen Bescheiden hätte kommen können, mußten die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden. Von der vom Erstbeschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich veranlaßt, zur Klärung der weiteren Vorgangsweise darauf hinzuweisen, daß entgegen der vom Erstbeschwerdeführer vertretenen Rechtsansicht die belangte Behörde in beiden Beschwerdefällen zu Recht das Asylgesetz 1991 angewendet hat, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1. Juni 1992) das erstinstanzliche Verfahren durch Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide am 27. Mai 1992 bereits abgeschlossen und infolge der noch offenen Berufungsfrist ein Verfahren bei der belangten Behörde noch nicht anhängig war, sodaß gemäß § 27 Asylgesetz 1991 dieses zum oben angeführten Zeitpunkt in Kraft getretene Gesetz - zum gleichen Zeitpunkt war das Asylgesetz (1968) außer Kraft getreten - anzuwenden war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Auch in den nunmehr fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde von dieser Rechtslage auszugehen haben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren des Erstbeschwerdeführers war abzuweisen, weil mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Verhandlungsaufwand nicht entstanden ist. Ebenso war das Mehrbegehren der Zweitbeschwerdeführerin abzuweisen, weil im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits berücksichtigt ist.

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993010011.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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