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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 8. März 1993, Zl. St 192-2/92, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid vom 9. Dezember 1992 hatte die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und 3 iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) ein bis 9. Dezember 1997 befristetes Aufenthaltsverbot für das "Bundesgebiet Österreich" erlassen.
2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 8. März 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 18 Abs. 1 Z. 1 sowie den §§ 19 und 20 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, "daß er sich diesbezüglich ebenfalls auf die bezeichneten Bestimmungen des Fremdengesetzes zu stützen hat". Gemäß § 21 FrG wurde die Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes mit fünf Jahren festgesetzt.
Der Beschwerdeführer sei (aus Ungarn kommend) mit einem verfälschten türkischen Reisepaß und einem deutschen Sichtvermerk am 26. Juli 1992 nach Österreich eingereist. Sein am 31. Juli 1992 gestellter Asylantrag sei mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Oktober 1992 abgewiesen worden. Dagegen habe der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben; dieser habe seinem Aufschiebungs-Antrag im Umfang der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers nach dem Asylgesetz 1991 stattgegeben. Obwohl der Beschwerdeführer bereits am Tag nach seiner Einreise bei seinem Bruder in Linz Aufenthalt genommen habe, habe er sich dort erst am 9. September 1992 angemeldet. Hinsichtlich der familiären Verhältnisse sei darauf hinzuweisen, daß die Gattin und die drei Kinder des Beschwerdeführers in der Türkei lebten; lediglich ein Bruder des Beschwerdeführers lebe in Österreich.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, daß Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - mit Hilfe einer Schlepperorganisation mit verfälschten Reisepässen in das Bundesgebiet gelangten, in Anbetracht des kriminellen Hintergrundes eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellten. Da der Beschwerdeführer aus einem Drittland eingereist sei, habe er während des Asylverfahrens keine (vorläufige) Aufenthaltsberechtigung gehabt. Der Umstand daß er nicht nur mit einem verfälschtem Reisepaß, sondern auch mit Hilfe einer Schlepperorganisation nach Österreich gelangt sei, lasse zur Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, selbst wenn hiedurch in das Privat- oder Familienleben eingegriffen werden sollte, als dringend geboten erscheinen (§ 19 FrG). Es würde geradezu eine Förderung des Schlepperunwesens darstellen, wenn Personen, die mit Hilfe solcher Organisationen in das Bundesgebiet gelangt seien, hier der Aufenthalt gestattet werden würde. Die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich sei noch zu kurz, um von einer Integration sprechen zu können. Da die Familie des Beschwerdeführers zur Gänze in der Türkei lebe, liege der Schwerpunkt der familiären Beziehungen nach wie vor in diesem Land. Das Aufenthaltsverbot erweise sich somit als zulässig i.S. des § 20 Abs. 1 FrG.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Vorauszuschicken ist, daß die belangte Behörde im Grunde des § 88 Abs. 1 iVm § 86 Abs. 1 FrG ihre Entscheidung auf dieses Gesetz zu stützen hatte.
1.2. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 18 Abs. 1 Z. 1, des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG lauten:
§ 18. (1) Gegen einen Fremden ist ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet.
§ 19. Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.
§ 20. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.
2.
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 18 Abs. 1 (Z. 1) FrG (gegebenenfalls unter Bedachtnahme auf § 19 und § 20 Abs. 1 leg. cit.) zu stützen, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 18 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 (Z. 1) leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/18/0247).
3.1. Die Beschwerde hält die (unmittelbare) Heranziehung des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG durch die belangte Behörde im vorliegenden Fall deshalb für rechtswidrig, weil allein der Umstand, daß der Beschwerdeführer mit Hilfe einer Schlepperorganisation mit einem verfälschten Reisepaß nach Österreich gelangt sei, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertige.
3.2.1. Dem Beschwerdeführer ist insofern beizupflichten, als der Gesichtspunkt der "mit Hilfe dieser Schlepperorganisation" bewerkstelligten Einreise in das Bundesgebiet für sich allein gesehen rechtens nicht ein gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG relevantes Gesamt(fehl)verhalten zu begründen vermochte. Die Tatsache allein, daß ein Fremder für seine Einreise die Hilfe eines Schleppers in Anspruch nimmt, kann ihm nicht in einer i.S. des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG rechtserheblichen Weise zum Vorwurf gemacht werden. Dies läßt sich unschwer aus § 80 Abs. 4 und § 81 Abs. 3 FrG schließen, denen zufolge Fremde, deren rechtswidrige Ein- oder Ausreise der Täter fördert, nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe bzw. nicht als Beteiligte (§ 12 StGB) strafbar sind, woraus zu folgern ist, daß unter der im Demonstrativ-Katalog des § 18 Abs. 2 FrG in Z. 5 angeführten, als bestimmte Tatsache i.S. des Abs. 1 zu wertenden Mitwirkung an der Schlepperei jedenfalls nicht die Inanspruchnahme eines Schleppers durch den "geschleppten" Fremden zu verstehen ist. Angesichts dieses in § 18 Abs. 2 FrG verankerten Wertungsmaßstabes verbietet sich auch eine (direkte) Subsumtion allein dieses Verhaltens eines Fremden unter § 18 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. - was freilich nicht ausschließt, es (wie im vorliegenden Fall geschehen) bei der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens nach § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse an der Bekämpfung des Schlepperunwesens MITzuberücksichtigen.
3.2.2. Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde - unbestrittenermaßen - davon ausgehen, daß sich der Beschwerdeführer durch einen verfälschten Reisepaß, ohne im Besitz des erforderlichen österreichischen Sichtvermerkes zu sein, mit Hilfe einer Schlepperorganisation den Eintritt in das Bundesgebiet verschafft hatte; weiters, daß er sich ca. sechs Wochen ohne die erforderliche polizeiliche Anmeldung in Linz bei seinem Bruder aufgehalten hatte. Dazu kommt noch, daß sich der Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde zutreffend erkannt - während des Asylverfahrens ohne vorläufige Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhielt, da er nicht "direkt" aus einem Gebiet, wo sein Leben oder seine Freiheit i. S. des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bedroht war (Art. 31 Z. 1 der Konvention), noch "direkt" aus dem Staat, in dem er behauptete, insoweit Verfolgung befürchten zu müssen (§ 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991), nach Österreich gelangte, und ferner auch kein Anhaltspunkt für die Annahme vorliegt, er hätte gemäß § 37 FrG wegen Vorliegens der dort genannten Gründe nicht in den Staat, aus dem er direkt einreiste (Ungarn), zurückgewiesen werden dürfen (§ 6 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1991 idF des Art. II Z. 1 BGBl. 838/1992). (Vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/18/0099). Schließlich hielt sich der Beschwerdeführer nach Ausweis der Akten, ungeachtet des seinen Asylantrag abweisenden rechtskräftigen Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 8. Oktober 1992, auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides in Österreich auf; auch diesem Aufenthalt ermangelte die Rechtmäßigkeit.
Faßt man diese im Hinblick auf ihre Häufung und ihr jeweils nicht geringes Gewicht gekennzeichneten Verhaltensweisen zusammen, so läßt das solcherart konstituierte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die Beurteilung der belangten Behörde, es sei die in § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkennen.
4. Dem Einwand des Beschwerdeführers, es sprächen die Kriterien des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG gegen die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes, ist entgegenzuhalten, daß unter Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen im bekämpften Bescheid (erst kurzer Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich; Aufenthalt der Ehegattin und der drei Kinder in der Türkei; Aufenthalt lediglich eines Bruders in Österreich) das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer keinen relevanten Eingriff in sein Privat- oder Familienleben i.S. des § 19 FrG darstellt - dies mit der Folge, daß weder zu untersuchen war, ob die Erlassung dieser Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist, noch eine Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmen war (s. dazu näher das bereits genannte Erkenntnis Zl. 93/18/0247 und die dort zitierte Entscheidung vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0112).
5. Der Beschwerdeeinwand, es hätte von der belangten Behörde berücksichtigt werden müssen, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 37 FrG vorliegen, ist verfehlt, da anläßlich der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auf allfällige einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entgegenstehende Umstände nicht Bedacht zu nehmen ist.
6. Der Verfahrensrüge ist - abgesehen davon, daß es ihr an der erforderlichen Substantiierung fehlt - angesichts der Erwägungen unter II.3.2.2. der Boden entzogen.
7. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180213.X00Im RIS seit
20.11.2000