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L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §42 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der V in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 21. Jänner 1993, Zl. Ve1-550-1961/2, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. J in R, vertreten durch D in R, 2. Gemeinde R, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
A, der zwischenzeitig verstorbene Ehemann der Beschwerdeführerin, hatte mit dem am 30. März 1964 bei der mitbeteiligten Gemeinde eingelangten Ansuchen die Erteilung der Baubewilligung für das Versetzen eines Bienenhauses und Zubau eines kleinen Schleuderraumes beantragt. Zur mündlichen Verhandlung am 12. Mai 1964 wurden die Anrainer F sowie S (Vater des A) geladen, die auch an der Verhandlung vom 12. Mai 1964 teilnahmen. Die Anrainer erklärten, keine Einwände bei Einhaltung der Grenzabstände von 4 m zu haben. Dem Baugesuch ist allerdings zu entnehmen, daß das Bienenhaus mit einem Teil auf dem Grundstück des S errichtet wird. Mit Bescheid vom 20. Mai 1964 wurde dem Bauwerber die beantragte Baubewilligung u.a. unter der Bedingung erteilt, daß der Abstand von 4 m gegen die Nachbargrenzen und der Abstand von 6 m zum Wohnhaus gewahrt werden müsse.
Mit einem weiteren Ansuchen vom 30. September 1964 beantragte A die behördliche Bewilligung für den Zubau zum bestehenden Wohnhaus und den Bau einer Garage mit Bienenstand auf den GP 70 und 72, KG R. (Die GP 72 befand sich im Eigentum des S). Über dieses Ansuchen wurde mit Ladung vom 7. Oktober 1964 eine mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 1964 anberaumt, wobei als Verhandlungsgegenstand der Zubau zum bestehenden Wohnhaus angeführt war. Im Bauakt findet sich weiters eine Kundmachung vom 7. Oktober 1964, in der als Verhandlungsgegenstand der Zubau zum bestehenden Wohnhaus und Bau einer Garage mit Bienenstand auf GP 70 und 72, KG R, angeführt ist. Dem Bauakt liegt ein von S unterschriebener Rückschein bei, der jedoch außer der Unterschrift und einem Absender (Gemeindeamt R) sowie die Geschäftszahl 153, weder ein Datum noch einen Hinweis auf den Inhalt der Postsendung enthält. Allerdings liegt unmittelbar hinter diesem Rückschein ein Rückschein des F, der das Datum 8. Oktober 1964 aufweist. In der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 1964 werden als Anwesende neben dem Bauwerber nur F genannt.
Mit Bescheid vom 27. August 1965, wurde dem Bauwerber die Bewilligung zum Bau einer Garage mit Bienenstand auf den GP 70 und 72, KG R, erteilt. Nach der Zustellverfügung erging dieser Bescheid an den Bauwerber, die BH Innsbruck, das Gendarmeriepostenkommando K sowie den Baumeister Ing. G.
Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 1991 beantragte der Erstmitbeteiligte die Zustellung des Baubewilligungsbescheides vom 27. August 1965, die Zustellung des Benützungsbewilligungsbescheides vom 30. Juni 1977, sofern in diesem über eine Projektänderung abgesprochen worden sein sollte, sowie die Überprüfung des Bauobjektes und die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages.
Nach Zustellung der Baubewilligungsbescheide vom 20. Mai 1964 sowie vom 27. August 1965 erhob der Erstmitbeteiligte gegen den Baubewilligungsbescheid vom 27. August 1965 Berufung, in der er u.a. ausführte, sein Rechtsvorgänger (S) sei hinsichtlich des Baubescheides vom 27. August 1965 nicht geladen worden. Es könne daher keine Präklusion vorliegen. Hinsichtlich des Abstandes des Baues von der Grundstücksgrenze werde auf der Einhaltung von 4 m bestanden. Überdies werde gegen die Gebäudehöhe berufen, die auf jeden Fall überhöht sei.
Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 10. Juni 1992 wurde die Berufung des Erstmitbeteiligten gegen den Baubewilligungsbescheid vom 27. August 1965 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Grenzabstand zur Grenze des S sei einvernehmlich gelöst worden, "sonst wäre ein zum Teil über die Grenze bauendes Bienenhaus nie möglich gewesen". Außerdem hätte der nachfolgende Grundnachbar J nach der Erbübernahme und aufgrund des neuen Grenzzustandes sofort eine Baukorrektur beantragen müssen und nicht erst nach so vielen Jahren.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der erstmitbeteiligten Partei hat die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 10. Juni 1992 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde verwiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im wesentlichen ausgeführt, selbst unter der Annahme, die Ladung vom 7. Oktober 1964 zur mündlichen Verhandlung sei S zugestellt worden, wäre dieser hinsichtlich des Bauvorhabens "Garage und Bienenhaus" übergangene Partei, da in dieser Ladung als Verhandlungsgegenstand ausdrücklich nur ein (vom strittigen Bauobjekt unabhängiger) Zubau zum bestehenden Wohnhaus genannt worden sei. Da der Bau der Garage mit Bienenstand nicht als Verhandlungsgegenstand angeführt worden sei, sei auch keine Präklusion eingetreten. Es sei sohin den Rechtsnachfolgern das Recht auf Zustellung des Bescheides sowie in der Folge das Recht auf Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges zugestanden. Mangels Verjährungsgeltung könne dem auch der Ablauf von mehr als 25 Jahren seit Erlassung des Baubescheides nicht entgegenstehen. Zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides habe die Tiroler Landesbauordung gegolten. Danach seien gemäß § 8 in offener Bauweise Gebäude als freistehend zu errichten. Als freistehend seien in diesem Fall solche Gebäude anzusehen, die auf allen Seiten von der Nachbargrenze mindestens 4 m entfernt seien. Das bedeute hinsichtlich des Bienenhauses, daß ein solches auf jeden Fall im Abstandsbereich unzulässig gewesen sei. Lediglich hinsichtlich der Garage ergebe sich eine grundsätzliche Zulässigkeit zur Errichtung im Abstandsbereich aufgrund der Bestimmungen der Verordnungen über Garagen und Einstellplätze (Reichsgaragenordnung). Wie aber aus den genehmigten, den dem Baubewilligungsbescheid zugrundeliegenden Plänen ersichtlich sei, sei die Garage und das Bienenhaus in einem einzigen Gebäude untergebracht und stelle somit eine untrennbare Einheit dar. Bei gebotener gemeinsamer Betrachtung erweise sich daher das Bauvorhaben aufgrund der Unzulässigkeit des Bienenhauses im Abstandsbereich als Ganzes unzulässig, es hätte daher eine Baubewilligung nicht erteilt werden dürfen. Eine nachweisliche Zustimmung des S zur Unterschreitung der Mindestabstände bzw. zur Inanspruchnahme eines Teiles seines Grundes durch die Bauführung finde sich in den Aktenunterlagen nicht. Jedoch selbst bei Vorliegen einer Zustimmung des Nachbarn S sei die gegenständliche Bauführung nicht bewilligungsfähig gewesen, da die Tiroler Landesbauordnung für Gebäude ein Unterschreiten der gesetzlich normierten Mindestabstände aufgrund der Zustimmung eines Nachbarn nicht vorgesehen habe. Zum anderen sei von der Berufungsbehörde ihrer Entscheidung jene Sachlage zugrundezulegen, wie sie zum Zeitpunkt ihrer Beschlußfassung bestanden habe. Dies bedeute, daß der infolge der Berufungserhebung des J zuständig gewordene Gemeindevorstand auch bei Berücksichtigung des bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten grundbücherlichen Erwerbes jenes Teiles der GP 72, KG R, der durch den Bau selbst in Anspruch genommen wurde, der Berufung hätte Folge geben und die erteilte Baubewilligung beheben müssen. Dies deshalb, da auch bei Zukauf des Grundstücksteiles immer noch nicht der gesetzlich geforderte Mindestabstand von 4 m eingehalten worden sei, vielmehr das Gebäude weiterhin im Abstandsbereich an der neuen Grundgrenze zu stehen komme und bei gebotener Anwendung der alten Rechtslage eine Bewilligungsfähigkeit somit aufgrund obiger Ausführungen nicht gegeben gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zutreffend ist die belangte Behörde davon ausgegangen, daß aufgrund der Aktenlage selbst bei Annahme, daß S, dem Rechtsvorgänger der erstmitbeteiligten Partei, die Ladung vom 7. Oktober 1964 zur mündlichen Verhandlung zugestellt worden ist, dieser hinsichtlich des Bauvorhabens "Garage und Bienenhaus" übergangene Partei war, da in dieser Ladung als Verhandlungsgegenstand ausdrücklich nur ein vom beschwerdegegenständlichen Bauobjekt unabhängiger Zubau zum bestehenden Wohnhaus genannt wurde. Da der Bau der Garage mit Bienenstand nicht als Verhandlungsgegenstand angeführt war, konnten gegenüber dem Rechtsvorgänger der erstmitbeteiligten Partei insoweit auch keine Präklusionswirkungen eintreten. Sohin stand den Rechtsnachfolgern des S nicht nur das Recht auf Zustellung des Baubewilligungsbescheides und in der Folge das zur Einbringung der Berufung zu, das mangels diesbezüglicher gesetzlicher Regelungen auch keiner Verjährung unterliegt, sondern es durfte die Berufung auch nicht wegen eingetretener Präklusion abgewiesen werden. Zutreffend ist auch die belangte Behörde davon ausgegangen, daß die Zulässigkeit des Bauvorhabens nach den Bestimmungen der Tiroler Landesbauordnung (TLBO), wiederverlautbart unter LGBl. Nr. 12/1928, zu beurteilen war. Die Anwendbarkeit der TLBO ergibt sich schon aus der Übergangsbestimmung des § 56 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989.
§ 46 der Tiroler Landes-Bauordnung in der im Jahre 1964 in Geltung gestandenen Fassung, LGBl. Nr. 12/1928, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 1/1937, hatte folgenden Wortlaut:
"§ 46. (1) Das Gesuch um die Baubewilligung, das schriftlich anzubringen ist, hat zu enthalten:
1. die genaue Bezeichnung des Grundes, worauf ein Bau geführt werden soll;
2. den Bauplan, der vom Bauführer und vom Gesuchssteller zu unterzeichnen ist, in zweifacher Ausfertigung.
(2) Der Bauplan hat zu enthalten:
....."
§ 48 lautete:
"§ 48. Über jedes Baugesuch hat der Bürgermeister ehetunlichst die Bauverhandlung am Bauplatze anzuordnen, diese entweder selbst zu leiten oder mit deren Leitung ein Mitgleid des Gemeinderates zu betrauen und dazu mindestens einen beim Bau nicht beteiligten Sachverständigen und, sofern es notwendig erscheint, auch einen Arzt beizuziehen.
Zu dieser Bauverhandlung sind rechtzeitig vorzuladen:
1. der Gesuchsssteller (Bauwerber) oder dessen durch schriftliche Vollmacht ausgewiesener Vertreter;
2.
der Baumeister des Bauwerbers (Bauführer);
3.
sämtliche unmittelbaren Nachbarn des Bauwerbers (Anrainer) und allfällige andere Interessenten.
Die Ausweise über die Zustellung der Vorladungen (Zustellscheine) sind bei den Bauverhandlungsakten aufzubewahren.
Bei dieser Bauverhandlung sind Baupläne sowohl nach ihrer Richtigkeit als auch dahin zu prüfen, ob sie den Bestimmungen dieser Bauordnung entsprechen, und es sind die Erhebungen zu pflegen, ob der beabsichtigte Bau aus öffentlichen Rücksichten zulässig ist oder nicht.
Sodann sind die Anrainer über ihre privatrechtlichen Einwendungen gegen den beabsichtigen Bau zu vernehmen. Werden von diesen Einwendungen gegen den Bau vorgebracht, so ist vorerst die gütliche Beilegung zu versuchen.
Über alle Vorgänge bei diesem Augenschein, somit auch über den versuchten Ausgleich und dessen allfälliges Zustandekommen, ist eine Verhandlungsschrift aufzunehmen. Hiefür gelten die Vorschriften des § 44 des A.V.G."
Aus dieser Bestimmung ergibt sich eindeutig die Parteistellung des Rechtsvorgängers der erstmitbeteiligten Partei als Anrainer.
Die Berufungsbehörde hatte aber auch, wie die belangte Behörde richtig erkannte, bei ihrer Berufungsentscheidung die mittlerweile (geänderte) Sachlage zu berücksichtigen. Sie hatte daher davon auszugehen, daß aufgrund der Eigentumsübertragung jenes Grundstücksstreifens, auf dem Teile des Bienenhauses und der Garage standen, zwischenzeitig an die Beschwerdeführerin übertragen wurde, nunmehr alle Teile dieses Gebäudes auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin lagen, aber dennoch, weil unmittelbar an der Grenze, in der Abstandsfläche.
Gemäß § 8 TLBO in der Fassung LGBl. Nr. 41/1933 waren Gebäude in offener Bauweise als freistehend zu errichten. Als freistehend waren Gebäude anzusehen, die auf allen Seiten von der Nachbargrenze mindestens 4 m entfernt sind. Das bedeutet jedenfalls hinsichtlich des Bienenhauses, daß eine Errichtung im Abstandsbereich schon wegen der Nichteinhaltung des Mindestabstandes von 4 m unzulässig war. Da das Bienenhaus mit der Garage eine technische Einheit bildet, war auch nicht weiter zu untersuchen, ob allenfalls die Garage allein in der Abstandsfläche zulässigerweise errichtet werden konnte. Da der Rechtsnachfolger des S (der Erstmitbeteiligte) in seiner Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 27. August 1965 ausdrücklich die Einhaltung von Abstandsvorschriften geltend gemacht hat, wäre der Gemeindevorstand gehalten gewesen, den Baubewilligungsbescheid vom 27. Mai 1965 aufgrund der Berufung der erstmitbeteiligten Partei abzuändern und die beantragte Bewilligung zu versagen, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.
Schlagworte
Baurecht Grundeigentümer RechtsnachfolgerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993060063.X00Im RIS seit
03.05.2001