Index
15 Unabhängigkeitserklärung, Rechtsüberleitung, ÜbergangsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Benützungsrichtlinien für die vom Österreichischen Staatsarchiv verwahrten Archivalien. Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet, indem sie, gestützt auf die Benützungsrichtlinien, das Benützungsansuchen des Beschwerdeführers durch eine inhaltlich als Bescheid zu bewertende Erledigung abwies. Sie hat damit eine Zuständigkeit zur hoheitlichen Entscheidung in Anspruch genommen, die ihr mangels eines, die Benützung der Archivalien in den Formen der Hoheitsverwaltung regelnden Gesetzes nicht zusteht. Sie verletzte damit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird daher im angefochtenen Umfang aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden der Beschwerdevertreterin die mit S 11.000,-
bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer wiederholte mit Begleitschreiben vom 10. Dezember 1986 an das Bundeskanzleramt einen mit 11. September 1985 datierten, an das Österreichische Staatsarchiv gerichteten Antrag, ihm zum Thema "Außenpolitischer Entscheidungsprozeß in Österreich 1945 bis 1955 - Schwerpunkt auf den österreichisch-amerikanischen Beziehungen" die Benützung von Akten des Österreichischen Staatsarchivs zu gestatten. In seiner Eingabe vom 10. Dezember 1986 brachte der Beschwerdeführer eindeutig zum Ausdruck, daß sein Antrag auf die Erlassung eines Bescheides gerichtet sei.
Der Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs richtete an den Beschwerdeführer ein mit 18. Oktober 1988 datiertes Schreiben, das in seinem hier wesentlichen Teil lautet:
"Das Bundeskanzleramt hat mit Bundeskanzleramt
GZ 123.610/6-I/2/88 vom 10. Oktober 1988 entschieden, daß ihnen die Genehmigung zur Benützung der gemeinsamen Ministerrats- bzw. Kabinettsratsakten für ihr Forschungsanliegen 'Amerikanische Österreich-Politik gegenüber Österreich 1945 - 1955' nicht erteilt werden kann, weil ein Bundesministerium seine Zustimmung dazu verweigert."
2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen diese Erledigung, soweit dadurch dem Antrag des Beschwerdeführers auf Benützung von Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs nicht stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer erblickt in der Erledigung einen dem Bundeskanzleramt zuzurechnenden Bescheid; er macht die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sowie des Grundrechtes der Freiheit der Wissenschaft geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der als Bescheid angefochtenen Erledigung.
3. Der Bundeskanzler beantragt in seiner Äußerung, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, weil die angefochtene Erledigung kein Bescheid sei; er beantragt hilfsweise, die Beschwerde abzuweisen, weil der Beschwerdeführer durch die Erledigung in keinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Zuge des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ein Verfahren gemäß Art139 B-VG zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Richtlinien des Bundeskanzlers für die Behandlung von Benützungsansuchen für die vom Österreichischen Staatsarchiv verwahrten Archivalien vom 17. Februar 1988, GZ 123.610/3-I/2/88, eingeleitet und diese Benützungsrichtlinien mit Erkenntnis vom 7. Dezember 1990, V171/90, als gesetzwidrig aufgehoben.
Er legte in jenem Erkenntnis dar, daß die im vorliegenden Verfahren angefochtene Erledigung des Bundeskanzlers vom 10. Oktober 1988 jedenfalls in Zusammenhalt mit den - nunmehr aufgehobenen - Benützungsrichtlinien als hoheitlicher Abspruch über Rechte des Beschwerdeführers, sohin inhaltlich als Bescheid aufzufassen ist.
Die Beschwerde ist sohin zulässig.
2. Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet, indem sie, gestützt auf die Benützungsrichtlinien, das Benützungsansuchen des Beschwerdeführers durch eine inhaltlich als Bescheid zu bewertende Erledigung abwies. Sie hat damit eine Zuständigkeit zur hoheitlichen Entscheidung in Anspruch genommen, die ihr - wie in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 1972, B166/72, und dem Erkenntnis vom 7. Dezember 1990, V171/90, festzustellen ist - mangels eines, die Benützung der Archivalien in den Formen der Hoheitsverwaltung regelnden Gesetzes nicht zusteht. Sie verletzte damit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-
enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B1876.1988Dokumentnummer
JFT_10098786_88B01876_00