TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/17 92/09/0127

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Veröffentlicht am 17.06.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
67 Versorgungsrecht;

Norm

HVG §21;
HVG §22;
HVG §68 Abs2;
VwGG §48 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 21. Februar 1992, Zl. 113-481234-005, betreffend Dienstbeschädigung nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er ausspricht, daß ab 1. November 1989 kein Anspruch auf Beschädigtenrente mehr besteht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der 1960 geborene Beschwerdeführer erlitt während der Zeit der Ableistung eines außerordentlichen Präsenzdienstes im Zuge des Weges von seiner Wohnung zum Ort der militärischen Dienstleistung am 16. Juli 1989 einen Verkehrsunfall.

Mit Bescheid vom 9. Mai 1990 anerkannte die Versorgungsbehörde erster Instanz die dadurch eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers als Dienstbeschädigungen, verneinte aber einen Anspruch auf Beschädigtenrente, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge der Dienstbeschädigung nicht über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung hinaus mehr als 25 v.H. betragen habe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer unter Hinweis auf ein bei der Behörde erliegendes ärztliches Gutachten (Dr. D) Berufung, in der im wesentlichen vorbrachte, seine MdE sei über den genannten Zeitpunkt hinaus wesentlich höher gewesen. Bis Ende Oktober 1989 habe er wegen Schmerzen nicht Autofahren können, was sich insbesondere auf seinen Beruf ausgewirkt habe. Durch die "reaktive Depression mit vegetativer Begleitsymptomatik" sei er nicht nur in seinem berufsnotwendigen Konzentrationsvermögen, sondern auch in anderen überdurchschnittlichen Berufsanforderungen empfindlich beeinträchtigt worden.

Nach ergänzenden Erhebungen sowohl hinsichtlich der medizinischen als auch der berufskundlichen Frage und Einräumung des Parteiengehörs, in dem der Beschwerdeführer unter Hinweis auf fachärztliche Sachverständigengutachten Einwendungen gegen das amtsärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dris. S erhob, erging der angefochtene Bescheid mit folgendem Spruch:

"Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991), in Verbindung mit § 82 Abs. 1 HVG abgeändert.

Gemäß §§ 1 und 2 HVG wird nachstehende Gesundheitsschädigung ab 16. Juli 1989 als zusätzliche Dienstbeschädigung (DB) anerkannt: "Depressives Syndrom (vermutlich endogenes Achsensyndrom) mit Auslösung durch Unfall", kausaler Anteil 1/2.

Ab 18. Oktober 1989 wird dieses Leiden als "Neurotisch depressives Syndrom" bezeichnet.

Gemäß §§ 21 bis 24, 46 b und 70 HVG wird für die Zeit vom 1. Juli 1989 bis 31. Oktober 1989 eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. in Höhe von monatlich S 18.870,-- zuerkannt. Die Beschädigtenrente fällt gemäß § 55 Abs. 1 HVG mit 1. Juli 1989 an.

Zur Beschädigtenrente wird gemäß § 26 HVG vom 1. Juli 1989 bis 31. Oktober 1989 für die Ehegattin Andrea, geboren 29. April 1960, und die Tochter Julia, geboren

7. September 1987, je ein Familienzuschlag im Betrage von S 1.887,-- gewährt."

Zur Begründung wird nach kurzer Darstellung des Verfahrensablaufes im wesentlichen weiter ausgeführt, die belangte Behörde habe zur Prüfung der Berufungseinwendungen ärztliche Sachverständigenbeweise durch den Neurologen Dr. S und den Chirurgen Dr. B erstellen lassen. Vom medizinischen Standpunkt ergebe sich folgende Beurteilung:

Neurologischerseits sei festzustellen, daß durch den Unfall am 16. Juli 1989 ein depressives Syndrom - vermutlich ein endogenes Achsensyndrom - ausgelöst worden sei. Dieses habe sich jedoch soweit gebessert, daß ab 17. Oktober 1989 nur noch ein "Neurotisch-depressives Syndrom" mit einer MdE von 0 v.H. diagnostiziert werden könne. Chirurgischerseits habe sich eine stufenweise Einschätzung wie im erstinstanzlichen Gutachten ergeben. Durch den Verkehrsunfall am 16. Juli 1989 sei ein Bruch der rechten Elle und des linken Schlüsselbeines, eine Gehirnerschüttung und Hautabschürfungen am Kopf, eine Brustkorbprellung, eine Rißquetschwunde an der linken Unterlippe und eine Prellung des linken Knies verursacht worden. Die Einschätzung dieser Leiden sei dem Heilungsverlauf entsprechend erfolgt. Unter Berücksichtigung der neu hinzugekommenen neurologischen Dienstbeschädigung sei mit 18. Oktober 1989 ein Dauerzustand erreicht worden.

Auf Grund dieser medizinischen Beurteilung habe sich die in der Begründung des angefochtenen Bescheides im einzelnen dargestellte Richtsatzeinschätzung ergeben, die zeitlich in sechs Abschnitte gegliedert ist. Unmittelbar nach dem Unfall bis 22. Juli 1989 ist folgende Richtsatzeinschätzung ausgewiesen:

"Lfd. Als Dienstbe-  Position   Der Gesamt-   Die Er-   MdE

      schädigung     in den     leidenszu-    mittlung  gemäß

      (§ 2 HVG)      Richt-     stand (kau-   der MdE   § 21

      wird fest-     sätzen zu  saler und     für die   HVG

      gestellt:      § 21 HVG   nichtkausa-   DB. er-

                                ler Anteil    folgt

                                zusammen)     nach dem

                                bedingt eine  Hundert-

                                MdE von       satz

1)    Bruch der      g.Z.I/c/37     80 v.H.     1/1    80 v.H.

      rechten

      Elle (Ge-

      brauchsarm),

      mit Oberarm-

      gips versorgt

2)    Bruch des      g.Z.I/c/126    30 v.H.     1/1    30 v.H.

      linken

      Schlüssel-

      beines, mit

      Tornisterver-

      band ruhigge-

      stellt

3)    Contusion des  g.Z.IV/a/424  100 v.H.     1/1   100 v.H.

      linken Kniege-

      lenkes, Bettruhe

      mit Braunscher

      Schiene ruhig-

      gestellt.

4)    Contusion der  g.Z.I/b/7      20 v.H.     1/1    20 v.H.

      rechten Thorax-

      hälfte

5)    Contusion des  g.Z.IX/c/702   10 v.H.     1/1    10 v.H.

      Schädels mit       T.2.Z.li.

      oberflächl.

      Schürfwunden

6)    Rißquetsch-        IX/c/702   20 v.H.     1/1    20 v.H.

      wunde an der     T.1.Z.re+NS

      Unterlippe

7)    Depressives    g.Z.V/e/585    50 v.H.     1/2    25 v.H."

      Syndrom (ver-

      mutlich endogenes

      Achsensyndrom)

      mit Auslösung

      durch Unfall

    Entsprechend dem Heilungsfortschritt erfolgten die weiteren

Einschätzungen mit 22. Juli 1989, 11. August 1989,

30. August 1989, 11. September 1989 und letztlich wie folgt ab

18. Oktober 1989:

"1)   Knöchern ge-       I/c/54      0 v.H.     1/1     0 v.H.

      heilter Bruch

      der rechten Elle

      (Gebrauchsarm)

2)    Knöchern geheil-   I/b/7       0 v.H.     1/1     0 v.H.

      ter Bruch des

      linken Schlüssel-

      beines

3)    Narbe an der       IX/c/702   10 v.H.     1/1    10 v.H.

      Unterlippe,      T.1.Z.re.+NS

      reaktionslos

4)    Neurotisch de-     V/c/585     0 v.H.     1/2     0 v.H."

pressives Syndrom

Für die Bemessung des durch die Dienstleistung verursachten Anteiles bei der unter Punkt 7) bzw. Punkt 4) bezeichneten Gesundheitsschädigung (depressives Syndrom) sei der Umstand maßgebend gewesen, daß durch den Unfall lediglich die Auslösung erfolgt sei. Die Gesamt-MdE gemäß § 21 HVG sei im Sinne des § 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 151, ab 16. Juli 1989 mit 100 v.H., ab 11. August 1989 mit 90 v.H., ab 30. August 1989 mit 40 v.H., ab 11. September 1989 mit 30 v.H. und ab 18. Oktober 1989 mit 10 v.H. festgestellt worden. Hiefür sei maßgebend gewesen, daß ab 22. Juli 1989 die unter Punkt 1) angeführte führende MdE durch die übrigen Dienstbeschädigungsleiden eine Erhöhung um zwei Stufen erfahren habe, ab 11. August 1989 die unter Punkt 1) angeführte MdE durch die übrigen Dienstbeschädigungsleiden eine Erhöhung um eine Stufe erfahre und ab 30. August 1989 die unter Punkt 1) angeführte führende MdE durch die übrigen Dienstbeschädigungsleiden ebenfalls eine Erhöhung um eine Stufe erfahre. Die Gutachten der Sachverständigen seien für schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden.

In der folgenden Begründung des angefochtenen Bescheides gibt die belangte Behörde den Werdegang des Beschwerdeführers wieder. Nach Absolvierung des Studiums (Jus, Vorlesungen über Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft) habe der Beschwerdeführer 1985 als Exportsachbearbeiter, dann als Bereichsleiter gearbeitet. Diese Erwerbstätigkeit habe er im August 1988 beendet und eine Firma für Unternehmensberatung gegründet. In weiterer Folge habe sich der Beschwerdeführer als Personalberater versucht und sich dann mit einem Programm für die elektronische Ermittlung von Feuerleitdaten für Granatwerfer des Bundesheeres beschäftigt. In der Zeit vom 29. Mai bis 23. Juli 1989 (- Unfall am 16. Juli 1989 -) sei der Beschwerdeführer in einem befristeten Dienstverhältnis zu einer Handelsfirma gestanden, habe aber entsprechende Firmenprojekte nicht bearbeiten können, weil er bereits mit Wirkung vom 1. Juni 1989 zu einer Kaderübung des Bundesheeres eingeteilt gewesen sei, die mit 13. Juni 1989 beendet worden sei, an die aber ab 14. Juni (bis 20. Juli) 1989 eine freiwillige Waffenübung angeschlossen gewesen sei.

Vom 16. Juli 1989 bis 25. Februar 1990 habe sich der Beschwerdeführer in Spitalsbehandlung bzw. im Krankenstand befunden; von März bis Mai 1990 sei der Beschwerdeführer in Form eines Funktionsdienstes nochmals beim Bundesheer tätig gewesen. In der Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1990 sei der Beschwerdeführer im Rahmen der Beteiligungsabteilung des Raiffeisenverbandes als Sachbearbeiter berufstätig gewesen; seitdem gehe der Beschwerdeführer keiner Erwerbstätigkeit nach bzw. sei eine solche nicht bekannt.

Die belangte Behörde gelangte dann in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu dem Ergebnis, daß auf Grund der Vortätigkeiten des Beschwerdeführers bei der berufskundlichen Begutachtung im Sinne des § 22 HVG von der Tätigkeit eines Betriebswirtes ausgegangen werden könne. Nach Wiedergabe des § 22 HVG stellt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die ihrer Auffassung nach gegebenen Charakteristika dieses Berufes, die Studieninhalte und das Berufsbild dar. Demnach sei eine auffallende Gesichtsentstellung für die Berufsausübung von Nachteil. Die Leistung körperlicher Schwerarbeit entfalle; erforderlich seien Sitzen in ruhiger und guter Sitzhaltung, von Gehen und Stehen unterbrochen, mittlere Hand- und Fingergeschicklichkeit (Schreibfähigkeit), mittlere Sehschärfe und mittleres Gehör ausreichend, gutes Ausdrucksvermögen, um Arbeiten, die Sinn für Wortbedeutung und Nuancierung erforderten, durchführen zu können bzw. die Fähigkeit, qualifizierte schriftliche oder mündliche Formulierungen und Darstellungen zu artikulieren, Formulierung von Verträgen, logisch-analytisches Denken, um administrative, juridische oder ökonomische Zusammenhänge zu erfassen sowie wichtige Fakten analysieren zu können, Schlußfolgerungen daraus zu ziehen und Entscheidungen treffen zu können, gutes Konzentrationsvermögen, Merkfähigkeit, Organisationstalent, Kontaktfähigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, seelisch charakterliche Norm für den Umgang mit Menschen, normale Geduld und Ausdauer, Durchführung der Arbeiten in geschlossenen und temperierten Räumen, volle Arbeitszeit und Überstunden.

Die belangte Behörde gibt im folgenden die chirurgische Beurteilung zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zum 17. Oktober 1989 wieder und führt weiter aus, ab 18. Oktober 1989 sei eine Änderung dahin eingetreten, daß die vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S beurteilte unter Punkt 4) genannte Schädigung wie folgt laute: Neurotisch depressives Syndrom (dieses neurotisch depressive Syndrom sei jeweils zur Hälfte auf das schädigende Ereignis ursächlich zurückgeführt).

Das Berufsbild der zumutbaren Erwerbstätigkeit sei für die Beurteilung, ob berufliche Sonderverhältnisse vorlägen und in weiterer Folge für die Berufseinschätzung nur insoweit von Bedeutung, als es den Durchschnitt übersteigende Belastungen enthalte, die durch die Dienstbeschädigung erschwert oder ausgeschlossen seien. Fehlten solche Sonderverhältnisse, habe eine berufskundliche Bewertung zu unterbleiben, weil den Durchschnitt nicht übersteigende Anforderungen schon bei der medizinischen Einschätzung gemäß § 21 HVG nach der Richtsatzverordnung berücksichtigt und deshalb bei der Berufseinschätzung gemäß § 22 HVG unmaßgeblich seien.

Aus dem Berufsbild des Betriebswirtes seien als überdurchschnittliche Berufsanforderungen hervorzuheben:

1)

Gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen.

2)

Logisch-analytisches Denken.

3)

Gutes Konzentrationsvermögen.

Zur Frage, ob und inwieweit dieser überdurchschnittliche Anforderungsbereich durch die Dienstbeschädigung beeinträchtigt worden sei, sei aus dem fachärztlichen Gutachten Dris. S vom 10. September 1991 zu entnehmen:

Vom 16. Juli bis 17. Oktober 1989 sei es dem Beschwerdeführer infolge der Dienstbeschädigung nicht möglich gewesen, den als überdurchschnittlich festgestellten Anforderungen nachzukommen. Bei Erfüllung der Anforderungen wäre in wechselnder Beeinflussung eine Verstärkung der depressiven Symptomatik eingetreten, die zu Antriebsmangel bei fehlender Konzentration eine zielführende und qualifizierte Ausdrucksfähigkeit bzw. Arbeitsleistung im überdurchschnittlichen Bereich unterbunden hätte. Ab 18. Oktober 1989 sei durch das Zustandsbild der Dienstbeschädigung keine Behinderung überdurchschnittlicher Anforderungen aus dem Berufsbild mehr gegeben.

Da der Beschwerdeführer in der Zeit vom 16. Juli bis 17. Oktober 1989 wegen der Dienstbeschädigungen die relevanten überdurchschnittlichen Berufsanforderungen nicht habe erfüllen können, müsse für diesen Zeitraum gemäß §§ 22 und 23 HVG Erwerbsunfähigkeit angenommen werden. Diese berufskundliche Einschätzung der MdE übersteige zum Teil deren medizinische Bewertung.

Abschließend sei festzustellen, daß ab 18. Oktober 1989 eine Behinderung überdurchschnittlicher Anforderungen aus dem vorstehenden Berufsbild durch die Dienstbeschädigung nicht mehr gegeben sei, sodaß eine berufskundliche Einschätzung gemäß § 22 HVG ab diesem Zeitpunkt zu unterbleiben habe. Somit sei unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 22 HVG der Bemessung der Beschädigtenrente bis 17. Oktober 1989 eine MdE von 100 v.H. zugrunde zu legen.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme sei dem Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht worden. Zu den vorgebrachten Einwendungen habe der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S wie folgt Stellung genommen:

Der gegenständliche Unfall sei ohne Hirnschädigung oder Hirnbeteiligung verlaufen. Auch eine Gehirnerschütterung sei nicht festgestellt worden. Es sei somit das daraus resultierende und gemäß den Befunden der behandelnden Ärzte festgestellte depressive Syndrom überhaupt nur fraglich als unfallkausal anzusehen. Gemäß dem Befundbericht des behandelnden Facharztes bestünden bei dieser Depression sowohl endogene als auch reaktive, wie auch neurotische Anteile. Dies bedeute, daß dem Unfall höchstens eine auslösende Funktion im Sinne des reaktiven Anteiles der Depression zukomme. Es sei aber deutlich festzustellen, daß ein Verkehrsunfall, insbesondere ohne Schädigung des Cerebrums, kein adäquates Trauma darstelle, um eine langanhaltende Depression mit Arbeitsunfähigkeit zu erklären. Der reaktive Anteil der Depression sei davon ausgehend vom 16. Juli bis 17. Oktober 1989 als Dienstbeschädigung eingestuft worden. Ab 18. Oktober 1989 sei anzunehmen, daß der nichtunfallkausale Anteil der Depression eindeutig im Vordergrund stehe und daher ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht mehr angenommen werden könne. In diesem Sinn erübrige sich die Beurteilung der weiteren Arbeitsunfähigkeit. Auch die von den behandelnden Ärzten festgestellte Arbeitsunfähigkeit beziehe sich nicht auf die Folgen des Unfallgeschehens. Vom erstbehandelnden Facharzt werde wörtlich angegeben, daß "seit dieser Zeit aber auch zusätzlich ein massives depressives Syndrom" bestehe. Auch in der Zusammenfassung werde die schwerste reaktive Depression mit Somatisierung dem Unfall eher parallel geschaltet als ihm nachgeordnet. Der Bericht des später und derzeit den Beschwerdeführer behandelnden Arztes gebe einen Zusammenhang mit dem Unfall überhaupt nicht an. Es sei medizinischerseits festzuhalten, daß ein Verkehrsunfall der vorliegenden Art nicht als adäquates Trauma für eine Erkrankung derartiger Tragweite anzusehen sei.

Zu den Einwendungen gegen die Beurteilung gemäß § 22 HVG sei vom berufskundlichen Sachverständigen wie folgt Stellung genommen worden:

Nach ärztlicher Darstellung sei durch das schädigende Ereignis das depressive Zustandsbild des Beschwerdeführers reaktiviert und deshalb bis 17. Oktober 1989 ein Hälfteanteil auf den Unfall vom 16. Juli 1989 ursächlich zugeführt worden. Ab 18. Oktober 1989 werde ein kausaler Zusammenhang des bestehenden Leidenszustandes mit dem schädigenden Ereignis negiert. Das bedeute, daß eine MdE im Sinne des HVG nicht mehr bestehe und eine Einschätzung nach den §§ 21 sowie 22 leg. cit. nicht erfolgen könne.

Dann wird die Bemessung erläutert und daran anschließend ausgeführt, ab 1. November 1989 bestehe kein Anspruch auf Beschädigtenrente mehr, weil ab diesem Zeitpunkt die MdE gemäß §§ 21 und 22 HVG nur mehr 10 v.H. betrage. Eine Überprüfung gemäß § 24 Abs. 8 KVG habe unterbleiben können, weil die Berechnung der Beschädigtenrente bereits nach der Höchstbemessungsgrundlage erfolgt sei. Nach Darlegungen über die einzelnen Anspruchszeiträume führte die belangte Behörde noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, weiters gebühre für die Zeit vom 1. Juli 1989 bis 31. Oktober 1989 für die Ehegattin Andrea und die Tochter Julia je ein Familienzuschlag im Betrage von S 1.887,--. Ein Anspruch auf Erhöhung der Beschädigtenrente gemäß § 23 Abs. 4 HVG bestehe nicht, weil der Beschwerdeführer nicht unverschuldet erwerbslos gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 21 Abs. 1 des Heeresversorgungsgesetzes, BGBl. Nr. 27/1964, hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der MdE um mindestens 25 v.H. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen. Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung ist die MdE im Sinne des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Diese Richtsätze sind durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung nach Anhörung des Invalidenfürsorgebeirates durch Verordnung aufzustellen.

Bei der Feststellung des Grades der MdE ist nach § 22 HVG auch zu prüfen, ob sie bei Berücksichtigung der Tauglichkeit des Beschädigten zu einer Erwerbstätigkeit, die ihm nach seinem früheren Beruf oder nach seiner Vorbildung billigerweise zugemutet werden kann, höher als nach § 21 einzuschätzen ist. In diesen Fällen ist die MdE unter Bedachtnahme auf die Erfahrungen auf dem Gebiete der Berufskunde einzuschätzen; die Verdienstverhältnisse haben dabei außer Betracht zu bleiben.

Auf das Verfahren finden nach § 82 Abs. 1 HVG - soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt - die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung.

Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG in Verbindung mit § 67 AVG sind in der Begründung eines Berufungsbescheides unter anderem auch die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Ein Bescheid, der diesen Erfordernissen nicht entspricht, bedarf hinsichtlich des Sachverhaltes der Ergänzung und ist daher, sofern durch diesen Mangel die Parteien in der Verfolgung ihrer Rechte beeinträchtigt sind, mit einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG behaftet.

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid insofern in seinen Rechten verletzt, als mit diesem ausgesprochen worden ist, daß dem Beschwerdeführer ab 1. November 1989 kein Anspruch auf Beschädigtenrente mehr zusteht.

Im Beschwerdefall ist primär die Bewertung der beim Beschwerdeführer festgestellten geistig-seelischen Beeinträchtigung ab 18. Oktober 1989 strittig. Diese Gesundheitsschädigung war vom Unfall bis 18. Oktober 1989 als depressives Syndrom mit Auslösung durch den Unfall bezeichnet; der dadurch bewirkte Gesamtleidenszustand war mit 50 v.H., davon die Hälfte kausal, anerkannt, was zu einer MdE gemäß § 21 HVG von 25 v.H. führte. Ab 18. Oktober 1989 wurde diese Gesundheitsschädigung vom Amtsgutachter als neurotisch depressives Syndrom nach der Angabe in der Begründung des angefochtenen Bescheides der Richtsatzposition V/c/585 (- eine Richtsatzposition dieser Bezeichnung gibt es nicht, die Richtsatzposition 585 unter lit. e lautet: Defektzustände nach akuten Schüben: 0 bis 100 -) unterstellt, der dadurch bewirkte Gesamtleidenszustand mit 0 v.H. bezeichnet und die MdE mit 0 v.H. bemessen. Begründet wird diese Einschätzung, obwohl der Beschwerdeführer sich bereits im Verwaltungsverfahren unter Hinweis auf medizinische Gutachten und darauf, daß er sich vom 16. Juli 1989 bis 25. Februar 1990 in Spitalsbehandlung bzw. im Krankenstand befunden habe, dagegen ausgesprochen hat, lediglich damit, daß für die Bemessung der bezeichneten Gesundheitsschädigung der Umstand maßgebend war, "daß durch den Unfall lediglich die Auslösung erfolgte". Da dieser Umstand aber ohne Zweifel vor bzw. nach dem 17. Oktober 1989 im gleichen Maße gegeben war, läßt sich daraus weder für das Ergebnis der vorgenommenen Einschätzung etwas gewinnen noch erscheint die Feststellung des Gesamtleidenszustandes (kausaler und nichtkausaler Anteil zusammen) bezogen auf die Richtsatzposition 585 richtig. Auch unter Heranziehung des bei den Akten befindlichen ärztlichen Sachverständigengutachtens mit ergänzenden Stellungnahmen vom 10. September 1991 und 19. November 1991 ist für die Änderung dieser Einschätzung mit diesem Datum nichts Entscheidendes zu gewinnen, außer der Vermutung, daß in der Angabe der Richtsatzpositionen ein Schreibfehler vorliegt.

Die Einsicht in das für die Entscheidung der belangten Behörde maßgebende nervenärztliche Sachverständigengutachten zeigt vielmehr aber einen Gegensatz zur Begründung des angefochtenen Bescheides und zum chirurgischen Sachverständigengutachten insofern, als das nervenfachärztliche Gutachten davon ausgeht, daß eine Gehirnerschütterung als Folge des Unfalles nicht festgestellt worden ist. Dementgegen ist der Begründung des angefochtenen Bescheides und auch dem chirurgischen Sachverständigengutachten aber zu entnehmen, daß durch den Verkehrsunfall neben verschiedenen Brüchen und Prellungen auch eine Gehirnerschütterung verursacht war.

Das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren erweist sich somit als mangelhaft; diese Mangelhaftigkeit wird sich allenfalls auch auf die berufskundliche Einschätzung auswirken können.

Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG im angefochtenen Umfang aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die geltend gemachten Stempelgebühren, die im Hinblick auf den auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden § 68 Abs. 2 AVG nicht zu entrichten waren.

Schlagworte

Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Gebührenfreiheit der Beschwerde Ersatz bei Gebührenfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992090127.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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