TE Vfgh Erkenntnis 1990/12/14 B949/90

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.1990
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

StGG Art5
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §2
DSt 1872 §12 Abs2

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Regelung der Strafbemessung in §12 Abs2 DSt 1872; verfassungskonforme Auslegung möglich; keine Verletzung des Gleichheits- und Eigentumsrechtes durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Führung eines mietrechtlichen Prozesses in eigener Sache trotz anderslautender Kündigungsvereinbarung mit der Vermieterin; verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der disziplinären Verantwortlichkeit der Rechtsanwälte

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18. Jänner 1989, GZ D 47/86, D 9/87, wurde der beschwerdeführende Rechtsanwalt - soweit dies für dieses verfassungsgerichtliche Verfahren beachtlich ist - für schuldig befunden, das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er, obwohl er als Mieter im Mietvertrag vom 23. Dezember 1981 mit der Vermieterin vereinbart gehabt hatte, daß dieser Vertrag von jedem Vertragsteil unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende des Kalendermonats mit eingeschriebenem Brief aufgekündigt werden könne, dennoch in der Folge die dieser Vereinbarung entsprechende außergerichtliche Aufkündigung vom 23. September 1986 nicht anerkannt und unter Berufung auf die Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes deren Unwirksamkeit auch in der von der Vermieterin gegen ihn beim Bezirksgericht Steyr anhängig gemachten Räumungsklage mit Erfolg eingewendet und in Zusammenhang mit der beabsichtigten Beendigung dieses Mietverhältnisses von einem ins Auge gefaßten Nachmieter eine unzulässige Ablöse im Betrag von

S 120.000,- verlangt habe. Aufgrund näher erörterter Strafzumessungsgründe verhängte die Disziplinarbehörde über den Beschuldigten eine Geldstrafe in Höhe von S 5.000,-.

Über die dagegen vom Kammeranwalt erhobene Berufung erging das mit vorliegender Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bekämpfte Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 19. März 1990, Z Bkd 86/89, mit welchem der Berufung des Kammeranwaltes Folge gegeben und über den Beschwerdeführer eine Geldbuße in der Höhe von S 50.000,- verhängt und er zur Tragung der Kosten des Berufungsverfahrens verpflichtet wurde. Begründet wurde dieser Bescheid im wesentlichen damit, der von der Behörde erster Instanz berücksichtigte Milderungsumstand einer gewissen Notlage könne dem Beschwerdeführer aus näher dargelegten Gründen nicht in nennenswertem Ausmaß zugute gehalten werden. Erschwerend trete hinzu,

"daß er trotz Vorhaltes der diesbezüglich gefestigten Disziplinarrechtsprechung im inkriminierten Verhalten bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz verharrte und daß bei standesgemäßer Vorgangsweise der Vermieterin die Prozeßkosten erspart geblieben wären.

Zieht man diese zusätzlichen Erschwerungsumstände mit ins Kalkül, dann erweist sich die vom Disziplinarrat gefundene Geldbuße als bei weitem zu gering; sie war daher in Stattgebung der Berufung des Kammeranwaltes auf das aus dem Spruch ersichtliche tatschuldgerechte Ausmaß zu erhöhen."

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers wegen Anwendung einer als verfassungswidrig erachteten Gesetzesbestimmung, nämlich des §12 Abs2 des Disziplinarstatutes betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBl. 40/1872 (im folgenden: DSt), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses begehrt wird.

2.2. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie begehrt, der Beschwerde keine Folge zu geben.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Der Beschwerdeführer behauptet, der angefochtene Bescheid stütze sich auf eine verfassungswidrige gesetzliche Bestimmung, nämlich jene des §12 Abs2 des DSt. Nach dieser Bestimmung ist nach der Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile zu beurteilen, welche der Disziplinarstrafen über einen Rechtsanwalt zu verhängen ist. Hingegen bildeten die finanzielle Situation eines Rechtsanwaltes, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie allfällige Sorgepflichten nach dieser Gesetzesstelle kein Kriterium für die Strafbemessung. Dies verletzt nach Auffassung der Beschwerde die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums, da nach Meinung des Beschwerdeführers "eine gerechte Strafbemessung ohne Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse nicht möglich ist." Als Beleg für die Richtigkeit dieser Auffassung wird auf das System der Tagessätze nach dem Strafgesetzbuch und auf §19 VStG verwiesen.

3.1.2. Der Verfassungsgerichtshof hält die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die präjudizielle gesetzliche Regelung nicht für begründet.

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Disziplinarbehörden für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter angesichts des geltenden Strafrechtssystems bei der Zumessung von Geldbußen auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten berücksichtigen (s. auch die EB zur RV 1188 BlgNR

17. GP zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990 - DSt 1990), S 20). Die genannte gesetzliche Regelung läßt eine solche - verfassungsrechtlich unbedenkliche - Auslegung zu.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich deshalb nicht veranlaßt, im Hinblick auf die vorgetragenen Bedenken von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten; auch sonst sind keine Normbedenken entstanden.

Der Beschwerdeführer ist demnach nicht durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

3.2.1. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz durch die Strafzumessung seitens der belangten Behörde begründet die Beschwerde wie folgt:

"Die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer derart hohen Geldstrafe beruht auf einer unsachlichen Differenzierung. Im Räumungsstreit zwischen dem Beschwerdeführer und E N hat das Gericht ausgesprochen, daß sich der Beschwerdeführer durchaus gesetzeskonform verhalten hat; es ist deshalb zu einer Klageabweisung gekommen. Es ist nun unsachlich, ja geradezu denkunmöglich, dieses gesetzeskonforme Verhalten des Beschwerdeführers diesem im Disziplinarverfahren vorzuwerfen. Ein Rechtsanwalt ist vor dem Gesetz so zu behandeln wie alle anderen Staatsbürger auch. Es ist absurd, gesetzeskonformes Verhalten eines Rechtsanwalts zur Grundlage einer Bestrafung zu machen. Die Eigenschaft als Rechtsanwalt kann nicht zur Folge haben, daß der Beschwerdeführer mit anderen Maßstäben gemessen wird wie andere Menschen. Eine entsprechende Unterscheidung wäre unsachlich und daher gleichheitswidrig."

Ferner wird vorgetragen, der bei der Berufungsverhandlung vorgelegte Räumungsvergleich sei bei der Strafbemessung ebensowenig berücksichtigt worden wie der Umstand, daß zwischen dem Beschwerdeführer und der Vermieterin vereinbart worden sei, daß beide einen Nachmieter suchen. Auch hinsichtlich der Ablöseforderung des Beschwerdeführers seien ebensowenig über das Verschulden des Beschwerdeführers wie über den Zeitwert der von ihm getätigten Investitionen Feststellungen getroffen worden.

3.2.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 9474/1982) durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur verletzt werden, wenn dieser auf einer mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 9726/1983, 11.350/1987).

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (vgl. dazu oben unter 3.1.; zur Unbedenklichkeit von §2 DSt vgl. insbesondere VfSlg. 7494/1975, 9160/1981, 11.007/1986, 11.350/1987) käme eine Gleichheitsverletzung nur in Frage, wenn der Behörde eine willkürliche Rechtsanwendung anzulasten wäre.

Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Aus den einleitend wörtlich wiedergegebenen Ausführungen der Beschwerde ist ersichtlich, daß diese den Sinngehalt des zivilgerichtlichen Urteils wie auch des Disziplinarrechts insgesamt verkennt.

Einerseits spricht nämlich das bezogene zivilgerichtliche Urteil nicht aus, daß sich der Beschwerdeführer gesetzeskonform verhalten habe, sondern hatte allein über geltend gemachte zivilrechtliche Ansprüche abzusprechen. Die Frage eines "gesetzeskonformen" Verhaltens des Beschwerdeführers - was immer darunter verstanden werden mag - war demgemäß nicht Gegenstand des zivilgerichtlichen Streites. Demgemäß heißt es auch im bezogenen Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 29. Juli 1988, R 40/88:

"Es ist aber nicht Sache des ordentlichen Gerichtes, darüber zu befinden, wie weit ein wortbrüchiger Rechtsanwalt akzeptabel ist; dies ist vielmehr Sache seiner Disziplinarbehörde."

Andererseits liegt es im Wesen des Disziplinarrechts begründet, daß die ihm unterworfenen Personen einer besonderen Verantwortung unterliegen. Insbesondere ist schon der Ansatz der Beschwerde verfehlt, wenn sie meint, ein Rechtsanwalt sei - offenkundig in jeder Beziehung - "so zu behandeln wie alle anderen Staatsbürger auch"; vielmehr unterliegt der Rechtsanwalt zusätzlich einer gesonderten - verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. dazu die oben zitierten Entscheidungen des VfGH) - disziplinären Verantwortung. Aus dieser Sicht ist es ausgeschlossen, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Gleichheitswidrigkeit des angefochtenen Bescheides überhaupt vorliegen kann.

Dem Umstand aber, daß der Beschwerdeführer einen im Zuge der Berufungsverhandlung vor der OBDK vorgelegten Räumungsvergleich abschloß, kommt unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles keine entscheidende, die Verfassungssphäre des Beschwerdeführers berührende Bedeutung zu, da damit das ihm vorgeworfene, im übrigen bewußt fortgesetzte Verhalten nicht rückgängig gemacht werden konnte.

Auch das übrige, zum Teil schwer verständliche Beschwerdevorbringen zum Gleichheitssatz ist entweder überhaupt nicht entscheidungsrelevant oder zeigt allenfalls einen Verstoß gegen einfachgesetzliche Regelungen, also nicht in die Verfassungssphäre reichende Mängel auf.

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat auch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Strafzumessung außer Verhältnis zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers stünde.

Der Beschwerdeführer ist somit nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

3.3.1. Sub titulo Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums behauptet die Beschwerde die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlage des bekämpften Bescheides, sodaß durch die Verhängung der Geldstrafe dieses Grundrecht verletzt worden sei.

3.3.2. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.356/1985, 10.482/1985) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

All dies liegt hier nicht vor. Was die gesetzliche Grundlage des bekämpften Bescheides betrifft, genügt es, auf die Ausführungen unter 3.1.2. und 3.2.2. zu verweisen, wonach die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden gesetzlichen Grundlagen verfassungsrechtlich unbedenklich sind.

Daß dem angefochtenen Bescheid aber auch keine gravierenden Vollzugsfehler anzulasten sind, wurde unter 3.2.2. näher dargelegt.

Der Beschwerdeführer wurde deshalb auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Auslegung verfassungskonforme, Strafbemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B949.1990

Dokumentnummer

JFT_10098786_90B00949_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten