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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher sowie Senatspräsident Dr. Weiss und Hofrat DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde des E in O, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom
17.(18.) September 1992, Zl. Ge-49454/4-1992/Kut/Bla, betreffend Wiederaufnahme eines Strafverfahrens (Übertretung der Gewerbeordnung 1973), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 17. Oktober 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als das zur Vertretung nach außen berufene Organ und damit als gemäß § 9 VStG strafrechtlich verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der N Möbelbau Gesellschaft m.b.H. im Standort X, in der Zeit vom 20. Oktober 1989 bis zum 12. Juli 1990 eine Tischlerwerkstätte - entsprechend der im Schuldspruch enthaltenen näheren Konkretisierung - betrieben, ohne für diese gewerbliche Betriebsanlage, die geeignet sei, die Nachbarn - in der im Schuldspruch angegebenen Weise - zu belästigen, die erforderliche gewerbebehördliche Genehmigung erlangt zu haben (Spruchpunkt 2; Spruchpunkt 1 hat keinen Bezug zur vorliegenden Beschwerdesache). Der Beschwerdeführer habe dadurch (zu 2. die Rechtsvorschrift des § 366 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit § 74 Abs. 1 und 2 Z. 2 GewO 1973 verletzt. Hiefür wurde gemäß § 366 Abs. 1 GewO 1973 eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die N Möbelbau Gesellschaft m.b.H. habe mit Eingabe vom 19. September 1989 eine Gewerbeanmeldung zur Ausübung des Tischlergewerbes gemäß § 94 Z. 78 GewO 1973 eingebracht und als gewerberechtlichen Geschäftsführer H angezeigt. Laut dem der Gewerbeanmeldung angeschlossenen Handelsregisterauszug sei die Gesellschaft m. b.H. am 28. August 1990 protokolliert worden. Als handelsrechtliche Geschäftsführer seien der Beschwerdeführer und eine zweite Person eingetragen worden. Die Erstbehörde habe die Gewerbeanmeldung "bis dato" nicht zur Kenntnis genommen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 17. Juni 1991 wurde das erstbehördliche Straferkenntnis - mit einer im vorliegenden Beschwerdeverfahren unerheblichen Maßgabe - bestätigt.
Mit Schriftsatz vom 20. Juli 1992 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein, in welchem er ausführte, im Anmeldungsverfahren sei über die gegen den erstbehördlichen Bescheid vom 22. Jänner 1991 erhobene Berufung mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 11. Juni 1992 entschieden worden. In diesem Berufungsbescheid sei festgestellt worden, daß mit der Gewerbeanmeldung am 19. September 1989 das Gewerberecht zur Ausübung des Tischlerhandwerkes für die Gesellschaft m.b.H. entstanden sei und daß die Anzeige der Bestellung des H zum gewerberechtlichen Geschäftsführer zur Kenntnis genommen werde. Ab dem Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung am 19. September 1989 sei daher nicht mehr der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer, sondern gemäß § 370 Abs. 2 GewO 1973 der gewerberechtliche Geschäftsführer für Verwaltungsübertretungen nach der Gewerbeordnung 1973 strafbar. Die gegen den Beschwerdeführer als handelsrechtlichen Geschäftsführer erlassene Strafe sei daher zu Unrecht verhängt worden. Da einerseits das Straferkenntnis vom 17. Oktober 1990 auf einer unrichtigen Beurteilung der Vorfrage über das bereits entstandene Gewerberecht beruhe und andererseits durch den nunmehr vorliegenden Bescheid des Landeshauptmannes vom 11. Juni 1992 neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, die einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid erwarten hätten lassen, sei eine Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens gerechtfertigt.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 17. September 1992 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 17. Juni 1991 abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahrens "gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG" abgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die N Möbelbau Gesellschaft m.b.H. habe am 19. September 1989 bei der Erstbehörde die Ausübung des Tischlerhandwerkes im Standort X, angemeldet und die Bestellung des H zum gewerberechtlichen Geschäftsführer angezeigt. Die Erstbehörde habe mit Bescheid vom 22. Jänner 1991 im Grunde des § 340 Abs. 7 und § 15 Abs. 2 GewO 1973 festgestellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung des angemeldeten Gewerbes nicht vorlägen, und die Gewerbeausübung untersagt. Einer gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Berufung sei mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 5. September 1991 insoferne Folge gegeben worden, als der Erstbescheid dahin gehend abgeändert worden sei, daß die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung des Tischlerhandwerkes, beschränkt auf das Verlegen von Klebeparkett, das Parkettschleifen sowie das Montieren von fertig gekauften Sicherheitsschlössern an Holztüren, vorlägen. Gegen diesen Bescheid habe die Gesellschaft m.b.H. Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben. Dieser habe mit Erkenntnis vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0287, den Bescheid vom 5. September 1991 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. In der Folge sei der Berufung mit Bescheid vom 11. Juni 1992 zur Gänze stattgegeben worden, der erstbehördliche Bescheid vom 22. Jänner 1991 sei behoben und es sei festgestellt worden, daß die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung des Tischlerhandwerkes nunmehr vorlägen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stelle das nachträgliche Bekanntwerden des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0287, keinen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG dar. Dies vor allem deshalb, weil unter einer neuen Tatsache nur ein mit dem ganzen dem Verfahren zugrundeliegenden konkreten Tatbestand irgendwie zusammenhängender tatsächlicher Umstand, nicht aber eine nachträglich festgelegte Rechtsanschauung verstanden werde. Selbst die Änderung der Beurteilung einer Vorfrage durch die Behörde sei nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes kein Grund für die Wiederaufnahme eines Verfahrens. Davon abgesehen sei dem Beschwerdeführer nicht die unbefugte Gewerbeausübung nach § 366 Abs. 1 Z. 1 GewO 1973, sondern der Betrieb einer Tischlereiwerkstätte ohne die erforderliche gewerbebehördliche Genehmigung nach § 366 Abs. 1 Z. 3 GewO 1973 angelastet worden. Der Beschwerdeführer stelle nicht in Abrede, daß er eine solche gewerbebehördliche Genehmigung bisher nicht erlangt habe. Die Ausführungen des Beschwerdeführers stellten somit keine neuen Tatsachen oder Beweismittel dar, die eine Wiederaufnahme des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG rechtfertigen könnten. Da also die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens nicht vorlägen, habe der gegenständliche Antrag abgewiesen werden müssen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 69 AVG in Verbindung mit § 24 VStG verletzt.
Er trägt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes unter dem Blickwinkel einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides vor, die belangte Behörde habe den Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG abgewiesen, weil die Voraussetzungen zur Wiederaufnahme nach dieser Rechtsnorm nicht vorgelegen gewesen seien. Sie habe jedoch nicht das Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG überprüft. Entgegen ihrer Auffassung habe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0287, und insbesondere der auf diesem Erkenntnis beruhende Bescheid der belangten Behörde vom 11. Juni 1992, mit welchem festgestellt worden sei, daß die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung des Tischlerhandwerkes durch die Gesellschaft m.b.H. ab dem Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung vorlägen, und mit welchem auch die Bestellung des gewerberechtlichen Geschäftsführers H zur Kenntnis genommen worden sei, sehr wohl einen Einfluß auf das wiederaufzunehmende Verwaltungsstrafverfahren. Gerade jene Frage, die dafür ausschlaggebend sei, ob der handelsrechtliche oder der gewerberechtliche Geschäftsführer für Verwaltungsübertretungen nach der Gewerbeordnung 1973 zur Verantwortung zu ziehen sei, habe die Erstbehörde im Straferkenntnis vom 17. Oktober 1990 unrichtig dadurch gelöst, daß sie angenommen habe, es liege die Gewerbeberechtigung der Gesellschaft m.b.H. nicht vor. Über diese Vorfrage sei dann im zuständigen Verfahren über die Gewerbeanmeldung nachträglich im maßgeblichen Punkt anders entschieden worden. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. Juni 1992 sei festgestellt worden, daß mit der Gewerbeanmeldung am 19. September 1989 die Gewerbeberechtigung zur Ausübung des Tischlerhandwerkes für die Gesellschaft m.b.H. entstanden sei und es sei die Anzeige der Bestellung des H zum gewerberechtlichen Geschäftsführer zur Kenntnis genommen worden. Die belangte Behörde übersehe im nunmehr angefochtenen Bescheid, daß im wiederaufzunehmenden Verwaltungsstrafverfahren die unrichtige Lösung der Vorfrage über den Bestand der Gewerbeberechtigung der Gesellschaft m. b.H. dazu geführt habe, daß für Verwaltungsübertretungen das unrichtige Organ der Gesellschaft m.b.H., nämlich der Beschwerdeführer als das nach außen zur Vertretung befugte Organ (handelsrechtlicher Geschäftsführer), zur Verantwortung gezogen worden sei und nicht der gewerberechtliche Geschäftsführer, der nach § 370 Abs. 2 GewO 1973 zur Verantwortung zu ziehen gewesen wäre.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften trägt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe insbesondere die Prüfung des Sachverhaltes dahin gehend unterlassen, ob ein Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG vorliege. Die belangte Behörde habe hiezu weder Sachverhaltsfeststellungen getroffen, noch begründet, aus welchen Erwägungen allenfalls die Feststellungen hiezu entbehrlich seien. Die belangte Behörde habe sich mit diesem Wiederaufnahmegrund im wesentlichen überhaupt nicht beschäftigt. Hätte die belangte Behörde allerdings auch hiezu entsprechende Sachverhaltsfeststellungen getroffen, so hätte sie erkennen können, daß das wiederaufzunehmende Strafverfahren tatsächlich von einer Vorfrage abhängig gewesen sei, die im nachhinein im zuständigen Verfahren anders entschieden worden sei.
Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde im Grunde des § 38 AVG (§ 24 VStG) berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. ...
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG (§ 24 VStG) ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und ... 3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Im vorliegenden Fall enthielt das erstbehördliche Straferkenntnis vom 17. Oktober 1990 in der Begründung (S. 5) u. a. folgenden Satz:
"Nachdem die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Tischlergewerbes - auf Grund des Nichtaufliegens der erforderlichen Betriebsanlagengenehmigung - nicht vorliegen, wurde von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck die Gewerbeanmeldung bis dato nicht zur Kenntnis genommen."
Diese von der Erstbehörde hinsichtlich der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit als rechtlich maßgebend erachtete Sachverhaltsfeststellung wurde vom Landeshauptmann im Wege der - mit einer diesbezüglich nicht relevanten Maßgabe ausgesprochenen - Bestätigung des erstbehördlichen Straferkenntnisses in den im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Berufungsbescheid übernommen.
Mit dieser auf die - negative - Tatsache, daß die Gewerbeanmeldung bis dato nicht zur Kenntnis genommen worden sei, abgestellten Aussage wurde nicht etwa eine Feststellung über Fragen vorweggenommen, die im Administrativverfahren im Sinne des § 340 Abs. 7 und des § 345 Abs. 9 GewO 1973 als Hauptfragen zu behandeln seien. Es wurde sohin keine Vorfrage beurteilt. Vielmehr wurde in der - wenn auch mit einer Begründung versehenen - Hauptaussage des Satzes lediglich das bisherige Unterbleiben eines Ausspruches im Administrativverfahren als maßgebendes Sachverhaltselelment festgehalten. Gegen dieses dem Ausspruch im Verwaltungsstrafverfahren zugrundegelegte Begründungselement hätte der Beschwerdeführer anläßlich der Erlassung des erstbehördlichen Straferkenntnisses in seiner Berufung und anläßlich der Erlassung des im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Berufungsbescheides mittels Beschwerde an den Verwaltungsgerichshof ankämpfen können. Der Verwaltungsgerichtshof vermag es hingegen nicht als rechtswidrig anzusehen, wenn die belangte Behörde keine Abhängigkeit der im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Bescheide von einer Vorfrage als gegeben erachtete.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverhalt Verfahrensmängel Sachverhalt VorfrageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992040240.X00Im RIS seit
20.11.2000