TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/22 93/05/0030

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Veröffentlicht am 22.06.1993
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38;
BauO Wr §133;
BauO Wr §136 Abs1;
BauO Wr §60 Abs1 lita;
BauO Wr §69 Abs1 lith idF 1992/048;
BauO Wr §69 Abs1 lith;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde

1) der DC, 2) der GF, beide in W, und 3) des JR in G, alle vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 11. Dezember 1992, Zl. MD-VfR-B XIX-61-63 u. 67-71/92, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: L in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren der Beschwerdeführer wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Mag. Abt. 37, vom 2. Oktober 1992 wurde der mitbeteiligten Partei dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter Berufung auf § 70 der Bauordnung für Wien die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines unterkellerten zweistöckigen Büro- und Laborgebäudes auf den Grundstücken Nr. 866/11 und 866/12, Kat. Gem. X, unter Vorschreibung mehrerer Auflagen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 11. Dezember 1992 wurde dieser Bescheid auf Grund der dagegen eingebrachten Berufungen der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.

Die Berufungsbehörde vertrat in der Begründung ihres Bescheides die Auffassung, aus der Projektsbeschreibung und aus der Tätigkeit der Mitbeteiligten ergebe sich, daß das in Rede stehende Bauvorhaben weder als Wohngebäude noch als Bau, der religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung diene, angesehen werden könne, und auch nicht von einem Büro- oder Geschäftshaus gesprochen werden könne. Es handle sich vielmehr, wie schon die Behörde erster Instanz richtig erkannt habe, um ein Laborzwecken dienendes Gebäude, in welchem auch Büroräume untergebracht seien. Damit erweise sich aber das den Gegenstand des Bauansuchens bildende Bauvorhaben im Sinne des § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien mit der Widmung Wohngebiet als nicht vereinbar. Im übrigen verwies die Berufungsbehörde darauf, daß im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides geltende Recht anzuwenden sei, insbesondere dann, wenn keine Übergangsbestimmungen vorliegen, denenzufolge auf anhängige Verfahren noch das bisherige Gesetz anzuwenden sei. Daher sei im vorliegenden Fall die Regelung des § 69 der Bauordnung für Wien in der am 1. Dezember 1992 in Kraft getretenen Fassung anzuwenden, in welcher keine Übergangsbestimmung enthalten sei. Nach einer Wiedergabe des Wortlautes des Abs. 1 lit. h sowie der Abs. 2 und 3 dieser Gesetzesstelle wies die Berufungsbehörde sodann darauf hin, daß die Entscheidung über die Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften gemäß § 133 leg. cit. dem Bauausschuß der örtlich zuständigen Bezirksvertretung obliege. Aus Abs. 5 des § 69 leg. cit. ergebe sich, daß der Magistrat dann, wenn die Abweichung von den Bebauungsvorschriften den Umfang einer unwesentlichen Abänderung nicht überschreite, bloß befugt sei, die Entscheidung des Bauausschusses vorzubereiten, er dürfe diese Entscheidung aber nicht anstelle der zuständigen Behörde treffen. Nur wenn ein Ansuchen um Baubewilligung den Bestimmungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes derart widerspreche, daß der Umfang einer unwesentlichen Abänderung oder Ergänzung des Flächenwidmungs- oder Bebauungsplanes überschritten werde, sei es vom Magistrat gemäß § 69 Abs. 6 leg. cit. abzuweisen. Es wäre daher im vorliegenden Fall Aufgabe des Magistrates gewesen, den Akt nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens auch zur Entscheidung über die gemäß § 69 Abs. 1 lit. h leg. cit. erforderliche Ausnahmebewilligung an den Bauausschuß der Bezirksvertretung weiterzuleiten. Dessen Aufgabe wäre es dann gewesen, unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses zu entscheiden, ob die übrigen im § 69 Abs. 2 leg. cit. genannten Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung vorliegen. Daß im gegenständlichen Fall bloß eine unwesentliche Abweichung von den Bebauungsvorschriften vorliege, ergebe sich aus dem Umstand, daß die verfahrensgegenständliche Liegenschaft bereits seit vielen Jahren der Tätigkeit der Lebensmittel-Versuchsanstalt diene, und der nunmehr zur Bewilligung eingereichte Zubau nicht den Gesamtcharakter des Wohngebietes zu beeinflussen vermöge und damit den Intentionen des Wiener Gemeinderates zuwiderlaufe. Der bekämpfte Bescheid sei daher - ohne auf die Berufungsausführungen, welche auch den Widerspruch zu § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien aufzeigen, im Detail eingehen zu müssen - ersatzlos aufzuheben gewesen, um den Weg für die neuerliche Behandlung der Angelegenheit und Einschaltung des zuständigen Bauausschusses der Bezirksvertretung freizumachen. Die Berufungsbehörde sei nicht in der Lage, im Zuge des Berufungsverfahrens über die Frage der Ausnahmegewährung zu entscheiden, da dies die Verfahrensparteien in ihrem Recht auf einen vollständigen Instanzenzug verletzt hätte. Der Auffassung, daß im vorliegenden Fall nicht ein Zu-, sondern ein Neubau Gegenstand des Bauansuchens sei, müsse die Bestimmung des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien entgegengehalten werden, wonach unter Zubauten alle Vergrößerungen eines Gebäudes in waagrechter oder lotrechter Richtung zu verstehen seien. Eine solche Vergrößerung liege im gegenständlichen Fall vor, da, wie sich insbesondere aus der Darstellung des Untergeschoßes ergebe, eine räumliche Verbindung mit dem auf der Liegenschaft befindlichen bestehenden Gebäude hergestellt werden soll. Zur weiteren Verfahrensabwicklung werde bemerkt, daß auf Grund der nunmehr auch vom Magistrat und vom Bauausschuß zu beachtenden neuen Rechtslage und der Tatsache, daß die vorliegende Ausnahmemöglichkeit mit den Verfahrensparteien noch nicht erörtert worden sei, eine mündliche Verhandlung unter Zuziehung sämtlicher Verfahrensparteien durchzuführen sein werde. Der Bauausschuß werde sich bei der Frage, ob er eine Bewilligung erteilen könne oder nicht, nicht nur an der unverändert gebliebenen Bestimmung des § 69 Abs. 1 lit. h der Bauordnung für Wien, sondern insbesondere auch am Abs. 2 dieser Gesetzesstelle in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 48/1992, zu orientieren haben.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

Zufolge § 69 Abs. 1 der Bauordnung für Wien in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 48/1992 hat die Behörde nach Maßgabe des Abs. 2 für einzelne Bauvorhaben über die Zulässigkeit folgender Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu

entscheiden: ... h) Abweichungen von den festgesetzten

Widmungen bei Umbauten, Zubauten oder Errichtung von Nebengebäuden, wenn mit dem Bau keine Vergrößerung der Nachteile oder Belästigungen der Nachbarn gegenüber dem bisherigen Zustand verbunden ist. Zufolge Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist die Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften nur auf Antrag zulässig; das Ansuchen um Baubewilligung gilt zugleich als Antrag auf Bewilligung der für das Bauvorhaben erforderlichen unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften.

Über den Antrag auf Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften hat die Behörde gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle schriftlich durch Bescheid unter Bezugnahme auf ein bestimmtes Bauvorhaben nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens über das Ansuchen um Baubewilligung unbeschadet des Abs. 8 zu erkennen.

Gemäß Abs. 5 dieser Gesetzesstelle ist der Antrag auf Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens über das Ansuchen um Baubewilligung unbeschadet des Abs. 8 an die örtlich zuständige Behörde (§ 133) weiterzuleiten.

Widerspricht ein Ansuchen um Baubewilligung den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes derart, daß der Umfang einer unwesentlichen Abänderung oder Ergänzung des Flächenwidmungsplanes bzw. des Bebauungsplanes überschritten wird, ist es zufolge Abs. 6 dieser Gesetzesstelle abzuweisen.

Im Abs. 8 dieser Gesetzesstelle ist vorgesehen, daß vor der erstinstanzlichen Bewilligung der erforderlichen unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften die Baubewilligung nicht erteilt werden darf. Gegen einen Bescheid, mit dem über den Antrag auf Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften entschieden wird, ist eine abgesonderte Berufung nicht zulässig. Die Berufung kann nur mit der Berufung gegen die Entscheidung über das Ansuchen um Baubewilligung verbunden werden, die sich auf die Entscheidung über Abweichungen von Bebauungsvorschriften stützt.

Dem gesamten Beschwerdevorbringen nach erachten sich die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf eine Sachentscheidung durch die Berufungsbehörde verletzt und sind der Meinung, daß das Bauansuchen der mitbeteiligten Partei auf Grund des Rechtsmittels der Beschwerdeführer von der Berufungsbehörde abzuweisen gewesen wäre.

Mit dieser Auffassung sind die Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:

Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter Berufung auf § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien zu Recht - und auch von der Mitbeteiligten unbestritten - davon ausgegangen, daß das Bauvorhaben der Mitbeteiligten mit der Widmung Wohngebiet nicht vereinbar ist. Daraus folgt aber, daß dem Bauansuchen der mitbeteiligten Bauwerberin erst dann Folge gegeben werden könnte, wenn dieser Widmungswidrigkeit durch eine Bewilligung dieser Abweichung von den Bebauungsvorschriften in dem vorliegenden Baubewilligungsverfahren die rechtliche Bedeutung genommen wäre. Solange also nicht feststeht, daß eine derartige Bewilligung nach § 69 Abs. 1 lit. h der Bauordnung für Wien nicht erteilt werden kann, darf das Bauansuchen nicht wegen der aufgezeigten Widmungswidrigkeit abgewiesen werden. Wenngleich nicht die belangte Behörde, sondern gemäß § 133 leg. cit. der Bauausschuß der örtlich zuständigen Bezirksvertretung über den Antrag auf Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften zu entscheiden hat, muß im Beschwerdefall nicht erst dessen Entscheidung abgewartet werden, bis über das Bauansuchen der Mitbeteiligten meritorisch entschieden werden kann, weil die belangte Behörde davon auszugehen gehabt hätte, daß die für eine aufrechte Erledigung des Bauansuchens der Mitbeteiligten erforderliche Bewilligung nach § 69 Abs. 1 lit. h der Bauordnung für Wien mangels Vorliegens einer der dort genannten Voraussetzungen nicht erteilt werden darf. Entsprechend dem bereits wiedergegebenen Wortlaut dieser Bestimmung dürfen nämlich Abweichungen von den festgesetzten Widmungen nur bei Umbauten, Zubauten oder Errichtung von Nebengebäuden, also nicht im Falle der geplanten Errichtung eines Neubaues bewilligt werden. Bei dem Vorhaben der mitbeteiligten Partei handelt es sich aber um einen Neubau, also im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien um die Errichtung eines NEUEN GEBÄUDES und nicht um einen Zubau, also entsprechend der in dieser Gesetzesstelle wiedergegebenen Definition um eine Vergrößerung des Gebäudes in waagrechter oder lotrechter Richtung, weil das geplante Bauvorhaben einen selbständigen (unterkellerten, zweistöckigen) Baukörper darstellt, welcher für Büro- und Laborzwecke verwendet werden soll. An diesem Beurteilungsergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß das geplante Bauwerk mit dem bestehenden Gebäude - lediglich - durch einen unterirdischen Gang verbunden sein soll, weil das vorhandene Gebäude nicht durch das geplante Objekt "vergrößert", sondern in Wahrheit ein in baulicher Hinsicht vollkommen selbständiges, also neues Gebäude geschaffen werden soll, für dessen bauliche Selbständigkeit der erwähnte Gang nicht wesentlich ist.

Da das Vorhaben der Mitbeteiligten sohin als Neubau im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien zu qualifizieren ist, kommt die Erteilung einer Bewilligung im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. h leg. cit. ungeachtet der Frage der Wesentlichkeit der geplanten Abweichung von den Bebauungsvorschriften schon aus diesem Grund nicht in Frage, weshalb die Voraussetzungen für eine Befassung des Bauausschusses der örtlich zuständigen Bezirksvertretung nicht gegeben sind. Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde von einer Widmungswidrigkeit des in Rede stehenden Projektes auszugehen gehabt hätte, deren rechtliche Bedeutung nicht durch eine Bewilligung der Ausnahme von den Bebauungsvorschriften beseitigt werden kann, weshalb das Bauansuchen der Mitbeteiligten auf Grund des Rechtsmittels der Beschwerdeführer von der belangten Behörde abzuweisen gewesen wäre. Es war daher rechtswidrig, durch die ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheides den Weg für eine Entscheidung des Bauausschusses der örtlich zuständigen Bezirksvertretung freizumachen. Die Beschwerdeführer sind daher durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf eine Sachentscheidung verletzt worden, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführer war abzuweisen, weil an Stempelgebühr für drei Beschwerdeausfertigungen, drei Vollmachten und eine erforderliche Ausfertigung des angefochtenen Bescheides insgesamt nur S 810,-- an Stempelgebühren zu entrichten waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993050030.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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