TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/22 90/08/0112

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Veröffentlicht am 22.06.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §229 Abs1 Z2;
ASVG §500;
ASVG §502 Abs1;
ASVG §502 Abs4;
ASVG §502 Abs6 idF 1987/609 1989/642;
ASVG §502 Abs6;
ASVGNov 44te;
ASVGNov 48te;
AVG §39 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der E in Israel, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Mai 1990, Zl. MA 14-D 10/89, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 11. November 1922 geborene Beschwerdeführerin beantragte bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt die Durchführung eines Begünstigungsverfahrens und die Gewährung einer Alterspension.

Mit Bescheid vom 15. September 1988 lehnte die mitbeteiligte Partei die Begünstigung für die Zeit vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 ab.

Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch, wobei sie im wesentlichen vorbrachte, sie sei bis 13. Oktober 1938 in einem Schönheitspflegeinstitut ("Pesslschule für moderne Kosmetik") beschäftigt gewesen und habe damit Ersatzzeiten gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG erworben. Sie beantrage daher, den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt dahin abzuändern, daß die Zeit ihrer Emigration vom 13. Oktober 1938 bis 31. März 1959 gemäß § 502 Abs. 1 und 4 ASVG begünstigt angerechnet werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen und der Bescheid der mitbteiligten Pensionsversicherungsanstalt bestätigt. Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin, wie aus den vorgelegten Zeugnissen hervorgehe, in der Zeit von 1937 bis 1. Juni 1938 die genannte private Lehranstalt besucht sowie anschließend bis 13. Oktober 1938 ein Praktikum an dieser Schule absolviert. Nach den Angaben des damaligen Inhabers dieser Schule habe es sich dabei um kein Dienstverhältnis, sondern lediglich um einen Schul- bzw. Kursbesuch gehandelt. Eine Ersatzzeit gemäß § 229 ASVG liege daher im vorliegenden Fall nicht vor. Auch eine Ersatzzeit gemäß § 228 ASVG sei nicht gegeben, da es sich bei dem gegenständlichen Institut um keine öffentliche oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule gehandelt habe. § 502 Abs. 1 und 4 leg. cit. sei sohin mangels Vorliegens einer entsprechenden Vorversicherungszeit nicht anwendbar. Ebenso könne im gegenständlichen Fall § 502 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 4 ASVG (gemeint: in der Fassung der am 1. Jänner 1990 in Kraft getretenen 48. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 642/1989) nicht zur Anwendung gelangen, da die Beschwerdeführerin nicht in der Zeit vom 12. März 1938 bis 9. Mai 1945, sondern bereits am 11. November 1937 das 15. Lebensjahr vollendet habe. Nach Ansicht der belangten Behörde treffe es auch nicht zu, daß die Beschwerdeführerin, aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, nicht in der Lage gewesen wäre, Beitrags- oder Ersatzzeiten der in § 502 Abs. 6 ASVG genannten Art vor dem Eintritt der verfolgungsbedingten Auswanderung zu erwerben. Die Beschwerdeführerin hätte vielmehr vor ihrer verfolgungsbedingten Auswanderung in der Zeit, in der sie die private Schönheitspflegerinnen-Schule besucht habe, Beitrags- oder Ersatzzeiten zurücklegen können. Da den Zeiten der Auswanderung weder eine Betrags- oder Ersatzzeit vorangehe noch nachfolge, sei auch § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG nicht anwendbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat in ihrer Gegenschrift ebenfalls den Antrag auf Abweisung der Beschwerde gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.

Nach § 502 Abs. 1 erster Halbsatz ASVG in der Fassung der 44. Novelle, BGBl. Nr. 609/1987, gelten Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßten Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit, ferner Zeiten der Ausbürgerung (§ 501 Abs. 1) für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961, erworben haben, als Beitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage, und zwar in der Pensions(Renten)versicherung, in der der Versicherte vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit oder Ausbürgerung zuletzt Beitrags- oder Ersatzzeiten nachweist.

Nach dem letzten Satz der genannten Bestimmung gelten Zeiten der Auswanderung gemäß Abs. 4 bis 31. März 1959 ab Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt, und zwar in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt, bzw. beim Fehlen einer solchen in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt.

Diese Bestimmung sowie jene des Abs. 4 gilt nach § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung der 44. Novelle auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, zu diesem Zeitpunkt älter als 14 Jahre war.

Die Beschwerdeführerin begehrte eine Begünstigung nach § 502 Abs. 1 und 4 ASVG, gestützt auf eine Ersatzzeit nach § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG. Diese Bestimmungen haben durch die 48. Novelle, BGBl. Nr. 642/1989, keine Änderung erfahren, weshalb insofern zunächst die Frage dahinstehen kann, ob die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung bereits diese Novelle anzuwenden hatte.

Die belangte Behörde hat die Begünstigung der Beschwerdeführerin im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, beim Besuch eines Praktikums bis 13. Oktober 1938 in dem genannten Institut habe es sich nach den Angaben des damaligen Inhabers um kein Dienstverhältnis, sondern lediglich um einen Schul- bzw. Kursbesuch gehandelt.

Gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 in der Pensionsversicherung der Angestellten die vor dem 1. Jänner 1939 und nach Vollendung des 15. Lebensjahres gelegenen Zeiten einer Beschäftigung als Angestellter, während derer nach dem Stande der Vorschriften am 31. Dezember 1938 ... die Pflichtversicherung in der Angestellten(Pensions)versicherung begründet wurde, soweit sie nicht schon als Beitragszeiten zählen.

Gemäß § 223 Abs. 1 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes 1938, BGBl. Nr. 1, war nach den für die Angestelltenversicherung geltenden Vorschriften dieses Gesetzes, das auch am 31. Dezember 1938 in Geltung stand, versicherungspflichtig (angestelltenversicherungspflichtig) und für die Fälle der Krankheit, der Berufsunfähigkeit, des Alters und des Todes sowie für die Folgen eines Dienstunfalles versichert (angestelltenversichert), wer im Inland bei einem oder mehreren Dienstgebern vorwiegend zu den dort genannten Diensten angestellt war.

Die Angestelltenversicherungspflicht setzte vor allem den Bestand eines Angestelltenverhältnisses voraus. Es war nur derjenige versicherungspflichtig, der zu den bestimmt genannten Diensten "angestellt" war, d. h. wenn er nach den Umständen des Falles diese Dienste im Betrieb des Dienstgebers und aufgrund von Dienstverträgen und nicht etwa im Rahmen eines eigenen Betriebes oder seiner selbständigen Beschäftigung ohne Vorliegen eines (freien) Dienstvertrages leistete (vgl. z.B. Kerber, Die gewerbliche Sozialversicherung, Seite 337).

Nach der damaligen Rechtslage waren Merkmale, aus deren Vorhandensein auf das Vorliegen eines Angestelltenverhältnisses geschlossen wurde, unter anderem ein Verfügungsrecht des Dienstgebers über die zeitliche Inanspruchnahme des Dienstnehmers, ein Bestimmungsrecht des Dienstgebers hinsichtlich der Art, in der die Tätigkeit verrichtet wurde, eine Bindung des Dienstnehmers an disziplinäre Verantwortlichkeit, eine engere Eingliederung in den Betriebsorganismus; Erfolg und Risiko der Tätigkeit des Dienstnehmers wirkten sich in erster Linie auf seiten des Dienstgebers aus und nur mittelbar auch auf den Dienstnehmer.

Ob diese Voraussetzungen im Beschwerdefall gegeben sind oder nicht, kann jedoch aufgrund der vorliegenden Angaben des damaligen Inhabers des Schönheitspflegeinstitutes nicht ausreichend beurteilt werden. Dieser hat anläßlich seiner Vernehmung vor der Wiener Gebietskrankenkasse am 29. Juli 1968 lediglich angegeben, die Tätigkeiten des Praktikums seien nur manueller Art, aber für den Betrieb von keinem wirtschaftlichen Wert gewesen. Es wäre jedoch erforderlich gewesen, den Inhaber zu den oben angeführten Kriterien der Versicherungspflicht zu vernehmen, wobei der Beschwerdeführerin auch Parteiengehör einzuräumen gewesen wäre. Der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Sachverhalt ist daher insofern ergänzungsbedürftig geblieben.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wäre ferner § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung der 44. Novelle anzuwenden gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 9. Juni 1992, Zl. 90/08/0229, ausführlich mit dieser Frage beschäftigt und unter bestimmten Voraussetzungen auch noch nach Inkrafttreten der 48. Novelle die Anwendung des § 502 Abs. 6 ASVG noch in der Fassung der 44. Novelle bejaht. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen. Der gegenständliche Beschwerdefall entspricht in Ansehung des maßgebenden Sachverhaltes und der entscheidenden Rechtsfrage jenem Fall, der dem Erkenntnis vom 9. Juni 1992 zugrunde lag. Aus denselben Erwägungen ist auch im vorliegenden Beschwerdefall § 502 Abs. 6 ASVG noch in der Fassung der 44. Novelle anzuwenden. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig.

Bei Anwendung der genannten Bestimmung in der Fassung der 44. Novelle wäre von der belangten Behörde aber auch zu prüfen gewesen, ob die Beschwerdeführerin, vor ihrer Auswanderung aus Gründen, AUF DIE SIE KEINEN EINFLUß HATTE, keine Beitrags- bzw. Ersatzzeiten zurückgelegt hat. Im Beschwerdeverfahren ist die belangte Behörde aufgrund ihrer verfehlten Auffassung, daß bereits § 502 Abs. 6 in der Fassung der 48. Novelle anzuwenden wäre, auf diese Frage nicht näher eingegangen. Es findet sich dazu lediglich der begründungslose Hinweis, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer verfolgungsbedingten Auswanderung in der Zeit, in der sie die private Schönheitspflegerinnen-Schule besucht habe, Beitrags- oder Ersatzzeiten hätte zurücklegen können. Ob dies allerdings tatsächlich möglich gewesen wäre, kann aufgrund des Fehlens jeglicher Feststellungen dazu durch den Gerichtshof nicht überprüft werden.

Da die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 7. November 1983, Zl. 83/10/0038, u.a.), war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage Rechtsquellen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1990080112.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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