TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/29 92/08/0032

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Veröffentlicht am 29.06.1993
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Index

L92057 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Tirol;

Norm

SHG Tir 1973 §7 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 31. Oktober 1991, Zl. Va-456-20.605/41-1991, betreffend Sozialhilfe nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 1986, Zl. 85/11/0260, und vom 24. Februar 1989, Zl. 87/11/0267, verwiesen.

Mit Ersatzbescheid vom 19. Dezember 1989 gab die belangte Behörde aufgrund der im zuletzt genannten Erkenntnis ausgesprochenen Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes der Berufung des Beschwerdeführers (teilweise) Folge und erkannte diesem eine Sozialhilfeleistung in Höhe von S 148.084,27 für die Zeit vom 17. Juli 1984 bis 26. Jänner 1989 zu. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer beantragte am 12. März 1991 Gewährung von Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Dieser Antragsstellung gingen ein an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gerichtetes Schreiben vom 4. Dezember 1990 mit der Bitte um Barunterstützung und ein an das Amt der Tiroler Landesregierung gerichtetes Schreiben vom 24. Jänner 1991 mit dem Ersuchen um Nachzahlung von Sozialhilfe ab 27. April 1989 voraus.

Mit Bescheid vom 15. Mai 1991 bewilligte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Abs. 3 lit. a iVm § 7 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 Tiroler Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 105/73 in der geltenden Fassung (Tir SHG), für die Dauer vom 12. März 1991 bis 31. August 1991 Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch Gewährung einer monatlichen Geldleistung von S 367,-- sowie einer im Mai 1991 gebührenden einmaligen Sonderzahlung von S 3.700,--. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer laut schriftlicher Mitteilung des Arbeitsamtes Innsbruck vom 11. April 1991 letztmalig am 13. Februar 1989 im geschlossenen Kundenempfang zwecks Arbeitsvermittlung vorgesprochen habe und in diesem Schreiben zum Ausdruck gebracht worden sei, daß nach Durchsicht der gemeldeten Stellen die Vermittlung einer Ganztagsbeschäftigung (z.B. Büroarbeiten ohne höhere Qualifikation) ab Mai 1989 möglich gewesen wäre. Daraus ergäbe sich, daß der Beschwerdeführer bei Aufrechterhalten des Kontaktes mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Arbeitsamtes ab Mai 1989 durchaus einer Ganztagsbeschäftigung hätte zugeführt werden können. Da der Beschwerdeführer seine eigenen Kräfte und Mittel zur Erlangung einer Vollbeschäftigung zweifellos nicht in dem Maße ausgeschöpft habe, um effizient seine Notlage zu beseitigen, habe er diese zumindest grob fahrlässig selbst herbeigeführt, sodaß gemäß § 7 Abs. 5 Tir SHG die Sozialhilfe auf das unerläßliche Mindestmaß einzuschränken gewesen sei. Die mit Bescheid zugesprochene Sozialhilfeleistung ergebe sich daher aus dem Differenzbetrag zwischen dem Betrag von S 3.700,--, welcher dem Existenzminimum bei Lohnpfändungen entspreche, und dem durchschnittlichen Monatseinkommen des Beschwerdeführers aus seiner Teilzeitbeschäftigung

(S 3.333,--).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. In der Begründung vertritt die belangte Behörde die Auffassung, mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 19. Dezember 1989 sei dem Beschwerdeführer FÜR DIE ZEIT VOM 17. JULI 1984 BIS

26. JÄNNER 1989 Sozialhilfe zuerkannt worden, die sozialhilferechtlichen Ansprüche des Beschwerdeführers seien sohin bis 26. Jänner 1989 festgesetzt gewesen. Nach diesem Zeitpunkt habe er aber erst am 12. März 1991 wieder einen Antrag auf Zuerkennung der Sozialhilfe gestellt. Weder beim Schreiben des Beschwerdeführers vom 4. Dezember 1990 an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck noch beim Schreiben des Beschwerdeführers vom 4. Jänner 1991 an das Amt der Tiroler Landesregierung habe es sich um konkrete Sozialhilfeanträge gehandelt. Der Beschwerdeführer habe lediglich in diesen Schreiben um Mitteilung ersucht, warum die ihm mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 19. Dezember 1989 zuerkannte Sozialhilfeleistung eingestellt worden sei, er habe niemals auf weitere Sozialhilfeleistungen verzichtet. Von einer "Einstellung" der Hilfeleistung könne daher nicht gesprochen werden. Laut Auskunft des Arbeitsamtes Innsbruck vom 11. April 1991 wäre darüberhinaus die Vermittlung einer Ganztagsbeschäftigung ab Mai 1989 möglich gewesen. Der Beschwerdeführer habe letztmalig am 13. Februar 1989 im geschlossenen Kundenempfang vorgesprochen. Ob er in der Informationsstelle des Arbeitsamtes wegen Vermittlung einer Arbeitsstelle vorgesprochen habe, könne nicht festgestellt werden, da darüber keine Aufzeichnungen geführt würden. Dadurch, daß der Beschwerdeführer ab Mai 1989 keinen Kontakt mit seinem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt mehr gepflogen habe, sei der Tatbestand des § 7 Abs. 5 Tir SHG erfüllt und die Sozialhilfe daher zu Recht auf das unerläßliche Mindestmaß eingeschränkt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 Tir SHG idF. der Nov. LGBl. Nr. 35/1989 ist Sozialhilfe nach den Bestimmungen dieses Gesetzes Personen zu gewähren, die sich in einer Notlage befinden. Nach § 1 lit. a leg. cit. befindet sich in einer Notlage iS dieses Gesetzes, wer den Lebensunterhalt für sich nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Gemäß § 2 Abs. 1 Tir SHG ist Sozialhilfe auf Antrag oder von Amts wegen zu gewähren.

Hinsichtlich des Zeitraumes bis einschließlich

11. März 1991 ist darauf zu verweisen, daß der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 15. Mai 1991 ausdrücklich über den "Antrag vom 12. März 1991" und inhaltlich über den Zeitraum vom 12. März bis 31. August 1991 abspricht. Da im erstinstanzlichen Bescheid aufgrund des Antrages vom 12. März 1991 Sozialhilfe ab diesem Tag der Antragstellung (12. März 1991) gewährt wurde, muß - insbesondere im Zusammenhang mit der gegebenen Begründung des erstinstanzlichen Bescheides - davon ausgegangen werden, daß ein weitergehender Abspruch über Ansprüche für den Zeitraum vor dem 12. März 1991 nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens und des erstinstanzlichen Bescheides gewesen war. Die Befugnis der Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden, erstreckt sich aber nur auf die "Sache" des Berufungsverfahrens, also auf den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde (vgl. u. a. hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1985, Zl. 85/07/0091, und vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0103, u.v.a.). Gegenstand des Berufungsbescheides kann daher im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG nur sein, was auch Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen war. Dadurch aber, daß die belangte Behörde in Verkennung dieses Umstandes auch über einen Zeitraum vor dem 12. März 1991 meritorisch abgesprochen hat, statt diesbezüglich die Berufung zurückzuweisen, hat sie ihre funktionelle Zuständigkeit überschritten und in diesem Umfange den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Inwieweit allenfalls für den Zeitraum vor dem 12. März 1991 ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Sozialhilfeleistung bestanden hat, wird Gegenstand eines (weiteren) Bescheides der ersten Instanz zu sein haben.

Für die Zeit ab 12. März 1991 sah sich die belangte Behörde - ausgehend von der Mitteilung des Arbeitsamtes Innsbruck vom 11. April 1991 - veranlaßt, die Bestimmung des § 7 Abs. 5 Tir SHG in Anwendung zu bringen, davon ausgehend, daß der Beschwerdeführer seine Kräfte und Mittel zur Erlangung einer Vollbeschäftigung nicht in zumutbarem Maße ausgeschöpft und seine Notlage (zumindest teilweise) daher grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im (den Beschwerdeführer betreffenden) Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, Zl. 85/11/0260, zum Ausdruck gebracht hat, kommt es bei der Prüfung, inwieweit der Hilfesuchende zum Einsatz der eigenen Kräfte bereit ist, nicht auf das Vorhandensein "freier Stellen" an sich an, sondern vielmehr darauf, ob der Hilfesuchende eine ihm konkret angebotene und im Sinne des § 7 Abs. 3 Tir SHG zumutbare Arbeit abgelehnt oder sonstwie vereitelt hat.

Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, hat der Beschwerdeführer im Verfahren wiederholt in seinen Eingaben seine Arbeitswilligkeit und Bemühungen zur Erlangung einer Ganztagsbeschäftigung beteuert und auch Nachweise über eine aufgrund eigener Initiative erlangte Teilzeitbeschäftigung erbracht.

Die Auskunft des Arbeitsamtes Innsbruck vom 11. April 1991 reicht im oben dargestellten Sinn daher zur Dartuung einer grob fahrlässigen Herbeiführung einer Notlage nicht aus. Die belangte Behörde wird vielmehr im fortzusetzenden Verfahren Feststellungen darüber zu treffen haben, auf welche Art und Weise die im Verwaltungsverfahren wiederholt behauptete Arbeitswilligkeit des Beschwerdeführers (in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ersuchen um Gewährung von Barunterstützung) nach außen erkennbar in Erscheinung getreten ist oder ob der Beschwerdeführer eine ihm konkret angebotene, zumutbare Arbeit abgelehnt oder sonstwie vereitelt hat. Dabei wird auch auf die Behauptung des Beschwerdeführers einzugehen sein, es gäbe für ihn beim zuständigen Arbeitsamt keine Betreuung im geschlossenen Kundenempfang, weil er im hier gegenständlichen Zeitraum bereits teilzeitbeschäftigt (und daher nicht mehr i.S. des § 12 AlVG arbeitslos) war. Im übrigen entbehrt die Annahme eines Endzeitpunktes der Sozialhilfeleistung (31. August 1991) im angefochtenen Bescheid jeglicher Begründung.

Die belangte Behörde belastete ihren Bescheid aus den oben dargelegten Gründen auch betreffend die Zeit ab dem 12. März 1991 mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodaß er zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080032.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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