TE Vwgh Beschluss 1993/6/29 93/08/0140

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Veröffentlicht am 29.06.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über den Antrag des J in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur Zl. 92/08/0034 eingebrachten Beschwerde den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Berichterverfügung vom 9. März 1993, Zl. 93/08/0034-2, wurde die zur genannten Zahl eingebrachte Beschwerde dem Rechtsvertreter des Antragstellers gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Behebung folgender Mängel der Beschwerde binnen 2 Wochen zurückgestellt:

"1) Es ist, sofern der Bescheid zugestellt worden ist, eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen (§ 28 Abs. 5 VwGG).

2) Es ist eine weitere Ausfertigung der Beschwerde für den Bundesminister für Arbeit und Soziales beizubringen (§§ 24 Abs. 1 und 29)."

Innerhalb der gesetzten Frist langte beim Verwaltungsgerichtshof folgender Schriftsatz des Rechtsvertreters des Antragstellers ein:

"In obiger Beschwerdesache lege ich durch meinen ausgewiesenen Rechtsvertreter die zurückgestellte Beschwerde einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen, ferner verbessert durch Vorlage der beiden Bescheide der beiden Instanzen in Original und je einer Kopie verbessert neuerlich vor."

Dem Schriftsatz waren - entsprechend seinem Inhalt - nur der Beschwerdeschriftsatz, der angefochtene Bescheid und der erstinstanzliche Bescheid, jeweils in zweifacher Ausfertigung, angeschlossen. Dem Punkt 2 der obgenannten Berichterverfügung wurde hingegen nicht entsprochen.

Daraufhin wurde wegen der nur teilweisen Befolgung des Mängelbehebungsauftrages das Beschwerdeverfahren mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. April 1993, Zl. 93/08/0034-5, eingestellt. Dieser Beschluß wurde dem Rechtsvertreter des Antragstellers am 25. Mai 1993 zugestellt.

Mit dem vorliegenden, am 2. Juni 1993 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag begehrt der Antragsteller, vertreten durch seinen bisherigen Rechtsvertreter, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Vorlage einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde für den Bundesminister für Arbeit und Soziales mit nachstehender Begründung:

"Durch die Zustellung des gegenständlichen Beschlusses vom 20.4.1993 habe ich bzw. mein ausgewiesener Rechtsvertreter erstmals vom Versehen erfahren.

In der seinerzeitigen Berichterverfügung wurde nicht nur der Auftrag zur Vorlage einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde erteilt, sondern (Punkt 1) auch der Auftrag erteilt, eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen.

Durch einen offenkundigen Irrtum, ein einmaliges Versehen der Kanzlei bzw. der Kanzleileiterin meines ausgewiesenen Rechtsvertreters, wurde wohl dem Punkt 1) des Berichterauftrages entsprochen, jedoch nicht dem Punkt 2), welcher ja nur die Übersendung einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde beinhaltete. Deren Übersendung unterblieb ganz offenkundig, wobei es sich um ein einmaliges Versehen der Kanzleileiterin meines ausgewiesenen Rechtsvertreters handelt, das durch die damalige überdurchschnittlich starke Tätigkeit bzw. den überdurchschnittlich starken Arbeitsanfall in der zweiten Märzhälfte erklärbar erscheint. Bei der üblichen, durchaus sorgfältigen Überprüfung der Arbeitstätigkeit der Kanzleileiterin durch meinen ausgewiesenen Rechtsvertreter konnte dieser den Irrtum schwer bemerken, weil ja vor allem zu prüfen war, daß die laut Berichterauftrag erteilte Frist eingehalten wird, was ja hinsichtlich des Punktes 1) des Berichterauftrages auch der Fall war.

Dem Auftrag laut Punkt 2) des Berichterauftrages wurde - wie schon ausgeführt - durch einen entschuldbaren Irrtum der Kanzleileiterin meines ausgewiesenen Rechtsvertreters nicht fristgerecht entsprochen.

BESCHEINIGUNGSMITTEL: Dr. H, Rechtsanwalt in W; M, Kanzleileiterin, p.A. Dr. H in W."

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen (auch nach der Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG durch die VwGG-Novelle BGBl. Nr. 564/1985 insofern aufrechterhaltenen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den Beschluß vom 22. Oktober 1990, Zl.90/12/0238, mit weiteren Judikaturhinweisen, sowie Pichler, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, Anw. 1990, 178 ff) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes (auch eines bei einem Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters: vgl. u.a. den Beschluß vom 8. November 1988, Zlen. 88/11/0159, 0236) dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlasssen hat.

Grundsätzlich muß in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, daß unter anderem auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert erscheint. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfaßt in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den Verwaltungsgerichtshof in Befolgung des Verbesserungsauftrages übermittelten Aktenstücke (vgl. dazu unter anderem den Beschluß vom 22. September 1983, Zl. 83/08/0108). Unterläuft jedoch dem (sonst verläßlichen) Kanzleibediensteten erst nach der Unterfertigung und Kontrolle eines fristgebundenen Schriftsatzes durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so ist dieser, sofern nicht nach der konkreten Fallgestaltung ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutritt, nicht dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) als Verschulden anzurechnen (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/12/0238, vom 25. Oktober 1990, Zl. 90/16/0163, vom 7. April 1992, Zl. 92/08/0059, vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0163, vom 22. Februar 1993, Zl. 92/15/0234, und vom 26. März 1993, Zl. 93/17/0065). Die regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflichten überspannen. Anders kann es sich verhalten, wenn schon aus dem vom Parteienvertreter unterfertigten Schriftsatz hervorgeht, daß damit dem Mängelbehebungsauftrag nur unvollständig entsprochen wurde (vgl. u.a. den Beschluß vom 26. März 1993, Zl. 93/17/0065, mit weiteren Judikaturhinweisen). Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt auch dann nicht, wenn sich zeigt, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht, ohne daß ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzugetreten wäre (vgl. auch dazu den Beschluß vom 26. März 1993, Zl. 93/17/0065).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens in § 46 Abs. 1 VwGG ist grundsätzlich der leichten Fahrlässigkeit gleichzustellen. An einen rechtskundigen Parteienvertreter ist allerdings ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. u.a. den Beschluß vom 27. Juni 1990, Zl. 90/18/0077).

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gesteckt ist (vgl. die Beschlüsse vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134, und vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/12/0238, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Macht er als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleibediensteten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, daß es zur Fehlleistung des Kanzleibediensteten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt im Sinne der obigen Ausführungen obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/08/0256, und vom 29. Jänner 1987, Zlen. 86/08/0240, 0241).

Bewertet man das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nach diesen rechtlichen Grundsätzen, so ist dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine nicht nur einen minderen Grad des Versehens bildende Verletzung der Überwachungspflicht anzulasten. Denn hätte die behauptete "übliche, durchaus sorgfältige Überprüfung der Arbeitstätigkeit der Kanzleileiterin" auch im konkreten Fall den genannten Anforderungen an die Aufsichts- und Kontrollpflichten des Rechtsvertreters des Antragstellers entsprochen, so hätte er bereits auf Grund eines einfachen Vergleiches des Inhaltes des Schriftsatzes an den Verwaltungsgerichtshof mit der Berichterverfügung "bemerken" müssen, daß die Kanzleileiterin dem Schriftsatz offensichtlich nicht auch die nach Punkt 2 dieser Verfügung erforderliche Urkunde angeschlossen hatte, und wäre ihm schon deshalb eine diesbezügliche Prüfung oblegen, enthält doch der Schriftsatz keinen Hinweis auf den Anschluß der nach Punkt 2 der Berichterverfügung erforderlichen Urkunde, sondern nur darauf, daß - über den Auftrag nach Punkt 1 der Berichterverfügung hinaus - die neuerliche Vorlage "verbessert durch Vorlage der beiden Bescheide der beiden Instanzen in Original und je einer Kopie" erfolge. Dem Rechtsvertreter des Antragstellers fällt daher in bezug auf die ihm nach den obigen rechtlichen Darlegungen obliegende Pflicht zur Überprüfung der Vollständigkeit der an den Verwaltungsgerichtshof in Befolgung des erteilten Verbesserungsauftrages übermittelten Aktenstücke ein Verschulden zur Last, das einen minderen Grad des Versehens übersteigt (vgl. in diesem Sinne auch die Beschlüsse vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278, und vom 25. September 1990, Zlen. 90/08/0149, 0150, 0162, 0163).

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993080140.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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