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L92053 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Niederösterreich;Norm
ASVG §105a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter über die Beschwerde der I in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in P, Herrengasse 4, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. September 1991, Zl. VII/1-B-14.921/1-91, betreffend Pflegegeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte am 4. Juni 1991 beim Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten die Zuerkennung von Pflegegeld nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfegesetz. Nach Einholung eines amtsärztlichen Sachverständigengutachtens, wonach die Beschwerdeführerin "zeitweise" der Hilfe durch eine andere Person zur Besorgung von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Heizmaterial und sonstigen lebenswichtigen Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfes sowie zum Waschen der Leib- und Bettwäsche und "dauernd" der Hilfe durch eine andere Person zum Aufräumen und zur Reinigung der Wohnung bedarf, wurde dieser Antrag mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt St. Pölten vom 1. Juli 1991 im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Beschwerdeführerin bedürfe für einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen nicht dauernd der Wartung und Hilfe durch eine andere Person, sodaß demnach die für den Anspruch auf Pflegegeld normierten Tatbestandsmerkmale nicht gegeben seien.
Die Beschwerdeführerin erhob dagegen fristgerecht Berufung, in der sie sich im wesentlichen gegen die amtsärztliche Beurteilung ihres Gesundheitszustandes wandte.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten. In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, die Beurteilung des Amtssachverständigen habe ergeben, daß die Beschwerdeführerin bis auf das Aufräumen und Reinigen der Wohnung sämtliche lebensnotwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens selbst durchführen könne. Die Beschwerdeführerin sei daher nicht auf ständige Wartung und Hilfe durch eine andere Person angewiesen. Der für die Tätigkeiten, zu denen die Beschwerdeführerin Hilfe bedürfe, benötigte Aufwand erreiche - selbst wenn man die Kosten einer Haushaltshilfe mit S 80,-- ansetze - nicht die Höhe des monatlichen Pflegegeldes der niedrigsten Stufe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Unbegründet ist zunächst der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach der Amtssachverständige lediglich ihren Gesundheitszustand zu dokumentieren und zu begutachten gehabt hätte, durch die Feststellung aber, daß sie bis auf das Aufräumen und Reinigen der Wohnung sämtliche lebensnotwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens selbst durchführen könne, eine unzulässige rechtliche Schlußfolgerung vorgenommen habe. Dem ist entgegenzuhalten, daß es Aufgabe des medizinischen Sachverständigen ist, aufgrund seines Fachwissens festzustellen, für welche Verrichtungen und in welcher Intensität jemand der Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf. Die Behörde hat sodann die Rechtsfrage zu lösen, ob durch den festgestellten Bedarf nach Wartung und Hilfe überhaupt ein und bejahendenfalls welcher Tatbestand des § 33 Abs. 3 Niederösterreichisches Sozialhilfegesetz (NÖ SHG) verwirklicht ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1985, Zl. 83/11/0122).
Die Richtigkeit des im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten amtsärztlichen Gutachtens wurde aufgrund der Rechtsmittelausführungen im Berufungsverfahren einer Überprüfung unterzogen, mit dem Ergebnis, dieses stehe auch mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befundbericht des Krankenhauses der Landeshauptstadt St. Pölten im Einklang.
Nach § 33 Abs. 3 des NÖ SHG hat ein Pflegebedürftiger, der seinen ordentlichen Wohnsitz in Niederösterreich besitzt und das 18. Lebensjahr vollendet hat, dann Anspruch auf Pflegegeld, wenn er
a) für einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen dauernd der Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf, oder
b) für die lebenswichtigen wiederkehrenden Verrichtungen dauernd der Wartung und Hilfe in erheblichem Umfange durch eine andere Person bedarf oder dauernd vorwiegend bettlägrig ist oder
c) der dauernden, ununterbrochenen und außergewöhnlichen Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf.
Da durch das Pflegegeld der durch die Pflegebedürftigkeit verursachte Mehraufwand abgegolten werden soll, wurde vom Gesetzgeber entsprechend der graduellen Abstufung der Pflegebedürftigkeit auch das zuzuerkennende Pflegegeld entsprechend den Schweregraden der Pflegebedürftigkeit in seiner Höhe differenziert. In den Fällen des Abs. 3 lit. a leg. cit erscheint demnach pflegebedürftig, wer einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen, das sind die Grunderfordernisse des täglichen Lebens wie Waschen, Anziehen, Essen usw. nicht selbständig (ohne Anleitung) besorgt oder besorgen kann. Der Begriff setzt daher voraus, daß ohne Hilfeleistung dritter Personen der Pflegebedürftige in seiner menschlichen Existenz bedroht würde. Nicht erforderlich ist, daß eine ununterbrochene Wartung und Hilfe benötigt wird; auch nicht, daß die Wartung und Hilfe unmittelbar erbracht werden muß. Es genügt die Anleitung zu den erwähnten Tätigkeiten des täglichen Lebens durch eine andere Person. Voraussetzung ist jedoch stets, daß sich der Pflegebedürftige wegen seiner Krankheit, seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Leiden oder Gebrechen in seinem Zustand vom Befinden gleichartiger, nicht pflegebedürftiger Bevölkerungsschichten unterscheidet. Es ist daher kein Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 3 lit. a NÖ SHG, daß für ALLE lebenswichtigen wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens Wartung und Hilfe benötigt wird (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 91/08/0076).
Die belangte Behörde geht davon aus, daß die Beschwerdeführerin deshalb keinen Anspruch auf Pflegegeld habe, weil der für die Tätigkeiten benötigte Aufwand, zu denen die Beschwerdeführerin Hilfe bedürfe, selbst wenn man die Kosten einer Haushaltshilfe mit S 80,-- ansetze, nicht die Höhe des monatlichen Pflegegeldes der niedrigsten Stufe erreiche.
Der Umstand, daß die belangte Behörde in Anlehnung an die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 105a ASVG, den Anspruch auf Pflegegeld allein aus dem Grund verneint hat, weil die mit dauernder Wartung und Hilfe verbundenen Kosten unter dem Betrag an Pflegegeld der niedrigsten Stufe lagen, entspricht nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu das Erkenntnis vom 20. November 1985, Zl. 83/11/0141), sodaß der angefochtene Bescheid schon diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ist.
Unabhängig davon hat sich die belangte Behörde mit der im amtsärztlichen Gutachten enthaltenen "Feststellung", wonach die Beschwerdeführerin nicht nur "dauernd" zum Aufräumen und zum Reinigen der Wohnung, sondern auch "zeitweise" der Hilfe durch eine andere Person zur Besorgung von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Heizmaterial und sonstigen lebenswichtigen Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfes sowie zum Waschen der Leib- und Bettwäsche bedarf, nicht auseinandergesetzt (daß diese Begriffe im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Sachverständigenbefundes durch die belangte Behörde zu interpretieren sind, wurde bereits u.a. im hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1985, Zl. 83/11/0122, dargetan). Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren im einzelnen aufzuklären haben, ob es sich bei dieser teils dauernden, teils "zeitweisen" Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin um eine solche im Sinne des § 33 Abs. NÖ SHG handelt, wobei der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 91/08/0076, bereits zum Ausdruck gebracht hat, daß "dauernde" Hilfsbedürftigkeit schon dann vorliegt, wenn es sich um einen längere Zeit anhaltenden Zustand handelt, dessen Ende in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Bedarf eine Person auf Grund eines solchen "dauernden Zustandes" für lebenswichtige (wenn auch nicht tägliche, sondern nur "zeitweise") wiederkehrende Verrichtungen der Hilfe durch eine andere Person, so ist der Anspruch auf Pflegegeld nach § 33 Abs. 3 lit. a oder b NÖ SHG zu bejahen.
Da der angefochtene Bescheid schon aus den oben angeführten Gründen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992080049.X00Im RIS seit
13.07.2001