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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Zuständigkeit der Grundverkehrsbehörde erster Instanz als Kollegialbehörde bei bestehendem Zweifel an der Nichtanwendbarkeit des Tir GVG 1983; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verweigerung einer Sachentscheidung infolge fälschlicher Annahme der Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde wegen Fehlens eines entsprechenden AntragsSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 16.500,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit einer an die "Bezirkshauptmannschaft, Grundverkehrsbehörde Kitzbühel-Stadt" gerichteten Eingabe ersuchten die Beschwerdeführer um Erteilung einer Bestätigung gemäß §2 Abs2 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1983, LGBl. Nr. 69/1983 idF LGBl. Nr. 45/1988 (im folgenden: GVG 1983), für einen am 29. März/15. Mai 1985 abgeschlossenen Kaufvertrag über 116/284 Anteile der Liegenschaft EZ 833 GB Kitzbühel-Stadt, mit denen das Wohnungseigentum an der Wohnung Top 2 im Haus Ebersberg, 6370 Kitzbühel, Franz-Reisch-Straße 10, untrennbar verbunden ist.
Der Antrag wurde damit begründet, daß die Bestimmungen des GVG 1983 keine Anwendung fänden; mit Erkenntnis VfSlg. 11073/1986 habe der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß ein Vertrag über ein nicht unter §1 Abs1 Z1 GVG 1983 fallendes Grundstück, der von einer holländischen natürlichen oder juristischen Person vor dem 30. Juni 1985 geschlossen wurde, rechtswirksam sei, ohne Rücksicht darauf, ob die Grundverkehrsbehörde damit schon vor dem 1. Juli 1985 oder erst nachher befaßt wurde. Durch eine notarielle Bestätigung vom 2. Februar 1989 sei klargestellt, daß der Abschluß des in Rede stehenden Rechtsgeschäftes vor dem Stichtag erfolgt sei (der "klarstellende" Hinweis erfolgte offenkundig deshalb, weil der die Unterschrift der Käuferin beglaubigende Vermerk das Datum 6. August 1985 trägt). Die Gesuchsteller richteten an den Vorsitzenden der Grundverkehrsbehörde das Ersuchen, eine (Negativ-)Bestätigung gemäß §2 Abs2 GVG 1983 auszustellen.
1.2. Mit Bescheid vom 11. April 1989 sprach die gemäß §13 Abs1 lita GVG 1983 gebildete Grundverkehrsbehörde Kitzbühel als Kollegium gemäß §2 Abs1 GVG 1983 aus, daß der in Rede stehende Rechtserwerb nicht den Bestimmungen des Grundverkehrsgesetzes unterliegt.
Begründend wurde ausgeführt, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß das Vertragsobjekt im Flächenwidmungsplan als im Wohngebiet liegend ausgewiesen sei; da es sich bei der Käuferin um eine holländische juristische Person handle, unterliege das Kaufobjekt nicht den grundverkehrsrechtlichen Bestimmungen.
2.1. Offensichtlich ausgehend von der - verfehlten - Annahme, daß der Bescheid vom Vorsitzenden als monokratisches Organ der Grundverkehrsbehörde erlassen wurde, erhob der Landesgrundverkehrsreferent dagegen Berufung und beantragte, - weil Zweifel darüber bestünden, ob der in Rede stehende Rechtserwerb den Bestimmungen des GVG 1983 unterliege - den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit des Vorsitzenden der Grundverkehrsbehörde zu beheben und dem vorliegenden Rechtserwerb die Zustimmung zu versagen. Gegen die Annahme, daß das Rechtsgeschäft tatsächlich am 29. März bzw. 15. Mai 1985 vereinbart worden sei, spreche, daß eine Gebührenanzeige nicht ausgewiesen sei; dies und das Datum der Beglaubigung der Unterschriften legten den Schluß nahe, daß das Rechtsgeschäft nicht zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden sei, der noch unter die "Gleichstellungsbestimmungen" des Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Republik Österreich und dem Königreich der Niederlande, BGBl. Nr. 299/1930, falle.
2.2. Mit Bescheid der Landesgrundverkehrsbehörde beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 28. November 1989, Z LGv - 742/4, wurde der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der nach §13 Abs1 lita GVG 1983 eingerichteten Grundverkehrsbehörde behoben.
Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:
"Dem Spruch des angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, daß die getroffene Entscheidung der nach §13 Abs1 lita GVG 1983 berufenen Kommission als Grundverkehrsbehörde I. Instanz zuzurechnen ist.
Aus §2 Abs3 litb GVG 1983 im Zusammenhalt mit §15 leg.cit. ergibt sich nunmehr, daß die Grundverkehrsbehörde als Kollegialorgan nur dann eine Entscheidung im Sinne des §2 Abs1 GVG 1983 treffen kann (muß), wenn ein diesbezügliches Parteienbegehren vorliegt ('antragsbedürftiges Verfahren'). Die Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes ohne entsprechenden Antrag belastet einen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH. vom 29.1.1979, Zl. 1088/78). Ferner ist der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen; wird die sachliche Zuständigkeit auch nur in unterer Instanz gesetzwidrig in Anspruch genommen, so ist das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, und zwar auch dann, wenn in oberster Instanz die zuständige Behörde eingeschritten ist ...
In Anbetracht dieser Rechtslage erübrigt sich eine nähere Erörterung des übrigen Rechtsmittelvorbringens des Berufungswerbers, weil ... der Antrag ... im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich auf die Erteilung einer (Negativ-)Bestätigung gemäß §2 Abs2 GVG 1983 durch den Vorsitzenden der Grundverkehrsbehörde Kitzbühel lautet. Ein derartiges Parteienbegehren schließt aber die Zuständigkeit der Grundverkehrsbehörde als Kollegialorgan ... aus, weil dieser im Verfahren nach §2 Abs2 leg.cit. (Zuständigkeit des Vorsitzenden der Grundverkehrsbehörde) keine wie immer geartete Entscheidungsbefugnis zusteht. Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten ist es auch unzulässig, dem Begehren der Partei entgegen ihrem erklärten Willen eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann. Dies gilt auch für den Fall, daß das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos bzw. gar unzulässig ist (siehe dazu auch das Erk. d. VwGH. vom 29.2.1972, Zl. 232/1971). ...
... Im unmittelbar fortzusetzenden Verfahren wird nunmehr die von den Parteien angerufene Behörde, nämlich der Vorsitzende der Grundverkehrsbehörde Kitzbühel, über den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung einer (Negativ-)Bestätigung im Sinne des §2 Abs2 GVG 1983 zu entscheiden haben."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1. Eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird von den Beschwerdeführern behauptet, weil die belangte Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet habe. Gemäß §2 Abs2 GVG 1983 habe der Vorsitzende der Grundverkehrsbehörde eine Bestätigung darüber auszustellen, daß ein Grundstück den Bestimmungen des Grundverkehrsgesetzes nicht unterliegt, wenn dies zweifelsfrei feststehe. Bestehen diesbezüglich Zweifel, so ist gemäß §2 Abs1 GVG 1983 die - nach §13 Abs1 leg.cit. zusammengesetzte - Grundverkehrsbehörde als Kollegium zur Entscheidung berufen. Im vorliegenden Fall habe die gemäß §13 Abs1 lita GVG 1983 gebildete Grundverkehrsbehörde die Negativbestätigung erlassen; dies findet in §2 Abs1 iVm §2 Abs3 litb GVG 1983 Deckung. Die Grundverkehrsbehörde erster Instanz sei demnach nicht unzuständig gewesen. Die belangte Behörde habe das Gesetz somit denkunmöglich angewendet und die Beschwerdeführer in den genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
4.2. Die Beschwerde ist begründet:
Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11061/1986 ausgesprochen hat, hat der Vorsitzende der Grundverkehrsbehörde auf Antrag einer Partei (nur dann) eine schriftliche Bestätigung gemäß §2 Abs2 GVG 1983 zu erteilen, wenn zweifelsfrei feststeht, daß ein den Gegenstand eines Rechtserwerbes im Sinne des §3 Abs1 GVG 1983 bildendes Grundstück den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht unterliegt, während im Zweifel darüber, ob ein Grundstück diesem Gesetz unterliegt, die Grundverkehrsbehörde als Kollegialorgan zu entscheiden hat. Daß im vorliegenden Fall Zweifel darüber, ob das Rechtsgeschäft den Bestimmungen des Grundverkehrsgesetzes unterliegt, bestanden, die einer Sachentscheidung durch die Grundverkehrsbehörde als Kollegium nach §2 Abs1 GVG 1983 bedurften, liegt offenkundig auch der Auffassung der belangten Behörde zugrunde. Die Unzuständigkeit der gemäß §13 Abs1 lita GVG 1983 gebildeten Grundverkehrsbehörde erster Instanz wird von der belangten Behörde ausschließlich damit begründet, daß diese den Bescheid ohne Antrag erlassen habe.
Dabei übersieht die belangte Behörde jedoch, daß ein Antrag der Beschwerdeführer vorlag; obschon der an die Grundverkehrsbehörde gerichtete Antrag auch ein an den Vorsitzenden der Grundverkehrsbehörde gerichtetes Gesuch enthielt, eine Bestätigung gemäß §2 Abs2 GVG 1983 auszustellen, kann kein Zweifel bestehen, daß das Ziel der "an die Bezirkshauptmannschaft Grundverkehrsbehörde Kitzbühel-Stadt" gerichteten Eingabe war, von der Behörde eine bescheidmäßige Erledigung, daß das Kaufobjekt den Bestimmungen des GVG 1983 nicht unterliege, zu erhalten. Ob die Grundverkehrsbehörde erster Instanz darüber als Kollegium oder durch ihren Vorsitzenden zu entscheiden hat, hängt aber ausschließlich davon ab, ob aufgrund des zu beurteilenden Sachverhaltes Zweifel an der Nichtanwendbarkeit des GVG 1983 bestehen oder nicht. Diese Frage ist ausschließlich von der Behörde selbst zu entscheiden. Allein von ihrer Beurteilung der Frage, ob ein Zweifelsfall vorliegt, und nicht vom Willen eines Antragstellers hängt es demnach ab, ob die Grundverkehrsbehörde erster Instanz als Kollegium oder durch ihren Vorsitzenden zu entscheiden hat.
Es kann daher der belangten Behörde nicht gefolgt werden, daß der Bescheid erster Instanz ohne Vorliegen eines Antrages unzuständigerweise erlassen wurde.
Da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgeht, daß die Grundverkehrsbehörde erster Instanz die Negativbestätigung ohne Antrag erlassen habe, und die kollegial zusammengesetzte Grundverkehrsbehörde erster Instanz im Hinblick auf die bestehenden Zweifel, ob das Kaufobjekt Gegenstand eines Rechtserwerbes im Sinne des §3 Abs1 GVG 1983 ist, zuständig war, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, über die Berufung meritorisch zu entscheiden. Den Beschwerdeführern wird somit durch den angefochtenen Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Der Vorwurf der Beschwerdeführer trifft daher zu, daß der angefochtene Bescheid sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4.3. Der Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den Kosten sind S 2.750,-- an USt enthalten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Grundverkehrsrecht, Kollegialbehörde, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:B176.1990Dokumentnummer
JFT_10089775_90B00176_00