Index
19 Völkerrechtliche VerträgeNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgteLeitsatz
Verletzung im Recht auf Unterlassung erniedrigender Behandlung durch Versetzen von Stößen auf rutschigem Boden bzw. Entkleiden des Oberkörpers einer Beschwerdeführerin; Zurückweisung der Beschwerden gegen sonstige, nicht erwiesene MißhandlungenSpruch
I. Die beschwerdeführenden Parteien sind am 12. August 1988 im Hause 1060 Wien, Aegidigasse Nr. 13, dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verletzt worden, daß ihnen im Zuge der Räumung dieses Hauses von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien Stöße verabreicht wurden, sodaß sie Gefahr liefen, zu Boden zu stürzen, und zum Teil auch stürzten, die Beschwerdeführerin E M auch dadurch, daß sie von einem Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien teilweise entkleidet wurde.
II. Im übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den nachstehend angeführten beschwerdeführenden Parteien zu Handen ihrer Vertreter binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution die Verfahrenskosten zu ersetzen, die mit den folgenden Beträgen bestimmt werden:
a) S K 36.500,-- S,
b) R F 31.500,-- S,
c) W G 18.642,86 S,
d) E P 18.642,86 S,
e) K K 18.642,86 S,
f) D B 18.642,86 S,
g) M F 18.642,86 S,
h) S D 18.642,86 S,
i) H K 27.750,-- S,
j) M P 21.125,-- S,
k) B K 16.125,-- S,
l) E M 21.125,-- S,
m) M W 21.125,-- S,
n) M Fr 21.125,-- S,
o) P S 3.666,67 S,
p) W H 3.666,67 S,
q) J S 41.333,33 S,
r) R K 56.166,67 S,
s) J P 19.458,33 S,
t) E S 25.750,-- S,
u) G P 21.138,88 S,
v) P St 15.472,22 S,
w) R S 20.472,22 S,
x) C T 15.805,55 S,
y) G T 15.805,55 S,
z) A Z 16.472,22 S,
aa) U S 16.472,22 S,
bb) A W 25.125,-- S,
cc) T E 15.805,55 S,
dd) M R 15.805,55 S,
ee) B F 15.976,19 S,
ff) R N 25.125,-- S.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Folgende Personen begehrten in (Einzel-)Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 (Abs1) B-VG die kostenpflichtige Feststellung, sie seien am 12. August 1988 im Hause 1060 Wien, Aegidigasse Nr. 13, durch - der Bundespolizeidirektion Wien als belangter Behörde zuzurechnende und als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu wertende - Amtshandlungen von Sicherheitswachebeamten im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art3 EMRK verletzt worden, nämlich
a) S K durch Schläge (mit Schlagstöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1605/88),
b) R F durch Schläge (mit Schlagstöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1606/88),
c) W G durch Schläge (mit Schilden bzw. Stöcken auf den Kopf), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1611/88),
d) E P durch Schläge (mit Schilden bzw. Stöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1612/88),
e) K K durch Schläge (mit Schilden bzw. Stöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1613/88),
f)
D B durch Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1614/88),
g)
M F durch Schläge (mit Stöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1616/88),
h) S D durch Schläge (mit Stöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1617/88),
i) H K durch Schläge (mit Stöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B1623/88),
j) M P durch Schläge, Tritte und Stöße sowie durch Beschimpfen und Bespritzen mit Wasser (protokolliert zum AZ B1625/88),
k) B K durch Schläge, Tritte und Stöße sowie Beschimpfen (protokolliert zum AZ B1626/88),
l) E M durch Schläge, Tritte und Stöße, ferner Beschimpfen und Bespritzen mit Wasser, sowie durch Vornahme einer Leibesvisitation (protokolliert zum AZ B1627/88),
m) M W durch Schläge, Tritte und Stöße, weiters Beschimpfen und Bespritzen mit Wasser (protokolliert zum AZ B1628/88),
n) M Fr durch Schläge, Tritte und Stöße sowie durch Beschimpfen (protokolliert zum AZ B1629/88),
o) P S durch Schläge (mit Stöcken und Schilden), Tritte und Stöße (auch in die Nierengegend) (protokolliert zum AZ B1630/88),
p) W H durch einen Schlag (ins Gesicht), Tritte (davon einen auf das Brustbein) und Stöße (protokolliert zum AZ B1631/88),
q) J S durch "Mißhandlung", Schläge (mit Schlagstöcken), Tritte und "Prügel" (protokolliert zum AZ B205/90 = ausgeschieden aus AZ B1601/88),
r) R K durch Schläge (mit Gummiknüppeln) und Tritte (protokolliert zum AZ B206/90 = ausgeschieden aus AZ B1610/88),
s) J P durch Schläge (mit Schlagstöcken), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B207/90 = ausgeschieden aus AZ B1622/88),
t) E S durch einen Faustschlag, Stockschläge, Stöße und Tritte (protokolliert zum AZ B208/90 = ausgeschieden aus AZ B1624/88),
u) G P durch Stellen eines Beines, Stöße und Tritte, verbunden mit einer - als Verletzung des Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums bezeichneten - Beschädigung eines Radioapparates (protokolliert zum AZ B209/90 = ausgeschieden aus AZ B1632/88),
v) P St durch Schläge, Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B210/90 = ausgeschieden aus AZ B1633/88),
w) R S durch Stellen eines Beines, Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B211/90 = ausgeschieden aus AZ B1634/88),
x) C T durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B212/90 = ausgeschieden aus AZ B1635/88),
y) G T durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B213/90 = ausgeschieden aus AZ B1636/88),
z) A Z durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B214/90 = ausgeschieden aus AZ B1637/88),
aa) U S durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B215/90 = ausgeschieden aus AZ B1638/88),
bb) A W durch Schläge mit Knüppeln, Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B216/90 = ausgeschieden aus AZ B1639/88),
cc) T E durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B217/90 = ausgeschieden aus AZ B1643/88),
dd) M R durch Schläge (mit und ohne Stock), Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B218/90 = ausgeschieden aus AZ B1644/88),
ee) B F durch Stockschläge, Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B219/90 = ausgeschieden aus AZ B1646/88) und
ff) R N durch Schläge mit Knüppeln, Ohrfeigen, Tritte und Stöße (protokolliert zum AZ B220/90 = ausgeschieden aus AZ B1648/88).
1.1.2. Die Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde erstattete Gegenschriften, worin sie die gerügten Vorkommnisse, insbesondere Mißhandlungen (der Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen) welcher Art immer, bestritt und für die kostenpflichtige Zurückweisung, hilfsweise aber für die Abweisung aller Beschwerden eintrat.
1.2. Sämtliche Beschwerdeverfahren (AZ B1605/88, B1606/88, B1611 bis 1614/88, B1616/88, B1617/88, B1623/88, B1625 bis 1631/88 und B205 bis 220/90) wurden in Handhabung des §187 Abs1 und §404 Abs2 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 - aus Zweckmäßigkeitsgründen - zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Über die Beschwerden wurde erwogen:
2.1. Vorausgeschickt wird, daß alle zu Punkt 1.2. bezeichneten, beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 bereits anhängig gewesenen Verfahren (über Beschwerden gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt) kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, nach der "bisherigen" Rechtslage, d.h. nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1990, zu Ende zu führen sind.
2.2. Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens, und zwar insbesondere der Aussagen der einvernommenen Zeugen M Ro, H B, E K, W B, G S, A H, G M, He S, M G, M T, R S, P G, P P, H M, C L, T D, H S, H R, J Z, D F, P B, E B, M M, C F, W Z, M R, G H, E T, H St, G Z, F R und F K und der Akten AZ 23c Vr 8033/88 und AZ 26a Vr 2125/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (einschließlich der vorliegenden Administrativakten) sowie der im Vorverfahren abgelegten Parteiaussagen (S K, W G, E P, K K, D B, M F, S D, H K, M P, E M, M W, M Fr, W H, J S, R K, E S, G P, P St, R S, C T, G T, A Z, U S, A W, T E, M R, B F und R N) in Verbindung mit dem Inhalt der Beschwerdeschriften stellte der Verfassungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
2.2.1.1. Nach polizeilichen Meldungen und Berichten wurde das Gebäude 1060 Wien, Spalowskygasse Nr. 3, (spätestens) am 11. August 1988 von zahlreichen Personen demonstrativ besetzt und verbarrikadiert. Einschreitende Polizeiorgane wurden, wie diese Berichte zum Ausdruck bringen, teils unter Verwendung von (gefährlichen) Gegenständen, so auch von sog. Molotow-Cocktails und Steinschleudern, gewalttätig angegriffen. Die Hausbesetzer flüchteten in der Folge in das Haus 1060 Wien, Aegidigasse Nr. 13, das am 12. August 1988 morgens polizeilich geräumt werden sollte. Als Vertreter der Bundespolizeidirektion Wien waren damals die Konzeptsbeamten W Z und G Z anwesend; ferner befanden sich Dr. P S als Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, der einen Befehl zur Durchsuchung des Hauses Aegidigasse Nr. 13 schriftlich erteilt hatte, und Dr. H K als Journaldienst versehender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wien an Ort und Stelle. Auf Anordnung des Richters wurde unter Zuhilfenahme eines Megaphons verkündet, daß sich alle Hausinsassen - auch im Hinblick auf den erlassenen Hausdurchsuchungsbefehl - "dem Gericht zu stellen haben". Nach Gewährung einer kurzen (Aufschubs-)Frist, die ungenützt verstrich, drangen dann Sicherheitswachebeamte (ab 6 Uhr 50) in das Gebäude unter gewaltsamer Entfernung der von den Besetzern errichteten Hindernisse (Barrikaden) ein und bis in den zweiten Stock vor, wo sich die Hausbesetzer (einschließlich des (seiner Darstellung nach) aus beruflichem Interesse über eine Leiter in das Haus eingestiegenen Beschwerdeführers R K) in einem Raum versammelt hatten. Dort nahmen sie insgesamt 53 Personen fest, darunter auch die beschwerdeführenden Parteien. (Beschwerden gegen diese nach den Verfahrensergebnissen gerichtlich verfügten Anhaltungen wurden vom Verfassungsgerichtshof inzwischen (als unzulässig) zurückgewiesen, und zwar mit Beschlüssen vom 7. März 1990 (zu jenen AZ, aus welchen die in Abschnitt 1.1.1. q) und s) bis ff) aufgezählten Beschwerden ausgeschieden wurden).)
Die Festgenommenen wurden noch im zweiten Stock perlustriert (um sicherzustellen, daß sie keine Waffen bei sich trügen) und danach ins Erdgeschoß geschickt, wo ein Raum als Arrestantenraum diente. Nach der Perlustrierung war ihnen allen aufgetragen worden, eine Hand in die Höhe zu halten, damit sich die Beamten sicher fühlen konnten.
2.2.1.2. Die Festgenommenen wurden ins Erdgeschoß nicht eskortiert; vielmehr mußten sie einzeln die Stiege (Wendeltreppe) hinuntergehen. An den Seiten des Stiegenhauses standen im Abstand von jeweils ein paar Stufen Sicherheitswachebeamte, die mit einer Hand ihre Plastikschilde hielten. Das Stiegenhaus war naß und rutschig, weil die Sicherheitswache, um das Herauswerfen von Gegenständen zu verhindern, die Fassade des Hauses aus Feuerwehrschläuchen besprüht hatte und dadurch Wasser ins Gebäude eingedrungen war und weil außerdem die Besetzer verschiedene Flüssigkeiten ausgeschüttet hatten. Einige der Beamten hielten sich mit der freien Hand am Handlauf fest, um nicht auszurutschen.
Da alle paar Stufen Beamte aufgestellt waren, konnten die Festgenommenen sich nicht oder doch nicht während des ganzen Abganges am Handlauf abstützen. Um sturzfrei ins Erdgeschoß zu kommen, hätten sie angesichts der geschilderten Bodenbeschaffenheit jedenfalls sehr langsam gehen müssen. Wachebeamte trieben sie aber offensichtlich zu schneller Gangart an und stießen sie - die notgedrungen langsam gingen, mitunter auch zögernd auf einer Stufe verharrten - gewaltsam weiter, sodaß sie - wie für alle Anwesenden ersichtlich - ausrutschen mußten und zu Fall kommen konnten. Festgenommene, die solcherart ausgeglitten waren und notgedrungen versuchten, sich an Wachebeamten oder an deren Schilden festzuhalten, um nicht die Stiege hinabzustürzen, wurden gleichfalls mit Gewalt weitergestoßen; andere wieder, die bereits gefallen waren, wurden aufgezerrt und erhielten ebenfalls Stöße versetzt. Die fortdauernde Gewaltanwendung endete erst, als alle Festgenommenen im Arrestantenraum eingelangt waren.
2.2.2. Nach bereits abgeschlossener Perlustrierung noch im zweiten Stock des Hauses hatte ein (namentlich nicht ausgeforschter) Polizeibeamter die festgenommene Beschwerdeführerin E M teilweise entkleidet, indem er ihr den Pullover hochzog.
2.2.3.1. In Würdigung und Wägung der Beweisergebnisse zur Frage der Gewaltanwendung hatte der Verfassungsgerichtshof bei seinen Sachverhaltsfeststellungen zunächst in Betracht zu ziehen, daß völlig unbeteiligte und unbefangene Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen. Denn zur kritischen Zeit waren im Gebäude Aegidigasse Nr. 13 nur die Festgenommenen selbst und einschreitende Sicherheitsorgane anwesend, die in den Beschwerdeschriften der eingangs (zu Abschnitt 1.1.1.) näher bezeichneten (gewaltsamen) Übergriffe beschuldigt werden. Die vernommenen Beamten suchen ihr damaliges Verhalten im wesentlichen als vollkommen korrekt und dienstvorschriftsmäßig hinzustellen; die beschwerdeführenden Parteien wieder sprechen von insgesamt groben Mißhandlungen (teils mit Schlagstöcken). Zwar vermag der Verfassungsgerichtshof - unter Berücksichtigung der sich darbietenden Beweislage - nicht mit letzter Gewißheit auszuschließen, daß beide Gruppen die relevanten Vorkommnisse - jeweils nach Interessenlage - subjektiv gefärbt auf eine Art und Weise schildern, die nicht in allen Einzelheiten volle Glaubwürdigkeit verdient. Nicht anzuzweifeln sind aber nach Überzeugung des Gerichtshofs die Sachverhaltsdarstellungen aller Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen in ihren wesentlichen Punkten insoweit, als sie (namentlich nicht identifizierten) Sicherheitswachebeamten, die, zum Teil Staubmasken tragend, im Stiegenhaus postiert waren, das Versetzen von Stößen während des Hinabsteigens in das Erdgeschoß bis zum Eintreffen im Arrestantenzimmer (in teils drastischer Umschreibung) zur Last legen: Diese Vorwürfe finden nämlich im Kern ihre grundsätzliche und hinlängliche Stütze in den Zeugenaussagen einiger Polizeiorgane, die bestätigen, daß Festgenommene damals tatsächlich - immer wieder - gewaltsam (weiter-)gestoßen wurden.
So räumte der Zeuge He S ein, daß er Personen "wegstieß", die sich an ihm festhalten wollten, um nicht niederzufallen. Auch der Zeuge G S sagte aus, daß die Festgenommenen "weitergeschoben" ("weitergehantelt") wurden. Der Zeuge P P sprach - im gegebenen Zusammenhang - vom "Nachhelfen durch Körperkraft". Des weiteren bekundete der Zeuge A H, daß die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen von "Spalier" bildenden und mit Schilden bewehrten Sicherheitswachebeamten (über die Stiegen) "herunter gezerrt und weitergestoßen" wurden und so zu Sturz kamen. Wenn Gestürzte, von Beamten "aufgezerrt", stehenblieben, bekamen sie - nach Aussage des Zeugen G M - einen "Schubser". Manche der Gestürzten - so dieser Zeuge - suchten sich irgendwo festzuhalten, sie wurden (von Beamten) "aufgezogen" und "weiter vorgestoßen"; wer sich (offenkundig wegen des glitschigen Bodens) bei ihm anhielt, wurde "mit dem Schild einfach weitergetaucht und gestoßen".
2.2.3.2.1. Insgesamt gelangte der Verfassungsgerichtshof auf Grund dieser einander in wichtigen Punkten ergänzenden und unterstützenden Beweisergebnisse zur Auffassung, daß in der Tat jede beschwerdeführende Person Stöße versetzt bekam, die - wie das Gesamtbild der Vorgänge zeigt - den Umständen nach nur dazu dienen konnten, die (keine Gewalt anwendenden) Betroffenen in eine Lage zu bringen, in der sie - auf dem rutschig-glatten Boden das Gleichgewicht verlierend - Gefahr liefen, vor den Füßen der Polizisten zu Boden zu stürzen, wie dies dann auch immer wieder der Fall war.
2.2.3.2.2. Desgleichen vermag der Verfassungsgerichtshof nach Lage der Verhältnisse und in Anbetracht des sonstigen Beweismaterials der - im relevanten Umfang glaubwürdigen - Parteiaussage der Beschwerdeführerin E M zu folgen, soweit es um die gerügte überflüssige teilweise Entkleidung nach der verfügten Festnahme und Perlustrierung geht (: Abschnitt 1.1.1. l)).
2.3.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren. Dies trifft (auch) zu, wenn Sicherheitsorgane jemanden im Zuge einer Amtshandlung - wie hier - physischem Zwang (in Gestalt von Stößen oder teilweiser Entkleidung) unterwerfen (zB VfSlg. 8296/1978, 10052/1984, 10250/1984, 11206/1987), und zwar in exzessiver Überschreitung der strafgerichtlich erteilten Aufträge zur (ordnungsgemäßen) Verhaftung sämtlicher Hausinsassen (s. VfSlg. 5012/1965, 6829/1972, 7203/1973, 8248/1978, 9585/1982, 10272/1984; auch: VfSlg. 8627/1979).
2.3.1.2. Da ein administrativer Instanzenzug nicht besteht und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Beschwerden - auf dem Boden und nach Maßgabe der zu Abschnitt 2.2. getroffenen Tatsachenfeststellungen - zulässig.
2.3.1.3.1. Dem sei angefügt, daß sich der laut Beschwerdeschriften in verschiedenen Erscheinungsformen gerügte Polizeizwang (zur genannten Zeit am angegebenen Ort) auf Grund der Verfahrensergebnisse nachweislich in den in Abschnitt 2.2.1. festgestellten - in den Beschwerdeschriften teils ausdrücklich, teils erkennbar gerügten - Gewaltakten (d.s. Stöße) manifestierte.
2.3.1.3.2. Alle darüber hinaus konkret behaupteten Mißhandlungen verschiedener Art(auch unter Verwendung von Gummiknüppeln) waren nach dem bereits Gesagten - angesichts der Verfahrensergebnisse - nicht mit Sicherheit erweislich. In diesem Umfang fehlt es darum an einem tauglichen Beschwerdegegenstand; die Beschwerden waren - insoweit - als unzulässig zurückzuweisen.
Dies gilt im Ergebnis auch für die von M P, B K, E M, M W und M Fr in Beschwerde gezogenen verbalen Entgleisungen (: Abschnitt 1.1.1. j bis n), die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht als Akte verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gelten können (s. VfSlg. 8654/1979, 10234/1984, 10547/1985 und 10974/1986; VfGH 28.11.1989 B1285-1288/88). Ebensowenig ist hier schon in tatsächlicher Hinsicht ein diese Voraussetzungen erfüllender Wassergebrauch (gezieltes Bespritzen aus Wasserschläuchen) iS der Beschwerdebehauptungen (: Abschnitt 1.1.1. j, l und m) verläßlich feststellbar.
2.3.2.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach bereits wiederholt aus (vgl. ua. VfSlg. 8146/1977), daß eine (iS des Waffengebrauchsgesetzes) unzulässige Anwendung von Körperkraft dann gegen das in Art3 EMRK statuierte Verbot erniedrigender Behandlung verstößt, wenn darin eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zum Ausdruck kommt. Das ist hier zufolge der Beschaffenheit und der Begleitumstände der bekämpften Gewaltakte (: sachlich ungerechtfertigte, im WaffengebrauchsG keine Deckung findende Stöße gegen - auf rutschigem Terrain befindliche - Personen, die dadurch (zwangsläufig) in Sturzgefahr geraten müssen) offenkundig der Fall, sodaß die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen Akten des physischen Polizeizwangs unterworfen wurden, die - als erniedrigende Behandlung - Art3 EMRK zuwiderlaufen (vgl. VfSlg. 8145/1977, 8146/1977, 8580/1979 uam.).
2.3.2.2. Demgemäß wurden die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art3 EMRK verletzt; die (damals bereits perlustriert gewesene) Beschwerdeführerin E M auch dadurch, daß sie sich im Verlauf der polizeilichen Amtshandlung von einem männlichen Wacheorgan sachlich vollkommen ungerechtfertigt und unter demütigenden Umständen den Oberkörper (durch Hochziehen des Pullovers) teilweise entkleiden lassen mußte (vgl. VfSlg. 10663/1985 uam.).
2.4. Die Kostenentscheidung fußt auf §88 VerfGG 1953.
Bei Berechnung der Kostenbeträge war folgendes zu berücksichtigen:
2.4.1. Ein Teil der beschwerdeführenden Parteien hatte nicht nur die in Abschnitt 1.1.1. dargestellten Feststellungen begehrt, sondern sich auch gegen weitere (Amts-)Handlungen gewandt. In diesem Ausmaß wurden diese Beschwerden mit Beschlüssen vom 7. März 1990 (zu jenen AZ, aus welchen die in Abschnitt 1.1.1. q) bis ff) aufgezählten Beschwerden ausgeschieden worden waren) zurückgewiesen. Der belangten Behörde wurden teils ein Drittel (in dem in Abschnitt 1.1.1. u) erwähnten Verfahren), teils zwei Drittel (in den in Abschnitt 1.1.1. q), s), x), y) und cc) bis ee) erwähnten Verfahren), teils die Hälfte (in den übrigen in Abschnitt 1.1.1. r) bis ff) erwähnten Verfahren) ihrer Verfahrenskosten zugesprochen. Die Kosten für diese Beschwerdeschriften konnten von vornherein nur in dem entsprechend reduzierten Ausmaß (auf zwei Drittel, ein Drittel oder die Hälfte) berücksichtigt werden.
2.4.2. Angesichts des Gesamtergebnisses des nun vorliegenden Beschwerdeverfahrens (teils Stattgebung, teils Zurückweisung) war davon auszugehen, daß die beschwerdeführenden Parteien mit zwei Drittel ihres Begehrens obsiegten, die belangte Behörde dagegen mit einem Drittel. Es wurde den beschwerdeführenden Parteien daher in Aufrechnung des Kostenanspruchs der belangten Behörde ein Drittel ihrer Prozeßkosten zuerkannt (§43 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953). (Die Kosten für die Einbringung der Beschwerde wurden in den in Abschnitt 2.4.1. geschilderten Fällen vorher entsprechend gekürzt.)
Soweit in einer Rechtshilfetagsatzung mehrere Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter vertreten wurden, sei es, daß er unmittelbar als ihr Vertreter, sei es, daß er als dessen Substitut einschritt, konnte nur der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zugesprochen werden (und nicht, wie teilweise begehrt, für jeden Beschwerdeführer oder für den Beschwerdevertreter und den substituierenden Rechtsanwalt gesondert; VfGH 7.3.1990 B1601/88 ua.).
In den zugesprochenen Kostenbeträgen ist Umsatzsteuer in folgender Höhe enthalten:
Im Falle der beschwerdeführenden Partei zu Abschnitt 1.1.1.
a) 6.083,33 S,
zu b) 5.250,-- S
zu c) bis h) jeweils 3.107,14 S,
zu i) 4.625,-- S,
zu j) und l) bis n) jeweils 3.520,83 S,
zu k) 2.687,50 S,
zu o) und p) jeweils 333,33 S,
zu q) 6.888,88 S,
zu r) 8.666,67 S,
zu s) 3.243,06 S,
zu t) 4.291,67 S,
zu u) 3.523,15 S,
zu v) 2.578,70 S,
zu w) 3.412,04 S,
zu x), y), cc) und dd) jeweils 2.634,26 S,
zu z) und aa) jeweils 2.745,37 S,
zu bb) und ff) jeweils 4.187,50 S und
zu ee) 2.662,70 S.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / Kosten, MißhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:B1605.1988Dokumentnummer
JFT_10089775_88B01605_00