TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/30 93/02/0066

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Veröffentlicht am 30.06.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Datenschutz;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §40 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §67d;
DSG 1978 §1;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs1 litb;
StVO 1960 §4 Abs1 litc;
StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §51e;
VStG §6;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 4. Februar 1993, Zl. UVS-03/13/00194/93, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO betrifft, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen (Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 27. Februar 1992 gegen 15.40 Uhr an einem bestimmten Ort in Wien als Lenker eines Kraftfahrzeuges einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und es unterlassen, 1. sofort anzuhalten und 2. durch Vorweisen der Kfz-Papiere an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Er habe hiedurch Verwaltungsübertretungen zu 1. nach § 4 Abs. 1 lit. a und zu

2. nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO begangen. Es wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.

Hiegegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zur Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs.1 lit. a StVO:

Der Beschwerdeführer behauptet, der Vorwurf, sein Fahrzeug nicht sofort angehalten zu haben, sei erstmals im Straferkenntnis vom 16. November 1992 erhoben worden, weshalb die Tat verjährt sei. Er übersieht dabei allerdings, daß ein derartiger Vorwurf bereits in der Anzeige enthalten war. Der Inhalt dieser Anzeige wurde ihm und seinem Rechtsfreund am 3. April 1992 unter Einräumung einer Frist zur schriftlichen Rechtfertigung vorgehalten. In diesem Vorgang liegt eine die Verfolgungsverjährung unterbrechende Verfolgungshandlung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1992, Zl. 92/02/0187). Der Verjährungseinwand des Beschwerdeführers ist somit unbegründet.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, er habe sein Fahrzeug ohnehin am nächstgelegenen Parkplatz, der eben 240 m vom Unfallsort entfernt gewesen sei, abgestellt. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Vorschrift des § 4 Abs. 1 lit. a StVO nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das sofortige Anhalten unmittelbar an der Unfallstelle gebietet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1990, Zl. 89/02/0050). Von einem derartigen Anhalten kann bei einer Entfernung von 240 m zur Unfallstelle (überdies nach zweimaligem Abbiegen in andere Straßen) keine Rede sein. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß er nach dem Fahrzeugkontakt - er war im Zuge seines "Kampfes" um einen freien Parkplatz zweimal gegen das Fahrzeug seines Konkurrenten gefahren - in einem Zug und ohne auszusteigen den Unfallsort verlassen hat. Er hat damit den Tatbestand des § 4 Abs. 1 lit. a StVO verwirklicht. Sein bloß unfallbedingtes "Anhalten" durch den Aufprall stellte kein Anhalten im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. a StVO dar. Ein vorschriftsmäßiges Anhalten hätte ihn entsprechend dem Gesetzeszweck in die Lage versetzt, sich zu vergewissern, ob und welche weiteren Verpflichtungen nach der Straßenverkehrsordnung, insbesondere nach deren § 4, ihn trafen bzw. ob solche Verpflichtungen für ihn nicht bestanden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1992, Zl. 92/02/0161). Daß sich der Beschwerdeführer angeblich nach der Kollision ohne anzuhalten direkt zur nächsten Polizeidienststelle begeben wollte, ändert an der Tatbildmäßigkeit seines Verhaltens nichts.

Der Beschwerdeführer beruft sich insbesondere auf Notstand:

Er habe sich durch die Drohungen des Unfallsgegners (angeblicher Wortlaut: "Wannst lang deppert bist, steig i aus und hau di so nieder, daßt nimma aufstehst") in Angst und Schrecken versetzt gefühlt und daher den Unfallsbereich möglichst rasch verlassen müssen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Die Beweislast traf den Beschwerdeführer (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 1992, Zl. 92/02/0214).

Im Beschwerdefall stellt sich der Ablauf des Geschehens nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren so dar, daß er zunächst im Bereich der Parklücke aus seinem PKW ausstieg, um mit einem anderen Lenker, der gerade einparken wollte, über die Benützung der Parklücke zu sprechen. Nach dessen (angeblicher) Drohung setzte sich der Beschwerdeführer wieder in sein Fahrzeug, versuchte in die Parklücke einzufahren und kollidierte hiebei mit dem gegnerischen Fahrzeug. Aus Zorn führte er in der Folge einen "Rammstoß" aus, worauf er wegfuhr. Die Flucht des Beschwerdeführers war somit keineswegs die unmittelbare Folge einer Drohung des anderen Lenkers; vielmehr begann er nach dem Wortwechsel ein Einparkmanöver und verhielt sich schließlich seinerseits aggressiv, in dem er das gegnerische Fahrzeug vorsätzlich rammte. Sollte der Beschwerdeführer sich sodann vor der "Rache" des Unfallsgegners für die Fahrzeugbeschädigungen gefürchtet haben, so wäre ihm zu entgegnen, daß er sich in diese Lage aus eigenem Verschulden gebracht hatte. Unter diesen Umständen kann ihm Notstand im Sinne des § 6 VStG nicht zugute kommen (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, S. 737, E. 5); sein diesbezügliches Vorbringen ist nahezu mutwillig.

Als Verfahrensmangel rügt der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat. Richtig ist, daß die Behörde damit gegen § 51e Abs. 1 VStG verstoßen hat - das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle behauptet sie selbst nicht. Der Beschwerdeführer vermag aber nicht aufzuzeigen, daß dem dadurch bewirkten Verfahrensmangel Relevanz zukäme: Er behauptet nicht, daß er in der mündlichen Verhandlung seine bisherige Verantwortung geändert und ein neues Vorbringen zur Frage des Notstandes erstattet hätte. Ausgehend von seiner aktenkundigen Darstellung - noch in der Beschwerde wird auf sein "umfassendes Geständnis" hingewiesen - konnte er sich mit Notstand aber (wie oben dargelegt) nicht entschuldigen. Daß ein rechtswidriges Unterbleiben der öffentlichen mündlichen Verhandlung über die Berufung in jedem Falle die Aufhebung des Berufungsbescheides nach sich ziehen müßte, ist dem Gesetz fremd (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. September 1991, Zl. 91/03/0165, vom 21. Oktober 1992, Zl. 92/02/0212, und vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/02/0295).

Auch in der Unterlassung der beantragten Beischaffung eines den Unfallsgegner betreffenden Strafaktes zum Nachweis einer gefährlichen Drohung ist ein relevanter Verfahrensmangel nicht gelegen. Die belangte Behörde hat die vom Beschwerdeführer behauptete Äußerung des Unfallsgegners ohnehin - als für den Beschwerdeführer günstigste Version - ihrer Beurteilung zugrunde gelegt. In der Beschwerde wird nicht aufgezeigt, welche weiteren Aufschlüsse aus welchen - nicht bereits aus den Verwaltungsakten ersichtlichen - Teilen von Strafakten zu gewinnen sein sollen. Im übrigen stellt die Berufung auf einen Akt schlechthin kein zulässiges Beweisanbot dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1991, Zl. 91/18/0088).

Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit, soweit sie die Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO betrifft, als unbegründet, weshalb sie insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Zur Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO:

Eine Verletzung der Mitwikungspflicht erblickt die belangte Behörde darin, daß der Beschwerdeführer die "Kfz-Papiere" nicht vorgewiesen hat. Nun kann zwar in der Weigerung, einem nach einem Unfall einschreitenden Straßenaufsichtsorgan die Personaldaten vollständig bekanntzugeben, eine Verletzung der Pflicht, an der Feststellung des Sachverhaltes im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c StVO mitzuwirken, gelegen sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1988, Zl. 87/03/0249, 0250). Im Beschwerdefall wurde dem Beschwerdeführer aber - wie sich im Zusammenhalt mit der Bescheidbegründung ergibt - angelastet, gegenüber dem Unfallsgegner keinen Nachweis seiner Identität vorgenommen zu haben. Ein solcher Nachweis ist zwar in § 4 Abs. 5 StVO - die Verständigungspflicht nach dieser Bestimmung zieht auch die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO nach sich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1990, Zl. 89/02/0164, vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 13. September 1991, Zl. 91/18/0088) - vorgesehen, jedoch enthält das Gesetz insoweit keine alternative Verpflichtung:

Geboten ist nämlich die Verständigung der nächsten Sicherheitsdienststelle; eine solche Meldung ist immer dann zu erstatten, wenn ein Identitätsnachweis nicht möglich ist oder zwar erbracht werden kann, jedoch - aus welchen Gründen immer - nicht vorgenommen wird. Bei dem im zweiten Satz des § 4 Abs. 5 StVO geregelten Nachweis der Identität handelt es sich sohin um eine "Rechtswohltat", deren Inanspruchnahme dem Betroffenen freisteht und wodurch er sich von der im ersten Satz dieser Bestimmung enthaltenen Verpflichtung befreien kann (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/02/0295). Das Unterlassen dieses Identitätsnachweises kann auch nicht im Umwege des § 4 Abs. 1 lit. c StVO unter Strafe gestellt werden.

Soweit dem Beschwerdeführer in der Bescheidbegründung das Verlassen der Unfallstelle als Verletzung der Mitwirkungspflicht (vgl. hiezu etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 15. Mai 1990, Zl. 89/02/0164) vorgeworfen wird, ist darauf hinzuweisen, daß dies in der spruchmäßigen Tatumschreibung nicht enthalten ist. Es erübrigt sich daher, auf diesen Vorwurf näher einzugehen.

Der angefochtene Bescheid ist demnach, soweit er die Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO betrifft, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Es kann somit auf sich beruhen, was im gegebenen Zusammenhang unter "Kfz-Papieren" zu verstehen sein soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Bescheidkopie nur einfach vorzulegen war.

Schlagworte

Mitwirkung und Feststellung des SachverhaltesVerfahrensbestimmungen BerufungsbehördeSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des BeweisantragesBeweismittel UrkundenVerfahrensbestimmungen AllgemeinSachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweismittelMeldepflichtIdentitätsnachweisBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993020066.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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