TE Vwgh Erkenntnis 1993/7/1 92/09/0323

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Veröffentlicht am 01.07.1993
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Index

L24009 Gemeindebedienstete Wien;
25/01 Strafprozess;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §114 Abs1;
BDG 1979 §114;
BDG 1979 §95;
DO Wr 1966 §57;
DO Wr 1966 §58 Abs1;
DO Wr 1966 §62 Abs1;
DO Wr 1966 §62 Abs2;
DO Wr 1966 §62 Abs3;
DO Wr 1966 §62;
DO Wr 1966 §77 Abs1;
DO Wr 1966 §77 Abs2;
StPO 1975 §84 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des G in O, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission (der Stadt Wien) vom 25. September 1992, Zl. MD-1115-22/92, betreffend Disziplinarstrafe (Geldstrafe), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Bestätigung des erstinstanzlichen Schuldspruches in den Punkten 2 und 3 sowie im Straf- und Kostenausspruch wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Disziplinarkommissin (der Stadt Wien, in der Folge kurz: DK) sprach den Beschwerdeführer nach Durchführung von Ermittlungen mit Bescheid vom 17. Juni 1992 folgender Dienstpflichtverletzungen schuldig:

"1. Der Beschuldigte hat am 10. März 1992 zwischen 20.02 Uhr und 20.45 Uhr von Wien 20, Nordbrücke in Richtung Klosterneuburg fahrend bis Wien 19, Heiligenstädter Straße gegenüber ONr. nn1 seinen privaten PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt (0,77 mg/l bzw. 0,79 mg/l) und sich gegenüber den Revierinspektoren S, T und B ungestüm benommen.

2. Der Beschuldigte hat am 10. März 1992 in Wien 19, Heiligenstädter Straße gegenüber ONr. nn1, während der Amtshandlung der Organe der Bundespolizeidirektion Wien im Zusammenhang mit den unter Punkt 1 genannten Delikten folgende Äußerungen gemacht:

"Geben Sie mir sofort meinen Führerschein wieder, denn ich bin der Leiter der MA n1 Ich habe 3000 Leute unter mir. Wenn Sie mir den Führerschein abnehmen, lacht ganz Wien darüber.

-

Nun geben Sie ihn endlich her - er gehört ja mir Was erhoffen Sie sich dafür - einen weiteren Stern auf Ihrer Uniform oder gehen Sie dann einfach wichsen? - Wenn Sie den Polizeipräsidenten anhalten würden, würden Sie sicher keinen Alkotest machen. Da würden Sie sich anscheißen, habe ich recht? Sie wissen, daß alle diese Herren besoffen fahren - Ich bin ein Ehrenmann, was Sie von sich sicher nicht sagen können Ich habe nicht mehr getrunken als alle anderen Herren in meiner Position. Ich habe auf einer Besprechung mehrere Stamperl Schnaps getrunken und jetzt kommen Sie daher und machen sich wichtig. Wenn Sie ein vernünftiger Mensch wären, würden Sie mir meinen Führerschein geben und die lächerliche Sache vergessen"

              3.              Der Beschuldigte hat in einem am 10. März 1992 mit dem Gruppeninspektor L über den Telefonanschluß des Wachzimmers 19, Hohe Warte 32, geführten, vom Beschuldigten initiierten Telefongespräch sich unter Bezugnahme auf die unter Punkt 2 genannte Amtshandlung darüber beschwert, die beiden "Haider-Rotzbuben" hätten sich ihm gegenüber präpotent benommen, 25 % der Polizei würden sich ähnlich benehmen wie die beiden "Rotzbuben".

4. Der Beschuldigte hat am 10. März 1992 einem Mitarbeiter der MA n1, KO UE, den Auftrag erteilt, seinen Privat-PKW von 1190 Wien, Heiligenstädter Straße, gegenüber ONr. nn1, in die Garage 5, 1050 Wien, Einsiedlergasse 2, abzuschleppen."

Dadurch habe der Beschwerdeführer gegen die in § 19 Abs. 2 zweiter Satz der (Wiener) Dienstordnung 1966 (DO 1966) normierten Dienstpflichten verstoßen, weshalb über ihn gemäß § 58 Abs. 1 Z. 3 DO 1966 als Disziplinarstrafe eine Geldstrafe im Ausmaß von fünf Monatsbezügen unter Ausschluß der Haushaltszulage verhängt werde. Weiters habe der Beschwerdeführer gemäß § 88 Abs. 2 DO 1966 Verfahrenskosten in der Höhe von insgesamt S 2.064,-- zu entrichten. Von drei weiteren Anschuldigungspunkten wurde der Beschwerdeführer mit dem Bescheid der DK vom 17. Juni 1992 (rechtskräftig) freigesprochen.

Die im Spruch angeführten Dienstpflichtverletzungen habe die DK gemäß der Begründung ihres Bescheides auf Grund des rechtskräftigen Straferkenntnisses des Bezirkspolizeikommissariates Döbling vom 12. März 1992, des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 1992, insbesondere auf Grund der unbedenklichen, ausführlichen und in den Kernpunkten übereinstimmenden Zeugenaussagen der Polizeibeamten sowie auf Grund der Rechtfertigung des Beschwerdeführers selbst als erwiesen angenommen. In rechtlicher Hinsicht begründete die DK noch näher ihre Annahme des Vorliegens von Dienstpflichtverletzungen in den Punkten 1 bis 4 sowie ihre Annahme der Voraussetzungen für eine disziplinäre Verfolgung des Punktes 1 trotz der erfolgten verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilung (§ 62 DO 1966).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung wegen Schuld und Strafe, zu welcher die belangte Behörde eine Stellungnahme des Disziplinaranwaltes einholte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25. September 1992, der den Verfahrensparteien am 30. September 1992 zugestellt wurde, gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG teilweise Folge und sprach ihn von der ihm unter Punkt 4 zur Last gelegten Dienstpflichtverletzung frei. Im übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Tatanlastungen 1 und 2 wie folgt zu lauten hätten:

"1. Der Beschuldigte hat am 10. März 1992 zwischen 20.02 Uhr und 20.45 Uhr von Wien 20, Nordbrücke in Richtung Klosterneuburg fahrend bis Wien 19, Heiligenstädter Straße gegenüber ONr. nn1 seinen privaten PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt (0,77 mg/l bzw. 0,79 mg/l).

2. Der Beschuldigte hat am 10. März 1992 in Wien 19, Heiligenstädter Straße gegenüber ONr. nn1, sich gegenüber den Revierinspektoren S, T und B ungestüm benommen und dabei folgende Äußerungen gemacht: "Geben Sie mir sofort meinen Führerschein wieder, denn ich bin der Leiter der MA n1 Ich habe 3000 Leute unter mir. Wenn Sie mir den Führerschein abnehmen, lacht ganz Wien darüber. - Nun geben Sie ihn endlich her - er gehört ja mir Was erhoffen Sie sich dafür - einen weiteren Stern auf Ihrer Uniform oder gehen Sie dann einfach wichsen?

-

Wenn Sie den Polizeipräsidenten anhalten würden, würden Sie sicher keinen Alkotest machen. Da würden Sie sich anscheißen, habe ich recht? Sie wissen, daß alle diese Herren besoffen fahren - Ich bin ein Ehrenmann, was Sie von sich sicher nicht sagen können Ich habe nicht mehr getrunken als alle anderen Herren in meiner Position. Ich habe auf einer Besprechung mehrere Stamperl Schnaps getrunken und jetzt kommen Sie daher und machen sich wichtig. Wenn Sie ein vernünftiger Mensch wären, würden Sie mir meinen Führerschein geben und die lächerliche Sache vergessen""

Die Disziplinarstrafe wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid mit einer Geldstrafe im Ausmaß von zwei Monatsbezügen unter Ausschluß der Haushaltszulage neu bemessen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde zu Schuld und Strafe im wesentlichen das Folgende aus:

Zu 1 und 2: Gemäß § 62 DO 1966 sei die Disziplinarbehörde an die Tatsachenfeststellungen in einem rechtskräftigen Straferkenntnis einer Verwaltungsbehörde gebunden. Dies treffe für Punkt 1 auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Straferkenntnisses des Bezirkspolizeikommissariates Döbling vom 12. März 1992, AZ Pst 940-D/92, zu; allerdings habe dabei zur Vermeidung einer Doppelbestrafung das "ungestüme Benehmen" aus dem Schuldspruch 1 der DK zu entfallen gehabt, weil es im Vorwurf gemäß Punkt 2 aufgehe. Die Äußerungen würden mit Ausnahme einzelner Schimpfworte vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt und seien auf Grund der glaubwürdigen Aussagen der Polizeibeamten als erwiesen festzustellen. Die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen werde auch nicht durch die Behauptung des Beschwerdeführers geschmälert, sie hätten ihn nach der Amtshandlung auf einer stark befahrenen Straße ohne Gehsteig mit 0,77 mg/l Alkohol in der Atemluft allein gelassen. Daß diese Handlungen eine Dienstpflichtverletzung (§ 19 Abs. 2 zweiter Satz DO 1966) darstellten, werde nicht einmal vom Beschwerdeführer in Frage gestellt. Dem Einwand, daß kein disziplinärer Überhang bestehe und daher der Ausspruch einer Disziplinarstrafe dem Verbot der Doppelbestrafung widerspreche, sei zu entgegnen, daß der für die disziplinäre Verfolgung wesentliche Gesichtspunkt, das friktionslose Funktionieren der Verwaltung zu gewährleisten, bei der Verhängung einer verwaltungsbehördlichen Strafe in keiner Weise berücksichtigt werde. Der Beschwerdeführer sei Leiter der MA n1 (Kfz-Abteilung mit mehr als 850 Kfz und ca. 1000 Lenkern), es komme daher gerade ihm eine Vorbildfunktion zu. Das Lenken eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand habe Auswirkungen auf die Moral der Mitarbeiter. Weiters dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Leiter bei allfälliger Trunkenheit eines (ihm unterstellten) Lenkers Konsequenzen zu ziehen habe, und daß hier Glaubwürdigkeit und Autorität (des Beschwerdeführers) gelitten hätten. Dasselbe treffe für die Zusammenarbeit mit Beamten anderer Dienststellen, insbesondere auch mit solchen der Polizei, und für das Ansehen in der Öffentlichkeit zu. Da somit das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beschwerdeführers auf Grund der Schwere der Dienstpflichtverletzung wesentlich beeinträchtigt worden sei, widerspreche die Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht dem Verbot der Doppelbestrafung. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stelle es kein für die Bestrafung des Beschwerdeführers wesentliches Sachverhaltselement dar, daß es sich um eine Privatfahrt gehandelt habe.

Zu 3: Der Inhalt des Telefongespräches werde vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. Die Tatsache, daß er am Beginn des Gespräches deponiert habe, daß er sich in der Sache selbst nicht beschweren wolle, ändere nichts daran, daß die Äußerungen ein (mit Vorsatz begangenes) Dienstvergehen darstellten.

Zur Strafbemessung: Als mildernd sei die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit des Beschwerdeführers zu werten gewesen, als erschwerend, daß er mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen habe, wobei jene gemäß Punkt 2 als die für die Strafbemessung schwerste heranzuziehen sei. Durch die Dienstpflichtverletzungen habe das Ansehen der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit gelitten, ferner sei die Führung der Mitarbeiter und die Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen und Behörden nachhaltig belastet worden. Weiters sei zu beachten, daß der Beschwerdeführer akademisch gebildet sei und in seiner Position als Spitzenbeamter der Stadt Wien ganz besonders im öffentlichen Interesse stehe und die Verwaltung repräsentiere. Gerade von einem Akademiker und leitenden Beamten müsse man erwarten, daß er im Bewußtsein seiner Stellung und seines Bildungsniveaus auch in Ausnahmesituationen nie so weit die Beherrschung verliere, daß er jegliche Regeln des Anstandes außer acht lasse. Die Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstgebers in die Person des Beschwerdeführers sei daher als schwerwiegend zu beurteilen. Die Disziplinarstrafe sei daher in einer für den Beschwerdeführer auch fühlbaren Höhe auszumessen gewesen.

Auf Grund von (allerdings nicht von den Disziplinarbehörden erstatteten) Anzeigen wurden gegen den Beschwerdeführer im unmittelbaren Zusammenhang mit den auch im Disziplinarverfahren maßgebenden Vorfällen auch gerichtliche Vorerhebungen in Richtung der §§ 297 Abs. 1 (Verleumdung), 111 Abs. 1 (üble Nachrede) und 115 Abs. 1 StGB (Beleidigung) geführt, in deren Zug am 27. Mai 1992 die Polizeibeamten als Zeugen und am 3. Juni 1992 und am 7. Juli 1992 der Beschwerdeführer als Beschuldigter vom Landesgericht für Strafsachen Wien einvernommen wurden. Auf Grund dieser Vorerhebungen wurde am 2. September 1992 von der Staatsanwaltschaft Wien folgende Anklage erhoben:

"G hat am 10.3.1992 in Wien die Polizeibeamten Rev.Insp. B und Rev.Insp. S, die ihn aufgrund des Verdachtes verschiedener unmittelbar vorher in alkoholisiertem Zustand begangener Übertretungen der Straßenverkehrsordnung angehalten hatten und seine Fahrzeugpapiere und die Durchführung eines Alkotestes verlangten,

1.) dadurch, daß er sie zunächst zu überreden versuchte, von der Amtshandlung Abstand zu nehmen, und nach der vorläufigen Abnahme seines Führerscheines wiederholt einem der Beamten gegenüber äußerte, "wenn Sie ein vernünftiger Mensch wären, würden Sie mir den Führerschein geben und die lächerliche Sache vergessen", dazu zu bestimmen versucht, mit dem Vorsatz, den Staat an seinem Recht auf verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu mißbrauchen;

2.) und überdies T durch die Äußerung, er wisse eh, daß sie braun angehaucht seien, die genannten Beamten in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Gesinnung geziehen, wobei die strafbare Handlung wider Beamte während der Ausübung ihres Amtes oder Dienstes begangen wurde;

3.) und überdies RevInp. T durch die Äußerungen, sie seien pubertäre Polizeibuben und "Haider-Rotzbuben"; was sie sich dafür erhofften - einen weiteren Stern auf ihrer Uniform oder gingen sie dann ganz einfach wichsen?, die genannten Beamten vor mehreren Leuten beschimpft und verspottet, wobei die strafbare Handlung wider Beamte während der Ausübung ihres Amtes oder Dienstes begangen wurde."

Der Beschwerdeführer habe hiedurch zu 1. das versuchte Verbrechen des Mißbrauches der Amtsgewalt (§§ 15, 12 zweiter Fall und 302 Abs. 1 StGB), zu 2. das Vergehen der üblen Nachrede (§§ 111 Abs. 1 und 117 Abs. 2 StGB) und zu 3. das Vergehen der Beleidigung (§§ 115 Abs. 1 und 117 Abs. 2 StGB) begangen und sei dafür zu bestrafen.

Das diesbezügliche Strafverfahren ist zu Zl. Vr 4484/92, 9a Hv 7802/92 beim Landesgericht für Strafsachen Wien anhängig. Aus diesen Akten ergibt sich, daß eine "Benachrichtigung von der Einleitung des Strafverfahrens" seitens des Gerichtes an die Magistratsdirektion im Wiener Rathaus nach Einbringung der Anklageschrift am 22. September 1992 erfolgte, und daß diese Benachrichtigung bei der MA 2 am 30. September 1992 eingelangt ist. Ob und wann der Beschwerdeführer seinerseits die Disziplinarbehörden von den gegen ihn laufenden gerichtlichen Schritten verständigt hat, insbesondere, ob dies, wie der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mehrfach vorgebracht hat, bereits aus Anlaß und zum Zeitpunkt seiner Beschuldigtenvernehmung im Zuge der Vorerhebungen der Fall war, ist aus den vorgelegten Akten nicht mit Sicherheit zu entnehmen.

Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 25. September 1992 (mit Ausnahme des Freispruches zu Punkt 4 des erstinstanzlichen Bescheides) richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, nicht disziplinarrechtlich schuldig gesprochen und bestraft zu werden, verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

In weiteren, vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 8 VwGG angeregten Schriftsätzen haben beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergänzend (und im Widerspruch zueinander) zu der Frage Stellung genommen, ob, wann und auf welche Weise die belangte Behörde von dem gegen den Beschwerdeführer anhängigen gerichtlichen Strafverfahren Kenntnis erlangt hat.

Zuletzt hat die belangte Behörde in ihrem Schriftsatz vom 22. Juni 1993 zugestanden, "nicht über ein anhängiges Strafverfahren, sondern lediglich über ein Vorverfahren informiert" gewesen zu sein, welches aber ihrer Ansicht nach kein Grund gewesen sei, das Disziplinarverfahren zu unterbrechen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ein Beamter, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist gemäß § 57 DO 1966 nach den Bestimmungen dieses Abschnittes (Disziplinarrecht) zur Verantwortung zu ziehen. Die Disziplinarstrafen, darunter die Geldstrafe von mehr als 20 vH des Monatsbezuges bis zu fünf Monatsbezügen unter Ausschluß der Haushaltszulage, sind in § 58 Abs. 1 DO 1966 aufgezählt.

Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, so ist gemäß § 62 Abs. 1 DO 1966 die Dienstpflichtverletzung nur dann zu verfolgen, wenn die Verhängung einer Disziplinarstrafe erforderlich erscheint, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten oder weil das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beamten aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzung wesentlich beeinträchtigt wurde. Die Disziplinarbehörde ist gemäß § 62 Abs. 2 DO 1966 an die Tatsachenfeststellung, die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils eines Strafgerichtes (Straferkenntnisses einer Verwaltungsbehörde) zugrunde gelegt wurde, gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (die Verwaltungsbehörde) als nicht erweisbar angenommen hat. Wird die Dienstpflichtverletzung verfolgt, dann ist gemäß § 62 Abs. 3 DO 1966, wenn sich eine strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verurteilung auf denselben Sachverhalt bezieht, eine Strafe nur auszusprechen, wenn und soweit dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten oder um der wesentlichen Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstgebers in die Person des Beamten Rechnung zu tragen.

Kommt die Disziplinarbehörde während des Disziplinarverfahrens zu der Ansicht, daß eine von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, so hat sie gemäß § 77 Abs. 1 DO 1966 das Disziplinarverfahren zu unterbrechen und der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige zu erstatten. Die Disziplinarbehörde hat das Disziplinarverfahren auch zu unterbrechen, wenn sie während des Verfahrens von einem anhängigen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren gegen den beschuldigten Beamten wegen eines Sachverhaltes, der auch der Dienstpflichtverletzung zugrundeliegt, Kenntnis erlangt. Das Disziplinarverfahren ist nach § 77 Abs. 2 DO 1966 nach rechtskräftigem Abschluß des strafgerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens weiterzuführen, soweit nicht gemäß § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 79 (diese Bestimmung enthält die Regelung, unter welchen Voraussetzungen ein Disziplinarverfahren einzustellen ist) vorzugehen ist.

Gemäß § 84 Abs. 1 StPO sind alle öffentlichen Behörden und Ämter schuldig, die entweder von ihnen selbst wahrgenommenen oder sonst zur ihrer Kenntnis gelangten strafbaren Handlungen, die nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten zu untersuchen sind, sogleich dem Staatsanwalt des zuständigen Gerichtes anzuzeigen.

Der Beschwerdeführer erblickt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, daß die belangte Behörde entgegen der (zwingenden) Bestimmung des § 77 Abs. 1 DO 1966 das Disziplinarverfahren nicht wegen des parallel dazu anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens unterbrochen und nicht dessen Ausgang vor der disziplinarrechtlichen Beurteilung der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe abgewartet habe. Die belangte Behörde sei in Kenntnis von diesem Strafverfahren gewesen, weil der Beschwerdeführer persönlich die Disziplinarleitstelle (der Stadt Wien) von den Einvernahmen im Zuge der gerichtlichen Vorerhebungen am 3. Juni 1992 und am 7. Juli 1992 verständigt habe.

Die belangte Behörde hat dazu in ihrer Gegenschrift ausgeführt, aus dem Disziplinarakt ergebe sich, daß sie von dem anhängigen gerichtlichen Strafverfahren erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides Kenntnis erlangt habe; außerdem bestehe keine Identität der Sache.

Der Versuch des Verwaltungsgerichtshofes, durch Einholung weiterer Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Klarheit über diese widersprüchlichen Behauptungen zu erlangen, hat zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Während die belangte Behörde vorerst ausschließlich auf die aktenkundige Benachrichtigung von der Einleitung des Strafverfahrens durch das Strafgericht verwiesen hat, die erst am 30. September 1992 beim Magistrat eingelangt sei, hat sie später zugestanden, über "ein Vorverfahren" informiert gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer hingegen hielt unter gleichzeitigem Angebot weiterer Beweise an seiner Behauptung fest, er habe die zuständige Magistratsstelle bereits vor diesem Zeitpunkt von der Tatsache der laufenden gerichtlichen Vorerhebungen informiert.

Weitere Ermittlungsschritte des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage - wie sie im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1978, Zl. 121/77 = Slg. 9723/A, wohl zulässig gewesen wären - konnten auf Grund der nachstehenden rechtlichen Erwägungen unterbleiben.

Stellt nämlich eine Dienstpflichtverletzung, wegen der bereits ein Disziplinarverfahren durchgeführt wird, gleichzeitig ein gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbares Delikt dar (Idealkonkurrenz) und handelt es sich nicht um ein Privatanklagedelikt, so HAT die Behörde ihr Ermittlungsverfahren nicht weiterzuführen; es soll grundsätzlich zuerst die Entscheidung durch das Gericht oder die Verwaltungsbehörde abgewartet werden. Zweck des normierten Abwartens ist es, eine Doppelgeleisigkeit in der Bestrafung durch Gericht oder Verwaltungsbehörde einerseits und Disziplinarbehörde andererseits zu verhindern und die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die subsidiäre Strafbefugnis der Disziplinarbehörden zu schaffen. Die Frage der gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafbarkeit wird damit als präjudizielle Vorfrage für deren disziplinäre Strafbarkeit behandelt (vgl. die zu den einschlägigen Bestimmungen des BDG 1979 ergangenen, aber für die §§ 62 und 77 DO 1966 gleichermaßen heranzuziehenden Erwägungen bei Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S. 479, sowie die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 88/12/0218, vom 26. September 1991, Zlen. 91/09/0103-0106, und vom 24. November 1982,

Zlen. 82/09/0094,0095).

Mit dem Vorbringen, sie habe erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides vom anhängigen gerichtlichen Strafverfahren Kenntnis erlangt, deckt die belangte Behörde in Wahrheit einen letztlich auf einer Fehleinschätzung der geschilderten Rechtslage beruhenden wesentlichen Mangel des ihrer Entscheidung vorangegangenen Verfahrens auf. Sie wäre nämlich schon gemäß § 84 Abs. 1 StPO verpflichtet gewesen, von sich aus die zu ihrer Kenntnis gelangten, auch strafrechtlich relevanten Verfehlungen des Beschwerdeführers im Wege einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft strafgerichtlich anhängig zu machen (vgl. dazu Anm. 5 zu § 77 DO 1966 bei Schubert-Vesely, Das Dienstrecht der Beamten der Stadt Wien, S. 651). Diese Anhängigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung bereits mit dem Zeitpunkt der Einleitung gerichtlicher Vorerhebungen gegeben (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1990, Zl. 86/09/0200, und vom 22. Februar 1990, Zl. 89/09/0095). Da die Behörde, wie sich aus dem Schriftsatz vom 22. Juni 1993 ergibt, bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Kenntnis vom gerichtlichen Vorverfahren gegen den Beschwerdeführer erlangt hat, war sie gemäß § 77 Abs. 1 DO 1966 auch aus diesem Grunde verpflichtet, das Disziplinarverfahren zu unterbrechen. Es stand somit keinesfalls im Belieben der Behörde, ein allenfalls gerichtlich strafbares Verhalten als solches zur Kenntnis zu nehmen oder nicht, und das Disziplinarverfahren auf diese Weise nach Willkür zu unterbrechen oder weiterzuführen.

Nur auf die geschilderte Weise wird es der Disziplinarbehörde ermöglicht, die Vorschriften des § 62 Abs. 1 bis 3 DO 1966 zu beachten und auf diese Weise zu einer gesetzeskonformen Entscheidung im Disziplinarverfahren zu gelangen. Nur so kann auch vermieden werden, daß ein allenfalls vor dem gerichtlichen Strafverfahren abgeschlossenes Disziplinarverfahren wegen eines nachträglich erflossenen Strafurteiles (Verwaltungsstraferkenntnisses) zur Wahrung der Bindungswirkung sowie zur Beachtung der gesetzlichen Vorschriften über die Doppelbestrafung und den disziplinären Überhang wiederaufgenommen und neu entschieden werden muß.

Ausgehend von diesen Erwägungen erübrigte es sich daher, die Behauptung des Beschwerdeführers näher zu prüfen, er habe den Disziplinarbehörden schon vor Erlassung des angefochtenen Bescheides von dem gegen ihn im Wege von Vorerhebungen anhängigen gerichtlichen Strafverfahren Mitteilung gemacht, wozu er im übrigen nach § 30 DO 1966 und nach § 17 Abs. 4 der Geschäftsordnung für den Magistrat der Stadt Wien (siehe dazu Schubert-Vesely, aaO, S. 322 f und 801) verpflichtet gewesen ist.

Soweit die belangte Behörde daher in Verkennung der Rechtslage das bei ihr anhängige Disziplinarverfahren nicht wegen eines identische Sachverhalte betreffenden gerichtlichen Strafverfahrens gemäß § 77 DO 1966 unterbrochen hat, bejaht der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen der vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtswidrigkeit. Die belangte Behörde hat allerdings dazu auch vorgebracht, es bestehe "keine Identität der Sache", weil sich das gerichtliche Strafverfahren auf andere Tatbestände beziehe als das gegenständliche Disziplinarverfahren.

Dies trifft allerdings nur auf den Schuldspruch zu Punkt 1 des angefochtenen Bescheides zu (Lenkung des privaten PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand), denn dieser Sachverhalt wurde nie bei Gericht angezeigt, sondern war Gegenstand eines (bereits rechtskräftig abgeschlossenen) Verwaltungsstrafverfahrens. Auf diesen Punkt wird im folgenden noch zurückzukommen sein.

Wie die Gegenüberstellung der Sachverhalte laut den Punkten 2 und 3 des angefochtenen Bescheides einerseits und jenen der Punkte 1 bis 3 der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anklage im gerichtlichen Strafverfahren zeigt, liegt insoweit die von der belangten Behörde in Abrede gestellte Identität der Sache sehr wohl vor, denn die dort inkriminierten Äußerungen des Beschwerdeführers waren sowohl Gegenstand der disziplinären Verurteilung wegen "ungestümen Benehmens" bzw. des Telefonates vom 10. März 1992 als auch der oben wiedergegebenen Anklage im gerichtlichen Strafverfahren. Die demnach infolge Nichtbeachtung des einschlägigen gerichtlichen Strafverfahrens vorliegende Rechtswidrigkeit der Schuldsprüche 2 und 3 des angefochtenen Bescheides zog naturgemäß die Rechtswidrigkeit des Straf- und Kostenausspruches mit sich, zumal diese Aussprüche vom Ausgang des gesamten Disziplinarverfahrens abhängig sind.

Anders verhält es sich jedoch, wie bereits oben ausgeführt, hinsichtlich des Schuldspruches Punkt 1. Diesbezüglich kam eine Unterbrechung wegen eines parallel dazu laufenden Strafverfahrens nicht in Betracht. Das diesen Punkt betreffende Verwaltungsstrafverfahren wiederum war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mit einer rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers abgeschlossen. Hier war die belangte Behörde gemäß § 62 Abs. 2 DO 1966 an die Tatsachenfeststellungen der Verwaltungsstrafbehörde gebunden, wobei dem Umstand, daß das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers im Zuge einer "Privatfahrt" erfolgte, für die disziplinarrechtliche Beurteilung ohne entscheidende Bedeutung ist.

In der Beschwerde wird geltend gemacht, Schuldspruch und Bestrafung des Beschwerdeführers in diesem Punkt widersprächen dem Verbot der "Doppelbestrafung" (§ 62 Abs. 1 und 3 DO 1966). Demgegenüber ist aber den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zu folgen, wonach das Verhalten des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf seine leitende Stellung, auf seinen Aufgabenkreis im Rahmen der von ihm geleiteten Magistratsabteilung und auf den Ansehensverlust innerhalb der Behörde sowie in deren Beziehungen zu anderen Behörden und sonstigen Außenstehenden, das Vertrauen in seine Person wesentlich beeinträchtigt hat. Die Bedeutung der Tat des Beschwerdeführers ist vorliegendenfalls aus disziplinarrechtlicher Sicht zu beurteilen, wobei der für die Verfolgung wesentliche Gesichtspunkt, nämlich das Funktionieren der Verwaltung zu gewährleisten, bei der Verhängung von Verwaltungsstrafen nicht berücksichtigt wird, was einer Einstellung des Disziplinarverfahrens entgegensteht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1982, Zlen. 82/09/0094,0095).

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Bestätigung des Schuldspruches zu den Punkten 2 und 3 sowie des Straf- und Kostenausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im übrigen aber (Schuldspruch zu Punkt 1) war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen der Antragstellung auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie 59 Abs. 1 VwGG iVm Art. I der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992090323.X00

Im RIS seit

05.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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