TE Vfgh Erkenntnis 1991/2/25 B628/90

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Veröffentlicht am 25.02.1991
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
RAO §26 Abs5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung einer Vorstellung an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien; kein begründeter Vorstellungsantrag erforderlich

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 27. April 1990 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines Beschlusses des Jugendgerichtshofes, mit welchem einem Angeklagten ein Verteidiger nach §41 Abs2 StPO beigegeben wurde, gemäß §45 RAO zu dessen Verteidiger bestellt.

2. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht mit der Begründung, "daß die Rechtsvorschriften über die Bestellung der Amtsverteidiger verfassungswidrig" seien, erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. Mai 1990, Z Vs 1091/90, zurückgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, daß die Vorstellung keinen begründeten Vorstellungsantrag enthalte und daß es sich dabei nicht um einen verbesserungsfähigen Formfehler handle. Ein begründeter Antrag sei ein Essential einer Vorstellung, beim Fehlen eines solchen Antrages sei daher die Vorstellung wegen eines inhaltlichen Mangels zurückzuweisen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Beschwerde begehrt.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt der Beschwerdeführer darin, daß sich die belangte Behörde zu Unrecht auf die Vorschriften für die Einbringung einer Berufung nach dem AVG stützt, weil es sich bei einer Vorstellung nach §26 Abs5 RAO um ein eigenständiges Rechtsinstitut handle, das - wenn überhaupt - mit der Vorstellung im Mandatsverfahren nach dem AVG verglichen werden könne.

4.2. Die Beschwerde ist begründet:

Nach §26 Abs5 RAO kann "gegen den Beschluß einer Abteilung ... binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung erhoben werden", über die der Ausschuß zu entscheiden hat. Auf Verfahren, die nach der RAO durchzuführen sind, ist das AVG nur dann anzuwenden, wenn dies - wie in §5a Abs2 Z3 oder §30 Abs4 RAO - angeordnet ist. Im übrigen findet das AVG auf Verfahren nach der RAO keine Anwendung (ArtII Abs2 litB Z27 EGVG 1950 iVm §22 Abs2 RAO). Eine §63 Abs3 AVG vergleichbare Bestimmung, die vorschreiben würde, daß eine Vorstellung gemäß §26 Abs5 RAO einen Berufungsantrag zu enthalten hat, enthält die RAO ebensowenig wie eine §61 Abs1 AVG entsprechende Anordnung, daß in der Rechtsmittelbelehrung auf das Erfordernis eines begründeten Rechtsmittelantrages hinzuweisen ist. Sind aber solche Anordnungen in der RAO für das Vorstellungsverfahren nicht enthalten, so ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen, ob das vom Beschwerdeführer erhobene Rechtsmittel an einem Mangel leidet, der eine Zurückweisung rechtfertigt. Das ist offenkundig nicht der Fall. Die in Rede stehende Vorstellung läßt keinen Zweifel darüber, daß sie sich gegen den an den Beschwerdeführer ergangenen Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 27. April 1990 wendet. Aus der Vorstellung geht auch hervor, daß der Bescheid bekämpft wird, weil der Beschwerdeführer die angewendeten Rechtsvorschriften für verfassungswidrig erachtet. Der Beschwerdeführer kann den von ihm erhobenen Vorwurf der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen an den Verfassungsgerichtshof jedoch erst herantragen, wenn er den Verwaltungsweg ausgeschöpft hat; es besteht kein Zweifel, daß die in Rede stehende Vorstellung diesem Ziel dient.

Da auch sonst kein Prozeßhindernis ersichtlich ist, war die Vorstellung zulässig, sodaß die belangte Behörde den Beschwerdeführer durch Zurückweisung der Vorstellung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hat.

Zu bemerken bleibt, daß der Hinweis des angefochtenen Bescheides auf Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 696, verfehlt ist, weil die zitierte Fundstelle sich mit - dem hier nicht anzuwendenden - §63 Abs3 AVG befaßt, abgesehen davon, daß die belangte Behörde selbst dann, wenn die Bestimmungen des AVG über die Berufung - allenfalls sinngemäß - anzuwenden gewesen wären, bei ihrer Entscheidung §61 Abs1 leg.cit. (demnach hat eine Rechtsmittelbelehrung auf das Erfordernis eines begründeten Rechtsmittelantrages hinzuweisen - ein solcher Hinweis ist nicht erfolgt) und §61 Abs5 AVG (nach dieser Bestimmung gilt das Fehlen eines Rechtsmittelantrages, wenn die Rechtsmittelbelehrung auf dieses Erfordernis nicht hingewiesen hat, als bloßes Formgebrechen) nicht beachtet hätte.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

Rechtsanwaltskammer, Rechtsanwälte Pflichtverteidigung, Pflichtverteidigung, Rechtsgrundsätze, Auslegung, Verwaltungsverfahren Berufung, Berufung, Berufungsantrag begründeter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B628.1990

Dokumentnummer

JFT_10089775_90B00628_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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