Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher sowie Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in G, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 13. Oktober 1992, Zl. 314.849/5-III/3/92, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 20. Dezember 1990 genehmigte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch der Beschwerdeführerin die Änderung ihrer im Standort E-Platz 1, bestehenden gewerblichen Betriebsanlage durch Austausch eines Spannrahmens sowie durch Wechsel des Brennstoffes der Heizung von Heizöl extra leicht auf Erdgas unter Auflagen. Eine hiegegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin nahm der Landeshauptmann von Vorarlberg zum Anlaß, mit seinem Bescheid vom 17. Oktober 1991, eine Auflage abzuändern; im übrigen wurde der Berufung nicht Folge gegeben.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 13. Oktober 1992 wurde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben und der Spruch des Bescheides des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 17. Oktober 1991 wie folgt neu gefaßt:
"Die Berufung der X-Gesellschaft m.b.H, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. C, gegen den Bescheid der BH Feldkirch vom 20. Dezember 1990, Zl. II-2227/89, wird im Grunde des § 63 Abs. 5 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen."
Zur Begründung wurde ausgeführt, der erstinstanzliche Bescheid der BH Feldkirch sei der Beschwerdeführerin an ihrer Zustelladresse H-Straße 17, von der Post zugestellt und dort von D, einer Mitarbeiterin der "Y & Co KG" übernommen worden. D habe am 28. Dezember 1990 (Zustelldatum) von 7.30 bis 12.30 Uhr aufgrund eines zwischen der X-Gesellschaft m.b.H und der "Y & Co KG" abgeschlossenen Vertrages vom 25. August 1988 die Telefonanlage der Beschwerdeführerin bedient und Empfangs- bzw. Auskunftsdienste sowie verschiedene Nebenaufgaben versehen. Von den im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz als Empfänger zu bezeichnenden Personen (gemeint offensichtlich zur Empfangnahme befugten Vertreter einer nicht-natürlichen Person) sei niemand anwesend gewesen. Am 2. Jänner 1991 seien sowohl O wie Dipl. Ing. W (an der Zustelladresse) anwesend gewesen. Die Beschwerdeführerin habe gemäß § 16 Abs. 3 Zustellgesetz (gegenüber der Post) keine Erklärung abgegeben und die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid am 16. Jänner 1991, also nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist, zur Post gegeben. Die Abwesenheit auch sämtlicher zur Empfangnahme befugter Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz bewirke nicht die Unmöglichkeit einer rechtswirksamen Zustellung einer Sendung, vielmehr dürfe diesfalls an einen beliebigen Ersatzempfänger im Sinne des § 16 Abs. 2 leg. cit. zugestellt werden, soferne eine Erklärung gemäß § 16 Abs. 3 leg. cit. nicht abgegeben worden sei und der Empfänger sich um die Zeit des Zustellvorganges so regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte, daß dessen im Zeitpunkt des Zustellvorganges gegebene Abwesenheit die rechtzeitige Kenntniserlangung vom Zustellvorgang nicht verhindere. D habe ihre Arbeiten mit Wissen und Willen der Beschwerdeführerin und auf rechtsgeschäftlicher Basis verrichtet, sei daher am Zustelltag (28. Dezember 1990) im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz als Arbeitnehmerin der Beschwerdeführerin anzusehen bzw. einer solchen gleichzuhalten, weil es bei der Auslegung dieser Gesetzesstelle nicht auf die jeweils konkrete arbeitsrechtliche Konstruktion des Vertragsverhältnisses ankommen könne. Die am 2. Jänner 1991 an der Abgabestelle (nach dem 28. Dezember 1990 erstmals wiederum) anwesenden befugten Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz hätten von der behördlichen Sendung nur um maximal zwei Arbeitstage (Freitag 28. Dezember und Montag 31. Dezember 1990) nach dem tatsächlichen Zustellvorgang Kenntnis erlangen können. Eine Verkürzung der Rechtsmittelfrist um lediglich zwei Tage sei nicht so schwerwiegend, daß damit die Möglichkeit im Sinne des § 16 Abs. 5 Zustellgesetz, rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis zu erlangen, für die Beschwerdeführerin ernsthaft beeinträchtigt worden wäre. Die am 28. Dezember 1990 tatsächlich vorgenommene Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei daher gemäß § 16 Abs. 1 Zustellgesetz rechtswirksam, die am 16. Jänner 1991 zur Post gegebene Berufung der Beschwerdeführerin daher verspätet.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ihrem Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem ihr durch § 66 Abs. 4 AVG gewährleisteten Recht auf Sachentscheidung verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem vor, die belangte Behörde habe die am 28. Dezember 1990 erfolgte Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an die Mitarbeiterin der "Y und & Co KG" entgegen den Bestimmungen des § 16 Abs. 1 und 2 sowie Abs. 5 Zustellgesetz zu Unrecht als wirksam erachtet und deswegen die Berufung gegen den Bescheid der BH Feldkirch vom 20. Dezember 1990 rechtsirrig als verspätet zurückgewiesen. Die belangte Behörde habe ihren bereits in der Berufung vom 16. Jänner 1991 eventualiter gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in der vorigen Stand übergangen. Die im § 66 Abs. 4 AVG der Berufungsbehörde eingeräumte Berechtigung, ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, gehe nicht soweit, eine Sachentscheidung der zweiten Instanz dahin abzuändern, daß die Berufung gegen den Bescheid der ersten Instanz als verspätet zurückgewiesen werde. Die meritorische Entscheidung des Landeshauptmannes von Vorarlberg impliziere zumindest eine positive Erledigung des gleichzeitig mit ihrer Berufung vom 16. Jänner 1991 gestellten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Aufgrund des allgemein bekannten und von der Beschwerdeführerin auch öffentlich bekannt gemachten Betriebsurlaubes sei der Zusteller des erstinstanzlichen Bescheides zur Annahme, daß sich ein befugter Vertreter der Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit an der Abgabestelle aufgehalten habe, im Sinne des § 16 Abs. 1 Zustellgesetz nicht berechtigt gewesen. Mit dem Umstand, daß im fraglichen Zeitraum bei der Beschwerdeführerin Betriebsurlaub gewesen sei, setze sich der angefochtene Bescheid nicht auseinander. An die Zulässigkeit von Ersatzzustellungen sei ein strenger Maßstab anzulegen, weil diese eine Ausnahme vom tragenden Prinzip der Zustellung an den Empfänger darstellten und für diesen mit weitreichenden Risken belastet seien; D könne nicht als Arbeitnehmer des Empfängers im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz angesehen werden, weil sie in keinem wie immer gearteten Arbeits- oder sonstigen Rechtsverhältnis zur Beschwerdeführerin gestanden, sondern Mitarbeiter der "Y & Co KG" gewesen sei. Gemäß § 16 Abs. 5 Zustellgesetz gelte eine Ersatzustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergebe, daß der Empfänger oder dessen Vertreter wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Letzteres sei der Fall, weil die Rechtsmittelfrist im vorliegenden Fall zufolge Abwesenheit von der Abgabestelle tatsächlich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - um fünf Tage und damit mehr als ein Drittel verkürzt worden sei.
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten - hier nicht näher interessierenden - Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60 AVG) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Die Befugnis der Berufungsbehörde, sowohl im Spruch als auch in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, beinhaltet auch die Möglichkeit, die Berufungsentscheidung auch zum Nachteil des Berufungswerbers (reformatio in peius) oder aus anderen Gründen als den in der Berufung vorgebrachten abzuändern. Da die Beschwerdeführerin Berufung erhoben hat, war auf die belangte Behörde als Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG das Recht und die Pflicht übergegangen, in der Sache selbst zu entscheiden und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Die belangte Behörde durfte sohin auch die Zurückweisung trotz meritorischer Entscheidung der Vorinstanz aussprechen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen, was bedeutet, daß der Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde dann rechtmäßig ist, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt war. Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft. Über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels ist - von Fällen abgesehen, in denen dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde - unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage zu entscheiden (vgl. das Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Slg. N.F. Nr. 12.275/A).
Infolge Erledigung ihrer Berufung durch den Landeshauptmann von Vorarlberg in der Sache wurde über den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin - wie sich aus Spruch und Begründung ergibt - nicht entschieden.
Wesentliche Verfahrensverstöße im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG können daher dem angefochtenen Bescheid nicht unterstellt werden.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 16 Zustellgesetz lauten:
"1. Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
2. Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.
...
5. Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."
Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 16 Abs. 1 leg. cit. setzt zufolge § 16 Abs. 5 leg. cit. voraus, daß sich der Empfänger oder Vertreter im Zeitpunkt der Zustellung regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
Schon in ihrer am 16. Jänner 1991 zur Post gegebenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, daß zur Zeit der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides im Unternehmen der Beschwerdeführerin Betriebsurlaub gewesen sei (Zeitraum des Betriebsurlaubes: 24. Dezember 1990 bis 1. Jänner 1991). Hievon geht auch die belangte Behörde im angefochtenen Erkenntnis offensichtlich aus, in welchem sie feststellte, daß am 28. Dezember 1990 kein zur Empfangnahme der Sendung befugter Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz anwesend war, wohl aber am 2. Jänner 1991.
Ob die Mitarbeiterin der "Y & Co KG" D Arbeitnehmerin und damit zulässigerweise Ersatzempfängerin im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz war, ist daher im Hinblick darauf, daß im Zustellzeitpunkt 28. Dezember 1990 bei der Beschwerdeführerin Betriebsurlaub war, nicht näher zu untersuchen. Ein Betriebsurlaub der hier vorliegenden Art erfüllt das Tatbestandselement des regelmäßigen Aufenthaltes an der Abgabestelle nicht. Da aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes dem zur Empfangnahme der Sendung befugten Vertreter der Beschwerdeführerin nach § 13 Abs. 3 Zustellgesetz der erstinstanzliche Bescheid frühestens am Tag der Rückkehr an die Abgabestelle tatsächlich zukommen konnte, ist die am 16. Jänner 1991 zur Post gegebene Berufung der Beschwerdeführerin jedenfalls rechtzeitig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung AnfechtungserklärungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992040280.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008