TE Vwgh Beschluss 1993/7/14 93/03/0136

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Veröffentlicht am 14.07.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 93/03/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des G in S, Deutschland, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 25. März 1993, Zl. 13/256-1/1992, betreffend Übertretung der StVO 1960, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wird nicht stattgegeben.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers wurde ihm der angefochtene Bescheid (zu Handen seines Rechtsvertreters) am 2. April 1993 zugestellt. Damit steht fest, daß die Beschwerdefrist gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG am 14. Mai 1993 endete und somit die erst am 9. Juni 1993 zur Post gegebene (zur Zl. 93/03/0136 protokollierte) Beschwerde verspätet eingebracht wurde. Aus diesem Grunde hat der Beschwerdeführer den (zur Zl. 93/03/0137 protokollierten) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt. Er begründet diesen im wesentlichen wie folgt:

Nach Einlangen des vorliegenden Berufungserkenntnisses in der Kanzlei des Beschwerdevertreters am 2. April 1993 habe die mit der Fristvormerkung beauftragte Kanzleikraft ordnungsgemäß, wie dies in der Kanzlei üblich sei, die Frist für die Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde mit drei Wochen (23. April 1993) im Kalender vorgemerkt. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes habe der Beschwerdevertreter die Erfolgschancen einer allfälligen Beschwerde als nicht ausreichend qualifiziert und dies dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. April 1993 mitgeteilt. Darin habe er den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß für den Fall, daß nicht bis spätestens 23. April 1993 eine dem Rat, keine Beschwerde zu erheben, widersprechende schriftliche oder telefonische Weisung in der Kanzlei eingehe, eine Beschwerde nicht eingebracht, sondern der Akt archiviert werde. Im Zuge einer Terminüberprüfung am 23. April 1993 habe Rechtsanwalt Dr. B, mit dem der Beschwerdevertreter damals in Kanzleigemeinschaft gewesen sei, festgestellt, daß eine Rückäußerung seitens des Beschwerdeführers nicht eingelangt sei und dementsprechend die Rechtsmittelfrist für die Erhebung der Beschwerde außer Evidenz zu nehmen sei. Auf Grund seines Aktenvermerkes sei im Kalender die Evidenzfrist für die Beschwerde gestrichen worden. Am 26. April 1993 sei jedoch ein Schreiben des Beschwerdeführers in der Kanzlei eingelangt, in welchem dieser ausdrücklich die Erhebung einer Beschwerde wünsche. Da der gegenständliche Akt in der Kanzlei des Beschwerdeführers (gemeint wohl: Beschwerdevertreters) bereits am 24. April 1993 zu den zu "archivierenden" Akten gelegt worden sei, sei das Schriftstück seitens der Kanzleibediensteten, wie üblich, in diesen Akt abgelegt worden. Auf Grund der Organisation in der Kanzlei des Beschwerdevertreters würden täglich die zu archivierenden Akten überprüft und abschließend bearbeitet, sodaß zwangsläufig am 26. April 1993 der Eingang des Schreibens des Beschwerdeführers vom 21. April 1993 aufgefallen wäre. Da jedoch die Kanzleigemeinschaft zwischen dem Beschwerdevertreter und Dr. B mit 1. Juni 1993 aufgelöst wurde, seien völlig unplanmäßig, zur Durchführung der internen Aktenaufteilung, die zu archivierenden Akten nicht täglich überprüft worden, zumal davon auszugehen gewesen sei, daß diese Akten bereits abgeschlossen seien und ein unmittelbarer Handlungsbedarf hinsichtlich allfälliger Evidenzfristen nicht mehr gegeben sei. Auf Grund dieses unglücklichen Umstandes sei in der Folge erst mit dem Vollzug der Trennung am 1. Juni 1993 im Zuge einer allgemeinen Aktenüberprüfung durch den Beschwerdevertreter das Schreiben des Beschwerdeführers aufgefallen. Die Fristversäumnis sei sohin auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen, das Verschulden übersteige nicht einen minderen Grad des Versehens.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf ihren Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Parteienvertreters ist einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen (vgl. u.a. den hg. Beschluß vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0177, 0180). Das Versehen eines Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn er die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Das heißt, daß der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten hat, daß die erforderliche und fristgerechte Wahrung von Prozeßhandlungen bzw. die Einhaltung behördlicher Termine sichergestellt wird.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber - oder sein Vertreter - darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten oder Verwaltungsbehörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1992, Zl. 92/02/0208, mit weiterem Judikaturhinweis). Von einem solchen bloß minderen Grad des Versehens kann auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Gerade im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Auflösung einer Kanzleigemeinschaft zu erwartenden Schwierigkeiten stellt die mangelnde Kontrolle des Kanzleipersonals bei der Eintragung von Fristen sowie Vorlage von Akten, in denen fristgebundene Verfahrenshandlungen zu setzen sind, eine Vorgangsweise dar, die nicht mehr als leichte Fahrlässigkeit angesehen werden kann.

Dies hat zur Folge, daß dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattzugeben und die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993030136.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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