TE Vfgh Erkenntnis 1991/2/25 B508/90

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Veröffentlicht am 25.02.1991
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß-und Melderecht

Norm

StGG Art8
PersFrSchG §4
FremdenpolizeiG §5 Abs1
ZustellG §9 Abs1

Leitsatz

Kein wirksamer Rechtsmittelverzicht bei ungerechtfertigtem Druck; keine wirksame Zustellung an den Beschwerdeführer bei rechtsfreundlicher Vertretung; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die Festnahme und Anhaltung ohne vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheid mangels rechtswirksamer Zustellung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die am 11. April 1990 um 16 Uhr 35 von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg vorgenommene Festnahme und die folgende Anhaltung im Gefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Salzburg im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Der türkische Staatsangehörige D A- vertreten durch Rechtsanwalt Dr. U S - rügt in einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 (Abs1) B-VG (protokolliert zum AZ B508/90), Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg hätten ihn am 11. April 1990 durch gesetzwidrig ausgeübte unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt, nämlich durch seine Festnahme und nachfolgende Anhaltung in Schubhaft, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.

1.1.2.1. Am 23. April 1990 forderte der Verfassungsgerichtshof die belangte Bundespolizeidirektion Salzburg auf, binnen sechs Wochen die Verwaltungsakten vorzulegen und eine Gegenschrift zu erstatten. Diese Verfügung kam der belangten Behörde am 27. April 1990 zu; die damit in Gang gesetzte (sechswöchige) Frist endete am 8. Juni 1990.

1.1.2.2. Mit Schreiben vom 10. Mai 1990 teilte die belangte Behörde dem Verfassungsgerichtshof mit, der Beschwerdeführer habe am 9. Mai 1990 seinem Rechtsanwalt (Dr. S) die Vollmacht gekündigt und die von seinem Vertreter eingebrachten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, d.s. die vorliegende und eine weitere zum AZ B494/90 protokollierte, ausdrücklich zurückgezogen. Zugleich übermittelte sie eine Niederschrift vom 9. Mai 1990, wonach der Beschwerdeführer seinem Vertreter die Vollmacht kündigte (gemeint: sie widerrief) und die Beschwerden zurückzog.

Die belangte Behörde erstattete keine Gegenschrift mehr.

1.1.3.1. Der Verfassungsgerichtshof brachte das Protokoll vom 9. Mai 1990 Dr. S zur Kenntnis, der in einem Schriftsatz vom 19. Juni 1990 den Standpunkt einnahm, die protokollierten Äußerungen vom 9. Mai 1990 entsprächen nicht dem Willen des Beschwerdeführers, es sei keine konsensmäßige Erklärung zustandegekommen, die als rechtsgültige Prozeßerklärung gewertet werden könne. Er wies ferner darauf hin, daß er selbst übergangen und daß "kein zum Dolmetscheramt staatlich befähigter Dolmetscher" beigezogen worden sei.

1.1.3.2. Aus den Akten des Verfassungsgerichtshofs (AZ B508/90, B494/90) und den vorliegenden Administrativakten geht dazu folgendes hervor:

1.1.3.2.1. Am 14. Dezember 1988 erteilte die Bundespolizeidirektion Salzburg dem Beschwerdeführer einen Sichtvermerk bis zum 14. Juni 1989, am 27. Juni 1989 einen solchen bis zum 27. Dezember 1989. Mit Bescheid dieser Behörde vom 20. Feber 1990, laut Rückschein zugestellt am 5. März 1990, wurde ein vom Beschwerdeführer am 6. Feber 1990 eingebrachter Antrag auf Erteilung eines Wiedereinreisesichtvermerks abgewiesen. Vom 11. bis zum 19. April und ab dem 23. April 1990 wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten.

Schon am 13. April 1990 war bei der Bundespolizeidirektion Salzburg eine Vollmacht des Beschwerdeführers für Rechtsanwalt Dr. U S eingelangt.

1.1.3.2.2. Am 9. Mai 1990, dem Tag der umstrittenen Niederschrift, waren folgende (ordentlichen und außerordentlichen) Rechtsmittel des Beschwerdeführers anhängig:

a) Eine Beschwerde (gemäß Art144 B-VG) gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 20. Feber 1990 (Versagung des Sichtvermerks) - AZ B494/90;

b) die hier in Behandlung stehende Beschwerde (gemäß Art144 B-VG) gegen die Anhaltung in Schubhaft ab 11. April 1990 - AZ B508/90;

c) eine Berufung gegen einen Schubhaftbescheid vom 19. April 1990 und

d) ein Einspruch gegen eine Strafverfügung vom 25. April 1990 (Bestrafung wegen unerlaubten Aufenthaltes gemäß §14 b Abs1 Z4 iVm §2 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz).

Am 9. Mai 1990 wurden um 14 Uhr 15 und um 14 Uhr 25 vor der Bundespolizeidirektion Salzburg mit D S zwei Niederschriften aufgenommen. Anwesend waren jeweils: OR Mag. K (Leiter der Amtshandlung), VB N, der (aus der Haft vorgeführte) Beschwerdeführer, B E, "welcher als Dolmetscher und Vertrauensmann fungiert", und Dr. M Ö (Verein VeBBAS - Verein zur Beratung und Betreuung von Ausländern in Salzburg). In der ersten Niederschrift ist protokolliert, der Beschwerdeführer kündige seinem Vertreter, Dr. S, die Vollmacht und ziehe die genannten vier Rechtsmittel ausdrücklich zurück. In der zweiten Niederschrift wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots (bis zum 9. Mai 1993) beurkundet, ebenso ein Berufungsverzicht sowie die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs bis 30. Juni 1990 gemäß §6 Abs2 FrPolG. Dieser Aufschub ist auf dem Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Feber 1990 beurkundet, der mit dem Bescheid vom 20. Feber 1990 abgewiesen worden war, und wird dort von der Behörde als Sichtvermerk (gemäß §6 Abs1 FrPolG) bezeichnet. (Die erste der genannten beiden Niederschriften wurde dem Verfassungsgerichtshof mit Schreiben vom 10. Mai 1990 übermittelt.)

1.1.3.2.3. In der Begründung des (zum AZ B494/90 angefochtenen) Bescheides der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 20. Feber 1990 wird ua. (Seite 2) ausgeführt: "Daß es sich bei der von Ihnen angeführten Begründung für den tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, nämlich den Besuch eines Deutschkurses, lediglich um einen Vorwand handelte, ist bereits daraus ersichtlich, daß Sie bis heute, nahezu 17 Monate später, noch kein Wort Deutsch sprechen."

Auch Dr. Ö bekundete vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg - die ein Berufungsverfahren über das ebenfalls am 9. Mai 1990 erlassene Aufenthaltsverbot und die Wirksamkeit des Berufungsverzichtes zu beurteilen hatte -, der Beschwerdeführer spreche nicht deutsch. Ebenso sagte dort B E aus, der Beschwerdeführer sei der deutschen Sprache nicht mächtig. In einer derselben Behörde zugeleiteten schriftlichen Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer vor: "Richtig ist, daß ich der deutschen Sprache nahezu nicht mächtig bin."

B E, der am 9. Mai 1990 dolmetschte, gab an, er sei kein Dolmetscher (und habe auch niemals ein Entgelt dafür bekommen). Er ist weder Amtsdolmetscher noch wurde er beeidet, wie dies §39 a Abs1 iVm §52 Abs2 AVG 1950 vorschreibt. Unbestritten ist, daß er in geschäftlichen Beziehungen zum Beschwerdeführer stand; doch gehen die Angaben auseinander, wer Forderungen gegen wen hatte. Der Beschwerdeführer behauptete überdies, mit E im Streit zu leben. (Er wäre allerdings, hätte er einen Ablehnungsantrag (gemäß §53 Abs1 letzter Satz AVG 1950) stellen wollen, darauf angewiesen gewesen, daß der abgelehnte Dolmetsch zumindest diesen Antrag korrekt übersetzte.)

1.1.3.2.4. Die Angaben über die nähere Vorgeschichte der Verhandlung vom 9. Mai 1990 sind widersprüchlich. E behauptet, der Beschwerdeführer habe ihn bei einem Besuch während der Schubhaft gebeten, ihm zu helfen, freigelassen zu werden, weil er freiwillig in die Türkei zurückkehren wolle. Dem entspricht der erste Satz der Niederschrift vom 9. Mai 1990 (14 Uhr 15). Der Beschwerdeführer - den der Verfassungsgerichtshof im Vorverfahren im Rechtshilfeweg zur Frage der Beschwerderückziehung gerichtlich einvernehmen ließ - bestreitet eine derartige Äußerung; vielmehr habe E ihm die Situation derart geschildert, daß er mit seiner unverzüglichen Abschiebung rechnen müsse, jedoch für weitere zwei Monate in Österreich bleiben dürfe, wenn er dem Rechtsanwalt die Vollmacht kündige und die Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof zurückziehe.

    Ähnlich beschreibt der Verhandlungsleiter in einem Aktenvermerk

die Vorgeschichte der besagten Niederschrift. Er führte aus, er

habe E mitgeteilt, "daß diesem Ersuchen (freiwillige Rückkehr in

die Türkei, jedoch kurze Frist vor der Abreise) entsprochen werden

könne, . . . (es sei) aber Voraussetzung (hiefür), daß die

diesbezüglichen . . . Bescheide in Rechtskraft erwachsen würden,

daß . . . A ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot

akzeptieren müsse und daß er anläßlich der Zurückziehung der durch

seinen ausgewiesenen Vertreter eingebrachten ordentlichen und

außerordentlichen Rechtsmittel diesem die Vollmacht kündigen müsse,

damit keine Zweifel bezüglich Rechtswirksamkeit dieser Erklärung

bestehen können." E gab am 27. Juni 1990 vor der

Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg über die

Verhandlung vom 9. Mai 1990 an: "Es wurde vereinbart, daß A aus der

Haft entlassen . . . werden solle . . . Dies unter der Bedingung,

daß er sämtliche Beschwerden und Berufungen zurückziehe und seinem

Rechtsanwalt die Vollmacht entziehen werde . . . " Er behauptete

weiter, diese Bedingungen auf einem Zettel notiert zu haben, den er dem Beschwerdeführer vorlegte. Der Beschwerdeführer bestreitet, diese Notiz gesehen zu haben. Punkt 3. dieses im Administrativakt in Ablichtung erliegenden Zettels lautet (Übersetzung durch Dolmetsch E R): "Alle Beschwerden soll er mittels eines Rechtsanwaltes zurückziehen". (Da Punkt 4. des Schriftstücks vom Widerruf der Vollmacht spricht, ist Punkt 3. wohl so zu verstehen, daß die durch einen Rechtsanwalt eingebrachten Beschwerden zurückgenommen werden sollen.) Auch Dr. Ö sprach vor der Sicherheitsdirektion davon, der Beamte habe den Beschwerdeführer auf freien Fuß setzen wollen, "allerdings nur unter der Bedingung, daß er sämtliche Berufungen, Einsprüche und Beschwerden zurück- und seinem anwaltlichen Vertreter die Vollmacht entziehen werde".

    Bei der Rechtshilfevernehmung gab der Beschwerdeführer an, E

habe ihm am 9. Mai 1990 im Gefangenenhaus eröffnet, "daß ich von

der Polizei eine zweimonatige Aufenthaltsbewilligung bekommen

würde, wenn ich bereit wäre, meinem Rechtsanwalt die Vollmacht zu

entziehen und die an den Verfassungsgerichtshof  gerichteten

Beschwerden ebenfalls ausdrücklich zurückzuziehen. . . . Von B E

wurde mir dann kurz erklärt, daß es sich bei diesem Protokoll um

die Zurückziehung meiner Beschwerden handle sowie um Entziehung der

Vollmacht für meinen Rechtsanwalt. . . . Ich erkläre ausdrücklich,

daß ich diese Erklärungen nur deshalb abgegeben habe, um tatsächlich dieses mir versprochene zweimonatige Aufenthaltsvisum zu erhalten und nicht noch weiter unbestimmte Zeit im polizeilichen Gefangenenhaus verbringen zu müssen"; die Zurückziehung der Beschwerden habe nicht seinem tatsächlichen Willen entsprochen.

1.2.1. Der Verfassungsgerichtshof führte bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 11.171/1986 zur Frage der Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts im Anwendungsbereich des AVG 1950 wörtlich aus: "Voraussetzung für einen gültigen Berufungsverzicht ist, daß er ohne Druck und in Kenntnis seiner Rechtsfolgen abgegeben wird . . . Die Beschwerdeführerin befand sich zum Zeitpunkt der Strafverhandlung in Haft; sie ist nicht rechtskundig und der deutschen Sprache offenbar nicht voll mächtig. Unter diesen Umständen ist die von ihr unterfertigte Berufungsverzichts-Erklärung nicht wirksam."

1.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser grundlegenden Rechtsauffassung, die auch für Verfahren nach dem VerfGG 1953 maßgebend ist, unverändert fest. Das bedeutet, daß hier angesichts der einleitend dargelegten näheren Umstände der Vorgänge vom 9. Mai 1990 keinesfalls gesagt werden kann, der Beschwerdeführer habe die beim Verfassungsgerichtshof (zum AZ B508/90) eingebrachte Beschwerde nach Art144 B-VG rechtswirksam zurückgezogen. Denn zum einen beherrschte D A die deutsche Sprache offenbar nicht dermaßen ausreichend, daß er die Rechtsfolgen seiner Erklärung hätte voll erfassen können (ein beeideter Dolmetsch stand nicht zur Verfügung). Zum anderen konnte sich der Beschwerdeführer durch die damaligen Begebenheiten insgesamt - subjektiv - mit gutem Grund deutlich unter ungerechtfertigten Druck gesetzt fühlen, wenn berücksichtigt wird, daß die ihm ersichtlich abverlangte Rückziehung der Beschwerde nach Art144 B-VG keineswegs rechtliche Voraussetzung für die von ihm angestrebte Entlassung aus der Schubhaft bildete.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Vorausgeschickt wird, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684, d.i. der 1. Jänner 1991 (Art8 Abs1 leg.cit.), bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen eine polizeiliche Festnahme) kraft der Übergangsbestimmung des Art8 Abs4 des zitierten Verfassungsgesetzes sowie gemäß ArtIX Abs2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen ist.

2.2.1.1. Der Beschwerdeführer stellte seine Sichtvermerksanträge - der letzte ging am 6. Feber 1990 bei der Behörde ein -, ohne sich eines Rechtsanwaltes zu bedienen. Am 14. Feber 1990 langte bei der Behörde eine Vollmacht des Beschwerdeführers für die Rechtsanwälte Dr. K W und Dr. E M ein. Der - den Antrag vom 6. Feber 1990 abweisende - Bescheid vom 20. Feber 1990 (angefochten zum AZ B494/90) wurde an diese Rechtsanwälte als Zustellempfänger adressiert und ihnen am 5. März 1990 zu eigenen Handen zugestellt. Ein Schubhaftbescheid vom 5. April 1990 ist ebenfalls an diese Rechtsanwälte gerichtet. Diese Zustellung scheiterte daran, daß sich die Adressaten bis 17. April 1990 auf Urlaub befanden. Auf der Urschrift des Bescheides (im Verwaltungsakt) findet sich folgender Satz: "Vorstehender Bescheid wurde mir (: Beschwerdeführer) im Amte am 11.04.1990 zugestellt."

Diese Erklärung ist allerdings nicht unterschrieben, unter dem für die Unterschrift vorgesehenen Raum findet sich der Vermerk:

"Unterschrift verweigert! Originalbescheid (gemeint wohl: Bescheidausfertigung) wurde ausgefolgt." Laut Verwaltungsakt wurde der Beschwerdeführer am 11. April 1990, um 16 Uhr 35, in Vollziehung des Bescheides vom 5. April 1990 angehalten und in das Polizeigefangenenhaus eingeliefert. Am 12. April gab er in einer Niederschrift an, "daß der Rechtsanwalt, der mich jetzt vertritt, derjenige ist, mit dem ich die Firma gegründet habe . . . Seinen Namen weiß ich nicht." Am nächsten Tag langte bei der belangten Behörde eine Vollmacht des Rechtsanwaltes Dr. S ein. Am 19. April 1990 schließlich wurde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen. Ein (weiterer) Schubhaftbescheid vom selben Tag ist an den neugewählten Rechtsanwalt adressiert und wurde ihm zu eigenen Handen zugestellt.

2.2.1.2. Die Behörde ging bei der Erlassung des Schubhaftbescheides von einem bestehenden Vertretungsverhältnis aus. Obwohl die Zustellung des Bescheides an die Anwälte mißlang, wurde der Beschwerdeführer festgenommen und angehalten. Dabei stützte sich die Behörde ausdrücklich auf §5 Abs1 FrPolG idF BGBl. 190/1990: Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, setzt aber nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zwingend voraus, daß sie durch einen Bescheid verfügt wurde. Im anderen Fall wird das Recht auf persönliche Freiheit verletzt (zB die auch nach der am 7. April 1990 in Kraft getretenen Novelle BGBl. 190/1990 maßgebliche Entscheidung VfSlg. 8038/1977).

2.2.1.3. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofs kann ein Bescheid, auch ein Schubhaftbescheid, an den Bescheidadressaten nicht wirksam zugestellt werden, wenn der Behörde bekannt ist, daß er in dieser Sache rechtsfreundlich vertreten ist. Nur die Übergabe einer Bescheidausfertigung an den Rechtsfreund bewirkt eine gültige Zustellung (VfSlg. 10.978/1986, 11.431/1987, insb.: 11.596/1988; ferner VfGH 3.10.1988 B1274/88; 14.10.1988 B1225/87).

Das traf hier nicht zu.

2.2.2. Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Ein solcher Fall lag nicht vor: Wie schon dargetan, konnte die Festnahme des Beschwerdeführers mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPolG (und auch auf keine andere Rechtsgrundlage) gestützt werden (vgl. zB VfSlg. 9323/1982, 10.978/1986 und VfGH 14.10.1988 B1225/87); gleiches gilt für die weitere Anhaltung.

2.3. Es war darum festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch seine Festnahme und durch die darauf folgende Anhaltung (somit Maßnahmen, die als in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene individuelle Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG zu qualifizieren sind) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen einzugehen.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Berufung, Zustellung, Zustellbevollmächtigter, Fremdenpolizei, Schubhaft, Rechtsmittelverzicht, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / Zurücknahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B508.1990

Dokumentnummer

JFT_10089775_90B00508_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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