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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. April 1993, Zl. SD 210/93, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. April 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß der Beschwerdeführer, dessen Asylantrag im Jahr 1991 abgewiesen worden sei und der zuletzt einen bis 30. März 1992 gültigen Sichtvermerk erhalten habe, mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Dezember 1992 wegen § 15 StGB, § 12 Abs. 1 und § 16 Suchtgiftgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden sei. Vier Tage vor der Gerichtsverhandlung, am 18. Dezember 1992, habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Wenngleich er im Oktober 1992 um Erteilung eines Sichtvermerkes angesucht habe, sei sein Aufenthalt zu dieser Zeit längst unerlaubt gewesen; er habe seit März 1992 damit rechnen müssen, Österreich verlassen zu müssen. Mit der genannten gerichtlichen Verurteilung seien die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG und damit auch jene des § 18 Abs. 1 leg. cit. erfüllt.
Gegen einen Fremden, der wegen eines Verbrechens gemäß § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz verurteilt werde, sei im Interesse der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität auch im Fall der bedingten Strafnachsicht die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aus im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen, und zwar zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit, dringend geboten. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei daher zulässig. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer, der sich im Zeitpunkt der Eheschließung unerlaubt in Österreich aufgehalten habe, aufgrund seines Verhaltens damit rechnen müssen, daß er das Bundesgebiet verlassen müsse. Aus diesen Gründen könne den Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie unter Bedachtnahme auf die unverhältnismäßig kurze Dauer des legalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich kein solches Gewicht beigemessen werden wie den öffentlichen Interessen an der dringend gebotenen Erlassung des Aufenthaltsverbotes.
2. Gegen diesen Bescheid - die dagegen zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde nach Ablehnung von deren Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Beschluß vom 21. Juni 1993, B 935/93) - richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit behauptende Beschwerde mit dem Begehren, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des § 18 Abs. 1 und 2 Z. 1, des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG lauten:
§ 18. (1) Gegen einen Fremden ist ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt
1.
die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder
2.
anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder
1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; ...
§ 19. Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.
§ 20. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1.
die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.
2.
Die von der belangten Behörde aufgrund der
rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers nach dem Suchtgiftgesetz angenommene Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG, weiters ihre Ansicht, es sei aufgrund dessen auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt, und schließlich ihre Auffassung, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 leg. cit. zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Gesundheit dringend geboten sei, erweist sich als zutreffende - im übrigen in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogene - rechtliche Beurteilung.
3.1. Der Beschwerdeführer meint indes, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nicht dem Gesetz entspreche. Entgegen § 20 Abs. 1 FrG habe es die belangte Behörde unterlassen, seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin (die in der 14. Woche schwanger sei) und seine aufgrund eines "ordentlichen" Beschäftigungsverhältnisses gegebene weitestgehende Integration zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Es sei offensichtlich, daß eine intensivere familiäre Bindung als die zur Ehefrau und dem zu erwartenden gemeinsamen Kind nicht möglich sei. Seine und seiner Familie Lebenssituation wäre höher zu bewerten gewesen als andere Interessen, insbesondere da eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch ihn aufgrund der genauen Befolgung der erteilten gerichtlichen Weisungen nicht zu befürchten sei.
3.2. Diesem Vorbringen vermag der Gerichtshof nicht beizupflichten. Der Beschwerdeführer hat nicht bestritten, daß er sich seit Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihm nach seiner Einreise im Jahr 1991 bis 30. März 1992 erteilten Sichtvermerkes ohne österreichischen Sichtvermerk in Österreich aufhält. Sein Aufenthalt seit diesem Zeitpunkt ist demnach gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 FrG nicht rechtmäßig. Während eines unerlaubten Aufenthaltes eines Fremden in Österreich von diesem geschaffene Tatsachen, wie ein Beschäftigungsverhältnis, haben bei der Interessenabwägung ebenso außer Betracht zu bleiben wie der unrechtmäßige Aufenthalt selbst (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. September 1992, Zl. 92/18/0350, und vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0466). Den aus einer kurz vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes eingegangenen Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin abgeleiteten, der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes entgegenstehenden Interessen aber kommt kein maßgebliches Gewicht zu (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 92/18/0350), wobei die Schwangerschaft der Ehegattin an dieser Wertung nichts Wesentliches zu ändern vermag.
Wenn die belangte Behörde somit in Anbetracht des nur geringen Gewichtes der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers die maßgeblichen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen ungleich höher veranschlagt hat, so begegnet diese Beurteilung im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität keinen rechtlichen Bedenken; dies umso weniger, als nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Suchtgiftdelikten selbst bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden (was nach dem Vorgesagten auf den Beschwerdeführer nicht zutrifft) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtswidrig ist (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 30. Juli 1992, Zl. 92/18/0319, und vom 14. Jänner 1993, Zl. 92/18/0475). Der in der Beschwerde ins Treffen geführte Umstand, daß das Gericht dem Beschwerdeführer - gemäß § 50 Abs. 1 StGB bei bedingt nachgesehenen Strafen vorgesehene - Weisungen erteilt hat, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und er - nach den Beschwerdebehauptungen - diese Weisungen befolgt hat, führt schon deshalb nicht weiter, weil auch dann, wenn letzteres zuträfe, der seit der Verurteilung verstrichene Zeitraum viel zu kurz wäre, um insoweit verläßliche Schlüsse zugunsten des Beschwerdeführers ziehen zu können.
4. Im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der behördlichen Interessenabwägung ist den diesbezüglichen Verfahrensrügen - Unterlassung der beantragten Vernehmung der Ehegattin des Beschwerdeführers "zum Nachweis der engsten familiären und sonstigen Bindungen"; Unterlassung der Einholung einer Auskunft des Gerichtes "zum Nachweis der erteilten gerichtlichen Weisungen und genauen Befolgung derselben durch den Beschwerdeführer" - der Boden entzogen.
5. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren (daher auch ohne Mängelbehebungsauftrag bezüglich einer weiteren Beschwerdeausfertigung für den Bundesminister für Inneres) als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180311.X00Im RIS seit
20.11.2000