TE Vfgh Erkenntnis 1991/2/26 B1711/88

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Veröffentlicht am 26.02.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Verhaftung
B-VG Art144 Abs1 / Vorführung Alkoholeinwirkung

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde gegen die behauptete Festnahme und Mißhandlung mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.a. J U beantragt mit seiner auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof die kostenpflichtige Feststellung, er sei

aa. durch sein "unfreiwilliges Verbringen" von Straßenkilometer 26,5 der Bundesstraße ..., Ortsgebiet W, über eine Fahrtstrecke von rund 15 km und eine Fahrtdauer von rund 15 Minuten zum Gendarmerieposten des GPK G am 1.9.1988 ab ca. 23.55 Uhr bis zum 2.9.1988 ca. 0.10 Uhr durch Organe der Bezirkshauptmannschaft W im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie

bb. durch Reißen an den Haaren durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft W am 2.9.1988 gegen 0.25 Uhr am Gendarmerieposten des GPK G im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden,

verletzt worden.

b. In der Beschwerde wird der Sache nach im wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer sei am 1.9.1988 gegen 23.50 Uhr im Ortsgebiet von W auf der Bundesstraße ... als Lenker eines PKW von Gendarmeriebeamten nächst Straßenkilometer 26,5 angehalten, aus seinem Fahrzeug gezerrt und mit der Behauptung, er müsse "zum Alkomat mitfahren", in den Funkpatrouillenwagen gesetzt worden. Der Beschwerdeführer sei daraufhin - ohne seine Einwilligung - nicht zum nächstgelegenen Gendarmerieposten des GPK W, sondern zum Gendarmerieposten des GPK Güber eine Fahrtstrecke von mehr als 15 km und eine Fahrtdauer von rund 15 Minuten gebracht worden. Am Gendarmerieposten des GPK G habe der Beschwerdeführer zwar auftragsgemäß in das Atemluftmeßgerät geblasen, dieses habe jedoch wegen der schmächtigen Statur des Beschwerdeführers und mangels Lungenvolumens kein Meßergebnis geliefert. Daraufhin habe ein - namentlich nicht genannter - Beamter des Gendarmeriepostens G den Beschwerdeführer an den Haaren erfaßt und aus dem Dienstzimmer vor die Tür gezerrt. Nachdem der Beamte den Beschwerdeführer wieder losgelassen habe, sei dieser in das Dienstzimmer zurückgekehrt, wo ihm gegen 0.39 Uhr des 2.9.1988 gemäß §76 Abs1 KFG der Führerschein vorläufig abgenommen worden sei.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die "unfreiwillige Fahrt aus dem Überwachungsgebiet des GPK W hinaus" zum Gendarmerieposten des GPK G im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit insbesondere deshalb als verletzt, weil die Atemluftuntersuchung nur an Ort und Stelle oder am GPK W hätte stattfinden dürfen. Durch das "Reißen an den Haaren und Zerren vor den Dienstraum" durch einen Beamten des GPK G erachtet sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art3 EMRK als verletzt, weil durch dieses Verhalten "eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Beschwerdeführers als Person zum Ausdruck kam".

2.a. Die Bezirkshauptmannschaft W als belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde im Hinblick auf den Beschwerdepunkt 1.a.aa. ausdrücklich, im Hinblick auf Beschwerdepunkt 1.a.bb. der Sache nach beantragt.

In der Gegenschrift der belangten Behörde wird insbesondere ausgeführt, daß das Atemalkoholtestgerät, das dem Gendarmeriepostenkommando W zugeteilt ist, am 1.9.1988 wegen einer Reparatur nicht zur Verfügung stand, das am Gendarmeriepostenkommando G stationierte Gerät daher im beschwerdegegenständlichen Fall das nächste zur Verfügung stehende Gerät war.

b. Die belangte Behörde beauftragte im Zuge des Beschwerdeverfahrens das Landesgendarmeriekommando für S, Abteilungskommando W, zu den in der Beschwerde erhobenen Vorwürfen Erhebungen durchzuführen. In Entsprechung dieses Auftrages wurden durch das Gendarmerie-Abteilungskommando W die Gendarmeriebeamten Bez.Insp. F A, Rev.Insp. H F und Rev.Insp. A G (Besatzung des Funkpatrouillenwagens) sowie Bez.Insp. M P und Insp. J T (am Gendarmerieposten G anwesende Beamte) als Auskunftspersonen vernommen. Die Besatzung des Funkpatrouillenwagens gab übereinstimmend an, der Beschwerdeführer habe sich nach Aufforderung durch Rev.Insp. H F zur Alkomatmessung bereit erklärt. Er habe sich auch mit der Durchführung der Messung am Gendarmerieposten G einverstanden erklärt, nachdem ihm zugesichert worden sei, ihn wieder nach W zurückzubringen und sei schließlich freiwillig in den Funkpatrouillenwagen eingestiegen. Alle vom Gendarmerie-Abteilungskommando W vernommenen Gendarmeriebeamten sagten übereinstimmend aus, daß der Beschwerdeführer am Gendarmerieposten G nicht mißhandelt, insbesondere nicht an den Haaren gerissen und vor die Tür gezerrt worden sei. Auch wird einhellig ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer den Raum, in dem die Amtshandlung stattfand, auch nur kurzzeitig verlassen hat.

c. Die vor dem Gendarmerie-Abteilungskommando W gemachten Aussagen wurden von allen vernommenen Beamten zum Inhalt ihrer Zeugenaussage anläßlich der Rechtshilfevernehmungen vor dem Bezirksgericht W erhoben. Der ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführer ist zur Rechtshilfetagsatzung nicht erschienen.

d. Der Gendarmeriebeamte Rev.Insp. H F wurde darüber hinaus von der belangten Behörde als Zeuge in dem gegen den Beschwerdeführer durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren vernommen. Auch bei dieser Vernehmung sagte Rev.Insp. H F aus, es habe am Gendarmerieposten G "keine aggressive Handlung gegen den Beschwerdeführer gegeben", insbesondere sei dieser nicht an den Haaren gezogen worden. Der Beschwerdeführer habe sich mit der Durchführung des Alkotests am Gendarmerieposten G einverstanden erklärt, nachdem ihm zugesichert worden war, daß er wieder nach W zurückgebracht werde.

3. Die Staatsanwaltschaft G teilte der Bezirkshauptmannschaft W mit Schreiben vom 29.5.1989 mit, daß sie nach Prüfung des - ihr von der belangten Behörde zur Kenntnis gebrachten - beschwerdegegenständlichen Sachverhaltes die Bemerkung nach §90 Abs1 StPO abgegeben hat. Diese Mitteilung legte die belangte Behörde dem Verfassungsgerichtshof zum gegenständlichen Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 8.6.1989 vor.

II. 1. Aufgrund des Beschwerdevorbringens, der Ausführungen in der Gegenschrift, des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie der im Rechtshilfeweg durchgeführten Einvernahmen der Zeugen Bez.Insp.

F A, Rev.Insp. H F, Rev.Insp. A G, Bez.Insp. M P und Insp. J T nimmt der Verfassungsgerichtshof folgenden - für die rechtliche Beurteilung der Beschwerde wesentlichen - Sachverhalt als erwiesen an:

Der Beschwerdeführer wurde am 1.9.1988 um ca. 23.50 Uhr im Ortsgebiet von W auf der Bundesstraße ... bei Straßenkilometer 26,5 als Lenker eines PKW von Rev.Insp. H F angehalten und zur Durchführung einer Atemluftuntersuchung gemäß §5 Abs2a litb StVO 1960 aufgefordert. Der Beschwerdeführer erklärte sich bereit, zur Durchführung der Atemluftuntersuchung im Dienstfahrzeug des einschreitenden Gendarmeriebeamten, das mit zwei weiteren Beamten (Bez.Insp. F A und Rev.Insp. A G) besetzt war, auf den Gendarmerieposten des GPK G mitzufahren, nachdem ihm zugesichert worden war, daß er nach Durchführung der Messung wieder nach W zurückgebracht werde. Der Beschwerdeführer stieg freiwillig in das Dienstfahrzeug der Beamten ein.

Am Gendarmerieposten des GPK G wurde dem Beschwerdeführer nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, den Alkoholgehalt der Atemluft mittels Alkomat festzustellen, der Führerschein gemäß §76 Abs1 KFG vorläufig abgenommen und Anzeige wegen einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1 litb StVO 1960 gegen den Beschwerdeführer erstattet.

2. Diese Sachverhaltsfeststellung beruht im wesentlichen auf den übereinstimmenden und glaubwürdigen Aussagen der als Zeugen vernommenen Gendarmeriebeamten Bez.Insp. F A, Rev.Insp. H F und Rev.Insp. A G. Diese sagten sowohl anläßlich ihrer Vernehmung vor dem Landesgendarmeriekommando für S, Abteilungskommando W, als auch anläßlich der Rechtshilfevernehmung vor dem Bezirksgericht W übereinstimmend aus, daß der Beschwerdeführer mit der Durchführung der Atemalkoholmessung am Gendarmerieposten G unter der Bedingung, daß er anschließend wieder nach W zurückgebracht werde, einverstanden war und freiwillig in das Dienstfahrzeug der Beamten eingestiegen ist. Gegen diese Aussagen steht ausschließlich die Behauptung des Beschwerdeführers in der Beschwerde. Selbst diese Ausführungen in der Beschwerde deuten aber weder auf eine ausdrückliche Festnahme noch auf die Ausübung unmittelbaren physischen Zwanges gegen den Beschwerdeführer hin. Eine Vernehmung des Beschwerdeführers konnte nicht stattfinden, weil dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Rechtshilfetagsatzung vor dem Bezirksgericht W nicht erschien.

Alle vernommenen Gendarmeriebeamten stellten sowohl in ihrer Vernehmung vor dem Landesgendarmeriekommando für S, Abteilungskommando W, als auch anläßlich der Rechtshilfevernehmung vor dem Bezirksgericht W einhellig in Abrede, daß der Beschwerdeführer am Gendarmerieposten G mißhandelt, insbesondere an den Haaren gerissen und aus dem Dienstraum des Gendarmeriepostens gezerrt worden ist. Auch gegen diese übereinstimmenden Aussagen steht ausschließlich die Behauptung des Beschwerdeführers - der zur Rechtshilfetagsatzung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist - in der Beschwerde. Bei dieser Beweissituation sieht sich der Verfassungsgerichtshof außerstande, die in der Beschwerde behauptete Mißhandlung als erwiesen anzunehmen.

III. 1. Die Beförderung des Beschwerdeführers zum Gendarmerieposten G mit dem Dienstfahrzeug sowie die dort durchgeführten Amtshandlungen können, soweit sie angefochten wurden, nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG idF vor der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle BGBl. 1988/685 angesehen werden, weil weder eine Festnahme ausgesprochen noch physischer Zwang ausgeübt oder angedroht wurde. Die Beschwerde ist in diesem Punkt sohin mangels Vorliegens eines tauglichen Beschwerdegegenstandes zurückzuweisen.

2. Weil auch der Nachweis für die behauptete Mißhandlung des Beschwerdeführers nicht erbracht wurde, fehlt es auch diesbezüglich an einem geeigneten Beschwerdegegenstand. Die Beschwerde ist daher auch insofern als unzulässig zurückzuweisen.

3. Verfahrenskosten konnten nicht zugesprochen werden, weil ein Ersatz des von der belangten Behörde begehrten Schriftsatz- und Vorlageaufwandes im Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht vorgesehen ist (vgl. VfSlg. 9488/1982).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in einer §7 Abs2 litc VerfGG 1953 genügenden Zusammensetzung vom Verfassungsgerichtshof getroffen werden.

Schlagworte

Festnehmung, Mißhandlung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Alkoholisierung, Atemluftprobe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1711.1988

Dokumentnummer

JFT_10089774_88B01711_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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