TE Vwgh Erkenntnis 1993/8/19 93/06/0088

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Veröffentlicht am 19.08.1993
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Tir 1974 §30 Abs1;
BauO Tir 1974 §30 Abs4;
BauO Tir 1989 §56 Abs2;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Kratschmer und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des JG und der AG in K, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. März 1993, Zl. Ve1-550/2018/2, betreffend Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. N in K, 2. Gemeinde K, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Rechtsvorgänger der erstmitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. Oktober 1977 die Baubewilligung für die Errichtung eines Zubaues mit Unterkellerung sowie Anbau eines Heiz- und Tankraumes auf einem Teilstück der GP 917/7 der KG K erteilt. Mit einem am 30. September 1992 bei der mitbeteiligten Gemeinde eingelangten Ansuchen beantragten die Beschwerdeführer die Zuerkennung der Parteistellung in diesem Baubewilligungsverfahren sowie die Zustellung des Baubewilligungsbescheides. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführer seien seit 1973 grundbücherliche Eigentümer der Grundstücke 914/3 und 917/2 der KG K. Diese Grundstücke seien von dem Grundstück Nr. 917/7 durch einen schmalen Weg getrennt, der erst nach Erteilung der erwähnten Baubewilligung im Jahre 1977 asphaltiert worden sei. Der erwähnte An- bzw. Zubau sei beinahe an den östlichen Wegrand herangebaut. Trotz des räumlichen Naheverhältnisses der Grundstücke der Beschwerdeführer zur Bauparzelle seien sie dem Bauverfahren nicht zugezogen worden, es sei ihnen auch der vermutlich im Jahre 1978 ergangene Baubewilligungsbescheid nicht zugestellt worden. Am 24. September 1992 habe die Konzipientin des Beschwerdevertreters versucht, in den gegenständlichen Bauakt Einsicht zu nehmen, die Einsichtnahme sei aber mit der Begründung, daß den Beschwerdeführern keine Parteistellung zukäme, verweigert worden.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 28. Oktober 1992 wurde der Antrag der Beschwerdeführern auf Zuerkennung der Parteistellung im Bauverfahren betreffend den Bescheid vom 27. Oktober 1977 gemäß § 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung abgelehnt. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, das Baugrundstück 917/7 sei vom Grundstück der Beschwerdeführer durch einen privaten Zufahrtsweg, der im Bereich des Zubaues ein Ausmaß von 2-3 m aufweise, getrennt. Der Abstand des Bauwerkes zur Grundgrenze der Beschwerdeführer betrage mindestens 4,50 m. Die mittlere Bauhöhe des Anbaues betrage laut Bauplan 3,40 m, sodaß mit einem Mindestabstand von 4 m das Auslangen gefunden werden könne. Aus diesem Grund könne die Baubehörde Rückwirkungen durch den bereits vor 14 Jahren durchgeführten Anbau auf das Grundstück der Beschwerdeführer nicht erkennen. Zielführende Argumente, daß durch die Bauordnung geschützte Nachbarschaftsinteressen verletzt würden, habe die Baubehörde nicht feststellen können und seien auch im Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung nicht angeführt worden.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung der Beschwerdeführer hat der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 9. Dezember 1992 abgewiesen. Der dagegen eingebrachten Vorstellung der Beschwerdeführer gab die Gemeindeaufsichtsbehörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 4. März 1993 keine Folge. Die Gemeindeaufsichtsbehörde hat ihre Entscheidung nach Zitierung der §§ 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung sowie des § 8 AVG im wesentlichen damit begründet, daß keine konkreten Rechtsverletzungen behauptet worden seien. Weder im Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung noch in der Berufung oder Vorstellung seien konkrete subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen vorgebracht worden. Es sei lediglich immer wieder darauf hingewiesen worden, daß ausschließlich aufgrund des Naherverhältnisses der Liegenschaften die Parteistellung gegeben sei. Der Vorstellungsbehörde erscheine, daß aufgrund des langen Zeitraumes zwischen der Errichtung der bewilligten Zubauten samt Doppelgarage und dem Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung, es den Beschwerdeführern durchaus möglich gewesen sein müßte, allfällig aufgetretene subjektiv öffentlich-rechtliche Beeinträchtigungen festzustellen und vorzubringen. Zumal der zwischen den Grundstücken gelegene Zufahrtsweg zur Erschließung von insgesamt 13 Gebäuden sowie land- und forstwirtschaftlichen Flächen diene und es sich im gegenständlichen Fall nur um einen geringfügigen Zubau handle, könne davon ausgegangen werden, daß für die Darlegung jener Umstände, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und damit die Parteistellung der Nachbarn begründen würden, die Erfahrungen des täglichen Lebens zur Beurteilung dieser Frage ausreichten. Aus diesem Grunde sei dem Standpunkt der Gemeindebehörden beizupflichten, daß durch die bewilligte Bauführung keine Beeinträchtigung der nunmehrigen Beschwerdeführer erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die mitbeteiligte Gemeinde hat eine Gegenschrift eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung in der im Jahre 1977 (Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung) geltenden Fassung, LGBl. Nr. 42/1974, die aufgrund der Übergangsbestimmung des § 56 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, im Beschwerdefall anzuwenden ist, sind Nachbarn Eigentümer von Grundstücken, die zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkungen auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen ist. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung können subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen insbesondere auf Vorschriften gestützt werden, die die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken vorschreiben oder die Festlegungen über die Bauweise, die Bauhöhe, die Abstände von Gebäuden, die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz zum Inhalt haben.

Die Frage der Parteistellung der Beschwerdeführer im Baubewilligungsverfahren war demnach nur danach zu beurteilen, ob aufgrund des räumlichen Naheverhältnis DIE MÖGLICHKEIT BESTAND, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkung auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen war. Zutreffend haben die Beschwerdeführer bereits in ihrer Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 28. Oktober 1992 darauf hingewiesen, daß ein Mangel der Parteistellung nicht damit begründet werden könne, daß die Abstandsvorschriften eingehalten worden seien. Die Nachbarn haben nämlich nicht nur ein Recht auf Einhaltung der Abstandsvorschriften, sondern auch auf Einhaltung der übrigen im § 30 Abs. 4 TBO genannten Bestimmungen, beispielsweise des Brandschutzes. Ob tatsächlich eine Verletzung derartiger Nachbarschaftsrechte eingetreten ist, kann nur im Baubewilligungsverfahren selbst geklärt werden; eine TATSÄCHLICHE VERLETZUNG nachbarschützender Vorschriften ist jedoch nicht Voraussetzung der Parteistellung des Nachbarn.

Schon aufgrund des Umstandes, daß mit Baubewilligungsbescheid vom 24. Oktober 1977 die Bewilligung zur Errichtung eines Heiz- und Tankraumes sowie einer Doppelgarage erteilt wurde, kann wegen des gegebenen räumlichen Naheverhältnisses (Entfernung von 4,50 m zur Grundstücksgrenze der Beschwerdeführer) nicht ausgeschlossen werden, daß mit "Rückwirkungen" auf das Grundstück der Beschwerdeführer oder die darauf errichteten baulichen Anlagen zu rechnen ist (z.B. erhöhte Brandgefährdung).

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993060088.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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