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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung von Bestimmungen des DSt 1872, der RAO sowie der RL-BA 1977 hinsichtlich Rechtsanwaltsanwärtern mangels Legitimation; kein Wirksamwerden bereits außer Kraft getretener Rechtsvorschriften des DSt 1872 für den Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs; keine unmittelbare Betroffenheit hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen der RAO und der RL-BA 1977Spruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Kostenersatz wird nicht zugesprochen.
Begründung
Begründung:
1.1. Der Einschreiter begehrt mit einem auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag, folgende Gesetzesstellen als verfassungswidrig aufzuheben:
a) die Worte "und Rechtsanwaltsanwärter" in §33 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO),
b) die Worte "und Rechtsanwaltsanwärtern" in Art1 Abs1 des Gesetzes vom 1. April 1872, RGBl. Nr. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut - DSt 1872),
c)
den §3 DSt 1872,
d)
die Worte "oder Rechtsanwaltsanwärters" und "und 3" in §23
Abs1 DSt 1872,
e) die Worte "oder Rechtsanwaltsanwärter" in §26 Abs1 DSt 1872 sowie
f) die Worte "und Rechtsanwaltsanwärter" in §55a Abs1 DSt 1872.
Durch die angegriffenen Gesetzesstellen werden Rechtsanwaltsanwärter in das Disziplinarrecht für Rechtsanwälte einbezogen.
1.2. Mit einem auf Art139 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag begehrt derselbe Einschreiter, die Wortfolge "- ebenso auch der Rechtsanwaltsanwärter -" in ArtXIV der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im AnwBl. 1977, S. 476, als gesetzwidrig aufzuheben.
ArtXIV RL-BA 1977 - die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:
"Der Rechtsanwalt - ebenso auch der Rechtsanwaltsanwärter - ist nach dem für seine Berufsausübung geltenden Vorschriften verpflichtet, vorstehende Richtlinien zu befolgen, was ihn jedoch nicht von der Verpflichtung entbindet, sein Verhalten nach den jeweiligen besonderen Umständen einzurichten und persönlich zu verantworten."
2.1. Zur Legitimation hinsichtlich des auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrages bringt der Antragsteller - er ist Rechtsanwaltsanwärter - im wesentlichen vor, daß gegen ihn kein Disziplinarverfahren anhängig sei. Die Provozierung von Strafbescheiden stelle nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keinen zumutbaren Umweg dar; eine Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid zu erwirken, gebe es nicht, weil die Disziplinarbehörden nicht berufen seien zu entscheiden, ob eine bestimmte Person ganz allgemein und ohne Zusammenhang mit einem Disziplinarfall ihrer Disziplinargewalt unterläge.
Der Antragsteller sei durch die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen unmittelbar in seinen Rechten verletzt und die angefochtenen Bestimmungen seien für ihn ohne Erlassung eines Bescheides wirksam, weil er durch sie "dauerhaft, nämlich für die ganze Zeit seiner Berufsausübung als Rechtsanwaltsanwärter, einer für ihn fremden Disziplinargewalt unterstellt" werde, obwohl er gleichzeitig von der Beteiligung an der Ausübung dieser Disziplinargewalt ausgeschlossen sei. Gehe "man davon aus, daß die Verfassungsrechtslage eine Selbstverwaltung für Rechtsanwaltsanwärter oder die Beteiligung der Rechtsanwaltsanwärter an der Selbstverwaltung des Rechtsanwaltsstandes fordert, verstärkt sich die unmittelbare Betroffenheit des (Antragstellers) durch die angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen".
2.2. Im Verordnungsprüfungsverfahren führt der Antragsteller zu seiner Legitimation im wesentlichen aus, daß Verstöße gegen die RL-BA 1977 für Rechtsanwaltsanwärter unter der Sanktion der disziplinarbehördlichen Verfolgung stünden und gemäß §12 Abs1 DSt mit Strafe bedroht seien. Die Provozierung von Disziplinarverfahren könne nicht als zumutbarer Weg angesehen werden. Die Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid zu erwirken, gebe es nicht, weil keinem Organ der Rechtsanwaltschaft die Zuständigkeit eingeräumt sei, über die Geltung der RL-BA 1977, also einer Verordnung, für Rechtsanwaltsanwärter bescheidmäßig abzusprechen.
Der Antragsteller sei unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung in seinen Rechten verletzt, weil er durch sie für die ganze Zeit seiner Berufsausübung als Rechtsanwaltsanwärter einer für ihn fremden Befehls- und Disziplinargewalt unterstellt und gleichzeitig von der Beteiligung an der Ausübung dieser Befehls- und Disziplinargewalt ausgeschlossen sei.
2.3. Die angefochtenen Gesetzes- bzw. Verordnungsvorschriften hält der Antragsteller mit näherer Begründung für verfassungs- bzw. gesetzwidrig. Dies wird hinsichtlich der angefochtenen Gesetzesstellen damit begründet, daß die Einbeziehung der Rechtsanwaltsanwärter in das Disziplinarrecht für Rechtsanwälte dem demokratischen Prinzip der Bundesverfassung widerspreche. Das materielle Disziplinarrecht und das Disziplinarverfahren für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter sei mit der einzigen Ausnahme identisch, daß es hinsichtlich der Disziplinarstrafen geringfügige Unterschiede gebe. Für die Ausübung der Disziplinargewalt über Rechtsanwaltsanwärter sei nicht angeordnet worden, daß eine Weisungsbefugnis staatlicher Rechtsträger oder wenigstens ein eigenes Rechtsmittel an staatliche Stellen für Rechtsanwaltsanwärter bestehe. Der eigene Wirkungsbereich von beruflichen Selbstverwaltungskörpern müsse sich aber auf seine Mitglieder beschränken. Die Rechtsanwaltsanwärter seien nicht Mitglieder der Rechtsanwaltskammern und für die Organe des Rechtsanwaltsstandes weder aktiv noch passiv wahlberechtigt. Außerdem sei diese Rechtslage gleichheitswidrig, weil sie einerseits bestimmte Staatsbürger, nämlich Rechtsanwaltsanwärter, im Unterschied zu anderen Staatsbürgern bei ihrer Berufsausübung einer besonderen Disziplinargewalt unterstelle, andererseits aber an der Ausübung dieser Disziplinargewalt im Unterschied zu Staatsbürgern, die gleichfalls einer besonderen Disziplinargewalt unterlägen (etwa Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder), nicht teilhaben ließe. Zwar könne man keine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers feststellen, für alle Berufe eine berufliche Selbstverwaltung einzurichten, wohl stelle sich aber die Frage, ob eine gesetzliche Interessenvertretung nicht dann durch den Gleichheitsgrundsatz geboten sei, wenn ein Berufsstand zumindest zum Teil in einem wesensmäßigen Gegensatz zu einem anderen Berufsstand stehe, von diesem abhängig sei und dieser andere Berufsstand eine gesetzliche Interessenvertretung in Form beruflicher Selbstverwaltung besitze.
Die angefochtene Verordnungsstelle sei überdies gesetzwidrig, weil es an einer gesetzlichen Ermächtigung fehle, Richtlinien zu erlassen, die Rechtsanwaltsanwärter unmittelbar verpflichten. Sollte die Rechtsmeinung vertreten werden, daß §37 RAO eine solche Ermächtigung enthalte, dann werde angeregt, die Verfassungsmäßigkeit der Z1 des §37 RAO von Amts wegen zu prüfen.
3. In den Gesetzesprüfungsverfahren erstattete die Bundesregierung eine Äußerung, in der sie die Antragsberechtigung bestreitet und den Bedenken entgegentritt; sie begehrt die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Individualantrages. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu setzen.
Im Verordnungsprüfungsverfahren erstattete der Österreichische Rechtsanwaltskammertag eine Äußerung, in der er ebenfalls die Antragslegitimation bestreitet und die angegriffene Bestimmung verteidigt. Die bekämpfte Regelung wiederhole lediglich, was sich bereits aus §3 DSt ergebe. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag begehrt die kostenpflichtige Abweisung des Antrages. Der Bundesminister für Justiz sah in diesem Verfahren von der Erstattung einer Äußerung in der Sache ab, verwies aber "auf den mit der gegenständlichen Problematik im Zusammenhang stehenden Individualantrag G69/90".
4. Der Verfassungsgerichtshof hat beschlossen, diese Anträge aufgrund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.
5. Die Anträge sind nicht zulässig.
5.1. In den Gesetzesprüfungsverfahren fehlt dem Einschreiter die Antragslegitimation schon aus folgenden Gründen:
5.1.1. Zur Unzulässigkeit des Antrages auf Aufhebung von Bestimmungen des DSt 1872:
Mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1990 über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990 - DSt 1990) sowie über Änderungen der Rechtsanwaltsordnung, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung, BGBl. Nr. 474/1990, wurde ein neues Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter geschaffen.
Gemäß ArtV Z6 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, trat mit Inkraftreten dieses Gesetzes (gemäß ArtV Z1 leg.cit. war dies der 1. Jänner 1991) das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 1. April 1872, RGBl. Nr. 40, nach Maßgabe (der im gegenständlichen Fall nicht zum Tragen kommenden Übergangsbestimmungen) der Z2 bis 5 außer Kraft.
Nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG bildet eine Voraussetzung des sogenannten Individualantrages auf Gesetzesprüfung, daß das Gesetz - ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides - für die anfechtende Person wirksam geworden ist; grundsätzlich das Gleiche gilt gemäß dem kraft des letzten Satzteiles in Art140 Abs1 B-VG sinngemäß heranzuziehenden Art89 Abs3 B-VG, welcher von der - außer Kraft getretenen - anzuwendenden Rechtsvorschrift spricht. Unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens ist es nun ausgeschlossen, daß das Disziplinarstatut in der mit 1. Jänner 1991 außer Kraft getretenen Fassung für den Einschreiter noch wirksam ist. Dem Antragsteller fehlt daher die Legitimation zur Anfechtung, die nicht bloß - wie hier - im Zeitpunkt der Antragseinbringung, sondern auch in dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gegeben sein muß (vgl. VfGH vom 3.10.1989, G227/88 und 2/89, und die die gleiche Rechtslage im Bereich der Verordnungsanfechtung betreffenden Beschlüsse VfSlg. 9868/1983 und VfGH vom 28.6.1990, V109/89). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die angefochtenen Regelungen des Disziplinarstatuts vom 1. April 1872 durch das DSt 1990 inhaltlich keine Änderung erfahren haben.
5.1.2. Zur Unzulässigkeit des Antrages auf Aufhebung der Worte "und Rechtsanwaltsanwärter" in §33 Abs2 RAO:
Der Verfassungsgerichtshof verweist diesbezüglich auf seine ständige (etwa im Beschluß VfSlg. 10511/1985 im einzelnen dargestellte) Rechtsprechung, an der er auch in den vorliegenden Prüfungsfällen festhält. Aus ihr ist hervorzuheben, daß die Anfechtungsbefugnis eines Normadressaten ausschließlich dann gegeben ist, wenn das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift; ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht. Die gleichen Überlegungen gelten im Hinblick auf die Zulässigkeit von Anträgen gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985).
Die Voraussetzung der von dieser Rechtsprechung geforderten aktuellen Betroffenheit des Antragstellers in seinen rechtlich geschützten Interessen ist aber im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Antragsvorbringen besteht in seinem sachlichen Gehalt nämlich darin, daß der Antragsteller nicht der Disziplinaraufsicht einer Behörde unterliegen will, an deren Bildung er als Rechtsanwaltsanwärter nicht beteiligt ist. Mit diesem allgemeinen, keine gegenwartsbezogenen Lebensumstände anführenden Vorbringen legt der Antragsteller aber nur dar, daß er der Gefahr einer Bestrafung durch den nach seiner Auffassung verfassungswidrig zusammengesetzten Disziplinarrat potentiell ausgesetzt wäre, ohne aufzuzeigen, welche konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß sich die bekämpften Gesetzesstellen in aktueller Weise für ihn auswirken würden.
5.2. Im Verordnungsprüfungsverfahren fehlt dem Einschreiter die Antragslegitimation, weil nach der mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 B-VG ist, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979 und 10353/1985).
Durch ArtXIV RL-BA 1977 wird der Rechtsanwaltsanwärter nicht unmittelbar verpflichtet, die Anordnungen der Richtlinien zu befolgen. Der vom Antragsteller bekämpfte Satzteil des ArtXIV RL-BA 1977 zieht lediglich nach sich, daß der Einschreiter im Hinblick darauf, daß der Bundesgesetzgeber in §3 DSt 1872 die analoge Anwendung des Standesrechtes für die anwaltliche Berufsausübung auch für die in Ausbildung stehenden Rechtsanwaltsanwärter vorsieht, den Anordnungen der RL-BA 1977 abstrakt unterworfen wird; ein konkreter Eingriff in die - erst näher darzulegende - Rechtssphäre des Antragstellers könnte erst durch bestimmte Anordnungen der RL-BA 1977 bewirkt werden. Die fehlende Unmittelbarkeit ergibt sich auch bereits daraus, daß selbst bei Aufhebung des ArtXIV RL-BA 1977 sich an der disziplinären Verantwortlichkeit der Rechtsanwaltsanwärter nach dem DSt 1872 nichts ändern würde.
6. Die Anträge waren sohin wegen mangelnder Legitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung beschlossen werden konnte.
Der vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag im Verfahren V174/90 begehrte Kostenersatz war nicht zuzusprechen, weil ein solcher im Verfahren nach Art139 B-VG nur für den obsiegenden Individualantragsteller vorgesehen ist (§61a VerfGG).
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Geltungsbereich eines Gesetzes, VfGH / PrüfungszeitpunktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G69.1990Dokumentnummer
JFT_10089774_90G00069_00