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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des N in X, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. September 1992, Zl. 4.339.077/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid vom 3. September 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines albanischen Staatsbürgers, der am 25. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist war, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Juli 1992 ab und versagte dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl.
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 11. Juni 1992 ausgeführt, er sei von der damaligen kommunistischen Regierung gezwungen worden, die Militärakademie in Tirana weiter zu besuchen, obwohl er an der Universität - um eine Ingenieurausbildung zu erhalten - studieren habe wollen. Er habe in der Folge im Juli 1987 aus Trotz dagegen seine Ausbildung abgebrochen und habe demokratische Parolen an Wände öffentlicher Gebäude geschrieben. Bei einer dieser Aktionen sei er von der Polizei am 17. Dezember 1987 erwischt worden. Daraufhin sei er am 20. Dezember 1987 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, die er bis zum 25. November 1988 verbüßt habe. Nach seiner Entlassung habe er vergeblich Arbeit gesucht. Wegen der Vorstrafe habe er seine Schulausbildung nicht abschließen können. Ende 1990 und im Jahre 1991 habe er an demokratischen Demonstrationen gegen die damalige kommunistische Regierung teilgenommen und sei am 12. Dezember 1991 im Zuge einer Arbeiterdemonstration verhaftet und für vier Tage festgenommen worden. Nach seiner Freilassung hätten die Vorbereitungen für die ersten demokratischen Wahlen begonnen, an denen er mitgearbeitet hätte.
Die Demokraten hätten im Jänner 1992 wohl gewonnen, es seien aber wieder dieselben Machthaber in der Regierung gewesen; die Lage in seinem Heimatland wäre ab diesem Zeitpunkt noch drastisch schlechter geworden.
Er habe sich auch gegen die neuen Machthaber öffentlich ausgesprochen. Daraufhin sei ihm von verschiedenen Seiten gedroht worden, ihn umzubringen, "wenn er nicht Ruhe geben würde". Er habe gewußt, daß viele seiner Freunde, die sich ebenfalls gegen die Regierung gewandt hätten, fast zu Tode geprügelt worden seien und monatelang in Spitälern hätten behandelt werden müssen. So habe er es mit der Angst zu tun bekommen und beschlossen, seine Heimat zu verlassen.
In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer teilweise seine bisher gemachten Angaben und führte darüberhinaus ergänzend aus, daß in seinem Heimatland die Sicherheit und das Leben der Menschen ständig von Gewalt und Vernichtung bedroht seien, daß bei den zweiten Wahlen im März 1992 zwar die Demokratische Partei gewonnen hätte, daß aber führende Positionen nach wie vor Exkommunisten innehätten. Ordnung und Eigentum existierten nicht. Nach seiner Freilassung sei er grundlos von der Polizei verfolgt worden.
Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages damit begründet, daß sich in Albanien ein Umbruch ereignet habe und den Ereignissen in der Vergangenheit keine Indizwirkung bezüglich bestehender Verfolgungsgefahr zukommen könne. Sie hat diesbezüglich ausgeführt, daß sich alles, was der Beschwerdeführer im Asylverfahren vorgebracht habe, auf die Situation in seinem Heimatland zur Zeit des stalinistischen Regimes und vor allem während der Umbruchzeit 1991/1992 bezogen habe. In der Zwischenzeit habe sich die Lage in Albanien in geradezu spektakulärer und dramatischer Weise geändert. Die derzeit in Kraft stehende Verfassung vom 29. April 1992 gewähre die liberalen Grundrechte wie Glaubens-, Presse- und Versammlungsfreiheit, das Streikrecht, Freizügigkeit und Privateigentum und sichere deren Beachtung durch Institutionen der gewaltenteilenden parlamentarisch-pluralistischen Demokratie.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, daß ihm gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 der Flüchtlingsstatus zuerkannt hätte werden müssen, verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das vorliegende Asylverfahren war im Sinne des § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängig. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831) ist § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 dahin auszulegen, daß in einem Asylverfahren, das am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängig war, bis zu seiner Beendigung, also auch vom Bundesminister für Inneres, das Asylgesetz (BGBl. Nr. 126/1968) anzuwenden ist.
Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Beschwerdefall das (bei ihr erst nach dem 1. Juni 1992 anhängig gewordene) Verwaltungsverfahren gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz Asylgesetz 1991 nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen gehabt. Daß sie demgegenüber - anders als die Behörde erster Instanz - bereits die materiellen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes angewendet hat, bedeutet aber noch nicht zwangsläufig eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, setzt doch eine solche eine damit verbundene Rechtsverletzung des Beschwerdeführers voraus. Diese ist aber insoweit nicht gegeben, als sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - trotz der Zitierung von Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 (§§ 3, 2 Abs. 2 und Abs. 3) - in rechtlicher Würdigung der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben über seine Fluchtgründe ausschließlich mit dem Flüchtlingsbegriff des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinandergesetzt hat und dieser von jenem des § 1 Asylgesetz (BGBl. Nr. 126/1968) nicht abweicht, sondern mit dem des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, soweit es sich um dessen Z. 2 (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 18/1974) handelt, vollinhaltlich übereinstimmt.
Der Beschwerdeführer hält der Auffassung der Behörde, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers nur die Zeit des nicht mehr existierenden kommunistischen Regimes (1991/92) betroffen habe und sich die Situation mittlerweile dramatisch geändert habe, entgegen, die Behörde übersehe dabei, daß auch nach den ersten "demokratischen" Wahlen im Jahre 1992 und nach Inkrafttreten der Verfassung vom 29. April 1992 weitere Verfolgungshandlungen gesetzt worden seien. Er habe die Verfolgungshandlungen chronologisch angeführt. Da sich aus seiner Sicht durch die angeblich demokratischen Wahlen bzw. durch die neue Verfassung nichts geändert habe, habe er bei der Aufzählung der Verfolgungshandlungen nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt abgestellt. Er habe auch bei der Ersteinvernahme angegeben, daß sich die Situation in seinem Land nach den Wahlen im Jänner 1992 drastisch verschlechtert habe und daß er seinen Kampf für Demokratie und Freiheit fortgesetzt habe. Der Beschwerdeführer wiederholt in der Folge die bereits dargestellten Ausführungen seiner Ersteinvernahme, die die ersten Monate des Jahres 1992 betrafen (daß er sich auch gegen die neuen Machthaber ausgesprochen habe, worauf man ihm gedroht habe, ihn umzubringen, wenn er seine Aktivitäten nicht einstelle und daß er im Hinblick auf Vorkommnisse im Freundeskreis Angst bekommen habe) und die sich also NACH den von der belangten Behörde ins Treffen geführten maßgeblichen Änderungen ereignet haben.
Diese Einwendungen des Beschwerdeführers sind berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. bereits mit den hg. Erkenntnissen vom 20. Jänner 1993, Zlen. 92/01/0761, 0762, und vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0808, 0809, dargetan, daß weder die geänderte Verfassungsrechtslage noch die Freilassung politischer Gefangener die Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers ausschließe, es bestehe nach der Änderung der politischen Verhältnisse aufgrund der faktischen politischen Lage für ihn auch weiterhin die begründete Furcht, aus politischen Gründen verfolgt zu werden (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 21. April 1993, 92/01/1069). Die belangte Behörde hat sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers entgegen § 45 Abs. 2 AVG, nach dem eine sorgfältige Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens geboten ist, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Darüberhinaus hätte dem Beschwerdeführer gemäß § 37 AVG im Verwaltungsverfahren Gelegenheit geboten werden müssen, zu dem von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt maßgeblicher Änderungen in Albanien Stellung zu nehmen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der dargelegten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010281.X00Im RIS seit
20.11.2000