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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §33 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des B in I, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Februar 1993, Zl. 4.342.142/2-III/13/93, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid vom 24. Februar 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines tunesischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. Dezember 1992, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den einen Asylantrag des Beschwerdeführers abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. November 1992 abgewiesen worden war, ab.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Er erachtet sich in seinen Rechten auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens, auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "bei Versäumung einer Frist, wenn der Beschwerdeführer durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der Durchführung der Rechtshandlung behindert war", und im Recht auf Parteiengehör verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit begründet, Nachforschungen seines Rechtsvertreters hätten ergeben, daß der seinen Asylantrag abweisende Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. November 1992, obwohl der Beschwerdeführer als Insasse des Polizeigefangenenhauses Innsbruck eine dagegen verfaßte Berufung dem Wachpersonal rechtzeitig übergeben habe, seitens der Behörde als rechtskräftig angesehen worden sei. Daß die Berufungsschrift nicht bei der Behörde eingelangt, sondern auf dem Weg vom Beschwerdeführer zur Behörde verlorengegangen sei, stelle ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 AVG dar. Als Bescheinigungsmittel bot der Beschwerdeführer gleichzeitig zwei Mitinsassen des Polizeigefangenenhauses an.
In der gegen den den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. Dezember 1992 erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, der Argumentation der Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft, weil die Berufungen der von ihm als Bescheinigungsmittel angeführten Mitinsassen bei der Behörde eingelangt seien, könne entgegengehalten werden, daß aus der Berufungserhebung seiner Mitinsassen gegen die ihre Asylanträge abweisenden Bescheide, die ihnen am gleichen Tag wie dem Beschwerdeführer zugestellt worden seien, geschlossen werden könne, daß auch der Beschwerdeführer Berufung erhoben habe.
Die belangte Behörde hat die Abweisung der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung damit begründet, daß eine Anfrage beim Polizeigefangenenhaus Innsbruck ergebnislos verlaufen sei, weil dort über die von Häftlingen übergebenen Schriftstücke keine Aufzeichnungen geführt würden. Im Fall der tatsächlichen Abgabe einer Berufung an das Gefängnispersonal wäre diese zunächst an die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch weitergeleitet worden; bei dieser Behörde sei aber ebenfalls keine Berufung eingelangt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe kein Glauben geschenkt werden können, weil er keinerlei schriftliche Belege zur Verfügung habe, und weil aus der Erhebung von Berufungen durch Mithäftlinge nicht zwingend darauf geschlossen werden könne, daß auch der Beschwerdeführer Berufung erhoben habe. Gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens spreche auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer nie angegeben habe, wann er die Berufung geschrieben und dem Wachpersonal übergeben habe. Von der Beweisaufnahme durch die angebotene Einvernahme der Mithäftlinge des Beschwerdeführers sei Abstand zu nehmen gewesen, weil die Nichtweiterleitung einer eingebrachten Berufung für den betreffenden Beamten derart schwerwiegend und daher unwahrscheinlich sei, daß die bloße Vernehmung des Beschwerdeführers und der ihm nahestehenden Mitflüchtlinge, ohne einen objektiven, insbesondere schriftlichen Nachweis für seine Behauptungen zu haben, zur Glaubhaftmachung eines derartigen Vorfalles nicht ausreichen könne.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist - die Versäumung einer mündlichen Verhandlung kommt im Beschwerdefall nicht in Frage - auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, wenn er die Übergabe seiner Berufung an das Wachpersonal als für die ordnungsgemäße Einbringung dieses Rechtsmittels entscheidendes Kriterium erachtet, weil die Anstaltsorgane der Gefangenenhausleitung hinsichtlich der Übergabe von Briefsendungen von Häftlingen als Absender als verlängerter Arm der Post anzusehen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1984, Slg. 11.473/A). Hiebei ist für das Einlangen des Rechtsmittels eines Anstaltshäftlings der Tag der Abgabe an die Gefangenenhausleitung oder die Anstaltsorgane maßgebend (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, 1990, S. 211, zitierte Judikatur); dies jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Eingabe überhaupt bei der Behörde einlangt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1978, Zl. 1855/75).
Im Beschwerdefall ist auf Grund der Feststellungen der belangten Behörde davon auszugehen, daß eine Berufung des Beschwerdeführers nicht beim Bundesasylamt eingelangt ist. Unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers stellt das Nichteinlangen der dem Wachpersonal des Polizeigefangenenhauses Innsbruck übergebenen Berufung bei der Behörde für den Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes und für ihn unabwendbares Ereignis dar, durch welches er die Berufungsfrist versäumt hat. Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lagen somit dem Grunde nach vor.
Die belangte Behörde hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die Erhebung und Übergabe einer Berufung an das Wachpersonal des Polizeigefangenenhauses Innsbruck deshalb keinen Glauben geschenkt, weil ihren Nachforschungen zufolge über die von Häftlingen übergebenen Schriftstücke keine Aufzeichnungen geführt würden. Schon darin, daß das Ergebnis dieser Ermittlungen dem Beschwerdeführer nicht zur Stellungnahme vorgehalten wurde, liegt ein Verfahrensmangel, der wesentlich ist, weil der Beschwerdeführer in der Beschwerde ausgeführt hat, daß er in diesem Fall auf das Erfordernis der Einvernahme der von ihm angeführten Mithäftlinge auch im Hinblick auf dieses Ermittlungsergebnis als Beweisthema hätte hinweisen können.
Die belangte Behörde hat die Einvernahme der vom Beschwerdeführer als Bescheinigungsmittel angeführten Mithäftlinge deshalb unterlassen, weil deren Aussage im Hinblick auf die Unwahrscheinlichkeit der Nichtweiterleitung der Berufung durch einen Wachebeamten zur Glaubhaftmachung eines derartigen Vorfalles nicht ausreichen könne. Damit hat sie das Ergebnis einer Beweisaufnahme, die sie gar nicht durchgeführt hat, vorweggenommen. Demgegenüber ist dem Verwaltungsverfahren eine antizipative Beweiswürdigung fremd; d. h. die Behörde darf einen Beweis nur dann von vornherein ablehnen, wenn er, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Eine Würdigung von Beweisen hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist nur nach Aufnahme der Beweise möglich (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, 1990, S 311, zitierte Judikatur). Daß aber etwa die vom Beschwerdeführer angebotenen Zeugen von vornherein nicht fähig oder nicht in der Lage gewesen wären, zum Beweisthema der Berufungseinbringung durch den Beschwerdeführer über Wahrnehmungen ihrerseits Angaben zu machen, hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegt und kann solches den Verwaltungsakten auch nicht entnommen werden.
Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010151.X00Im RIS seit
20.11.2000