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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1991 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des M in X, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1992, Zl. 4.284.244/3-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Bescheid des (im Devolutionsweg gemäß § 73 Abs. 2 AVG zuständig gewordenen) Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1992 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers - eines iranischen Staatsangehörigen - vom 14. August 1989 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist bei ihrer Entscheidung davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Befragung am 24. Oktober 1989 angegeben habe, seit 1984 Sympathisant und aktives Mitglied der Volksmodjahedin gewesen zu sein. Er habe (nach diesen Angaben) an verschiedenen Orten Parolen geschrieben und Flugzettel verteilt. Einmal sei er gemeinsam mit sieben Freunden festgenommen und in einer Moschee befragt worden. Dabei sei er von einem Geistlichen mißhandelt worden, habe sich jedoch danach wieder entfernen dürfen. Einige Tage später, anfangs März (offenbar: 1989), sei er von Revolutionswächtern aufgesucht, an einem ihm nicht bekannten Ort gebracht und dort mißhandelt worden. In seiner Tasche hätten sich Flugzettel befunden, welche von den "Beamten" gefunden worden seien. Infolge dessen sei er schwer mißhandelt worden, sodaß er das Bewußtsein verloren habe. Nachdem er zu sich gekommen gewesen sei, sei er nach Hause gelaufen und habe sich sofort nach Teheran begeben, um Ruhe vor den Revolutionswächtern zu haben. Dort habe er seine Ausreise "in den Westen" geplant, welche ihm schließlich auch gelungen sei.
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß dieser, aus der betreffenden Niederschrift (zumindest sinngemäß) hervorgehende Sachverhalt "nur verkürzt wiedergegeben" worden sei und er "zudem" die Unterschrift "mit Vorbehalt verweigert" habe. Aktenkundig ist, daß die Niederschrift unter Beiziehung eines Dolmetsch aufgenommen und vom Beschwerdeführer nach dem abschließenden Passus (Punkt 20.), er "habe die Niederschrift gelesen und habe nichts mehr hinzuzufügen", und den (ebenfalls maschinschriftlich geschriebenen) Worten "gelesen und einverstanden" unterfertigt wurde, sich aber am Ende der Niederschrift der Vermerk findet, der Beschwerdeführer habe "ohne Angabe von Gründen verweigert den obligatorischen Satz zu schreiben". Die belangte Behörde hat sich damit, welche Bedeutung diesem Umstand zukam, nicht auseinandergesetzt, wobei allerdings auch in der Beschwerde nicht dargetan wird, welche zusätzlichen Angaben, deren Protokollierung unterblieben sei, der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung gemacht habe. Insbesondere läßt sich der Beschwerde nicht entnehmen, daß der darin weit ausführlicher geschilderte Sachverhalt - der im Kern jenem laut Niederschrift vom 24. Oktober 1989 entspricht - bereits Inhalt der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren abgelegten Aussage gewesen sei.
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung vertreten, daß "das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch Ihre" (gemeint: des Beschwerdeführers) "niederschriftliche Einvernahme," keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß der Beschwerdeführer "Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes" sei. Richtig ist, daß "die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen" nicht als ausreichend angesehen werden könnte, kommt doch eine Asylgewährung gemäß § 3 Asylgesetz 1991 nur dann in Betracht, wenn nach diesem Bundesgesetz glaubhaft ist, daß der Asylwerber Flüchtling ist. Insofern hatte daher die belangte Behörde eine Würdigung der ihr vorliegenden Aussage des Beschwerdeführers vorzunehmen, wobei sie erforderlichenfalls gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auch verpflichtet war, von Amts wegen auf geeignete Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder ungenügende Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden. Wenn sie auch - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht gehalten war, ihm vor ihrer Entscheidung bekanntzugeben, warum sie seine Behauptungen nicht als glaubhaft erachten werde (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/0753), so wendet sich doch der Beschwerdeführer - jedenfalls im Ergebnis - mit Recht gegen ihre Beweiswürdigung.
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Behauptungen, Sympathisant und Mitglied der Volksmodjahedin gewesen zu sein und seine politische Tätigkeit habe im Verteilen von Flugzettel und Schreiben von Parolen bestanden, keinen Glauben geschenkt. Es handle sich hiebei um ein "formularmäßiges" Vorbringen, das in derartigen Fällen, in denen Asylwerber - wie der Beschwerdeführer - mit Hilfe von Schlepperorganisationen nach Österreich einreisen, allgemein zu beobachten sei und dem daher geringere Glaubwürdigkeit zukomme. Der Beschwerdeführer habe auch hinreichende Kenntnisse über die Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitsweise der von ihm genannten Organisation nicht nachgewiesen und Angaben über die Motive seines Beitrittes und seine Tätigkeiten im einzelnen "in zeitlich und örtlich nachvollziehbarem Zusammenhang" unterlassen. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage diesbezüglich gar nicht befragt wurde, ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, daß es der Beschwerdeführer nicht bei diesen Angaben hat bewenden lassen, sondern er sich vielmehr auf weitere, darüber hinausgehende Umstände bezogen hat, deren Behauptung keineswegs als "abstrakt und allgemein gehalten" gewertet werden kann.
Die belangte Behörde hat auch gar nicht in Abrede gestellt, daß der Beschwerdeführer mehrmals festgenommen worden sei, jedoch "angemerkt", daß er "nach den gepflogenen Erhebungen" (jeweils wieder) freigelassen worden sei, ohne daß - seinen Angaben zufolge - gegen ihn der Vorwurf einer strafbaren Handlung erhoben worden sei. Dies lasse die schlüssige Vermutung zu, daß die maßgeblichen staatlichen Stellen davon überzeugt gewesen seien, daß zwischen dem Beschwerdeführer und etwaigen oppositionellen Gruppen keine ernst zu nehmenden Verbindungen bestünden, und es sei daher nicht nachvollziehbar, warum er aus diesen Gründen einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sein sollte bzw. bei seiner Rückkehr zu befürchten habe. Bei dieser Argumentation übersieht die belangte Behörde, daß sich der Beschwerdeführer nicht bloß auf die Behauptung beschränkt hat, zweimal (in kurzer zeitlicher Aufeinanderfolge) festgenommen worden zu sein. Nach seiner Darstellung (schon im Verwaltungsverfahren) sei er insbesondere beim zweitenmal (bis zur Bewußtlosigkeit) schwer mißhandelt worden, weil bei ihm Flugzettel gefunden worden seien, womit der Beschwerdeführer nicht nur eine gedankliche Verbindung zu den von ihm behaupteten Aktivitäten für die Volksmodjahedin hergestellt, sondern auch zum Ausdruck gebracht hat, daß dadurch diese seine Tätigkeit (zumindestens ab diesem Zeitpunkt) den staatlichen Stellen seines Heimatlandes bekannt gewesen sei. Daß der Beschwerdeführer dessen ungeachtet auf freien Fuß gesetzt worden war, bedeutete auch nach objektiven Gesichtspunkten noch nicht zwangsläufig, daß für ihn aus diesem Grunde keine weitere Verfolgungsgefahr bestanden habe, weshalb die belangte Behörde hiefür eine nähere Begründung hätte geben müssen. Eine solche kann nicht - wie die belangte Behörde gemeint hat - darin erblickt werden, daß der Beschwerdeführer im Punkt 7. der Niederschrift vom 24. Oktober 1989 erklärt hat, in seinem Heimatland "nicht gesucht" zu werden, mußte doch der Beschwerdeführer die diesbezüglich an ihn gerichtete Frage im vorliegenden Kontext, in dem es ausschließlich um die Begehung strafbarer Handlungen ging, nicht so verstehen, daß darunter auch gegen ihn gerichtete Maßnahmen im Zusammenhang mit den von ihm (in Punkt 17. der Niederschrift) geschilderten Fluchtgründen fallen (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410).
Aufgrund der vorliegenden Verfahrensmängel kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend beurteilt werden, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten, bisher individuell gegen ihn gerichteten Maßnahmen eine Situation geschaffen haben, daß die Furcht des Beschwerdeführers wegen seiner politischen Gesinnung weiterhin verfolgt zu werden, wohlbegründet und dadurch aus objektiver Sicht ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für ihn unerträglich gewesen sei (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0835).
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an Beweisaufnahmen freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992011028.X00Im RIS seit
11.07.2001