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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des I in R, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in T, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Juni 1992, Zl. 4.326.762/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführers hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 16. Oktober 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger "der früheren UdSSR", sei am 20. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Am 24. September 1991 habe er einen Asylantrag gestellt. Zu diesem am 27. September 1991 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich befragt, habe er angegeben:
Der Beschwerdeführer sei tatarischer Abstammung und habe in seiner Heimat keiner politischen Partei angehört. Im Jahr 1990 habe er sein Architekturstudium im zweiten Anlauf abgeschlossen, da er aufgrund seiner Nationalität und politischen Tätigkeit "gebremst" worden sei. Obwohl seine Arbeit international anerkannt worden sei, habe er vier Monate lang keine Arbeit bekommen. Im März habe er im wissenschaftlichen Institut in Moskau Arbeit bekommen, sei jedoch im August 1991 ohne Angabe von Gründen und ohne daß seine Vorgesetzten informiert worden seien, gekündigt worden. Er vermute daher, daß die Kündigung von höheren Instanzen, z.B. von der Parteiführung ausgegangen sei. Seit 27. April 1988 sei er Mitglied des tatarischen Kulturvereins in Moskau, der sich mit den Menschenrechten und der Kultur der Tataren befasse. Da dieser Verein kein eigenes Vereinslokal gehabt habe, habe man sich in der Wohnung seines Vaters, des Gründers und Vorsitzenden des Vereins, getroffen. Das Telefon sei ständig abgehört und die Post geöffnet worden. Hinter der Windschutzscheibe seines Autos habe der Beschwerdeführer einen Zettel mit der Drohung gefunden, daß "er selber schuld sei, wenn er als Scheiß Tatare sein Auto noch einmal hier parke". Er habe auch noch andere Drohungen erhalten. Da er keine Aufstiegschancen gesehen habe, habe er sich entschlossen, sein Heimatland zu verlassen. Schon im August 1991 habe er sich privat in Portugal aufgehalten. 1991 habe er eine Einladung zu einem Architektentreffen und einer Ausstellung in Italien erhalten. Mit dem ihm hiezu ausgestellten Dienstpaß sei er mit seiner Frau über Ungarn und Österreich nach Italien gereist. Er habe nicht schon bei der Hinreise in Österreich um Asyl angesucht, da er neben den erlaubten Ausstellungsstücken im Container seine privaten Stücke versteckt und keinen Zugang dazu gehabt habe. In Italien habe er nicht um Asyl angesucht, weil sein Ziel immer Österreich gewesen sei.
Dieses Vorbringen habe der Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid dadurch ergänzt, daß er als Angehöriger der tatarischen Minderheit in Moskau sowie seine Familie seit 1988 ständigen Schikanen ausgesetzt gewesen seien. Die Post sei ständig durchsucht worden. Besonders während der Zeit des Umbruchs sei er als Redakteur der Zeitung des Moskauer Städtischen Freiwilligen Kulturvereins der Tataren gefährdet gewesen, da er sich gegen die imperialistischen Äußerungen Jelzins und gegen die Gebietsansprüche Rußlands in anderen Republiken gewehrt habe. In Italien habe er die Stellung eines Asylantrags wegen der massenweisen Ausweisungen der Albaner nicht gewagt.
Nach Darlegung der Rechtslage vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Nachteile sein berufliches Fortkommen betreffend nicht derart gravierender Natur seien, um als Verfolgung i.S. der Flüchtlingskonvention gewertet zu werden. Dasselbe gelte für den Verlust des Arbeitsplatzes. Vielmehr spreche die Ausstellung eines Dienstpasses zur Präsentation seiner Arbeiten im Ausland sehr wohl dafür, daß die Behörden Interesse am beruflichen Fortkommen des Beschwerdeführers gehabt hätten. Auch die behaupteten Maßnahmen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den tatarischen Kulturverein ließen noch keine konkrete Verfolgung seiner Person oder wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention erkennen. Die angeführten Drohungen seien weder konkretisiert, noch den Behörden seines Heimatlandes zurechenbar. Die Ausstellung eines Dienstpasses sowie die legale Ausreise sprächen gegen das Vorliegen von Verfolgung, ebenso wie die Tatsache, daß der Beschwerdeführer nicht schon bei seiner ersten Einreise in Österreich oder zumindest in Italien um Asyl angesucht habe. Auch wäre er in einem solchen Fall nach seinem Aufenthalt in Portugal 1991 nicht wieder in sein Heimatland zurückgekehrt. Darüberhinaus könne in Anbetracht der tiefgreifenden Änderungen in seinem Heimatland nicht von einer wohlbegründenden Furcht vor Verfolgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem Beschwerdeführer ist zwar insoweit zuzustimmen, als die von der Behörde angeführten tiefgreifenden Veränderungen in seinem Heimatland eine Furcht vor Verfolgung nicht ausschließen. Jedoch ist der darin gelegene Verfahrensmangel deshalb nicht von wesentlicher Bedeutung, da die Behörde ihre Entscheidung auf diese Feststellung nur hilfsweise gestützt hat und auch bei deren Unterlassung zu keinem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Legt man das Vorbringen des Beschwerdeführers der rechtlichen Beurteilung zugrunde, so ist die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer befinde sich nicht aus wohlbegründeter Furcht verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes, gerechtfertigt. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, eine solche Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Er hat keine konkreten Umstände genannt, die als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 1 Z. 1 AslyG 1991 qualifiziert werden können.
Bei der Frage, ob berufliche Benachteiligungen bzw. sogar der Verlust des Arbeitsplatzes als Verfolgung im Sinne der AsylG 1991 anzusehen sind, und somit zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes im Sinne der zitierten Vorschrift dienen können, kommt es nicht nur auf einen Zusammenhang des Arbeitsplatzverlustes mit einem der genannten Gründe an, sondern auf die Auswirkungen auf die Lebensgrundlage des Asylwerbers. Solche Maßnahmen können nur dann als Verfolgung gewertet werden, wenn damit aus objektiver Sicht eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden wäre (Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zl. 91/01/0207, 0208). Der Beschwerdeführer hat aber nie behauptet, daß ihm in seinem Heimatland jedwede Arbeitsmöglichkeit, aufgrund derer er seinen Lebensunterhalt hätte bestreiten können, genommen worden wäre. Dagegen erweist sich die Argumentation der belangten Behörde, die Genehmigung zur Teilnahme an einer Ausstellung im Ausland deute eher darauf hin, daß die Behörden des Heimatlandes sehr wohl Interesse am beruflichen Fortkommen des Beschwerdeführers gehabt hätten, als durchaus schlüssig. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war die belangte Behörde somit auch nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen über die wirtschaftliche Situation und die Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers anzustellen.
Was das Vorbringen des Beschwerdeführers betrifft, sein Telefon sei abgehört und seine Post geöffnet worden, so ist die belangte Behörde richtigerweise davon ausgegangen, daß es sich dabei nicht um Maßnahmen gehandelt habe, die eine solche Intensität erreicht hätten, daß ein Verbleib in seinem Heimatland für den Beschwerdeführer unerträglich geworden wäre. Die vom Beschwerdeführer angeführten anonymen Drohungen können schon deshalb nicht als Fluchtgrund ausreichen, da sich aus seinem Vorbringen nicht ergibt, daß diese von staatlichen Behörden ausgegangen oder von diesen geduldet worden seien (Erkenntnis vom 26. Februar 1992, Zl. 91/01/0018).
Auch steht die in der Beschwerde geäußerte Auffassung, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Nachforschungen über die allgemeinen Verhältnisse der Minderheiten in Rußland anzustellen, im Gegensatz zur hg. Rechtsprechung, derzufolge aus allgemein herrschenden politischen Verhältnissen das Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht abgeleitet werden kann (z.B. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0791), sodaß das Fehlen solcher Ermittlungen nicht als relevanter Verfahrensfehler gewertet werden kann.
Ebensowenig trifft der Vorwurf des Beschwerdeführers zu, die belangte Behörde hätte aufgrund neuen Vorbringens in der Berufung das Ermittlungsverfahren ergänzen müssen. Damit nämlich verkennt der Beschwerdeführer den Inhalt des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - das gemäß § 25 Abs. 2 dieses Gesetzes anzuwenden war -, wonach der Bundesminister für Inneres seiner Berufungsentscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hat. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung hat der Bundesminister eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens nur anzuordnen, wenn es offenkundig mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung keinen der in Abs. 2 dieser Bestimmung angeführten Gründe behauptet.
Zu den Darlegungen des Beschwerdeführers, die belangte Behörde hätte gegen ihre gemäß § 16 Abs. 1 AsylG normierte Ermittlungs- bzw. Manuduktionspflicht verstoßen, ist darauf hinzuweisen, daß es nicht Aufgabe der Behörde ist, Asylgründe zu ermitteln, die weder im schriftlichen Asylantrag noch in der aufgenommenen Niederschrift auch nur ansatzweise enthalten sind (vgl. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0702).
Bringt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde erstmals vor, er habe seinen Dienstpaß lediglich durch Bestechung erhalten, es habe sich bei der Privatreise nach Portugal bereits um eine Flucht gehandelt, er sei von seinem Vater bereits vor einer drohenden Verhaftung gewarnt worden, so handelt es sich dabei um gemäß § 41 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerungen, bezüglich derer keinerlei Ermittlungspflicht der belangten Behörde bestand.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010751.X00Im RIS seit
20.11.2000