TE Vwgh Erkenntnis 1993/9/21 91/04/0123

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Veröffentlicht am 21.09.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
GewO 1973 §77 Abs2 idF 1988/399;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde

1. des ER und 2. der LE, beide in K und beide vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 9. März 1991, Zl. 310.299/4-III-3/90, betreffend Vorschreibung einer Auflage gemäß § 79 GewO 1973 (mitbeteiligte Partei: J in K),

Spruch

1. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde wird, insoweit sie von der Zweitbeschwerdeführerin eingebracht wurde, zurückgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. zu Recht erkannt:

Auf Grund der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 28. Juni 1988 wurde der mitbeteiligten Partei in Ansehung ihrer rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage (Gastgewerbe) im Standort K, A-Platz 4, gemäß § 79 GewO 1973 folgende zusätzliche Auflage vorgeschrieben:

"Sollte nach 22.00 Uhr noch ein Gastgewerbebetrieb stattfinden, so sind die in den Hof führenden Fenster der Gasträume und die Türe grundsätzlich geschlossen zu halten. Die Türe darf nur kurzzeitig zum Betreten bzw. Verlassen des Raumes geöffnet werden."

Gegen diesen - nach der Aktenlage der Zweitbeschwerdeführerin nicht zugestellten, noch an sie gerichteten - Bescheid erhoben die Beschwerdeführer eine in "Wir-Form" abgefaßte Berufung, in der die "Fam. ER" als Berufungswerber ausgewiesen ist und von ER unterfertigt wurde.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1990 entschied der Landeshauptmann von Niederösterreich "über die rechtzeitig eingebrachte Berufung des ER, ...." dahin, daß der Berufung insoweit Folge gegeben werde, als der Auflagepunkt nunmehr zu lauten habe, wie folgt:

"Die in den Hof führenden Fenster der Gasträume sowie die Tür sind grundsätzlich geschlossen zu halten. Die hofseitige Tür darf nur kurzzeitig zum Betreten oder Verlassen des Lokales geöffnet werden."

Dieser Bescheid wurde der Zweitbeschwerdeführerin nicht zugestellt, noch war er an sie gerichtet.

Über die dagegen erhobene Berufung der mitbeteiligten Partei erkannte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 9. März 1991 dahin, daß der Berufung insofern Folge gegeben werde, als die angefochtene Auflage nunmehr zu lauten habe wie folgt:

"Die kippbare Oberlichte über die Gastraumtür in den Hof,

der mittlere große Fensterflügel des hinteren Gastraumes sowie

der rechte kleine Fensterflügel des hinteren Gastraumes aus Richtung zu den Nachbarn E haben ab 19.00 Uhr geschlossen zu bleiben. Die Gastraumtüre in den Hof sowie der linke Fensterflügel vom Gastraum aus gesehen in Richtung zum Nachbar E haben ständig geschlossen zu bleiben."

Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, über Anregung des gewerbetechnischen Sachverständigen habe die Gewerbehörde dritter Instanz zur Klärung des Sachverhaltes und des Berufungsvorbringens am 29. Oktober 1990 in der Zeit von 20.00 bis 22.15 Uhr einen für den Betrieb und die Nachbarn angesagten Augenschein unter Beiziehung eines gewerbetechnischen und eines ärztlichen Sachverständigen durchgeführt. Am nächsten Tag sei unter Beiziehung der angeführten Sachverständigen eine mündliche Augenscheinsverhandlung abgehalten worden.

Im Rahmen dieser Augenscheinsverhandlung erstattete der ärztliche Amtssachverständige folgendes Gutachten:

"Zur Frage der Beeinträchtigung des Wohlbefindens oder der Gesundheit bei einem gesunden normal empfindenden Erwachsenen oder Kind durch die in dem gegenständlichen Fall festgehaltenen Lärmimmissionen kann ausgeführt werden:

Hinsichtlich der pathophysiologischen Auswirkungen von Lärm auf den Menschen kann grundsätzlich zwischen direkten und indirekten Lärmeffekten unterschieden werden.

Direkte Lärmeffekte spielen sich im Bereich der Gehörsinnesorgane ab und sind als Folge von akuten Lärmeinwirkungen sehr hoher Intensität (z.B. Knalltrauma bei 130 dB) oder eines Summationseffektes langdauernder Lärmimmissionen mit Schallpegelwerten ab etwa 85 dB (Lärmschwerhörigkeit) zu werten.

Indirekte Lärmeffekte sind unspezifischer, also nicht lärmtypischer Art, die im wesentlichen als Streßfolgen angesehen werden. Auslösendes Moment ist die als unangenehm und belästigend empfundene Lärmeinwirkung, wobei die Beeinträchtigung des Wohlbefindens im Vordergrund steht. Sekundär können derartige Lärmimmissionen auch einen Risikofaktor für die Gesundheit darstellen.

Die Grenze zwischen der lediglich das Wohlbefinden und einer bereits die Gesundheit gefährdenden Lärmimmission läßt sich nicht eindeutig ziehen, da bei der Empfindung von Lärm vor allem subjektive Faktoren (im Bereich des Lärmbetroffenen) eine besondere Rolle spielen. Als gesundheitsgefährdend können Lärmemissionen aber dann angesehen werden, wenn sie eine Intensität erreichen, bei der auch ohne besonderen Einfluß individualpsychologischer Faktoren, signifikante vegetative Wirkungen (im Experiment lassen sich z.B. Veränderungen im peripheren Gefäßwiderstand sowie im Elektrolytstoffwechsel nachweisen) auftreten.

Zwar handelt es sich bei derartigen Reaktionen noch um im Rahmen der Norm ablaufende Adaptionsmechanismen, bei Ausbleiben der Adaption können aber negative gesundheitliche Folgen nicht ausgeschlossen werden.

In der Literatur (Jansen - Zur erheblichen Belästigung durch Lärm, z.f. Lärmbekämpfung 33 - 1986 1/2) werden als Immissionspegel für die Auslösung signifikanter Reaktionen solche im Bereich um etwa 75 dB genannt.

Aufgrund der im konkreten Fall erhobenen Immissionspegel (26 bis 59, allenfalls bis 55 dB) kann daher von gesundheitsgefährdenden Lärmimmissionen nicht gesprochen werden. Es soll daher untersucht werden, inwieweit sich die festgestellten Lärmeinwirkungen auf das Wohlbefinden auswirken könnten. Grundsätzlich kann man die These aufstellen, daß eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens lediglich einer Voraussetzung bedarf, nämlich der akustischen Wahrnehmbarkeit.

Die Beurteilungsrichtlinie wäre jedoch (da Lärmeinwirkungen ein Bestandteil unserer Umwelt sind) wirklichkeitsfremd und unpraktikabel. Aus der Erfahrung weiß man jedoch, daß Lärmimmissionen dann als beeinträchtigend angesehen werden können, wenn sie nach Art, Intensität und Ausmaß zu einer signifikanten Veränderung des gewohnten (ortsüblichen) Umgebungsgeräuschniveaus führen.

Auf einen konkreten Fall angewandt kann man dazu folgende Festellungen treffen:

Die Umgebungsgeräuschsituation wird auf der Nachbarliegenschaft E (unabhängig vom genauen Aufenthaltsort) im wesentlichen durch Verkehrsgeräusche geprägt, wobei aufgrund der Ergebnisse des Augenscheines festzustellen ist, daß tagsüber offensichtlich eine sehr dichte Verkehrsgeräuschkulisse ohne nennenswerte Pausen herrscht, während in den späten Abendstunden eine Verminderung des Verkehrsgeschehens eintritt, was sich deutlich an den festgestellten Grundgeräuschpegelwerten ablesen läßt. Letztere betrugen - jeweils auf den Hof bezogen - tagsüber 42 bis 44 dB und abends 29 dB. Die einzelnen Verkehrsgeräusche waren (selber Bezugpunkt) im wesentlichen mit Werten zwischen 54 und 71 dB gleich.

Die in Rede stehenden betriebskausalen Störgeräusche wurden im Hof (die Verhältnisse im Zimmer können hier ausgeklammert werden, da die betriebskausalen Störgeräusche dort wesentlich geringer in Erscheinung getreten sind) hauptsächlich mit Werten von 33 bis 40 dB mit Spitzen bis 45 dB erhoben.

Daraus ist zu ersehen, daß die Störgeräusche sich tagsüber im Bereich des Grundgeräuschpegels bewegen und dadurch eine Störung durch diese unwahrscheinlich ist, da sie aus dem herrschenden Umgebungslärm nicht in signifikanter Weise hervortreten.

Eine andere Situation ergibt sich dann, wenn die Störgeräusche mit dem abendlichen Umgebungsgeräuschniveau verglichen werden. Die erhobenen Werte sind zwar weit unterhalb jener Werte, die durch den Verkehrslärm hervorgerufen werden, sie erheben sich jedoch, relativ deutlich über den während den Verkehrspausen verzeichneten Grundgeräuschpegel und können damit - wie auch der Augenschein gezeigt hat - auf der Nachbarliegenschaft E deutlich wahrgenommen werden.

Aufgrund dessen kann man die betriebskausalen Störgeräusche am Abend sicherlich als (vor allem hinsichtlich ihrer Art) signifikante zusätzliche Lärmquelle einstufen. Eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens ist daher nicht auszuschließen.

Hinsichtlich einer möglichen Abgrenzung zwischen den im Gutachten verwendeten Begriffen "tagsüber und abends" läßt sich aus den Erfahrungen des täglichen Lebens etwa der Zeitpunkt rund 19.00 Uhr nennen, da es aufgrund des Arbeits- und Freizeitverhaltens meist ab diesem Zeitpunkt zu einem stärkeren Abflauen des Verkehrs kommt. Die Ausführungen zur Beeinträchtigung des Wohlbefindens gelten daher für die Zeit nach 19.00 Uhr."

Hierauf wurde in rechtlicher Hinsicht unter Bezugnahme auf § 79 Abs. 1 GewO 1973 - im wesentlichen - ausgeführt, wie im Sachverhalt dargelegt, sei in den die gegenständliche Betriebsanlage betreffenden gewerblichen Betriebsanlagengenehmigungsbescheiden der konsensgemäße Zustand hinsichtlich des Offen- oder Geschlossenhaltens der zu den Nachbarn E weisenden Fenster (einschließlich der Gastraumtür) nicht eindeutig festgelegt worden (mögen auch die Behörden stillschweigend von einem Geschlossenhalten der Fenster als dem der Genehmigung zugrundeliegenden Zustand ausgegangen sein) und es fühlten sich die Nachbarn E bei Offenhalten der zu ihnen weisenden Fenster bzw. der Türe in unzumutbarer Weise belästigt und in ihrer Gesundheit gefährdet. Darauf hätten die Gewerbebehörden erster bis dritter Instanz insofern reagiert, als sie mit einer zusätzlichen Auflage gemäß § 79 leg. cit. ein Geschlossen- bzw. Offenhalten der Fenster bzw. der Tür in einem voneinander abweichenden Umfang vorgeschrieben hätten. Der Berufungswerber habe sich nicht gegen ein Geschlossenhalten des linken Fensterflügels vom Gastraum aus gesehen in Richtung der Nachbarn E sowie der Gastraumtüre vor 22.00 Uhr gewendet und es habe daher die Behörde dies in Stattgebung des Begehrens der Nachbarn in rechtlich verbindlicher Weise vorgeschrieben. Dieser Teil der vorgeschriebenen Auflage bedürfe keiner weiteren Begründung (insbesondere durch ein ärztliches Gutachten), zumal sich der Genehmigungsinhaber dadurch nicht beschwert fühle und insoweit keine Sach- und Rechtsgrundlage für ein Abgehen von dem angefochtenen Bescheid bestehe. Die sonstigen zum Nachbarn E führenden öffenbaren Raumöffnungen seien - dem ärztlichen Gutachten folgend - ab 19.00 Uhr geschlossen zu halten: Dieses Geschlossenhalten sei als eine nach dem Stand der medizinischen Wissenschaften zur Erreichung des Schutzes der gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1973 wahrzunehmenden Interessen erforderliche Auflage vorzuschreiben. Der ärztliche Sachverständige habe in den Abendstunden, namentlich nach 19.00 Uhr eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Nachbarn durch betriebskausale Störgeräusche nicht ausschließen können und er habe dies vor allem damit begründet, daß im Zuge des abendlichen allgemeinen Nachlassens der Umgebungsaktivitäten die Betriebsgeräusche, die sich deutlich über den festgestellten Grundgeräuschpegel erhöben, gegenüber den Verkehrsgeräuschen deutlich hervorträten, während in der Zeit vor 19.00 Uhr sie in diesem im wesentlichen untergingen. Störlärmimmissionen nach 19.00 Uhr würden in die sogenannte "vorabendliche Erholungsphase", das sei eine Zeit, in der die meisten werktätigen Menschen bereits von der Arbeit zurückgekehrt seien und im häuslichen Bereich Ruhe suchten, sofern dies individuell gewünscht werde, fallen. Gleichzeitig nehme insbesondere das Verkehrsgeschehen, da Geschäfte, Ämter und dgl. zu diesem Zeitpunkt bereits längst geschlossen hätten und auch der Berufsverkehr schon weitgehend abgeklungen sei, ab. Das Zusammentreffen dieser beiden Umstände, nämlich das Nachlassen der Umgebungsaktivitäten einerseits und der besondere Ruheanspruch andererseits machten den Zeitraum ab etwa 19.00 Uhr zu einem besonders sensiblen Zeitraum, der allerdings deutlich - auch was die rechtliche Beurteilung betreffe - von der Nachzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) abzugrenzen sei. Eine andere Beurteilung erfordere auch die Mittagszeit, da in dieser nicht wie in den Abendstunden mit einem signifikanten Absinken des Verkehrslärms zu rechnen sei, die meisten werktätigen Menschen zu diesem Zeitpunkt noch in der Arbeit bzw. die daheimbefindlichen mit dem Essen beschäftigt seien, wodurch ebenfalls eine gewisse Lärmkulisse auftrete. Die Mittagszeit sei jedenfalls hinsichtlich der auf die Gewohnheiten der Durchschnittsbevölkerung abzustellenden Beurteilung nicht mit jener der vorabendlichen Ruhephase zu vergleichen. Aus rechtlicher Sicht sei festzuhalten, daß die in der Zeit nach 19.00 Uhr zu erwartenden Lärmimmissionen von der Behörde in Anbetracht der von dem ärztlichen Sachverständigen zu erwartenden Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der in der obigen Würdigung dargelegten Umstände nicht als unzumutbar bezeichnet werden könnten. Das Vorliegen unzumutbarer, wenn auch nicht gesundheitsgefährdender Immissionen, reiche im vorliegenden Fall zur Vorschreibung weiterer Auflagen gemäß § 79 leg. cit. aus, weil außer Zweifel stehe, daß die Nachbarn E bereits vor Genehmigung der gegenständlichen Betriebsanlage dort gewohnt hätten. Die vorgeschriebene Auflage sei auch keinesfall unverhältnismäßig, weil der mit ihrer Erfüllung verbundene Aufwand, nämlich das Geschlossenhalten von Fenstern äußerst minimal sei und inbesondere keine finanziellen Investitionen erfordere. Darüber hinaus sei das Offenhalten der in Rede stehenden Fenster in Anbetracht der vorhandenen mechanischen Be- und Entlüftungsanlagen keinesfalls zwingend notwendig.

In der Folge führt die belangte Behörde aus, der am 29. Oktober 1990 vorgenommenen Lärmsimulation sei vorauszuschicken, daß mit Kundmachung vom 11. Oktober 1990 dem Genehmigungsinhaber, der zugleich Berufungswerber sei, ausdrücklich der Auftrag erteilt worden sei, an diesem Tag die Betriebsanlage zu betreiben. Die Betriebsanlage sei zum Zeitpunkt des Augenscheines wohl nicht geschlossen gewesen, jedoch sei der Besuch des Lokales dermaßen schwach gewesen, daß im hinteren Gastraum überhaupt keine Gäste gewesen seien. Ob dabei von einer ausreichenden Mitwirkung des Genehmigungsinhabers, der zugleich alleiniger Berufungswerber sei, gesprochen werde könne, möge dahingestellt bleiben. Die Behörde sei daher gezwungen gewesen (es habe keine andere Möglichkeit bestanden), die üblicherweise in Gastgewerbebetrieben in der Betriebsart eines Restaurants herrschenden Rauminnenpegel zu simulieren. Dabei sei das vom Genehmigungswerber zur Verfügung gestellte Fernsehgerät auf einen Rauminnenpegel eingestellt worden, der nach der jahrelangen Erfahrung des gewerbetechnischen Sachverständigen einem Rauminnenpegel entspreche, wie er in vergleichbaren Gastgewerbebetrieben bei durchschnittlicher Auslastung herrsche. Diese Lärmsimulation sei durchaus mit dem Gesprächslärm von Personen vergleichbar gewesen, weil auch in den wiedergegebenen Sendungen Gespräche dominierend gewesen seien und es auf den Rauminnenpegel und nicht die Lage und die Ausrichtung der Geräuschquelle ankomme. Der gewerbetechnische Sachverständige habe in seinem Gutachten darüber hinaus begründend ausgeführt, daß bei größeren Gesellschaften, etwa Familienfeiern, wo alle Teilnehmer einander kennten, und bei fortgeschrittener Stunde infolge des üblichen Alkoholgenusses noch mit höheren Rauminnenpegeln zu rechnen sei und habe diese im Gutachten auch angeführt. Die Behörde habe somit aus der vorgefundenen Situation ein Optimum an Ermittlungsergebnissen gewonnen, wobei die Verwendung eines Fernsehgerätes (oder Radiogerätes) überdies den Vorteil habe, daß die Lärmkulisse definiert und gleichbleibend sei, was durch die gleiche Einstellung des Lautstärkereglers ausreichend gewährleistet sei, nicht jedoch bei der Messung von (natürlichem) Gesprächslärm, der naturgemäß in seiner Intensität stark schwankend sei.

Weiters wurde ausgeführt, zur wiederholten Argumentation der Nachbarn mit den Richtlinien des Österreichischen Arbeitsringes für Lärmbekämpfung sei festzuhalten, daß diese für den Bereich des Gewerbeverfahrens keineswegs den Charakter eines Gesetzes oder einer Verordnung aufwiesen und auch nicht als Richtlinie zur Anwendung empfohlen seien. Die starren und schematischen Richtlinien des österreichischen Arbeitsringes für Lärmbekämpfung würden keinesweges die von dem ärztlichen Sachverständigen vorzunehmende Beurteilung anhand eines gesunden, normal empfindenden Kindes bzw. gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und der konkreten örtlichen Situation ersetzen. Der ärztliche Sachverständige habe wie in dem vorliegenden Fall vorgenommen, konkret die Auswirkungen der festgestellten Immissionen auf den menschlichen Organismus darzulegen und sie nicht einfach mit den Grenzwerten der ÖAL-Richtlinien zu vergleichen. Bei dieser Beurteilung habe der ärztliche Sachverständige von einem gesunden, normal empfindenden Kind (das hinsichtlich von Lärmimmissionen grundsätzlich nicht empfindlicher reagiere als ein Erwachsener) bzw. Erwachsenen auszugehen und nicht auf krankheitsbedingte Überempfindlichkeiten Bedacht zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid "in ihren Rechten auf die Vermeidung von Gefährdungen der Gesundheit von Menschen sowie von Belästigungen als Nachbarn einer Betriebsanlage, welche Belästigungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO nicht zumutbar sind", verletzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach Auffassung der Beschwerdeführer sei der angefochtene Bescheid der belangten Behörde mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil einerseits der Sachverhalt unrichtig festgestellt worden sei, in wesentlichen Punkten der Ergänzung bedürfe und überhaupt Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden seien, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen bescheidmäßigen Ergebnis hätte kommen müssen. Das von der belangten Behörde als entscheidungserheblich herangezogene Amtssachverständigengutachten weise - in der Sachverhaltsdarstellung näher ausgeführte - unrichtige Beweisaufnahmen, unlogische Schlußfolgerungen und unvollständige Feststellungen auf, sodaß es die Beschwerdeführer in dem ihnen nach den zitierten Bestimmungen der Gewerbeordnung zustehenden Rechten verletze. Der im bekämpften Bescheid festgestellte Sachverhalt bedürfe sohin zumindest in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung, insbesondere da die Immissionen und Grundpegellärmsituation nur Werktags gemessen worden sei und die Immissionen selbst nur auf Annahmen beruhten. Eine behördliche Entscheidung, die ohne eigenwertende Tätigkeit lediglich ein unrichtiges Gutachten in Bescheidform bringe, sei anfechtbar und unzulässig.

Was zunächst die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß der angefochtene Bescheid des Bundesministers vom 9. März 1991 gegenüber der Zweitbeschwerdeführerin nicht erlassen wurde; nach der Aktenlage ist der Bescheid wE an sie gerichtet noch ihr zugestellt worden. Über ein Rechtsmittel, welches von der Zweitbeschwerdeführerin erhoben worden wäre, erging der angefochtene Bescheid nicht. Auch sonst wurde mit dem angefochtenen Bescheid darüber, welche Rechtsstellung der Zweitbeschwerdeführerin zukomme, nicht abgesprochen. Die Zweitbeschwerdeführerin kann in ihren Rechten durch den angefochtenen Bescheid daher nicht verletzt sein (Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG). Insoweit die vorliegende Beschwerde von ihr erhoben wurde, war sie daher mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers ist im Ergebnis aufgrund folgender Überlegungen begründet:

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1973 - in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993 - hat die Behörde (§§ 333, 334, 335), wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid und im Betriebsbewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. im hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zlen. 90/04/0265, 90/04/0268, dargetan hat, ist bei der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu lösenden Frage der Zumutbarkeit von Belästigungen zufolge § 77 Abs. 2 GewO 1973 als Maßstab sowohl auf ein gesundes, normal empfindendes Kind als auch auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen abzustellen. Die belangte Behörde traf in der Begründung des angefochtenen Bescheides diese Differenzierung lediglich derart, daß sie - implizit - davon ausging, der ärztliche Sachverständige habe bei der Beurteilung der Auswirkungen der festgestellten Immissionen auf den menschlichen Organismus von einem gesunden normal empfindenden Kind "(das hinsichtlich von Lärmimmissionen grundsätzlich nicht empfindlicher reagiert als ein Erwachsener)" bzw. Erwachsenen auszugehen. Dabei unterließ es die belangte Behörde die im Sachverhaltsbereich zu treffenden - im obigen Sinne differenzierenden - Darlegungen dazu, welche Einwirkung die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend der in diesem Zusammenhang im § 77 Abs. 2 GewO 1973 enthaltenen Tatbestandsmerkmale auszuüben vermögen, in einer für ihren rechtlichen Schluß erforderlichen Klarstellung, zu treffen.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß es ins Leere geht, wenn in der Beschwerde (und zwar in der "Sachverhaltsdarstellung") vorgebracht wird, im Genehmigungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 8. Oktober 1986 werde festgehalten, "daß durch die Gäste innerhalb der Betriebsräume eine nach außen dringende Lärmbeeinträchtigung, vor allem durch die Benützung der mechanischen Lüftungsanlage und damit der Möglichkeit des Geschlossenhaltens der Fenster, nicht zu erwarten ist". Ein normativer Abspruch über das Geschlossenhalten der Fenster ist aus dieser Formulierung nicht abzuleiten und es hat Derartiges wE in der Betriebsbeschreibung noch in den Auflagen des genannten Genehmigungsbescheides einen Niederschlag gefunden.

Aus den oben dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid aufgrund der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1991040123.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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