Index
10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch zwangsweise Vorführung ohne LadungsbescheidSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch seine zwangsweise Vorführung vor die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land am 28. August 1990 in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Der Beschwerdeführer beantragt in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, er sei "durch seine Festnahme um 10.00 Uhr des 28.8.1990 durch Organe der BH Wels/Land in Bäckergasse 7, 4651 Stadl-Paura und seine nachfolgende Anhaltung bis ca. 11.00 Uhr des gleichen Tages bei der BH Wels/Land im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Artikel 8 StGG und Artikel 5 MRK) verletzt worden."
1.1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
1.2. Aufgrund des Parteienvorbringens und der vorgelegten Verwaltungsakten nimmt der Verfassungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als gegeben an:
Infolge einer Mitteilung des Zollamtes Graz über eine rechtskräftige finanzstrafbehördliche Verurteilung des Beschwerdeführers wurde dieser mit einem auf §19 AVG 1950 gestützten Ladungsbescheid vom 12. Juli 1990, Zl. Sich-06/22/1988/Wim, für den 18. Juli 1990 wegen einer fremdenpolizeilichen Überprüfung vor die belangte Behörde geladen. Für den Fall des Nichterscheinens wurde die zwangsweise Vorführung angedroht. In der Folge hat der Beschwerdeführer - unbestrittenermaßen - tatsächlich vor der belangten Behörde vorgesprochen, doch besteht darüber kein anläßlich dieser Vorsprache verfaßter Aktenvermerk. Ob dies, wie in der Beschwerde dargetan, am 18. Juli 1990 oder, wie in einem erst im Zuge des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens seitens des zuständigen Referenten verfaßten Aktenvermerk vom 14. November 1990 dargestellt wird, glaublich erst am 19. Juli 1990 der Fall war, kann dabei auf sich beruhen. Diese Vorsprache sollte der für die Erlassung einer allfälligen fremdenpolizeilichen Maßnahme relevanten Klarstellung dienen, ob der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im Sinne des §3 AVG 1950 in Stadl-Paura oder in Linz habe. Der Beschwerdeführer wurde dabei beauftragt, eine aktuelle Meldebestätigung der Gemeinde Stadl-Paura beizubringen und bei der belangten Behörde für den Fall abermals zu erscheinen, daß er seinen Wohnsitz noch in der genannten Gemeinde habe.
Er begab sich noch am gleichen Tag zum Meldeamt von Stadl-Paura, wo geklärt wurde, daß dies nach wie vor der Fall sei. Eine Bedienstete des Meldeamtes vereinbarte mit dem Beschwerdeführer, die Meldebestätigung per Post der belangten Behörde zuzumitteln, und teilte dies auch telefonisch der belangten Behörde mit. Nach Meinung des Beschwerdeführers war er den ihm bei der Vorsprache vor der belangten Behörde erteilten Aufträgen nachgekommen. Hingegen war der zuständige Referent der belangten Behörde der Meinung, der Beschwerdeführer hätte nochmals vor dieser zu erscheinen. Nachdem dies "trotz Aufforderung anläßlich seiner vorausgegangenen Vorsprache" (so wörtlich der schon genannte Aktenvermerk vom 14. November 1990, Blatt 46 des Verwaltungsaktes) nicht der Fall war, die belangte Behörde jedoch eine fremdenpolizeiliche Überprüfung nach §3 des Fremdenpolizeigesetzes ins Auge gefaßt hatte, wurde mit Verfügung vom 20. Juli 1990 die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers zur Behörde im Wege des Gendarmeriepostenkommandos Stadl-Paura veranlaßt und am 28. August 1990 - nach Rückkehr des Beschwerdeführers aus seinem Urlaub - realisiert.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. VfSlg. 7921/1976, 8323/1978, 9017/1981, 11.090/1986, 11.233/1987, Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 1990, B656/89) - Beschwerde erwogen:
2.1. Da dieses Beschwerdeverfahren am 1. Jänner 1991 beim Verfassungsgerichtshof anhängig war, ist es gemäß Art8 Abs4 des BVG BGBl. 684/1988 und ArtIX Abs2 des BVG BGBl. 685/1988 nach der bisherigen Rechtslage, also einerseits ohne Heranziehung des BVG vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und andererseits ohne vorherige Befassung des unabhängigen Verwaltungssenates, zu Ende zu führen.
2.2. Nach §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, welches gemäß Art149 Abs1 als Bundesverfassungsgesetz zu gelten hat, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Zu diesen gesetzlich bestimmten Fällen zählt auch §19 Abs3 AVG 1950 (vgl. die soeben zitierte Rechtspechung des Verfassungsgerichtshofes). Gemäß dieser Vorschrift hat der Geladene, wenn er nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten; er kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht war und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt wurde. Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits mehrfach aussprach (vgl. zB. VfSlg. 7872/1976, 8667/1979, Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 1990, B656/89), beschränkt sich der normative Inhalt des Ladungsbescheides nach §19 AVG 1950 auf die Begründung der Verpflichtung für die geladene Person, der Ladung nach Maßgabe der Bestimmung des §19 Abs3 AVG 1950 Folge zu leisten.
2.3. In der vorliegenden Beschwerdesache ist der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung, vor der Behörde zu erscheinen, unbestrittenermaßen nachgekommen und hat damit die ihn auf Grund des Ladungsbescheides vom 12. Juli 1990 treffende Verpflichtung erfüllt. Ein weiterer Ladungsbescheid ist nicht ergangen; ein solcher wäre insbesondere auch nicht in einem "Auftrag" an den Beschwerdeführer anläßlich seiner Vorsprache vor der belangten Behörde zu erblicken, abermals bei ihr vorzusprechen. Die belangte Behörde war daher nicht berechtigt, den Beschwerdeführer zwangsweise vorführen zu lassen.
2.4. Die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers vor die belangte Behörde ging demnach nicht gesetzmäßig vonstatten; er wurde somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Ladung, Vorführung, FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:B1163.1990Dokumentnummer
JFT_10089696_90B01163_00