TE Vwgh Erkenntnis 1993/9/28 93/11/0069

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Veröffentlicht am 28.09.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §73;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des B in S, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. März 1993, Zl. I/7-St-H-9235, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 24. Juni 1992 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm für die Dauer von 24 Monaten von der Zustellung dieses Bescheides an, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. In der Begründung wurde auf den Verdacht des Suchtgiftmißbrauches durch den Beschwerdeführer hingewiesen. Der Mandatsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 29. Juni 1992 zugestellt. Dagegen erhob er Vorstellung.

Mit Vorstellungsbescheid der Erstbehörde vom 6. November 1992 wurde der Mandatsbescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit erfolge. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Vorstellungsbescheid vom 6. November 1992 gemäß § 66 Abs. 2 AVG "behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen."

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den bei ihr angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die belangte Behörde hatte als Berufungsbehörde zu beurteilen, ob die Erstbehörde die Lenkerberechigung des Beschwerdeführers zu Recht entzogen hat bzw. ob ihm nach der Sachlage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Lenkerberechtigung zu entziehen gewesen ist. Sie war dabei an die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, daß die Entziehung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit verfügt worden war, insoferne nicht gebunden, als sie durchaus auch zur Prüfung berechtigt war, ob der Beschwerdeführer noch körperlich und geistig zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Zu diesem Zwecke war von ihr das Ermittlungsverfahren zu ergänzen bzw. dessen Ergänzung zu veranlassen, da Voraussetzung für eine Entziehung der Lenkerberechtigung wegen körperlicher oder geistiger Nichteignung ein ärztliches Gutachten ist (§ 75 Abs. 2 erster Satz KFG 1967) und ein solches noch nicht vorlag. Diese Ergänzung des Ermittlungsverfahrens hatte die belangte Behörde als Berufungsbehörde entweder durch die Erstbehörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen (§ 66 Abs. 1 AVG); in der Folge hätte sie grundsätzlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG selbst in der Sache zu entscheiden gehabt. Eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG wäre nur dann zulässig gewesen, wenn die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich und mit der Durchführung durch sie selbst keine Ersparnis an Zeit und Kosten im Sinne des § 66 Abs. 3 AVG verbunden gewesen wäre.

Abgesehen davon, daß die Begründung des angefochtenen Bescheides jegliche Auseinandersetzung mit dem zuletzt genannten Problem der Zeit- und Kostenersparnis vermissen läßt, vermag der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu erkennen, aus welchem Grunde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidbar gewesen sein sollte. Eine obligatorische mündliche Verhandlung ist im Verfahren betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung nicht vorgesehen. Es wäre der belangten Behörde ohne weiteres möglich gewesen, die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens zu veranlassen und dann - nach Gewährung des gebotenen Parteiengehörs - das Gutachten zu würdigen und gegebenenfalls ihrem Berufungsbescheid zugrundezulegen. Eine amtsärztliche Untersuchung hat - wie bereits ausgeführt - bisher nicht stattgefunden. Der Amtsarzt der Erstbehörde hat vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß er für die Erstattung seines Gutachtens einen verkehrspsychologischen Befund benötige. Wenn er in diesem Zusammenhang von der Erforderlichkeit dieses Befundes zur Erstellung eines "positiven Gutachtens" sprach, liegt darin erkennbarer Weise keine negative Begutachtung, sondern die Aussage, daß ein solcher Befund - offenbar im Hinblick auf die Auswirkung des beim Beschwerdeführer vermuteten Suchtgiftkonsums auf dessen kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit - Voraussetzung für die Erstellung des Gutachtens schlechthin sei; dies ergibt sich eindeutig aus seiner Stellungnahme vom 23. Juli 1992 (S. 37 des Verwaltungsaktes). Dem entspricht im übrigen auch die - zunächst eingeschlagene, aber in der Folge nicht mehr verfolgte - Vorgangsweise der Erstbehörde, den Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Bescheid vom 1. Oktober 1992 gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 zur Beibringung eines verkehrspsychologischen Befundes aufzufordern. Die Klärung der Vorgänge beim Amtsarzt, in deren Verlauf dieser die Erforderlichkeit eines solchen Befundes konstatierte, war daher entbehrlich.

Ob der Mandatsbescheid vom 24. Juni 1992 infolge nicht rechtzeitiger Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach Einlangen der Vorstellung außer Kraft getreten ist oder nicht, ist für die Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid vom 6. November 1992 ohne Bedeutung.

Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift auf die Notwendigkeit der "Offenlegung" jener bestimmten Tatsachen hinweist, aufgrund derer die Erstbehörde (im Bescheid vom 6. November 1992) die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers angenommen hat, so ist dem zu erwidern, daß zum einen eine solche bestimmte Tatsache nach der Aktenlage offenkundig gar nicht vorliegt und daß andererseits ein solcher Vorhalt auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung möglich ist.

Die belangte Behörde hat § 66 Abs. 2 AVG unrichtig angewendet. Sie hat damit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Fällung einer Sachentscheidung über seine Berufung im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG verletzt. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993110069.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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