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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art9a Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. November 1992, Zl. 129524/12-IV/10/92, betreffend Zuweisung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit einer am 27. November 1991 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe ersuchte der Beschwerdeführer um Überprüfung seiner "Tauglichkeit zur Ableistung des Zivildienstes". Dabei wies er auf sich progredient verstärkende Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und in den Hüftgelenken hin. Im angeschlossenen, von einem Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie erstellten "Gutachten zur Vorlage beim Bundesheer" vom 22. November 1991 heißt es in der zusammenfassenden Beurteilung, es sei dem Beschwerdeführer aufgrund der festgestellten Beeinträchtigungen nicht möglich, längere Zeit bergab zu gehen oder Märsche von mehr als einem Kilometer durchzuführen. Auch Sprünge aus mehr als 1 m Höhe seien ihm nicht zumutbar.
Die belangte Behörde veranlaßte eine Überprüfung der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zur Leistung von Zivildienst durch einen zuständigen Amtsarzt. Dieser bejahte im Gutachten vom 9. Jänner 1992 die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers unter folgenden Einschränkungen: Zu vermeiden seien das Heben von Lasten über 15 kg, das Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten in ständig gebückter Haltung und Stellung sowie Zwangshaltung, langes Gehen und Stehen, ständiges Stiegensteigen. Zu empfehlen seien leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung.
In seiner Stellungnahme dazu bezeichnete der Beschwerdeführer das Gutachten als ergänzungsbedürftig, weil es sich nur mit der Frage seiner Tauglichkeit zur Leistung von Zivildienst befasse, zur Frage seiner Tauglichkeit im Sinne des Wehrgesetzes 1990 aber nicht Stellung nehme. Dessen hätte es deshalb bedurft, weil bei nachträglichem Wegfall dieser Tauglichkeit auch die Pflicht zur Leistung von Zivildienst erlösche.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. November 1992 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 und 3 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG einer näher bezeichneten Einrichtung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes zugewiesen.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet. Der Beschwerdeführer hat darauf mit einem Schriftsatz repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt in der Beschwerde und in der Replik vom 28. Juni 1993, daß die Frage seiner Wehrdiensttauglichkeit nicht geprüft worden sei, obwohl er in seinen Eingaben an die belangte Behörde diese Frage aufgeworfen und darauf hingewiesen habe, daß infolge eingetretener Untauglichkeit zum Wehrdienst seine Verpflichtung zur Leistung von Zivildienst weggefallen sei. Der Beschwerdeführer vertritt wie schon im Verwaltungsverfahren die Auffassung, mit dem Wegfall der Wehrdiensttauglichkeit eines Zivildienstpflichtigen erlösche auch dessen Verpflichtung zur Leistung von Zivildienst.
Die belangte Behörde hat sich mit dieser Rechtsfrage nicht näher befaßt. Sie begnügte sich im angefochtenen Bescheid mit dem Hinweis, nach § 12 Abs. 1 Z. 2 ZDG sei der Amtsarzt zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Zivildienstpflichtigen zuständig. In der Gegenschrift führt sie dazu ergänzend aus, die Ansicht des Beschwerdeführers, es bedürfe der Beurteilung auch seiner Wehrdiensttauglichkeit, gehe an der Verfassungsbestimmung des § 2 Abs. 1 ZDG vorbei. Bei Zivildienstpflichtigen sei eine Kompetenz zur Feststellung ihrer Wehrdiensttauglichkeit nicht mehr gegeben.
Richtig ist, daß den Militärbehörden hinsichtlich zivildienstpflichtiger Personen keine Kompetenz zur Feststellung ihrer Tauglichkeit zum Wehrdienst zukommt, da die Zuständigkeit der Militärbehörden auf Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990 beschränkt ist (siehe die §§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 1, 23 Abs. 1, 24 Abs. 8 leg. cit.). Daraus folgt aber nicht, wie die belangte Behörde offenbar annimmt, daß sich bei Zivildienstpflichtigen die Frage ihrer Tauglichkeit zum Wehrdienst gar nicht mehr stelle, sondern bei ihnen ausschließlich ihre Eignung zur Leistung von Zivildienst zu prüfen sei.
Der Zivildienst ist als ERSATZdienst für den Fall der Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen konzipiert (Art. 9a Abs. 3 B-VG, § 2 Abs. 1 ZDG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der Zivildienstgesetz-Novelle 1991, BGBl. Nr. 675).
Zivildienstpflichtig kann demnach nur der taugliche Wehrpflichtige werden. Dem entspricht die Regelung des § 5 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 Z. 1 ZDG, wonach die Untauglichkeit zum Wehrdienst einen Mangel darstellt, der dem Rechtswirksamwerden der Erklärung eines Zivildienstwerbers nach § 2 Abs. 1 ZDG entgegensteht. Aus dem Charakter des Zivildienstes als Ersatzdienst folgt zwangsläufig, daß ebenso wie ihr Entstehen auch der Weiterbestand der Zivildienstpflicht davon abhängt, daß der Zivildienstpflichtige weiterhin tauglich zum Wehrdienst ist. Fällt diese Eignung nachträglich weg, so geht damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Zivildienst unter.
Dem steht die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bindungswirkung aufrechter Beschlüsse von Stellungskommissionen über die Tauglichkeit Wehrpflichtiger (vgl. hinsichtlich der Erlassung von Einberufungsbefehlen u.a. das Erkenntnis vom 12. September 1989, Zl. 89/11/0181, und hinsichtlich der Prüfung der Erklärung von Zivildienstwerbern nach § 2 Abs. 1 ZDG den Beschluß vom 23. Februar 1993, Zl. 93/11/0005) nicht entgegen. Dieser Rechtsprechung liegen ausschließlich Fälle zugrunde, in denen es um die Beurteilung der Tauglichkeit von Wehrpflichtigen ging. Wehrpflichtigen ist durch § 24 Abs. 8 des Wehrgesetzes 1990 die Möglichkeit eingeräumt, bei Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Änderung ihrer Eignung zum Wehrdienst eine neuerliche Stellung zu beantragen und damit diese Frage neu aufzurollen. Eine vergleichbare Bestimmung findet sich im Zivildienstgesetz nicht. Zivildienstpflichtige haben auch nicht die Möglichkeit, eine neuerliche Stellung gemäß § 24 Abs. 8 des Wehrgesetzes 1990 zu beantragen, da sie nicht Wehrpflichtige sind. Bejahte man nun auch bei einem Zivildienstpflichtigen die Bindung an den aufrechten Beschluß der Stellungskommission über seine Tauglichkeit in dem Sinne, daß auch eine Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes für die Zivildienstbehörde unbeachtlich wäre, so könnte diese Frage nie mehr aufgerollt werden. Damit könnte ein Zivildienstpflichtiger, der nachträglich untauglich zum Wehrdienst geworden und damit nicht mehr zur Leistung von Zivildienst verpflichtet ist, dessen ungeachtet unter Hinweis auf die bestehende Bindungswirkung des seine Tauglichkeit feststellenden Beschlusses der Stellungskommission zur Leistung von Zivildienst zugewiesen werden. Ein derartiges Ergebnis widerspräche dem verfassungsgesetzlich vorgezeichneten Charakter des Zivildienstes als Ersatzdienst. Aus diesen Erwägungen steht bei Zivildienstpflichtigen der Beschluß der Stellungskommission über die Tauglichkeit zum Wehrdienst der Beurteilung dieser Frage durch die Zivildienstbehörde nicht entgegen.
In der Frage der Tauglichkeit zum Wehrdienst (sie wird in § 15 Abs. 1 des Wehrgesetzes 1990 mit "notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung" umschrieben) erkennt der Verwaltungsgerichtshof in seiner mit Erkenntnis vom 28. November 1989, Zl. 89/11/0105, beginnenden ständigen Rechtsprechung (zuletzt im Erkenntnis vom 1. Dezember 1992, Zlen. 92/11/0142, 0245), daß der Dienst im Bundesheer jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn umfaßt, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat. Dies bringt die Anforderung mit sich, daß der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln können muß. Dementsprechend sind Personen, die lediglich für sogenannte "systemerhaltende" Funktionen ausgebildet werden können und die daher auch nur in solchen Funktionen einsetzbar sind, als zum Wehrdienst nicht geeignet anzusehen.
Auf dem Boden dieser Rechtslage ist grundsätzlich zwischen der Tauglichkeit zum Wehrdienst einerseits und der Eignung zur Erbringung von Leistungen im Rahmen des Zivildienstes andererseits zu unterscheiden. Es kann durchaus sein, daß ein Zivildienstpflichtiger zwar noch zur Erbringung solcher Leistungen, wenn auch eingeschränkt, geeignet, aber nicht mehr tauglich zum Wehrdienst ist. Es bedarf daher, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, vor Erlassung eines Zuweisungsbescheides zur Leistung von Zivildienst auch der Prüfung der Tauglichkeit des Betreffenden zum Wehrdienst durch die Zivildienstbehörde, der es freilich in diesem Zusammenhang freisteht, bei der Prüfung dieser Frage die Mithilfe der Militärbehörden in Anspruch zu nehmen (Art. 22 B-VG).
Der Beschwerdeführer hat bereits im Verwaltungsverfahren unter Vorlage von Bescheinigungsmitteln den Mangel seiner Tauglichkeit zum Wehrdienst geltend gemacht. Die belangte Behörde hätte sich mit diesem konkretisierten und nicht von vornherein als unbeachtlich erkennbaren Vorbringen befassen müssen. Infolge Unterbleibens der gebotenen Auseinandersetzung damit ist der maßgebliche Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben und hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Da diese Verfahrensmängel offensichtlich auf ihre unzutreffende Rechtsansicht zurückzuführen sind, die besagte Frage sei von der Zivildienstbehörde nicht zu prüfen, ist der angefochtene Bescheid, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Begehren auf Ersatz der auf die vorgelegten Beilage entfallenden Stempelgebühren war abzuweisen, weil diese Beilage zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992110288.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
05.03.2013