Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Jänner 1993, Zl. MA 64-8/382/92, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem im Jahr 1925 geborenen Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm "auf die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 5. März 1992 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm "für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf". In der Begründung wurde auf ein amtsärztliches Gutachten vom 5. März 1992 hingewiesen, wonach beim Beschwerdeführer die erforderliche Sehschärfe nicht gegeben sei. Auf Grund eines dagegen erhobenen Rechtsmittels wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Zuge dieses Verfahrens ergaben sich bei der Behörde Zweifel an der geistigen und körperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen im Hinblick auf psychoorganische Schädigungen. Mit Bescheid vom 15. Mai 1992 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, binnen zwei Monaten ein "psychiatrisches Gutachten" beizubringen. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge am 29. Juni 1992 an der Universitätsklinik für Psychiatrie ambulant untersucht, in dem mit 7. Juli 1992 datierten Befund (der u.a. in einen psychopathologischen Befund, einen neurologischen Befund und die Ergebnisse eines psychologischen Tests aufgeschlüsselt ist) heißt es abschließend:
"Bei den ho. durchgeführten Untersuchungen zeigten sich folgende Befunde: In der psychiatrischen Untersuchung zeigte sich eine deutliche Störung in den mnestischen Funktionen. Im Affekt starr. Deutlich paranoide Reaktionsbereitschaft sowie Biorythmusstörungen im Sinne von Ein- und Durchschlafstörungen. Im neurologischen Status zeigte sich ein unauffälliges Bild. In der blutchemischen Untersuchung sowie der Bestimmung der Ausscheidung von Drogen im Harn konnte kein Hinweis auf einen aktuellen Alkohol- bzw. Drogenmißbrauch festgestellt werden. In der psychologischen Testuntersuchung waren Scores erhebbar, die eine Beeinträchtigung der Reaktionssicherheit nicht ausschließen lassen (verzögerte Reagibilität, grenzwertiges Leistungsniveau).
Auf Grund dieser Befunde würden wir Herrn ... nicht
geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B befunden.
Dieser Befund dient nur als Unterlage, die vom anfragenden Amtsarzt zusammen mit den dort vorliegenden Beurteilungsgrundlagen verwertet werden wolle".
Auf Grund dieses Befundes kam der ärztliche Amtssachverständige der Erstbehörde in seinem Gutachten vom 27. Juli 1992 zu dem Urteil, der Beschwerdeführer sei zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe B nicht geeignet; als Begründung führte er "verzögerte Reagibilität, Leistungsniveau herabgesetzt, paranoide Reaktionen" an.
Mit Bescheid vom 31. Juli 1992 wurde der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Mandatsbescheid vom 5. März 1992 keine Folge gegeben. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Vorstellungsbescheid bestätigt.
Vorauszuschicken ist, daß es der Erstbehörde nicht verwehrt war, in dem über die Vorstellung des Beschwerdeführers eingeleiteten Verfahren den Grund für die Entziehung der Lenkerberechtigung gegenüber dem Mandatsbescheid vom 5. März 1992 insofern auszuwechseln, als anstelle der fehlenden körperlichen Eignung infolge nicht ausreichender Sehschärfe andere gesundheitsbezogene Umstände ("psychoorganische Schädigungen") zum Gegenstand der Ermittlungen und in der Folge zum Anlaß für die Aufrechterhaltung der Entziehung der Lenkerberechtigung gemacht wurden. Es kann keine Rede davon sein, daß die "Sachlage" im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides vom 5. März 1992 ausschließliches Thema des Entziehungsverfahrens sein durfte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Oktober 1989, Zl. 88/11/0204, wonach die Kraftfahrbehörden nicht auf die Beurteilung jener Umstände beschränkt sind, die Anlaß für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens waren, und sie die Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides zu berücksichtigen haben).
Daß der psychiatrische Befund vom 7. Juli 1992 sich nur als "Grundlage" bezeichnet, entspricht insofern der Rechtslage, als das eigentliche Gutachten über die körperliche und geistige Eignung vom ärztlichen Amtssachverständigen zu erstellen ist, der sich dabei u.a. auf Befunde von Fachärzten stützen kann. Genau das ist hier geschehen. Der Amtsarzt der Erstbehörde hat die ihm wesentlich erscheinenden Aussagen des Befundes für sein Urteil, der Beschwerdeführer sei zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet, übernommen.
Der Befund vom 7. Juli 1992 ist hingegen nicht nachvollziehbar. Es werden weder die Reduzierung der "mnestischen Leistungen" im psychopathologischen Befundteil noch die Beeinträchtigung der Reaktionssicherheit quantifiziert noch werden Aussagen über die Auswirkungen dieser Leistungsdefizite auf die Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen getroffen. Was die Reaktionssicherheit angeht, hat der Befundersteller lediglich zum Ausdruck gebracht, daß eine Beeinträchtigung nicht auszuschließen sei; eine derartige Aussage kann der Entziehung einer Lenkerberechtigung aber nicht zugrunde gelegt werden (vgl. das Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 88/11/0238). Paranoide Erscheinungen sind ohne Dartuung der Auswirkungen auf das Fahrverhalten ebenfalls nicht ausreichend, um einem Probanden die in Rede stehende Eignung abzusprechen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0279).
Diese Mängel des Befundes belasten das amtsärztliche Gutachten und in der weiteren Folge auch den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu führen hat.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993110040.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
16.11.2010