TE Vfgh Beschluss 1991/3/4 B1273/90

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Veröffentlicht am 04.03.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgte

Leitsatz

Zurückweisung einer Beschwerde gegen die angeblich zu Unrecht erfolgte "Erwirkung" eines richterlichen Haftbefehls bzw. gegen "falsche Angaben" durch Sicherheitsorgane mangels Zuständigkeit

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Die vorliegende, von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebrachte, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde vom 19. November 1990 wendet sich gegen die "faktische Amtshandlung" der Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheitsbüro, Suchtgiftabteilung, aufgrund deren die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 8. Oktober 1990, 9.00 Uhr, bis 10. Oktober 1990,

11.15 Uhr, rechtswidrig in ihrer Freiheit eingeschränkt worden sei. Beamte der genannten Polizeidienststelle hätten unter unrichtiger Sachverhaltsdarstellung, nämlich der Behauptung, die Beschwerdeführerin sei in Suchtgiftgeschäfte ihres von ihr geschiedenen Ehegatten involviert, zu Unrecht einen Haftbefehl durch den Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erwirkt. Im Zeitpunkt der Erlassung dieses mündlichen Haftbefehls habe "nicht der geringste Tatverdacht" gegen die Beschwerdeführerin bestanden.

Die Beschwerdelegitimation, heißt es in der Beschwerde weiter, ergebe sich daraus, daß die Beschwerdeführerin durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien "in ihrem konkreten Recht auf ihre Freiheit dadurch verletzt wurde, daß von diesen Beamten zu Unrecht ein Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erwirkt wurde." Weiters heißt es in der Beschwerde wörtlich:

"Der richterliche Haftbefehl wurde unter falschen Angaben, worin eben die faktische Amtshandlung gelegen ist, erschlichen, sodaß hierin das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin verletzt ist."

2.1. Die Beschwerde geht zutreffend davon aus, daß sich die behauptete Verhaftung und Anhaltung der Beschwerdeführerin als solche auf einen richterlichen Haftbefehl stützen und weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift dem Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeit zur Überprüfung von Akten der Gerichtsbarkeit einräumt (vgl. zB VfSlg. 11.695/1988, VfGH 7. März 1990, B1601/88, B116/90). Demgemäß wendet sie sich gegen die "Erwirkung" eines richterlichen Haftbefehls bzw. ausdrücklich gegen angeblich "falsche Angaben" durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien.

Da dieses Beschwerdeverfahren am 1. Jänner 1991 beim Verfassungsgerichtshof anhängig war, ist es gemäß ArtIX Abs2 des BVG BGBl. 685/1988 nach der bisherigen Rechtslage, also ohne vorherige Befassung des unabhängigen Verwaltungssenates, zu Ende zu führen.

2.2. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies auf sicherheitsbehördliche Befehle zutrifft, die durch die Androhung unmittelbar folgenden physischen Zwangs sanktioniert sind (vgl. zB VfSlg. 10.420/1985 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur). Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - alle Voraussetzungen des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF BGBl. 302/1975 aufweisenden - "Befehls", d.h. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", bildet also der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion - so etwa eine Festnehmung oder Vorführung - angedroht wird (VfSlg. 9922/1984, 11.656/1988).

2.3. Diese Bedingungen sind hinsichtlich des in der Beschwerde bezeichneten Anfechtungsobjektes nicht erfüllt. Wie immer nämlich der richterliche Haftbefehl erwirkt worden sein mag, richteten sich die diesbezüglichen Akte der eingeschrittenen Sicherheitsorgane überhaupt nicht unmittelbar an die Beschwerdeführerin, sondern an das Gericht.

Zur Kontrolle von Akten der in der Beschwerde beschriebenen Art ist der Verfassungsgerichtshof nicht zuständig.

2.4. Die Beschwerde ist daher wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluß kann gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, richterlicher Befehl, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1273.1990

Dokumentnummer

JFT_10089696_90B01273_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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