TE Vfgh Erkenntnis 1991/3/4 B1191/90

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Veröffentlicht am 04.03.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
StGG Art9
StPO §141 Abs2

Leitsatz

Fortführung der vor dem 01.01.91 anhängigen verfassungsgerichtlichen Verfahren ohne Befassung der unabhängigen Verwaltungssenate; Verletzung des Hausrechts durch Hausdurchsuchung; keine vertretbare Annahme einer Gefahr im Verzug

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 2. Oktober 1990 in ihrer Wohnung in W, S-straße eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. In ihrer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde begehrt die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Feststellung, sie sei durch die am 2. Oktober 1990 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien in ihrer Wohnung in W, S-straße, vorgenommene Hausdurchsuchung in ihrem gemäß Art9 StGG iVm. dem Gesetz zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 88/1862, gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes verletzt worden.

1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

2.1. Aufgrund des Beschwerdevorbringens und der damit übereinstimmenden Verwaltungsakten nimmt der Verfassungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als gegeben an:

Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin wurde am Abend des 1. Oktober 1990 wegen des Verdachtes des Verbrechens nach §164 StGB aufgrund eines mündlichen Haftbefehles des Landesgerichtes für Strafsachen Wien festgenommen. Im Zuge seiner Einvernahme gab er an, sich vorher in der Wohnung der Beschwerdeführerin aufgehalten zu haben, und daß sich dort auch seine persönlichen Gegenstände befinden würden. "Aufgrund dieser Aussage" - heißt es wörtlich im Bericht der eingeschrittenen Kriminalbeamten (Blatt 34 des Aktes) -, also ohne zu versuchen, einen richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen, wurde von Beamten des Bezirkspolizeikommissariates Alsergrund am 2. Oktober 1990 um 10.00 Uhr in der Wohnung der Beschwerdeführerin eine Hausdurchsuchung vorgenommen, wobei Videokassetten (auf solche bezog sich ua. der oben beschriebene Verdacht gegen den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin) vorgefunden und sichergestellt wurden.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.2.1. Eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl ist ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG (vgl. VfSlg. 7943/1976, 8298/1978, 9210/1981, 10.523/1985, VfGH 28. November 1989, B1285-1288/88). Ein Instanzenzug dagegen kommt der Sache nach nicht in Betracht. So war insbesondere dieses verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren bereits am 1. Jänner 1991 beim Verfassungsgerichtshof anhängig und somit gemäß ArtIX Abs2 des BVG BGBl. 685/1988 nach der bisherigen Rechtslage, also ohne Befassung des unabhängigen Verwaltungssenates, zu Ende zu führen.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2.2. Die bekämpfte Hausdurchsuchung wurde im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehles von Sicherheitsorganen aus eigener Macht vorgenommen.

Nach §1 des gemäß Art149 Abs1 B-VG im Range eines Bundesverfassungsgesetzes stehenden Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 88/1862, darf eine Hausdurchsuchung in der Regel nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden.

§2 Abs1 des genannten Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes läßt allerdings eine Hausdurchsuchung zum Zweck der Strafrechtspflege bei Gefahr im Verzug auch ohne richterlichen Befehl durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht zu.

Für die Prüfung der Frage, ob Gefahr im Verzug besteht, gilt ein strenger Maßstab: Von der grundsätzlichen Regel, daß ein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen ist, darf nur in besonderen (Ausnahms-)Fällen, d.h. wenn die besonderen Umstände eine Einholung nicht erlauben, abgegangen werden (VfSlg. 8298/1978, 9210/1981, VfGH vom 28. November 1989, B1285-1288/88).

Bei dem gegebenen Sachverhalt ist es auszuschließen, daß Gefahr im Verzug vorgelegen hat. Die einschreitenden Kriminalbeamten haben nicht versucht, sich mit dem zuständigen Untersuchungsrichter zwecks Einholung eines richterlichen Hausdurchsuchungsbefehles in Verbindung zu setzen. Dies wäre aber im vorliegenden Fall offensichtlich ohne weiteres möglich gewesen, stand ihnen doch dazu der halbe Vormittag eines Werktages (Dienstag, 2. Oktober 1990) zur Verfügung.

Der Tatbestand des §2 Abs2 des Gesetzes zum Schutz des Hausrechtes bzw. des §141 Abs2 StPO aber war deshalb nicht gegeben, weil die Verhaftung des Verdächtigen schon am Tag vor der Hausdurchsuchung erfolgt war.

Daraus folgt, daß die Sicherheitsorgane nicht ermächtigt waren, eine Hausdurchsuchung aus eigener Macht vorzunehmen.

Die Beschwerdeführerin ist daher in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes verletzt worden.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Unabhängiger Verwaltungssenat, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Hausrecht, Hausdurchsuchung, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1191.1990

Dokumentnummer

JFT_10089696_90B01191_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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