TE Vfgh Erkenntnis 1991/3/7 G76/90, G128/90, G132/90, G122/91, G123/91, V178/90

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Veröffentlicht am 07.03.1991
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Index

L3 Finanzrecht
L3701 Getränkeabgabe, Speiseeissteuer

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg vom 11.12.1986 idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22.11.1988 §3 Abs1
Stmk GetränkeabgabeGNov 1988 ArtII Abs1

Leitsatz

Aufhebung des ArtII Abs1 Stmk GetränkeabgabeGNov 1988 sowie von Teilen des §3 Abs1 Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22.11.1988; rückwirkende Einbeziehung des Wertes der Verpackung in die Steuerbemessungsgrundlage ausschließlich im Hinblick auf anhängige Verfahren gleichheitswidrig

Spruch

1. ArtII Abs1 des Gesetzes vom 17. Mai 1988, mit dem das Getränkeabgabegesetz geändert wird, LGBl. für die Steiermark Nr. 85, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

2. Der letzte Satz des §3 Abs1 der Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg vom 11. Dezember 1986 idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. November 1988, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 29. November bis 13. Dezember 1988, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu G76/90, G128/90 und G132/90 Anträge des Verwaltungsgerichtshofes protokolliert, mit denen die Aufhebung des ArtII Abs1 des Gesetzes vom 17. Mai 1988, mit dem das Getränkeabgabegesetz geändert wird, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 85/1988 (im folgenden: GetränkeabgabeG-Novelle 1988), als verfassungswidrig begehrt wird.

Des weiteren beantragt der Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung des letzten Satzes des §3 Abs1 der Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. November 1988 als gesetzwidrig. Dieser Antrag ist beim Verfassungsgerichtshof zu V178/90 protokolliert.

1.2. Die maßgeblichen Getränkesteuerregelungen - die angegriffenen Stellen sind hervorgehoben - haben folgenden Wortlaut:

1.2.1. Gesetz vom 17. Mai 1988, mit dem das Getränkeabgabegesetz geändert wird:

"Artikel I

Das Gesetz vom 14. März 1950, betreffend die Einhebung einer Abgabe vom Verbraucher von Getränken mit Ausnahme von Bier und Milch (Getränkeabgabegesetz), LGBl. Nr. 23, in der Fassung der Gesetze LGBl. Nr. 64/1969 und LGBl. Nr. 11/1974, wird wie folgt geändert:

§2 Abs1 hat zu lauten:

'(1) Das Höchstausmaß der Abgabe beträgt 10 v.H. des Entgeltes. Entgelt ist der Preis, der vom Letztverbraucher für das Getränk ohne die Getränkeabgabe, die Umsatzsteuer, die Abgabe von alkoholischen Getränken und das Bedienungsgeld zu bezahlen ist. Zum Entgelt zählt auch der üblicherweise im Preis enthaltene Anteil für Zugaben (Zucker und Milch bei Kaffee, Zitrone bei Tee und dergleichen) und der Preis für Verpackungen in Form von Einweggebinden, die das Getränk unmittelbar umschließen. Nicht zum Entgelt gehört das Pfand, welches für Gebinde, die zurückgegeben werden können, entrichtet wird. Weiters gehört nicht zum Entgelt der Preis für jene Verpackungen, die als selbständige Wirtschaftsgüter anzusehen sind und für sich allein einen grösseren Wert haben, der zudem den Wert des Getränkes zweifellos erheblich übersteigt (zum Beispiel geschliffene Kristallglasflaschen).'

Artikel II

(1) Die Bestimmungen des Artikels I sind auf anhängige Verfahren anzuwenden.

(2) Dieses Gesetz tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."

1.2.2. In Durchführung der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 wurde am 22. November 1988 vom Gemeinderat der Stadt Kapfenberg beschlossen, die Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg vom 11. Dezember 1986 wie folgt abzuändern:

"§3 Abs1 hat zu lauten:

'Die Abgabe beträgt 10 % des Entgeltes. Entgelt ist der Preis, der vom Letztverbraucher für das Getränk bzw. Speiseeis ohne die Getränke- bzw. Speiseeisabgabe, die Umsatzsteuer, die Abgabe von alkoholischen Getränken und das Bedienungsgeld zu bezahlen ist. Zum Entgelt zählt auch der üblicherweise im Preis enthaltene Anteil für Zugaben (Zucker und Milch bei Kaffee, Zitrone bei Tee und dergleichen) und der Preis für Verpackungen in Form von Einweggebinden, die das Getränk unmittelbar umschließen. Nicht zum Entgelt gehört das Pfand, welches für Gebinde, die zurückgegeben werden können, entrichtet wird. Weiters gehört nicht zum Entgelt der Preis für jene Verpackungen, die als selbständige Wirtschaftsgüter anzusehen sind und für sich allein einen größeren Wert haben, der zudem den Wert des Getränkes zweifellos erheblich übersteigt (z.B. geschliffene Kristallglasflaschen).'

Diese Bestimmungen treten auf Grund des Gemeinderatsbeschlusses vom 22.11.1988 rückwirkend mit 4.11.1988 (Inkrafttreten des Gesetzes) in Kraft und sind auf anhängige Verfahren anzuwenden."

Der Gemeinderatsbeschluß wurde vom 29. November bis 13. Dezember 1988 an der Amtstafel kundgemacht.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof führt zur Antragslegitimation in den Gesetzesprüfungsverfahren aus:

1.3.1. Er sei infolge mehrerer Säumnisbeschwerden anstelle der Steiermärkischen Landesregierung berufen, über jeweils gegen den Bescheid des Gemeinderates der Gemeinden Bärnbach, Admont und Kapfenberg (hg. G76/90, V178/90), der Gemeinden Gleisdorf, Liezen, Fürstenfeld und Pinggau (hg. G128/90) sowie der Gemeinden Bad Aussee und Bad Mitterndorf (hg. G132/90) erhobene Vorstellungen zu entscheiden.

In fünf von neun Säumnisbeschwerdefällen (hg. G76/90, V178/90 und G132/90) sei den Beschwerdeführern unter Berufung auf ArtI und II Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 Getränkesteuer für einen vor dem Inkrafttreten dieser Novelle gelegenen Zeitraum mit der Begründung vorgeschrieben worden, die Bemessungsgrundlage sei zu Unrecht um den Wert der Warenumschließungen vermindert worden.

In vier Säumnisbeschwerdefällen (hg. G128/90) seien Anträge der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung von (Getränke-) Steuer, "die auf Gebinde bzw. Verpackungsanteile entfällt und die in den bisher abgegebenen Getränkesteuererklärungen enthalten" war, unter Berufung auf die GetränkeabgabeG-Novelle 1988 abgewiesen worden. Auch diese Rückerstattungsbegehren beziehen sich auf einen vor dem Inkrafttreten der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 gelegenen Zeitraum.

Die Abgabenbehörden der Gemeinden hätten bei ihren Entscheidungen in den nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen (auch) §2 Abs1 des Getränkeabgabegesetzes, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 23/1950 idF des ArtI der GetränkeabgabeG-Novelle 1988, sowie deren ArtII (wonach ArtI auch auf anhängige Verfahren anzuwenden ist) angewendet. Da der Verwaltungsgerichtshof anstelle der Steiermärkischen Landesregierung über die von den Beschwerdeführern erhobenen Vorstellungen zu entscheiden und hiebei zu beurteilen habe, ob die Beschwerdeführer durch die mit Vorstellung bekämpften Bescheide in ihren Rechten verletzt worden sind, sei die den Gegenstand der vorliegenden (Gesetzesprüfungs-)Anträge bildende Gesetzesstelle auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwenden und sohin für seine Entscheidung präjudiziell.

1.3.2. Der Gemeinderat der Stadt Kapfenberg habe in seinem (Ersatz-)Bescheid vom 28. Dezember 1988 als Rechtsgrundlage weiters auch die Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg vom 11. Dezember 1986 idgF angeführt. Die Berufungsbehörde habe damit erkennbar §3 Abs1 der Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. November 1988 angewendet, sodaß auch der Verwaltungsgerichtshof diesen anzuwenden haben werde.

1.4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Bestimmung des ArtII Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot für unvereinbar und begründet seine Bedenken wie folgt:

Bei ArtII Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 handle es sich um eine rückwirkende gesetzliche Regelung, weil danach bei anhängigen Verfahren der durch ArtI der Novelle neugefaßte §2 Abs1 des Getränkeabgabegesetzes auch auf vor dem Inkrafttreten der Novelle verwirklichte Tatbestände Anwendung finde. Bedenken dagegen ergäben sich zunächst aus den Maßstäben, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. Oktober 1989, G228/89, angeführt habe. Nach diesem Erkenntnis komme dem Vertrauensschutz für die Beurteilung einer rückwirkenden gesetzlichen Regelung besondere Relevanz zu. Daß Steuerpflichtige auf dem Boden des Steiermärkischen Getränkeabgabegesetzes 1950 idF vor der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 darauf vertrauen konnten, mitverkaufte Verpackungen seien nicht getränkesteuerpflichtig, ergäbe sich aus den Darlegungen des Verfassungsgerichtshofes in seinen gleichgelagerte Regelungen in Oberösterreich bzw. Salzburg betreffenden Prüfungsbeschlüssen vom 11. Oktober 1989, B1119/88, vom 29. November 1988, B889/88, und vom 4. Dezember 1989, B987/89 und B1905/88, im Hinblick sowohl auf den damaligen Wortlaut des Gesetzes als auch auf die bezughabende Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.

In allen Prüfungsanträgen wurde - im wesentlichen gleichlautend - ausgeführt (Zitat aus dem zu G128/90 protokollierten Antrag):

"Anders als im Bundesland Oberösterreich gilt die Neufassung des §2 Abs1 GetrAbgG durch die GetrAbgG-Novelle im Bundesland Steiermark nicht nur für Fälle noch nicht eingetretener Verjährung, sondern für alle Fälle, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Novelle ein (Verwaltungs-)Verfahren (aus welchen Gründen auch immer) anhängig war.

Im Grunde einer mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbarenden unterschiedlichen Behandlung der Steuerpflichtigen besteht damit auch folgendes Bedenken:

Da die Getränkesteuer eine Selbstbemessungssteuer ist, ergibt sich aus §153 Abs1 der Steiermärkischen Landesabgabenordnung - LAO, daß die Abgaben durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung als festgesetzt gelten. Nach Abs2 leg.cit. hat jedoch die Abgabenbehörde die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung einer Erklärung, zu der er verpflichtet ist, unterläßt, oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als unrichtig erweist, wobei von der bescheidmäßigen Festsetzung abzusehen ist, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt.

D.h. aber, daß in allen jenen Fällen, in denen noch auf Grund der 'alten' Rechtslage ein rechtskräftiger Bescheid - mit dem die Abgabe festgesetzt wurde, erging, weil sich der Abgabepflichtige nicht gesetzestreu verhalten hat - die Neufassung des §2 Abs1 GetrAbgG durch die GetrAbgG-Novelle im Zusammenhalt mit ArtII Abs1 der GetrAbgG-Novelle nicht zur Anwendung kommt (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Oktober 1988, G121/88-8). Vor allem aber ist diese Bestimmung auf alle jene Fälle nicht anzuwenden, in denen Abgabepflichtige - und zwar im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - die Selbstbemessung auf der Grundlage der Rechtsansicht, mitverkaufte Verpackungen seien nicht getränkesteuerpflichtig, vorgenommen hatten und die Abgabenbehörde dies - ebenfalls im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - nicht zum Anlaß für eine bescheidmäßige Belastung (§153 Abs2 Stmk. LAO) genommen hat. Demgegenüber werden durch die in Rede stehende Regelung jene Fälle erfaßt, in denen - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes objektiv rechtsirrtümlich - die Selbstbemessung unter Einbeziehung mitverkaufter Verpackungen erfolgte und es zu einem Verfahren kam, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der GetrAbgG-Novelle noch anhängig war, was durchaus von Zufälligkeiten und bloß manipulativen Umständen abhängen kann.

Da die Rechtsänderung durch die besagte Novelle die im Vertrauen auf die frühere Rechtslage disponierenden Steuerpflichtigen auch hinsichtlich früher verwirklichter Tatbestände nachteilig belastet, diese Belastung auch von erheblichem Gewicht sein kann und offenbar keine besonderen Umstände vorliegen, die für die Sachlichkeit der gesetzlichen Maßnahmen sprechen, so z.B. daß durch die Rückwirkung eine ansonsten eintretende Gleichheitswidrigkeit vermieden würde, hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß ArtII Abs1 der GetrAbgG-Novelle mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz in Widerspruch steht. Im Hinblick auf die Differenzierung zwischen anhängigen und nicht anhängigen Fällen, besteht aber auch das Bedenken einer mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbarenden unterschiedlichen Behandlung der Steuerpflichtigen untereinander."

1.4.2. Gegen den letzten Absatz des §3 Abs1 der Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg vom 11. Dezember 1986 idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. November 1988 hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß im Falle der Aufhebung des ArtII Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 die gesetzliche Deckung entfiele. Die in Rede stehende Verordnungsstelle erschiene sodann als mit Gesetzwidrigkeit belastet.

2. Die Steiermärkische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes entgegengetreten wird. Die Stadtgemeinde Kapfenberg verteidigte die angegriffene Verordnungsstelle als gesetzeskonform.

In ihrer Äußerung führt die Steiermärkische Landesregierung im wesentlichen aus:

"Hiezu darf bemerkt werden, daß nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für den Inhalt eines Bescheides die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde maßgebend ist. Dies gilt auch, wenn sich während des Verfahrens die Rechtslage geändert hat, es sei denn, das anzuwendende Gesetz, ordnet in 'Übergangsbestimmungen' etwas anderes an. Da eine solche Anordnung in den 'Übergangsbestimmungen' in der gegenständlichen Novelle nicht stattgefunden hat, kann eine diesbezügliche Verfassungswidrigkeit nicht erblickt werden. Selbst wenn der Abs1 des Artikel II der gegenständlichen Gesetzesnovelle nicht in den Text der Novelle aufgenommen worden wäre, würde schon aufgrund der oben angeführten Rechtsprechung die gegenständliche Gesetzesnovelle auf anhängige Verfahren Anwendung finden.

    Gemäß dem Getränkeabgabengesetz 1950 ... hat laut §4 Abs2 der

Unternehmer binnen einem Kalendermonat und 10 Tagen nach Ablauf des

Kalendermonates, in dem die Abgabeschuld entstanden ist, dem

Gemeindeamt ... die ... Abgabe bis zu diesem Zeitpunkt ohne weitere

Aufforderung zu entrichten.

In diesem Zusammenhang wird in §7 leg.cit. bestimmt, daß, wenn der Unternehmer zum oben angeführten Zeitpunkt keine Getränkeabgabeerklärung vorlegt, die Abgabe(n) durch die Gemeinde von Amts wegen geschätzt und festgelegt werden.

Diese Vorgangsweise ist auch dann anzuwenden, wenn der Unternehmer über seine Abgaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskünfte verweigert bzw. seine Angaben unglaubhaft erscheinen. ...

...

Da die Gemeinde, wie oben ausgeführt, in den Fällen der Selbstbemessung mittels Getränkeabgabeerklärung nach Einlangen derselben die Möglichkeit hat, Erhebungen über die tatsächliche Höhe durchzuführen, muß davon ausgegangen werden, daß das Verfahren ab dem Zeitpunkt anhängig ist, ab dem die Gemeinde die Getränkeabgabeerklärung mittels Eingangsstempel entgegennimmt. ... Demnach hat die Gemeinde innerhalb ... (von) 5 Jahre(n) die Möglichkeit, gemäß §7 des Getränkeabgabengesetzes vorzugehen. Das gegenständliche Abgabeverfahren kann daher erst dann als abgeschlossen gelten, wenn die Verjährungsfrist von 5 Jahren abgelaufen ist und die Gemeinde keine diesbezüglichen nach außenhin erkennbare(n) Amtshandlungen gesetzt hat. Derartige Amtshandlungen würden die Verjährungsfrist unterbrechen und würde demnach der Lauf dieser Frist von Neuem beginnen.

Im Fall einer bescheidmäßigen Festsetzung der Abgabe durch die Gemeinde, ist das Verfahren erst dann abgeschlossen, wenn diese durch kein Rechtsmittel mehr angefochten werden kann und demnach der Rechtskraft unterliegt."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, daß er die angegriffenen Bestimmungen in Erledigung der an ihn gerichteten Säumnisbeschwerden anzuwenden habe, wurde nicht entgegengetreten. Die bekämpften Bestimmungen sind offenkundig präjudiziell. Da auch alle anderen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Verfahren zulässig.

3.2. Das vom Verwaltungsgerichtshof in den Gesetzesprüfungsanträgen geltend gemachte Gleichheitsbedenken, daß sich keine sachliche Rechtfertigung für eine Regelung finde, die rückwirkend die Anwendung eines (mit der GetränkeabgabeG-Novelle 1988) neu geschaffenen Steuertatbestandes ausschließlich auf Sachverhalte anordne, hinsichtlich derer ein Verfahren anhängig ist, trifft zu.

3.2.1. Dem Verwaltungsgerichtshof ist zunächst beizupflichten, daß mit der Neufassung des §2 Abs1 des Getränkeabgabegesetzes, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 23/1950 idF LGBl. Nr. 11/1974, durch ArtI der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 der Landesgesetzgeber von dem ihm verfassungsgesetzlich eingeräumten Abgabenerfindungsrecht hinsichtlich der Verpackungskostenanteile von Getränken Gebrauch gemacht hat und daß damit ein neuer Steuertatbestand eingeführt wurde.

Da der Gesetzgeber den neuen Steuertatbestand rechtstechnisch nicht verselbständigt, sondern im Kontext mit der Bemessungsgrundlage im §2 des Getränkeabgabegesetzes geregelt hat, ist er ersichtlich davon ausgegangen, daß für die Frage des Entstehens der Abgabeschuld und deren Fälligkeit §4 des Getränkeabgabegesetzes maßgeblich sein soll. Die Abgabeschuld für Sachverhalte, die von ArtI der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 erfaßt sind, entsteht sohin im Zeitpunkt der Abgabe von Getränken, die der Steuerpflicht nach der durch ArtI der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 geschaffenen Rechtslage unterliegen. Auf die vor Inkrafttreten dieser Novelle (i.e. 4. November 1988) verwirklichten Sachverhalte wäre - gäbe es die Regelung des ArtII Abs1 GetränkeabgabeG-Novelle 1988 nicht - die frühere Rechtslage anzuwenden, wonach - wie sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. März 1987, Z83/17/0056, ergibt - der Wert der Verpackung nicht in die (Getränkesteuer-)Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist. Die angegriffene Gesetzesstelle verfügt, daß die Neuregelung, derzufolge auch der Preis für Verpackungen in Form von Einweggebinden zum steuerpflichtigen Entgelt zählt, auf alle anhängigen Verfahren anzuwenden ist, womit - offenkundig - alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 anhängigen Verfahren der Steuerpflicht nach ArtI leg.cit. unterworfen werden. Damit werden aber rückwirkend Sachverhalte in die Steuerpflicht einbezogen, die nach der Rechtslage, wie sie vor der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 bestand, nicht steuerpflichtig wären.

Die angegriffene Regelung begründet eine rückwirkende Steuerpflicht für den Wert von Verpackungen jedoch nur für solche Sachverhalte, hinsichtlich derer ein Verfahren anhängig ist, wobei die Steiermärkische Landesregierung die Auffassung vertritt, daß dies (bereits) zutrifft, sobald der Steuerpflichtige eine Getränkeabgabeerklärung abgegeben hat. Die rückwirkende Regelung findet nach ihrem Wortlaut und offensichtlich auch nach Auffassung der Steiermärkischen Landesregierung somit keine Anwendung auf Sachverhalte, die steuerpflichtig gewesen wären, hinsichtlich derer jedoch eine Getränkeabgabeerklärung nicht eingereicht wurde. Hinterzogene Abgaben sind daher von der angegriffenen Regelung nicht erfaßt, solange die Behörde gegen den Steuerpflichtigen keine nach außen in Erscheinung tretenden Erhebungen eingeleitet hat, weil insofern ein Verfahren nicht anhängig ist.

Der Verfassungsgerichtshof pflichtet dem Verwaltungsgerichtshof bei, daß sich keine sachliche Rechtfertigung für eine bevorzugende Behandlung derartiger Sachverhalte findet.

Mit Recht verweist der Verwaltungsgerichtshof zusätzlich darauf, daß es ausschließlich vom Verhalten der Behörde abhängig war, ob ein Verfahren im Zeitpunkt der Erlassung der angegriffenen Gesetzesstelle bereits rechtskräftig abgeschlossen oder noch anhängig war, weil unterstellt werden muß, daß die Abgabenbehörde jedenfalls ab Ergehen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. März 1987, Z83/17/0056, Verpakkungsanteile in die Getränkesteuerpflicht nicht einbezogen habe. Da die in Prüfung gezogene Bestimmung jedoch erst am 4. November 1988 in Kraft trat, hängt es ausschließlich vom rascheren oder langsameren Vorgehen der Abgabenbehörde ab, ob Verfahren im letztgenannten Zeitpunkt - was die Steuerpflicht hinsichtlich Verpackungen betrifft - bereits (zugunsten des Steuerpflichtigen) rechtskräftig erledigt oder schon bzw. noch anhängig waren. Damit stellt die angegriffene Regelung zusätzlich in einer mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbarenden Weise auf Umstände ab, die ausschließlich vom Behördenverhalten abhängig waren (VfSlg. 10620/1985).

Die angegriffene Gesetzesstelle erweist sich sohin aus den bereits dargelegten Gründen als verfassungswidrig, sodaß auf weitere Bedenken nicht mehr einzugehen war.

3.2.2. Die Bestimmung ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Da die Regelung auf anhängige Fälle abgestellt ist, war weiters auszusprechen, daß die aufgehobene Bestimmung auf solche Fälle nicht mehr anzuwenden ist (Art140 Abs7 B-VG).

Der Ausspruch über die Kundmachungsverpflichtung gründet sich auf Art140 Abs5 B-VG.

3.2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat aus Anlaß der bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren Zlen. 90/17/0405, 90/17/0013 bis 0017, 90/17/0019 bis 0022 und 90/17/0053 bis 0055 weitere Anträge auf Aufhebung des ArtII Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 beim Verfassungsgerichtshof gestellt, die hg. zu G122/91 und G123/91 protokolliert sind. Im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen war eine formelle Einbeziehung dieser Anträge in das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren nicht mehr möglich. Da sich im Hinblick auf den Ausspruch, daß die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, die Wirkung der Aufhebung auch auf diese - wie auch auf alle anderen schwebenden - Verfahren erstreckt, erübrigt sich eine weitere Erledigung dieser Gesetzesprüfungsanträge.

3.3.1. Nach Aufhebung des ArtII Abs1 der GetränkeabgabeG-Novelle 1988 trifft auch das Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des letzten Satzes des §3 Abs1 der Getränke- und Speiseeisabgabeordnung der Stadt Kapfenberg idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 22. November 1988 (vgl. 1.4.1.) zu; der letzte Satz des §3 Abs1 leg.cit. ist, weil die gesetzliche Deckung weggefallen ist, wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Die Wirkung der Aufhebung war aus den gleichen Erwägungen, die für das Gesetzesprüfungsverfahren zutrafen, gemäß Art139 Abs6 B-VG auf alle anhängigen Verfahren zu erstrecken. Der Ausspruch über die Kundmachungsverpflichtung gründet sich auf Art139 Abs5

B-VG.

3.3.2. Hinsichtlich der vom Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß seiner Beschwerden Zlen. 90/17/0405, 90/17/0016 und 90/17/0055 unter einem gestellten und beim Verfassungsgerichtshof zu V46-48/91 protokollierten Verordnungsprüfungsanträge (betreffend die Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 17. November 1988, Z A8-K 339/1985 - 6, die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Murau vom 19. Dezember 1988 betreffend Getränke- und Speiseabgabe und die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Knittelfeld vom 28. November 1988, mit der die Getränkeabgabeordnung geändert wird) wird die Entscheidung gesondert ergehen.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Getränkesteuer Steiermark, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G76.1990

Dokumentnummer

JFT_10089693_90G00076_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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