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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
BArbSchV §43 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für das Land Steiermark vom 4. Februar 1993, Zl. UVS 30.8-154/92-2, betreffend Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: J in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Das gegen den Mitbeteiligten ergangene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft vom 2. Juli 1992 enthält folgenden Schuldspruch (Spruchteile gemäß § 44a Z. 1 und 2 VStG):
"1)
Anläßlich einer Kontrolle der Baustelle L, S-Straße 12, (hofseitige Dachfläche, Dachneigung mehr als 40 Grad, Traufenhöhe ca. 6 m) durch das Arbeitsinspektorat Leoben am 07.08.91 wurde festgestellt, daß Sie als Inhaber der Firma I, Bautischlerei - Zimmerei - Sägewerk, L, und Arbeitgeber dafür verantwortlich sind, daß auf dem oa. Dach, auf welchem von Ihrem Arbeitnehmer H Dachlattungsarbeiten ausgeführt wurden, keine Einrichtungen angebracht waren, die ein Abstürzen von Personen hätte verhindern können.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1)
§ 7 Abs. 1 erster Satz Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 267/1954"
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage) verhängt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung des Mitbeteiligten Folge gegeben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß die Tatumschreibung in dem die einzige rechtzeitige Verfolgungshandlung darstellenden Ladungsbescheid vom 26. September 1991 (mit Ausnahme der Schreibweise des Vornamens des Arbeitnehmers) mit derjenigen im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses übereinstimmt. Diese Verfolgungshandlung gehe nach Ansicht der belangten Behörde aber ins Leere. Der Tatbestand des § 7 Abs. 1 erster Satz der Bauarbeiterschutzverordnung sei "nicht nur dadurch erfüllt, ein Abstürzen von Dienstnehmern zu verhindern, vielmehr ist auch ein Weiterfallen hintanzuhalten". In der Verfolgungshandlung sei darauf jedoch nicht Bedacht genommen worden. Auch habe die Behörde keinerlei Erwägungen darüber angestellt, ob das Wirtschaftlichkeitskalkül des § 7 Abs. 2 leg. cit. zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Ferner kommt in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck, daß die Verfolgungshandlung auch nicht geeignet sei, den Tatbestand einer Übertretung des § 43 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung zu umschreiben, weil dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen worden sei, "er habe die Tätigkeiten VOR Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die ... geeignet sind, begonnen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 7 Abs. 1 erster Satz der Bauarbeiterschutzverordnung sind an allen Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr besteht, Einrichtungen anzubringen, die geeignet sind, ein Abstürzen der Dienstnehmer zu verhindern oder ein Weiterfallen hintanzuhalten, wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze.
§ 7 Abs. 2 leg. cit. sieht vor, daß die Anbringung der in Abs. 1 vorgesehenen Schutzeinrichtungen unterbleiben kann, wenn der hiefür erforderliche Aufwand unverhältnismäßig hoch ist gegenüber dem Aufwand für die durchzuführende Arbeit. In solchen Fällen sind die Dienstnehmer durch Anseilen gegen Absturz zu sichern.
Gemäß § 43 Abs. 1 leg. cit. dürfen Arbeiten auf Dächern, wie Dachdecker-, Spengler-, Bauglaser- oder Anstreicherarbeiten sowie Arbeiten an Blitzschutzanlagen erst nach Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die ein Abstürzen von Menschen, Materialien und Geräten hintanzuhalten geeignet sind, begonnen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrmals im Grunde des § 44a lit. a (jetzt Z. 1) VStG Tatumschreibungen hinsichtlich der Übertretungen nach § 7 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung oder nach § 43 Abs. 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 leg. cit. für unbedenklich befunden, in denen die nach § 7 Abs. 1 leg. cit. erforderlichen, aber nicht vorhanden gewesenen Sicherungseinrichtungen mit "Sicherungsmaßnahmen, die ein Abstürzen hintanhalten hätten können" (Erkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 86/08/0249), oder "Einrichtungen ..., die geeignet gewesen wären, ein Abstürzen der Arbeitnehmer zu verhindern" (Erkenntnis vom 27. September 1988, Zl. 87/08/0127) bzw. "Absturzsicherung" (Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/18/0382) bezeichnet wurden. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung vermag das Fehlen der Angabe des Eignungserfordernisses der Einrichtungen zur Hintanhaltung eines Weiterfallens im Ladungsbescheid vom 26. September 1991 nicht dessen Untauglichkeit als Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG herbeizuführen, unterliegt eine solche doch hinsichtlich der Konkretisierung der Tat keinem strengeren Maßstab als ein Straferkenntnis.
Daß dem Beschwerdeführer im erwähnten Ladungsbescheid nicht - ausdrücklich - vorgeworfen wurde, daß mit den Arbeiten auf dem Dach nicht "erst nach Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die ein Abstürzen von Menschen, Materialien und Geräten hintanzuhalten geeignet sind, begonnen" worden sei, beeinträchtigt gleichfalls nicht die Tauglichkeit als Verfolgungshandlung in bezug auf die Übertretung des § 43 Abs. 1 (in Verbindung mit § 7 Abs. 1) Bauarbeiterschutzverordnung (vgl. die Tatumschreibungen in den den erwähnten Erkenntnissen vom 14. April 1988 und 27. September 1988, sowie dem Erkenntnis vom 19. November 1990, Zl. 90/19/0481, zugrundeliegenden Beschwerdefällen).
Wenn sich die belangte Behörde in der Gegenschrift darauf beruft, daß nach dem hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 88/08/0221, zum Tatbild der verbotenen Beschäftigung trotz des Fehlens von Schutzeinrichtungen auch die Verwirklichung des in § 7 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung normierten negativen Tatbestandsmerkmales, daß die Anbringung der in § 7 Abs. 1 leg. cit. vorgesehenen Schutzeinrichtungen nicht unterbleiben konnte, gehöre, dieses Tatbestandsmerkmal aber in der Verfolgungshandlung nicht berücksichtigt worden sei, ist ihr folgendes zu entgegnen: Das in § 7 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung normierte negative Tatbestandsmerkmal stellt eine das Verbot des § 7 Abs. 1 leg. cit. einschränkende Ausnahmeregelung dar. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangt aber nicht, daß eine Verfolgungshandlung auch das Nichtvorliegen derartiger Ausnahmetatbestände umfassen muß (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1991, Zl. 91/19/0194). Im übrigen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Hinweis auf das Fehlen der Voraussetzungen für die Anwendung einer im Gesetz vorgesehenen, ein Verbot einschränkenden Ausnahmeregelung nur dann in dem § 44a lit. a (jetzt Z. 1) VStG betreffenden Teil des Spruches erforderlich, wenn sich ein Beschuldigter durch ein entsprechendes konkretes Sachverhaltsvorbringen mit der für ihn geltenden Ausnahmeregelung verantwortet hat oder dies nach der Aktenlage offenkundig ist (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1986, Zl. 86/18/0018).
Da die belangte Behörde somit die maßgebliche Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180239.X00Im RIS seit
20.11.2000