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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §63 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des I in A, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Mai 1993, Zl. 4.329.614/2-III/13/92, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 13. Februar 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft abgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. Mai 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. Begründend wurde ausgeführt, daß das als Berufung bezeichnete, innerhalb der Berufungsfrist eingebrachte Schreiben des Beschwerdeführers nicht ausreichend begründet gewesen sei. Erst die nach Ablauf der Berufungsfrist eingebrachte Ergänzung, in der die persönliche Situation des Beschwerdeführers in der Türkei und seine Fluchtgründe geschildert worden seien, sei als Begründung des Berufungsantrages zu qualifizieren gewesen. Da jedoch ein Nachtragen bestimmter Teile der Berufung "(z.B. der Begründung)" nach Ablauf der Berufungsfrist nicht zulässig und der begründete Berufungsantrag ein wesentlicher Bestandteil der Berufung sei, habe mit einer Zurückweisung vorgegangen werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Sachentscheidung sowie "auf Anerkennung als Flüchtling im Sinne des § 1 Asylgesetz" verletzt erachtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat gegen den erstinstanzlichen Bescheid mit folgendem Wortlaut berufen:
"O.a. Bescheid wurde mir am 9.3.1992 zugestellt. Ich erhebe dagegen binnen offener Frist nachstehende Berufung:
Wenn es in der Begründung heißt, daß ich in meinem Heimatstaat nicht aus einem der in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Verfolgung erlitten habe oder eine solche befürchten müßte, so entspricht dies nicht den Tatsachen.
Die näheren Gründe für meine Berufung kann ich noch nicht ausführen, weil ich derzeit keinen Dolmetscher erreichen kann. Ich werde die Gründe jedoch binnen vierzehn Tagen bekanntgeben."
Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.
Als Berufung kann eine Eingabe daher nur dann angesehen werden, wenn ihr entnommen werden kann, daß der bezeichnete Bescheid angefochten wird, d.h. daß die Partei mit der Erledigung der erkennenden Behörde nicht einverstanden ist, und daß aus ihr ersichtlich ist, aus welchen Erwägungen die Partei die Entscheidung der Behörde bekämpft. Das Gesetz verlangt somit nicht nur einen Berufungsantrag, sondern darüber hinaus seine Begründung, d.h. Ausführungen, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/1080).
§ 63 Abs. 3 AVG darf i.S.d. Gesetzes nicht formalistisch ausgelegt werden; ein begründeter Berufungsantrag liegt dann vor, wenn die Eingabe erkennen läßt, welchen Erfolg der Einschreiter anstrebt und womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt, wobei nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens4, Seite 492 referierte Judikatur).
Im vorliegenden Fall kann entgegen der Ansicht der belangten Behörde der Berufung des Beschwerdeführers entnommen werden, worin er die Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides erblickt. So ergibt sich aus der dargestellten, zwar sehr knappen Formulierung immerhin, daß der Beschwerdeführer die Beurteilung seiner Fluchtgründe durch die Behörde erster Instanz als unrichtig, weil nicht den Tatsachen entsprechend, bekämpft. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen, vom Vorliegen eines begründeten Berufungsantrages auszugehen und eine Sachentscheidung zu treffen.
Daß die "näheren Gründe" einem weiteren Schriftsatz vorbehalten wurden, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da ergänzende Begründungen bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens vorgebracht werden können, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine den formalen Erfordernissen entsprechende Berufung vorliegt (vgl. zB Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Februar 1967, Slg. 7074/A).
Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage es unterlassen hat, eine Sachentscheidung zu treffen und stattdessen mit einer Zurückweisung vorgegangen ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Das Aufwandersatzbegehren auf Grund von Stempelgebühren konnte nur im Ausmaß der entstandenen Gebührenpflicht berücksichtigt werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010596.X00Im RIS seit
20.11.2000