TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/7 93/01/0250

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Veröffentlicht am 07.10.1993
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
25/04 Sonstiges Strafprozessrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;
TilgG 1972 §1;
TilgG 1972 §6;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Februar 1993, Zl. MA 61/IV-P 310/87, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Februar 1992 (richtig: 1993) wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers vom 1. Juni 1987 um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß den §§ 10 und 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Vorwurf des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid lasse nicht erkennen, auf welche gesetzliche Grundlage er sich stütze, und verletze dadurch die zwingende Vorschrift des § 59 Abs. 1 AVG, ist unberechtigt. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht nämlich unmißverständlich hervor, daß die belangte Behörde im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer gesetzte, von ihr als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zugrunde gelegte Gesamtverhalten "nicht bereit" sei, von dem ihr "eingeräumten Ermessen positiven Gebrauch zu machen". Eine solche Ermessensentscheidung kam überhaupt erst nach Bejahung der im § 10 StbG genannten Einbürgerungsvoraussetzungen in Betracht, wobei es der belangten Behörde nicht verwehrt war, Umstände, die bereits bei Prüfung dieser Voraussetzungen zu beurteilen waren, im Rahmen der Ausübung des freien Ermessens gemäß § 11 leg. cit. zu berücksichtigen, und sie sich nach dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen hatte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 92/01/0093, mit weiteren Judikaturhinweisen). Wenn daher der Beschwerdeführer in der Beschwerde Überlegungen dahin anstellt, "welche die in § 10 Abs. 1 in Frage kommenden Ziffern die Behörde heranzieht, um die Versagung zu begründen", und er sich in der Folge auf Grund des festgestellten Sachverhaltes mit den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 und 6 StbG befaßt, so gehen diese Ausführungen zur Gänze ins Leere. Die belangte Behörde ist vom Vorliegen sämtlicher Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 10 StbG ausgegangen, hat jedoch von dem von ihr daraufhin auszuübenden Ermessen gemäß § 11 leg. cit. zu Ungunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht und dies dementsprechend auch durch Nennung dieser beiden Gesetzesbestimmungen im Spruch des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck gebracht.

Die belangte Behörde hat hinsichtlich des von ihr zu beurteilenden Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers zunächst auf dessen rechtskräftige Verurteilung durch das Landesgericht Eisenstadt vom 13. August 1991 (der Aktenlage nach richtig: vom 3. April 1991, zumal das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. August 1991 lediglich die Herabsetzung der über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafe zum Gegenstand hatte) hingewiesen, wobei es sich unbestrittenermaßen darum handelte, daß der Beschwerdeführer des Vergehens des Betruges nach dem § 146 StbG im Zusammenhang mit einer von ihm am 9. Februar 1988 veranlaßten stationären Aufnahme in die Sonderklasse einer Krankenanstalt schuldig erkannt wurde. Das sich daraus ergebende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers durfte die belangte Behörde - ungeachtet des von ihm geltend gemachten Umstandes, daß er seither keine strafbaren Handlungen mehr begangen habe - in ihre Beurteilung einbeziehen, da ihr dies nicht einmal im Falle der Tilgung der Verurteilung verwehrt gewesen wäre (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1012, und die dort angeführte weitere Judikatur, die zwar zu § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG ergangen ist, diesbezüglich aber ebenso gilt). Schon aus diesem Grunde ist auch der (im übrigen nicht weiter begründete) Einwand des Beschwerdeführers, seine Verurteilung sei der Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 Tilgungsgesetz unterlegen, verfehlt, ohne daß daher noch näher auf die nach dieser Gesetzesstelle erforderlichen Voraussetzungen einzugehen wäre.

Die belangte Behörde hat weiters berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer aus seiner ehemaligen selbständigen Tätigkeit der Republik Österreich an Steuern nahezu 7 Mio S geschuldet habe und dieser Betrag gegen Leistung einer Zahlung von S 350.000,-- wegen Uneinbringlichkeit abgeschrieben worden sei. Auch dies stellt an sich einen Sachverhalt dar, auf den die belangte Behörde bei Beurteilung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers im gegebenen Zusammenhang Bedacht nehmen durfte. Der Umstand, daß "ohnedies eine vergleichsweise Bereinigung zwischen den Parteien herbeigeführt wurde", hat - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht bewirkt, daß er ihm in diesem Sinne "nunmehr nicht zur Last fallen könne". Allerdings hätte es, um daraus die für diese Beurteilung notwendigen Schlüsse ziehen zu können, näherer Feststellungen, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, bedurft. Mangels solcher Feststellungen ist dem Verwaltungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Bescheides auch in bezug auf den vom Beschwerdeführer erhobenen, nicht von vornherein unmaßgeblichen Einwand, er habe das betreffende Unternehmen zu einem Zeitpunkt übernommen, "wo zahlreiche Steuerforderungen der Republik Österreich gegenüber aushafteten", nicht möglich.

Zuletzt war für die Entscheidung der belangten Behörde auch noch ausschlaggebend, daß der Beschwerdeführer bereits mehrmals wegen Betruges, Vollstreckungsvereitelung und Veruntreuung zur Anzeige gebracht worden sei, jedoch diese Verfahren jeweils eingestellt worden seien, "da die Veruntreuungs- bzw. Betrugsabsicht" nicht habe nachgewiesen werden können. Damit hat die belangte Behörde keineswegs - wie der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK meint - zum Ausdruck gebracht, daß der Beschwerdeführer auch diese strafbaren Handlungen begangen habe, wozu sie (mangels Verurteilung des Beschwerdeführers) nur dann berechtigt gewesen wäre, wenn sie ihr diesbezüglich vorliegende Beweisergebnisse einer selbständigen Würdigung unterzogen hätte (vgl. die in der Gegenschrift zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 1970, Slg. Nr. 7889/A, und vom 22. Juni 1971, Zl. 311/71). Bei der Ermessensübung nach § 11 StbG darf die Behörde aber nicht nur Sachverhalte heranziehen, in denen ein strafbares Verhalten des Einbürgerungswerbers gelegen ist, sondern darüber hinaus alle Vorfälle mitberücksichtigen, aus denen Anhaltspunkte für die Beurteilung der Persönlichkeit des Betreffenden gewonnen werden können. Dazu könnten auch wiederholte strafrechtliche Anzeigen wie im gegenständlichen Fall - die auf eine vermögensrechtliche Schädigung dritter Personen, ungeachtet eines darauf gerichteten Vorsatzes, hindeuten und die in Ansehung des jeweils davon betroffenen Rechtsgutes auf der gleichen Ebene liegen wie die beiden übrigen von der belangten Behörde verwerteten Sachverhalte - zählen, sind sie doch in Verbindung mit seinem sonstigen Verhalten grundsätzlich geeignet, das vom Beschwerdeführer gewonnene Persönlichkeitsbild abzurunden. Es fehlen aber auch diesbezüglich die hiefür erforderlichen Feststellungen darüber, wann und wie oft sich derartige Vorfälle zugetragen haben, worum es sich jeweils im einzelnen gehandelt hat und in welchem Ausmaß dritte Personen tatsächlich geschädigt worden sind. Erst wenn auf Grund eines ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahrens entsprechende Feststellungen vorliegen, kann hinreichend beurteilt werden, ob der belangten Behörde ein Ermessensfehler unterlaufen ist, sie also gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG von dem ihr zustehenden freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.

Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen Ermessen Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993010250.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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