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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Bernard, DDr. Jakusch und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. Mai 1993, Zl. I/7-St-H-933, betreffend Ausstellung eines Behindertenausweises, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. Mai 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Ausweises für dauernd stark gehbehinderte Personen gemäß § 29b StVO abgewiesen.
In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen vom 22. März 1993, welches folgenden Wortlaut hat:
"Befund:
Bei einem Sprengstoffunfall im Jahre 1953 hat Herr ... die linke Hand komplett eingebüßt und an der rechten Hand vier Finger samt den dazugehörigen Mittelhandknochen verloren. Das rechte Auge fehlt (kosmetische Korrektur durch ein Glasauge), das linke Auge ist völlig blind; es werden weder Schatten noch Lichtreflexe oder Lichtschein wahrgenommen.
Gutachten:
Die Frage, ob eine dauernd starke Gehbehinderung vorliegt, darf
wie folgt beantwortet werden:
Herr ... weist in den für das Gehen wichtigen Muskeln und Gelenken keine Störungen auf, die eine einwandfreie Bewegung beeinträchtigen könnten. Der mechanisch-organische Bewegungsablauf erfolgt ungehindert.
Die tatsächliche Möglichkeit der Fortbewegung ist jedoch aufgrund der Blindheit und der Unmöglichkeit, zur behelfsmäßigen Orientierung einen Blindenstock zu verwenden, an eine dauernde Führung durch eine Begleitperson gebunden. Nur so ist es dem Untersuchten möglich, sich zielgerichtet zu bewegen. Ob dieser besondere Umstand bei Herrn ... eine dauernde starke Gehbehinderung im Sinne des § 29 b StVO 1960 darstellt, kann von medizinischer Seite jedoch nicht beurteilt werden."
Bei der Beurteilung - so die belangte Behörde weiter -, ob eine dauernd starke Gehbehinderung im Sinne des § 29b StVO vorliege, komme es darauf an, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung im Gehen vorliege, also wie etwa eine bestimmte Strecke im Gehen zurückgelegt werden könne. Nach dem erwähnten Gutachten des Amtssachverständigen für Medizin wiesen die für das Gehen wichtigen Muskeln und Gelenke des Beschwerdeführers keine Störungen auf, die eine einwandfreie Bewegung beeinträchtigen könnten. Der mechanisch-organische Bewegungsablauf beim Gehen erfolge ungehindert. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer für seine Mobilität eine Begleitperson benötige, da er seine Hände nicht gebrauchen könne und blind sei, stelle an sich noch keine Gehbehinderung im Sinne des Gesetzes dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Gemäß § 29b Abs. 4 erster Satz StVO hat die Behörde Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 29. November 1989, Zl. 88/03/0210, zu dieser Gesetzesstelle die Rechtsansicht vertreten, daß Personen, die einen Anspruch auf Ausfolgung eines derartigen Ausweises hätten, nach dem diesbezüglich zu keinem Zweifel Anlaß gebenden Wortlaut dieser Gesetzesstelle im Gehen (stark) behindert sein müßten. Für andere Behinderungen, die keine Gehbehinderung darstellten, scheide demnach die Ausfolgung eines solchen Ausweises aus.
Der Beschwerdeführer erblickt nun seine "Gehbehinderung" darin, daß er beim Gehen auf eine Begleitperson angewiesen sei. Damit ist für ihn allerdings nichts gewonnen, weil er unter dieser Voraussetzung offenbar auch in der Lage ist, größere Wegstrecken zurückzulegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits im Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 88/02/0207, zu § 29b Abs. 1, 2 und 4 StVO zum Ausdruck gebracht, Zweck dieser Regelungen sei es, bestimmten behinderten Personen die nähere Zufahrt zu ihrem Ziel zu ermöglichen, als dies allgemein rechtlich zulässig wäre. Die Art der Behinderung - die dauernde starke Gehbehinderung - sei von diesem Regelungszweck her zu verstehen. Anspruch auf Ausstellung eines Ausweises im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO hätten demnach Personen, denen es aus Gründen ihrer Gehbehinderung unmöglich oder unzumutbar sei, eine Strecke zurückzulegen, wie sie der gewöhnlichen Entfernung von einem (erlaubten) Abstellplatz für das Kraftfahrzeug bis zu einem unter gewöhnlichen Bedingungen erreichbaren Ziel entspreche.
Als dauernde starke Gehbehinderung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle kommt daher von vornherein nur eine solche Behinderung in Betracht, die das Zurücklegen eines Weges wegen seiner Länge erschwert, was jedoch beim Beschwerdeführer nicht der Fall ist.
Soweit der Beschwerdeführer schließlich auf eine Richtlinie des "Expertenkomitees der Landessanitätsdirektorenkonferenz" Bezug nimmt, genügt der Hinweis, daß die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht gehalten war, auf eine solche Richtlinie Bedacht zu nehmen.
Da sohin der angefochtene Bescheid der Rechtslage entspricht, erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
BeweismittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993020134.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
02.03.2010